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1) Der Lehrsatz

Die Lehre von der Erwählung muss als Teil der allgemeineren Lehre der Prädestination oder Vorbestimmung gesehen werden, insofern sie die Errettung von Sündern betrifft. Da die Schrift hauptsächlich von der Errettung von Sündern handelt, kommt diese Lehre besondere Bedeutung zu. Sie hat eng mit der allgemeineren Lehre der Vorherbestimmung zu tun, die, da sie vom Tun eines unendlich vollkommenen Wesens handelt, als ewige, absolute, unwandelbare und in ihrer Wirkung unfehlbare Festlegung seines Willens verstanden werden muss. Hier geht es um jene Menschen, die Gott erretten will. Kein Aspekt dieser Wahl ist deutlicher als seine absolute Souveränität. Der reformierte Glaube beruft sich auf die Existenz eines ewigen, göttlichen Beschlusses, der noch vor irgend einem Unterschied oder Verdienst der Menschen die Menschheit in zwei Gruppen teilt und den einen ewiges Leben bestimmt, den anderen den ewigen Tod.7373     Der Mensch ist des höllischen Feuers schuldig, insofern er ein Sünder ist, und insofern geht ausnahmslos jeder Mensch verloren. Die Erwählung Gottes ist nicht die Ursache, aufgrund deren ein Mensch gerettet wird; man könnte hier besser sagen: Ursache ist seine Bekehrung. Die Erwählung ist der Grund, weshalb er sich bekehrt. Ein Mensch wird nicht bekehrt, wenn er nicht schon von Ewigkeit her erwählt ist. Er geht aber nicht deshalb verloren, weil er nicht erwählt war, sondern weil er von Geburt an Sünder ist. Durch den Sündenfall ist die gesamte Menschheit schon zum Tod »bestimmt«; was Gott tut, ist dies: Er wendet nach Kriterien, die uns vollkommen unbekannt sind, einigen Menschen, die das nicht verdient haben, seine Gnade zu. Der Einwand, jemand hätte dann ja keine »Chance«, verkennt die verzweifelte Lage des Sünders. Er hat nämlich unter keinen Umständen irgend eine „Chance“ — darin besteht ja seine verzweifelte Lage: dass er selbst daran schuld ist, keine „Chance“ zu haben. Der Einwand: »Ein Nichterwählter könne dann ja nichts dafür« ist die Ausrede des Sünders, der lieber Gott ungerecht nennt als sich selbst einen Sünder. Er sieht nicht mehr, dass er zwar alles dafür kann, aber gar nichts dagegen (A. d. Ü.). Insofern dieser Beschluss sich auf Menschen bezieht, bestimmt er den Rat Gottes darin, dem Menschen in Adam eine faire Chance gegeben zu haben. Adam hat diese Chance vertan. Das Ergebnis des Sündenfalls war die Verderbnis und Schuld aller Menschen; all ihre Beweggründe sind falsch, so dass sie nichts zu ihrer Errettung beitragen können. Sie haben allen Anspruch auf Gottes Gnade verwirkt; es wäre nichts Ungerechtes daran, müssten sie alle die gerechte Strafe für ihren Ungehorsam tragen wie die gefallenen Engel ohne Ausnahme. Statt dessen werden die Erwählten vom Zustand der Schuldigkeit und Sünde erlöst und in einen Zustand des Segens und der Heiligkeit versetzt. Die Nichterwählten werden einfach in dem Zustand gelassen, in dem sie sich ohnehin schon befinden, und damit wegen dieser ihrer Sünden verdammt. Sie erleiden keine unverdiente Strafe, denn Gott handelt mit ihnen nicht nur als Menschen, sondern auch als Sünder.

