__________________________________________________________________ Title: Die reformierte Lehre von der Vorherbestimmung Creator(s): Boettner, Loraine (1901-1990) Rights: Copyright Ivo Carobbio. Used by permission. CCEL Subjects: All; History; __________________________________________________________________ Die reformierte Lehre von der Vorherbestimmung Loraine Boettner Translated by Ivo Carobbio Copyright Ivo Carobbio. Used by permission. __________________________________________________________________ Kapitel I __________________________________________________________________ Einleitung Es ist nicht Zweck dieses Buches, ein neues systematisch-theologisches Gedankengebäude zu errichten, sondern jenes große Lehrgebäude neu zu formulieren, das als »Reformierte Lehre« oder Calvinismus bekannt ist. Es wird zeigen, dass diese Lehre ohne jeden Zweifel biblisch und in sich logisch ist. Der Prädestinationslehre kommt heute vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit zu. Sie wird auch oft von ihren Bekennern nur wenig verstanden. Es ist eine Lehre, die sich in den Glaubensbekenntnissen der meisten protestantischen Kirchen findet und die auf Kirche und Staat bemerkenswerten Einfluss gehabt hat. Die offiziellen Normen der Presbyterianischen und Reformierten Kirchen in Europa und Amerika sind durch und durch calvinistisch. Obgleich Baptisten und Kongregationalisten kein eigenes Glaubensbekenntnis formuliert haben, sind sie -- soweit wir das aus den Schriften ihrer maßgeblichen Theologen beurteilen können -- der calvinistischen Lehre durchwegs treu geblieben. Die "Große Freie Kirche Hollands" und auch die meisten Kirchen Schottlands sind calvinistisch. Die »Established Church of England« und deren Tochter, die »Episcopal Church of America«, formulieren in ihren 39 Artikeln ein calvinistisches Bekenntnis. Der Whitefield-Flügel der Methodisten in Wales trägt bis heute den Namen »Calvinistische Methodisten«. Unter den Vertretern des Calvinismus von gestern und heute befinden sich einige der größten und weisesten Männer der Kirchengeschichte. Dazu zählen Männer wie Calvin, Luther, Zwingli, Melanchthon (obgleich sich Melanchthon später zum Semi-Pelagianismus bekannte), Bullinger, Bucer und einige weitere berühmte Führer der Reformation. Waren sie in manchen Punkten verschiedener Meinung -- bei der Prädestination stimmten sie alle überein und lehrten sie mit großem Nachdruck. Luthers Hauptschrift »Vom unfreien Willen« zeigt, dass er sich mit dieser Lehre mindestens ebenso auseinandersetzte wie Calvin selber. Luther demonstrierte sie sogar mit noch größerem Nachdruck als Calvin; er verteidigte sie wesentlich ausführlicher als er. Was die Konkordienformel anlangt, bekennt sich auch die Lutherische Kirche von heute noch zu einer ähnlichen Form der Prädestination. Die englischen Puritaner, die ersten Siedler Amerikas, die Convenanters in Schottland und die Hugenotten in Frankreich -- sie alle waren durchwegs Calvinisten; es gebührt der Geschichtsschreibung kein Lob, dass sie diese Tatsache hat weitgehend unerwähnt lassen. Sogar die römisch-katholische Kirche hat eine Zeitlang an die Prädestination geglaubt; zu keiner Zeit [1] hat sie sich öffentlich davon distanziert. Augustinus' Lehre von der Prädestination brachte alle halbherzigen Elemente der Kirche gegen ihn auf und machte ihm viele Feinde unter denen, die auf die Schmälerung der Souveränität Gottes aus waren. Augustinus sollte den Sieg davontragen, und so wurde die Prädestinationslehre von der Kirche anerkannt. Die meisten Bekenntnisse der Kirche enthalten die Lehren von der Erwählung, der Prädestination und des Beharrens der Heiligen [2] , wie jeder, der sich auch nur oberflächlichem Studium dieser Sache hingibt, bestätigt finden wird. Jahrhundertelang fristete die Irrlehre des Arminianismus [3] ihr Dasein nur in den Außenbezirken des wahren Glaubens. Erst im Jahre 1784 wurde er erstmalig von einer christlichen Organisation verfochten. Der Arminianismus wurde dem Lehrsystem der Methodisten Englands einverleibt. Die großen Theologen der Geschichte: Augustinus, Wycliff, Luther, Calvin, Zwingli, Zanchius, Owen, Whitefield, Toplady und in letzter Zeit Hodge, Dabney, Cunningham, Smith, Shedd, Warfield und Kuyper haben sich für die Prädestinationslehre stark gemacht. Dass diese Lehrer die Lichter und Glanzpunkte des reinsten Christentums waren, wird unter Protestanten nicht bestritten. Auch wenn wir außer Acht lassen, dass Nichtchristen wie die vielen Millionen Moslems an die eine oder andere Form der Vorherbestimmung glauben und so dem Fatalismus in vielen Ländern den Weg bereiteten; dass mechanistische und deterministische Philosophien großen Einfluss auf