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2) Dieser Einwand betrifft auch das Vorherwissen

Wir müssen bedenken, dass der Einwand, der freie Wille widerspreche der Vorherbestimmung, ganz gleichermaßen auch einen Einwand gegen das Vorherwissen Gottes darstellt. Wenn Gott ein Ereignis als zukünftig vorhersieht, dann muss es ja so gewiss geschehen, als ob es vorherbestimmt wäre; wenn das eine mit der Handlungsfreiheit des Menschen nicht vereinbar ist, dann ist es das andere auch nicht. Das wird sogar oft freimütig zugegeben; die Unitarier etwa sind da in ihrer Logik wesentlich stimmiger als der Arminianismus, obgleich man die Unitarier nicht ›evangelisch‹ wird nennen dürfen. Sie sagen, Gott wisse alles, was wissbar sei, aber die Handlungen freier Menschen seien ungewiss; es entehre Gott nicht, wenn man behauptet, diese Handlungen könne selbst er nicht vorherwissen. Wir sehen aber, dass die Bibel viele Geschehnisse genau vorhersagt, große wie kleine. Diese Geschehnisse sind aber gerade durch die Handlungen freier Menschen eingetroffen! Normalerweise wissen die Menschen gar nicht, dass sie Teil der jeweiligen Prophezeiung sind, die sie zu erfüllen im Begriff stehen. Sie haben aus freien Stücken gehandelt, obwohl ihre Handlungen exakt vorausgesagt worden waren. Ein paar Beispiele: die  Ablehnung Jesu seitens der Juden, das Zerteilen des Gewandes Jesu und der Loswurf der römischen Soldaten; die Verleugnung des Petrus, das Krähen des Hahnes, der Speerstich in die Seite Jesu, die Gefangennahme und Wegführung der Bürger Jerusalems, die Zerstörung Babylons usw. usf. Die Schreiber der Bibel jedenfalls zweifelten nicht an der Fähigkeit Gottes, jene freien menschlichen Akte vorherzusehen; im Gegenteil: sie waren sicher, dass sich alles wie vorausgesagt ereignen wird. Dass Gott im Voraus wusste, was Judas und Petrus tun würden, tat deren Freiheit keinen Eintrag — sie selbst wären keinesfalls dieser Meinung gewesen, denn Judas sagt sogar später: »Ich habe gesündigt, in dem ich unschuldiges Blut verraten habe«, und als Petrus den Hahn krähen hörte, erinnerte er sich an das, was Jesus gesagt hatte, ging hinaus und weinte bitterlich.

Was Jesu triumphalen Einzug in Jerusalem betrifft, heißt es: »Das verstanden seine Jünger anfangs nicht. Als aber Jesus verherrlicht war, da kam es ihnen zum Bewusstsein, dass dies von ihm geschrieben stand und dass sie dabei mitgewirkt hatten« (Joh 12,16). Nur weil wir im Voraus wissen, dass ein gerechter Richter jede Bestechung ablehnen wird und dass ein Geizhals den Klumpen Gold wohl kaum aus der Hand geben wird, heißt das noch lange nicht, dass dieses Wissen irgendeinen Einfluss auf die Natur des Handelnden oder auf seine Freiheit hat. Wenn schon wir mit unserem begrenzten Wissen oft aufgrund der vorhergesehenen Einflüsse und aufgrund der Kenntnis eines Charakters ziemlich genau voraussagen können, was eine Person unter gegebenen Umständen tun wird, wie sollte dann Gott, der alle Menschen auf das Genaueste kennt, dazu auch alle Einflüsse und Umstände, wie sollte dann Gott nicht genau vorhersehen, was auch immer geschehen wird? Das Vorauswissen einer Handlung widerstreitet also keineswegs der inneren Logik menschlichen und freien Handelns. Wäre das anders, so könnte auch Gott nicht wissen, was geschehen wird. Das Vorherwissen verursacht die zukünftigen Ereignisse ja nicht, sondern weiß sie im Voraus; zu behaupten, Gott wisse ein ungewisses Ereignis zum Voraus, ist unlogisch. Entweder sind die zukünftigen Ereignisse gewiss, und dann weiß sie Gott auch voraus, oder sie sind es nicht, und dann kann sie auch Gott nicht vorhersehen. Vorherwissen und Vorherbestimmung stehen und fallen miteinander.

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