Das Westminster-Bekenntnis formuliert den Umstand so:

»Durch den Ratschluss Gottes sind zur Offenbarung seiner Ehre einige Menschen und Engel zum ewigen Leben vorherbestimmt und andere zum ewigen Tod verordnet.«

»Diese so vorherbestimmten und vorausverordneten Engel und Menschen sind speziell und unabänderlich bezeichnet, und ihre Zahl ist so sicher und begrenzt, dass sie weder vermehrt noch vermindert werden kann.«

»Diejenigen, die aus der Menschheit zum Leben vorherbestimmt sind, hat Gott vor Grundlegung der Welt nach seinem ewigen und unabänderlichen Vorsatz und dem verborgenen Rat und guten Wohlgefallen seines Willens in Christus zur ewigen Herrlichkeit erwählt, und zwar aus völlig freier Gnade und Liebe und nicht aus irgendeiner Voraussicht des Glaubens oder guter Werke oder des Beharrens in einem von beiden und ohne dass ihn sonst irgend etwas in dem Geschöpf als Vorbedingungen oder Ursachen dazu bewogen hätten, und das alles zum Preis seiner herrlichen Gnade.«

»Wie Gott die Erwählten zur Herrlichkeit bestimmt hat, so hat er auch alle Mittel dazu durch den ewigen und völlig freien Vorsatz seines Willens vorherbestimmt. Deswegen sind die, die erwählt sind, nachdem sie in Adam gefallen sind, durch Christus erlöst worden. Sie werden zum Glauben an Christus wirksam berufen durch seinen Geist, der zur rechten Zeit wirkt. Sie werden gerechtfertigt, als Kinder angenommen, geheiligt und durch seine Macht durch den Glauben zum Heil bewahrt. Keine anderen werden von Christus erlöst, wirksam berufen, gerechtfertigt, als Kinder angenommen, geheiligt und gerettet, als allein die Erwählten.«

»Es hat Gott gefallen, nach dem unerforschlichen Ratschluss seines eigenen Willens, aufgrund dessen er Barmherzigkeit erweist oder vorenthält, wie es ihm gefällt, zur Ehre seiner unumschränkten Macht über seine Geschöpfe, den Rest der Menschheit zu übergehen und sie zur Unehre und zum Zorn über ihre Sünde vorherzubestimmen, zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit.«7474     WB, Art. 3.3-3.7.

Es ist wichtig, dass wir die Lehre von der göttlichen Erwählung ganz klar verstehen, denn die Art, wie wir diese Lehre verstehen, bestimmt unsere Sicht von Gott, dem Menschen, der Welt und der Erlösung. Wie Calvin richtig sagte:

»Wir werden nie und nimmer so klar, wie es sein sollte, zu der Überzeugung gelangen, dass unser Heil aus dem Brunnquell der unverdienten Barmherzigkeit Gottes herfließt, ehe uns nicht Gottes ewige Erwählung kundgeworden ist; denn diese verherrlicht Gottes Gnade durch die Ungleichheit, dass er ja nicht unterschiedslos alle Menschen zur Hoffnung auf die Seligkeit als Kinder annimmt, sondern den einen schenkt, was er den anderen verweigert. Wie sehr die Unkenntnis dieses Grundsatzes Gottes Ehre mindert und wie sehr sie der wahren Demut Abbruch tut, das liegt auf der Hand.«7575     Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Übersetzung: Otto Weber (nach der letzten Ausgabe von 1559); Neukirchen-Vluyn: foedus-verlag, 2008, 3.21.1.

Calvin gibt zu, dass diese Lehre sehr perplexe Fragestellungen in manchen aufwirft:

»Wahrlich, wie es vielen scheint! eine verwickelte Frage: man meint, es sei doch nichts weniger sinnvoll, als dass aus der allgemeinen Schar der Menschen die einen zum Heil, die anderen aber zum Verderben vorbestimmt sein sollten!«7676     Ebd.

Die Theologen der Reformation hatten dieses Prinzip konsequent auf die gegenwärtigen Erfahrungen geistlicher Phänomene angewandt, die sie selbst fühlten und an anderen gesehen hatten. Der göttliche Beschluss allein, mithin erst die Prädestination, konnte ihnen den Unterschied zwischen Gut und Böse zeigen, zwischen dem Heiligen und dem Sünder.


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