England, Deutschland und Amerika ausgeübt haben -- diese Lehre ist einer eingehenden Betrachtung wert. Von der Zeit der Reformation bis etwa 1830 hat die große Mehrheit der protestantischen Lehrer die Lehren [der Reformation] verfochten. Heute trifft man fast nur mehr auf andere Lehrgebäude. Einen rückhaltlosen Calvinismus trifft man heutzutage nur noch selten an. Es passt, was Toplady über die »Church of England« gesagt hat: »Es gab eine Zeit, in welcher die calvinistische Lehre als Palladium unserer >Established Church< angesehen und verteidigt worden ist: Bischöfe und Geistliche, Universitäten und das ganze Korpus der Anwälte haben sie vertreten. Während der Regierung Edwards VI, Königin Elisabeths, James' I. und während der meisten Zeit Charles' I. war es ebenso schwer, einen Geistlichen zu treffen, der diese Lehren der Kirche Englands nicht vertreten hätte, wie es heute schwer ist, jemanden zu treffen, der es noch tut. Wir haben die Prinzipien der Reformation verlassen, und seither steht >Ikabod< oder >Die Herrlichkeit ist gegangen< auf den meisten unserer Kanzeln und Kirchentüren geschrieben.« [4] Unser aufgeklärtes Zeitalter tendiert dazu, den Calvinismus als abgetragenes und veraltetes Kleid zu betrachten. Zu Beginn seines ausgezeichneten Artikels »Der reformierte Glaube in der modernen Welt« sagt Prof. F. E. Hamilton: »Die große Mehrzahl der Mitglieder der Presbyterianischen Kirche scheint heute stillschweigend anzunehmen, der Calvinismus sei aus den christlichen Kreisen verschwunden. Tatsächlich betrachten das durchschnittliche Gemeindemitglied wie auch der Verkünder des Evangeliums jeden, der sich zu der Lehre der Prädestination bekennt, mit gutmütig-lächelnder Toleranz. Es scheint ihnen seltsam und unglaubwürdig, dass es heute noch, in aufgeklärter Zeit, solche Geisteskuriositäten wie den echten Calvinismus geben könne. Die Argumente der Calvinisten genau zu überprüfen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Der Calvinismus wird für etwas Veraltetes gehalten wie die Inquisition oder die Schöpfungsgeschichte. Man reiht ihn unter die seltsamen Gedankengebäude ein, an die man vor dem Zeitalter der Wissenschaft geglaubt hatte. Wegen dieser Haltung zum Calvinismus und wegen der völligen Unwissenheit über die Lehren der Reformation halte ich das Thema dieses Buches für überaus wichtig.« Die logische und durchdachte Ausarbeitung dieser Lehren geht auf Calvin zurück und trägt deshalb seinen Namen. Calvin war zwar keineswegs der Begründer des Calvinismus; er bemühte sich aber, das in Worte zu fassen, was ihm als klare und helle Lehre der heiligen Schrift galt. Das Wesen dieses Systems hatte schon Augustinus gelehrt, mehr als tausend Jahre vor Calvins Geburt, und die Gesamtheit der Führer der Reformation teilte die Ansicht über diese Lehre. Es war Calvin und seiner profunden Kenntnis der Heiligen Schrift vorbehalten, mit scharfem Verstand und systematischem Geist diese Wahrheiten aufzurichten und zu verteidigen, wie es vor ihm noch niemand gelungen war. Wir nennen dieses Lehrgebäude »Calvinismus« und verstehen diesen Titel als Ehrennamen; Wörter jedoch sind hier nur Bequemlichkeiten. Warburton sagte einmal: »Wir könnten genauso passend die Gravitation >Newtonismus< nennen, weil es der große Wissenschaftler Newton war, der die Prinzipien der Schwerkraft das erste Mal demonstriert hat. Die Menschen waren schon lange vor Newton mit der Schwerkraft vertraut gewesen. Die Schwerkraft existiert seit der Schöpfung und ist eines der grundlegenden Naturgesetze, die Gott zur Aufrechterhaltung unseres Universums eingesetzt hat. Die Prinzipien der Schwerkraft waren bis dato noch nicht erforscht; es blieb einem Sir Isaac Newton vorbehalten, die weitreichenden Auswirkungen dieser Kraft und ihres Einflusses zu zeigen. Genauso erging es dem Calvinismus: Die Prinzipien dieser Lehre existierten lange vor Calvin. Sie galten seit der Schöpfung als offensichtliche Gegebenheiten. Erst Calvin fasste diese Prinzipien in ein mehr oder weniger komplettes System oder Glaubensbekenntnis; und so bekam diese Lehre ihren Namen.« [5] Ich füge hinzu: die Bezeichnungen »Calvinisten«, »Lutheraner«, »Puritaner«, »Pilgerväter«, »Methodisten«, »Baptisten«, ja sogar der Name »Christen« -- das waren ursprünglich Spottnamen. Der Gebrauch hat die Gültigkeit festgelegt, und man versteht heute genau, was die einzelnen Bezeichnungen meinen. Der Grund für die große Kraft der Verkündigung Calvins war seine Nähe zur Heiligen Schrift als inspiriertem und normativem Buch. Man hielt ihn für den hervorragendsten Theologen seiner Zeit. Wo immer die Bibel hinzeigte, folgte er nach, und wo die Bibel Einwände erhob, ließ er sich zügeln. Die Ablehnung, weiter zu gehen, als die Schrift es erlaubte, zusammen mit der Bereitschaft, ihr in allem zu folgen, gab seinen Lehraussagen einen Hauch von Letztgültigkeit und Hartnäckigkeit, die seine Gegner zur Offensive reizte. Wegen seiner scharfsinnigen Einsichten und wegen seiner Fähigkeit zur logischen Gedankenführung ist er oft als theologischer Theoretiker beachtet worden. Es kann freilich nicht geleugnet werden, dass er ein spekulativer Genius war; seine Feinde fürchteten die Waffe seiner logischen Analysen. Aber nicht diese Gaben waren es, die ihn sein theologisches Gedankensystem entwickeln ließen. Calvins reger und scharfsinniger Verstand ließ ihn alles, was er untersuchte, aufs Gründlichste ausloten. In seiner Untersuchung über Gott und dessen Heilsplan ging er so weit, dass die Tiefe der Untersuchung dem durchschnittlichen Christen gewiss nicht leichtfällt. Er brachte Seiten der Schrift ans Licht, die bis dahin eher im Dunkeln geblieben waren und drängte zur Betrachtung tiefer Wahrheiten, die im Vorfeld der Reformation der Kirche weitgehend unbeachtet geblieben waren. Er brachte vergessene Lehren Paulus' zu Tage und stärkte sie in ihrem Vollsinn in einem großen Teil der Kirche. Die Prädestinationslehre hat von allen Lehren der Heiligen Schrift den vielleicht größten Sturm des Widerstands hervorgerufen, und wohl kaum eine Lehre ist so sehr missverstanden und karikiert worden wie sie. Warburton sagt: »Sie vor manchen Leuten auch nur zu erwähnen, ist, wie wenn man die sprichwörtliche rote Flagge vor einem wild gewordenen Stier zu schwenken beginnt. Sie erregt die feurigsten Leidenschaften der Natur und mündet in einen Sturzbach von Missbrauch und Verleumdung. Aber der Umstand, dass sie bekämpft, gehasst oder missverstanden wird, birgt keinen vernünftigen oder logischen Grund, weshalb wir diese Lehre vergessen oder gar verwerfen sollten. Die richtige, ja, überaus wichtige Frage ist nicht: Wie wird diese Lehre aufgenommen oder verstanden, sondern: Entspricht sie der Wahrheit?« [6] Ein Grund, weshalb auch viele gebildete Leute diese Lehre sofort verwerfen, besteht ganz einfach in dem Umstand, dass sie keine Ahnung haben, was diese Lehre genau besagt und was die Bibel dazu lehrt. Dieser Umstand ist nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, wie nachlässig das heutige Bibelstudium geworden ist. Ein sorgfältiges Studium der Bibel würde viele Menschen davon überzeugen, dass dieses Buch ganz anderer Natur ist, als sie es bisher eingeschätzt haben. Der gewaltige Einfluss, den diese Lehre in der Geschichte Englands und Amerikas gehabt hat, sollte ihr eine respektvolle Zuhörerschaft sichern. Weiter urteilen wir: Niemand ist berechtigt, die Wahrheit dieser Lehre zu verwerfen, bevor er nicht vorurteilsfrei und genau die Zeugen und Belege auf beiden Seiten studiert hat. Diese Lehre behandelt einige der wichtigsten Wahrheiten, wie sie die Heilige Schrift offenbart; ihr ausgiebiges Studium wird sich jedem Christen reichlich bezahlt machen. Wer sie verwirft, ohne vorher genauestens untersucht zu haben, was diese Lehre behauptet, der sollte wenigstens nicht vergessen, dass sie den festen Glauben unzähliger der weisesten und klügsten Männer, die je gelebt haben, geleitet hat, und dass diese Männer daher feste Gründe gehabt haben müssen, an sie zu glauben. An dieser Stelle sind einige vorsichtige Worte angebracht: Obwohl diese Lehre eine großartige und gesegnete biblische Wahrheit und grundlegende Lehre vieler Denominationen ist, darf sie nicht als Summe und Substanz des reformierten Glaubens angesehen werden. Dr. Kuyper hat gesagt: »Es ist falsch, den spezifischen Charakter des Calvinismus in der Prädestinationslehre oder in der Autorität der Schrift sehen zu wollen. Diese Dinge sind nicht Ausgangsposition, sondern nur logische Konsequenz. Es ist das Blattwerk, was von luxuriöser Größe zeugt, nicht die Wurzel, der es entsprießt. Wenn die Lehre von ihrer natürlichen Verbindung mit anderen Wahrheiten gelöst und ohne diese Wahrheiten präsentiert wird, wirkt sie übersteigert und übertrieben. So wirkt das System verzerrt und wird missverstanden. Jede Darstellung eines Systems muss in seiner Ordnung präsentiert werden; die anderen Grundaussagen desselben Systems müssen mit dieser Darstellung übereinstimmen, sonst kann ihr Wahrheitsgehalt nicht richtig erkannt werden. Das Westminster-Bekenntnis bietet eine ausgewogene Darstellung des gesamten Systems; es zeigt die rechtmäßige Bedeutung auch der anderen Lehrpunkte, so etwa der Lehre von der Trinität, von der Göttlichkeit Christi, der Personalität des Heiligen Geistes, der Inspiration der heiligen Schrift, der Wunder, der Erlösung, der Auferstehung, der Wiederkunft Christi usw. Wir verleugnen auch an keiner Stelle, dass der Arminianismus viele und wichtige Wahrheiten lehrt. Aber wir behaupten: eine vollständige systematische Darstellung des christlichen Glaubens kann nur auf der Basis der Wahrheit, wie sie der Calvinismus darstellt, gegeben werden.« Viele Leute glauben, Prädestination und Calvinismus seien austauschbare Begriffe. Das ist indes unrichtig; auch die zu enge Verknüpfung der beiden Begriffe hat zweifellos viel zum Vorurteil beigetragen, mit dem viele Menschen dem Calvinismus begegnen. Das trifft auch auf die zu enge Verquickung des Calvinismus mit den »Fünf Punkten« zu, was später noch zu zeigen sein wird. Während Prädestination und »Fünf Punkte« wesentliche Elemente des Calvinismus sind, machen sie keineswegs das ganze System aus. Die Prädestinationslehre ist Thema unzähliger Kontroversen geworden, zugegebenermaßen meistens zu dem Zweck, sie abzuschwächen oder gar wegzuerklären. So sagt Cunningham: »Die Betrachtung dieser großartigen Lehre läuft auf das Hintergründigste und Unerreichbarste hinaus, über das der Mensch nachdenken kann -- über die Natur, die Eigenschaften, die Zwecke und Handlungsweisen des unendlichen und verborgenen Jahwe, gesehen unter dem Blickwinkel des ewigen Schicksals Seiner vernunftbegabten Geschöpfe. Die Eigenart dieser Lehre verlangt aus gutem Grund, dass man sich ihr in aller gebotenen Demut, Ehrfurcht und Behutsamkeit nähert, da sie uns mit einer Sache in Kontakt bringt, die entsetzlich und überwältigend ist: mit dem ewigen Elend einer unzählbaren Schar unserer Mitmenschen. Viele Männer haben dieses Thema auch in diesem Geiste disputiert, viele andere jedoch haben sich in ehrfurchtsloser Weise vielerlei Vermutungen und respektlosen Spekulationen hingegeben. Vielleicht gibt es kein Thema, das verständige Menschen aller Zeiten so sehr in Beschlag genommen hat wie dieses. Es ist in aller Hinsicht ausführlich diskutiert worden: in philosophischer, theologischer und auch in praktischer Hinsicht, und wenn es eine Sache gibt, von der wir sicher behaupten können, sie sei erschöpfend behandelt worden, dann diese. Zumindest einige der Themen, die unter diese Überschrift fallen, sind von allen einigermaßen bekannten Philosophen der Antike bis zur Gegenwart betrachtet worden. Aller Einfallsreichtum, alle Fähigkeit und jegliche Feinsinnigkeit sind in Anschlag gebracht worden, diese Sache zu diskutieren; die Schwierigkeiten allerdings, die damit einhergehen, sind freilich niemals ganz gelöst worden. Wir können mit Sicherheit behaupten, dass dies auch niemals erreicht werden kann, wenn uns Gott nicht entweder mehr davon offenbart oder unser Verständnis erweitert, aber vielleicht ist es richtiger zu sagen: Ein endlicher Geist wird dieses Phänomen niemals ganz begreifen, da es in der Natur der Sache liegt; könnte er das nämlich, dann hieße das nichts anderes, als dass er den unendlichen Geist selbst begriffen hätte.« [7] Dieses Buch macht Gebrauch von vielen anderen Büchern, so dass darin die Quintessenz dessen zusammengetragen ist, was die besten Autoren über dieses Thema geschrieben haben. Es finden sich hier viele Argumente von Männern, die größeren Geistes waren als der Schreiber dieser Zeilen. Tatsächlich ist er geneigt, mit einem bekannten französischen Schriftsteller zu sagen: »Ich habe einen Strauß verschiedenster Blumen aus vielerlei Gärten gebunden; ich selbst habe nur den Bindfaden angebracht.« Und doch habe ich vieles selbst verfasst, etwa die Organisation und das ganze Arrangement der zusammengetragenen Materialien. Das ganze Buch hindurch werden die Bezeichnungen »Prädestination« und »Vorherbestimmung« synonym gebraucht; wann der eine Begriff verwendet wird und wann der andere, bestimmt allein der Geschmack des Verfassers. Wenn man eine Unterscheidung will, dann könnte man sagen: Das Wort »Vorherbestimmung« wird immer dann verwendet, wenn es die Geschichte oder die Natur bezeichnet, während die Bezeichnung »Prädestination« immer dann gebraucht wird, wenn es um das ewige Schicksal der Menschen geht. Folgenden Personen wünscht der Autor zu danken: Dr. Samuel G. Craig, dem Herausgeber von »Christianity Today«, Dr. Frank H. Stevenson, dem Präsidenten des »Board of Trustees of Westminster Theological Seminary«, Dr. Cornelius Van Til, Professor für Apologetik am Wesminster Theological Seminar, Dr. Charles W. Hodge, Professor für systematische Theologie am Princeton Theological Seminary -- unter seiner Aufsicht war dieses Material ursprünglich in Kurzfassung verfügbar. Weiters danke ich Pfr. Henry Atherton, Generalsekretär der Souvereign Grace Union in London (England) für seine tätige Mithilfe. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Dieses Buch soll dazu dienen, den reformierten Glauben, der unter dem Namen »Calvinismus« bekannt ist, darzustellen und zu verteidigen. Das Buch richtet sich nicht gegen irgendeine Denomination, sehr wohl aber gegen den Arminianismus im Allgemeinen. Ich bin Mitglied der Presbyterianischen Kirche in den USA und weiß wohl Bescheid über den radikalen Bruch dieser Glaubensrichtung von ihrem Bekenntnis. Das Buch ist in der Hoffnung verfasst worden, all jenen, die sich an die Lehren der Reformation halten, ein besseres Verständnis für die großen Wahrheiten dieses Glaubens zu vermitteln und ihnen ihr Erbe wertvoller zu machen. Denen, die dieses Glaubenssystem nicht kennen oder es gar bekämpfen, will es diese Wahrheit näher bringen und dazu führen, dass sie es lieben lernen. Die Frage, die uns zunächst beschäftigen muss, ist folgende: Hat Gott von aller Ewigkeit den Weltlauf vorherbestimmt? Und wenn dem so ist: Welche Beweise haben wir hierfür? Wie ist die menschliche Handlungsfreiheit mit der Vollkommenheit Gottes zu vereinbaren? __________________________________________________________________ [1] Diese Schrift ist 1932 entstanden; A. d. Ü [2] Der Ausdruck »Beharren der Heiligen« bedeutet, dass echte Kinder Gottes nicht wieder verlorengehen können; A. d. Ü. [3] Die Grundlehren des Arminianismus, die heute vielfach in die gängige evangelikale Theologie eingedrungen sind, lassen sich in etwa so zusammenfassen: Bedingte Erwählung: Gott hat beschlossen, durch Jesus Christus diejenigen aus der sündigen Menschheit zu erretten, die durch die Gnade des heiligen Geistes an Christus glauben, aber Gott lässt die Unbelehrbaren und die Ungläubigen in der Sünde. Heilsuniversalismus: Christus ist für alle Menschen gestorben, aber Gott erwählt nur diejenigen, die an Christus glauben. Freier Wille trotz Erbsünde: Freier Wille ist der natürliche Zustand des Menschen, kein geistiges Geschenk -- der freie Wille ist durch die Erbsünde nicht verlorengegangen. Die Gnade Christi arbeitet in allen Menschen, um sie zum Guten zu beeinflussen. Aber nur diejenigen, die mit der Gnade durch Glaube und Reue einverstanden sind, bekommen neue geistliche Kraft, um das Gute zu verwirklichen, welches sie anderenfalls nur beabsichtigen, nicht aber verwirklichen könnten. Ablehnbare Gnade: Die Gnade Gottes wirkt für das Gute in allen Menschen und schafft Erneuerung des Lebens durch den Glauben. Aber die Gnade kann abgelehnt werden, sogar von denen, die zu einem neuen Leben im Glauben gelangt sind. Verlierbarkeit des Heils: Diejenigen, die durch den wahren Glauben mit Christus vereinigt sind, haben durch die Gnade des Heiligen Geistes zwar die Kraft, im Glauben beständig zu bleiben. Der Gläubige kann aber -- wenngleich dies auch nicht so ohne weiteres geschehen möchte -- wieder abfallen. [4] Aus dem Vorwort von Zanchius' "Predestination", S. 16 [5] Warburton, "Calvinism", S. 2 [6] Warburton, "Calvinism", S. 23 [7] Cunningham, Historical Theology, Bd. 2, S. 418-419. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel II __________________________________________________________________ Formulierung der Lehre Das Westminster-Bekenntnis formuliert die Lehre der Reformation und der Presbyterianischen Kirche. Es ist damit die genaueste Formulierung der reformierten Glaubensgrundsätze. Hier lesen wir: »Gott hat von aller Ewigkeit her nach dem höchst weisen und heiligen Ratschluss seines eigenen Willens frei und unabänderlich alles angeordnet, was auch immer sich ereignet; jedoch so, dass dadurch weder Gott der Urheber der Sünde ist, noch dem Willen der Geschöpfe Gewalt angetan wird, noch die Freiheit oder Zufälligkeit der zweiten Ursachen aufgehoben, sondern diese vielmehr in Kraft gesetzt werden.« Und weiter: »Obwohl Gott alles weiß, was unter allen vorauszusetzenden Bedingungen geschehen kann und mag, hat er doch nichts deshalb beschlossen, [nur] weil er es als zukünftig oder als etwas, das sich unter solchen Bedingungen ereignen würde, vorausgesehen hat.« [8] Diese Lehre von der Vorherbestimmung zeigt uns Gottes Absicht als absolute, bedingungslose und unabhängig von seiner Schöpfung bestehende Absicht, die einzig und allein in seinem souveränen Willen begründet ist. Sie sieht Gott als mächtigen und großen König, der den Weg seiner Schöpfung und auch den Weg der Geschichte selbst bis ins kleinste Detail vorgezeichnet hat. [9] Sein Beschluss ist ewig, unveränderlich, heilig, weise und souverän. Er erstreckt sich nicht nur auf jedes Detail der physischen Welt, sondern auch auf jedes Detail der Geschichte von der Schöpfung bis zum Gericht und umfasst alle Aktivität der Heiligen und der Engel im Himmel wie auch der Verdammten und Dämonen in der Hölle. Dieser Beschluss umfasst auch den ganzen Bereich der kreatürlichen Existenz durch Zeit und Ewigkeit und alle Dinge der Vergangenheit und Zukunft in allen Fällen, Bedingungen, Reihenfolgen und Beziehungen. Alles, was nicht Gott ist, ist in diesem Ratschluss inbegriffen: alle geschaffenen Wesen haben ihre Existenz allein aus seiner schöpferischen und erhaltenden Kraft. Dieser Ratschluss bewirkt, dass alle Ereignisse diesem Beschluss folgen. Das läuft auf ein einziges, fernabliegendes göttliches Ereignis hinaus, das den gesamten Lauf der Schöpfung dirigiert. Da die endliche Schöpfung in ihrer Gesamtheit existiert, um Gottes Ehre zu manifestieren und da sie vollkommen von Ihm abhängt, kann sie nicht selbst irgendwelche Bedingungen erzeugen, die die Ehre Gottes schmälern könnten. Was Gott tut, das hat er von aller Ewigkeit her beschlossen zu tun. Er ist der souveräne Herrscher des Universums, und »er verfährt mit dem Heer des Himmels und mit denen, die auf Erden wohnen, wie er will, und es gibt niemand, der seiner Hand wehren oder zu ihm sagen dürfte: Was machst du?« (Dan 4, 32). Da das Universum seinen Ursprung in Gott hat und sein Fortbestehen allein von ihm abhängt, muss es so sein, dass es in allen Teilen und zu allen Zeiten völlig unter seiner Kontrolle steht. Nichts könnte geschehen, das sich gegen diesen ausdrücklichen Beschluss oder Seine Erlaubnis richtete. So präsentiert sich uns dieser Beschluss als ewige Vorherbestimmung oder Prädestination, die von keinerlei Bedingungen in den Zeitläufen abhängig wäre. Auf dieser Grundlage beruht das Vorherwissen Gottes aller Dinge, und nicht etwa darauf, dass er irgendwelche Bedingungen und Ereignisse in der Zeit vorhersieht, die von seinen Geschöpfen in Gang gesetzt werden. Die reformierten Theologen haben diese großen Prinzipien logisch und folgerichtig auf die Schöpfung und die Vorsehung angewandt, die später in den Westminster-Schriften ausformuliert worden sind. In jedem Ereignis der menschlichen Geschichte sahen sie die Hand Gottes, auch in allem, was in der Natur geschah: die Welt war die Realisierung eines ewigen Ideals. Sie wurde als Ganzes und in allen Teilen, Bewegungen und Veränderungen unter die Regierung und unter das alles durchdringende, alles harmonisierende Handeln des göttlichen Willens gebracht zu dem Zweck, Gottes Herrlichkeit zu zeigen. Die Auffassung der reformierten Theologen war die göttliche Ordnung der gesamten Geschichte bis ins kleinste Detail mit besonderer Berücksichtigung des menschlichen Heilswegs. Calvin, der brillante Systematiker der Reformation, hat das so ausgedrückt: »Unter >Vorbestimmung< verstehen wir Gottes ewige Anordnung, vermöge deren er bei sich beschloss, was nach seinem Willen aus jedem einzelnen Menschen werden sollte! Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so sagen wir, ist er zum Leben oder zum Tode >vorbestimmt<«. Melanchthon, Calvins enger Freund und Mitarbeiter, sagte einmal: »Alle Dinge erweisen sich als von Gott vorherbestimmt, nicht nur die Werke, die wir äußerlich tun, sondern auch unsere innersten Gedanken.« Weiter sagte er: »So etwas wie Zufall oder Glück gibt es nicht, auch gibt es keinen besseren Weg, zur Gottesfurcht zu gelangen und unser ganzes Vertrauen in ihn zu setzen, als wenn man die Vorherbestimmung ganz verstanden hat.« [10] Die Ordnung ist des Himmels vornehmstes Gesetz. Vom göttlichen Standpunkt aus bleibt die Ordnung intakt -- vom Anfang der Schöpfung bis zum Ende der Welt und dem Anbruch der Herrschaft des Himmels in seiner ganzen Herrlichkeit. Der göttliche Plan wird nie und nirgends auf irgendwelche Weise unterbrochen oder gestört. Was für uns wie eine Niederlage dieses Plans aussehen mag, ist nur Schein, denn unsere endliche und unvollkommene Natur erlaubt es uns nicht, das Ganze in den Teilen oder alle Teile des Ganzen zu sehen. Wenn wir nur einen Augenblick das mächtige Naturschauspiel und das komplexe Drama der menschlichen Geschichte in seiner Gesamtheit sehen könnten, dann sähen wir nichts als eine harmonische Einheit, die die Herrlichkeit des Herrn widerspiegelt. »Obgleich die Welt aussieht, als regierte sie der Zufall«, sagt Bishop, »und obwohl es so aussieht, als seien die Umstände in wilder Unordnung zusammengewürfelt, sieht Gott doch die genauen Zusammenhänge aller Ursachen und Wirkungen und schafft mit diesen scheinbaren Misstönen und Missakkorden die schönste Ordnung. Es ist höchst notwendig, unsere Gedanken fest und unerschütterlich auf diese Wahrheit zu richten, so dass wir in jedem Fall, ob gut oder böse, Gottes mächtige Hand als letzten Grund dahinter erblicken können. Für Gott gibt es keine Zufälle und Ungewissheiten in der Welt. Wenn etwa ein Meister seinen Diener an einen bestimmten Ort schickt und ihn auffordert, dort zu warten, um ihm dann ohne dessen Wissen einen anderen Diener nachzusenden, so mag dieses Treffen in den Augen der Diener zwar zufällig scheinen, und doch ist es nichtsdestoweniger vom Meister vorherbestimmt. Uns erschiene ihr Zusammentreffen zufällig, nicht aber Gott. Er bestimmt die Wechselfälle des Lebens und sieht sie voraus.« [11] Der Psalmist sagt: »Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name auf der ganzen Erde!« (Ps 8,2). Und der Prediger sagt: »Er hat alles vortrefflich gemacht zu seiner Zeit« (Pred 3,11). In der Vision, die der Prophet Jesaja sah, sangen die Seraphim: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen, die ganze Erde ist erfüllt von seiner Herrlichkeit!« (Jes 6,3). Wenn dies alles vom Blickwinkel Gottes aus betrachtet werden könnte, so würde man sehen, dass jedes Ereignis in der Geschichte der Menschheit zu allen Zeiten und in allen Nationen, ganz egal wie unscheinbar ein Ereignis auch scheinen mag, seinen exakten Platz in der Entwicklung seines ewigen Plans hat. Die Ursachen der Geschichte üben einen zunehmenden Einfluss auf die Natur aus. Die Geschichte ist zur Schöpfung in ganz bestimmte Beziehung gesetzt und trägt ihren eigenen Teil zum perfekten Gleichklang der Weltordnung bei. Viele Beispiele könnte man aufzählen, deren große Wirkung auf »zufällige« und unbedeutende Kleinigkeiten zurückgeht, die von ihrer eigenen Zeit als Trivialitäten angesehen worden waren. Der Zusammenhang aller Ursachen und Wirkungen ist derart, dass das Fehlen auch nur einer einzigen Ursache alles Nachfolgende veränderte oder gar verhinderte. Daraus folgt die Gewissheit: Die göttliche Regierung beruht auf der Vorherbestimmung, sie erstreckt sich auf alle Dinge, ob groß oder klein. Genau gesagt, ist kein einziges Ding klein; jedes hat seinen exakten Platz im göttlichen Plan, nur erscheint das eine größer zu sein als das andere. Der Lauf der Geschichte ist freilich unendlich komplex, und doch ist er aus Gottes Sicht nichts weniger als eine Einheit. Diese Wahrheit mit all ihren Begründungen ist wunderschön und wird im Kleinen [Westminster-]Katechismus dargelegt: »Die Ratschlüsse Gottes sind seine ewige Absicht entsprechend dem Rat seines Willens, wodurch er zu seiner eigenen Ehre vorherbestimmt hat, was immer passieren soll.« [12] Dr . Abraham Kuyper, einer der herausragendsten calvinistischen Theologen der letzten Jahre, hat uns mit folgender Aussage einen wertvollen Gedanken vermittelt: »Die Existenzbestimmung aller existierenden Dinge, die geschaffen werden sollten: Was zur Kamelie wird, was Butterblume, Nachtigall oder Krähe, Hirsch oder Schwein, und genauso unter den Menschen, die Vorherbestimmung, was wir sein werden: Junge oder Mädchen, reich oder arm, dumm oder klug, weiß oder schwarz, ja, sogar ob Abel oder Kain -- diese Vorherbestimmung ist das gewaltigste Anschauungsbeispiel im Himmel und auf Erden, das man sich denken kann; wir können diese Dinge jeden Tag sehen, wir sind selbst dieser Vorherbestimmung in all unseren persönlichen Eigenheiten unterworfen; unsere gesamte Existenz, unsere ganze Natur, ja, unser ganzes Leben hängt von ihr ab. Diese allumfassende Prädestination, so lehrt der Calvinismus, liegt nicht in den Händen der Menschen und noch weniger in den Naturkräften begründet, sondern in der Hand des allmächtigen Gottes, des souveränen Schöpfers und Eigentümers Himmels und der Erde. Anhand des Beispiels von Töpfer und Ton hat die Schrift uns diese alles beherrschende Bestimmung schon zur Zeit der Propheten verkündet. Es ist Erwählung in Schöpfung, in Vorsehung und auch in Bezug auf das ewige Leben; es ist Erwählung im Reich der Gnade und im Reich der Natur.« [13] Wir können diese Weltordnung nicht angemessen würdigen, wenn wir sie nicht als ein durchgängiges und mächtiges System sehen, durch welches Gott seine Pläne verwirklicht. Calvins klarer und logischer Theismus gab ihm einen scharfen Sinn für die unendliche Majestät des Allmächtigen, in dessen Händen alle Dinge liegen. Sie haben ihn zu einem ausgeprägten Vertreter der Prädestinationslehre gemacht. Erst die Lehre von den unbedingten und ewigen Zwecken des allwissenden und allmächtigen Gottes ließ ihn den Lauf der Geschichte vom Sündenfall und der Erlösung der menschlichen Rasse verstehen. Mutig, aber ehrerbietig wagte er sich an jenen Abgrund der Spekulation heran, wo alles menschliche Wissen sich in Mysterium und Anbetung verlieren muss. Der reformierte Glaube zeigt uns daher einen großartigen Gott, der wirklich der souveräne Herrscher des Universums ist. [14] »Das gewaltige Prinzip dieses Glaubens«, sagt Bayne, »ist die Betrachtung des Universums, wie es Gott in Christus offenbart hat. An jedem Ort und zu jeder Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit sieht der Calvinismus Gott.« [15] Unser Zeitalter mit seiner Betonung auf der Demokratie findet wenig Gefallen an dieser Sichtweise, und vielleicht fand kein anderes Zeitalter weniger Gefallen daran als dieses. Man tendiert heute dazu, den Menschen zu erhöhen; Gott bleibt nur mehr, eine subalterne Rolle in den Wechselfällen dieser Welt zu spielen. Es ist, wie Dr. A. A. Hodge gesagt hat: »Die neue Theologie, die uns versichert, wie begrenzt doch die >alte< sei, verwirft die Vorherbestimmung Jahwes als eine abgegriffene Phantasievorstellung der Universitäten, die von der fortschrittlichen Kultur unserer Zeit überholt ist. Das ist nicht das erste Mal, dass die Eulen eine vorübergehende Verfinsterung für das natürliche Licht halten und wie die unreifen Adler schreien, weil sie davon überzeugt sind: Was wir nicht sehen können, das existiert auch nicht.« [16] Dies ist im Allgemeinen die grobe Konzeption der Prädestination, wie sie die namhaften Theologen der Presbyterianischen Kirche und der Reformation geglaubt haben. Die Schrift äußert sich nachdrücklich zur Vorherbestimmung: Apg 4,27f: Ja, wahrhaftig, gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, haben sich Herodes und Pontius Pilatus versammelt zusammen mit den Heiden und dem Volk Israel, um zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss vorher bestimmt hatte, dass es geschehen sollte. Eph 1,5: Er hat uns vorherbestimmt zur Sohnschaft für sich selbst durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens. Eph 1,11: ... in ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens ... Röm 8,29f: Denn die er vorher ersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Ebenbild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, die er aber berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt, die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht. 1 Kor 2,7: ... sondern wir reden Gottes Weisheit im Geheimnis, die verborgene, die Gott vor den Weltzeiten zu unserer Herrlichkeit vorherbestimmt hat. Apg 2,23: ... diesen, der nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorsehung dahingegeben worden war, habt ihr genommen und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet. Apg 13,48: Als die Heiden das hörten, wurden sie froh und priesen das Wort des Herrn, und es wurden alle die gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren. Eph 2,10: Den wir sind seine Schöpfung, erschaffen in Christus Jesus zu guten Werken, die Gott vorher bereitet hat, damit wir sie ausführen sollen. Röm 9,23: ... damit er auch den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit erzeige, die er vorher zur Herrlichkeit bereitet hat. Psalm 139,16: Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war. __________________________________________________________________ [8] Artikel 3.1 u. 3.2. [9] Dass Gott in der Lage ist, dies zu tun, muss der Arminianismus stets anzweifeln, weil er der Meinung ist, die Natur der Sache schließe eine solche Vorherbestimmung per se aus. Tatsächlich in der Natur der Sache liegt aber ganz im Gegenteil, dass die »Willensfreiheit« (im Sinne eines zufälligen, »arbiträren« und von nichts abhängenden Willens) nicht mit Gottes Souveränität zu vereinen ist (A. d. Ü.). [10] keine Quellenangabe. [11] Zitiert aus Topladys Übersetzung von Zanchius' "Predestination". [12] Kleiner Westminster-Katechismus, Frage 7. [13] Abraham Kuyper, Lectures on Calvinism", S. 272. [14] Ein Gott, der erst noch auf den »freien« (besser: neutralen) Willen seiner Geschöpfe Rücksicht nehmen müsste, wäre kein souveräner Herrscher. Ständig müsste er in ein System milliardenfacher Interventionen seiner Geschöpfe eingreifen, um die Welt nicht entgleisen zu lassen, da er jedes mal auf jede »freie« Willenshandlung reagieren müsste -- wahrlich eine seltsame Vorstellung (A. d. Ü.). [15] keine Quellenangabe. [16] keine Quellenangabe. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel III __________________________________________________________________ Gottes Plan Es ist undenkbar, dass ein unendlich weiser und mächtiger Gott eine Welt erschaffen habe, ohne einen genauen Plan für sie zu haben. Da Gott unendlich ist, muss sich sein Plan auf jedes Detail erstrecken. Könnten wir die Welt in ihrem innersten Zusammenhang sehen, also Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, dann würden wir auch sehen: Sie folgt einem mit exakter Präzision vorgezeichneten Kurs. Wir können die Schöpfung bis ins Kleinste und bis ins Größte untersuchen -- überall werden wir Ordnung finden. Größere Körper sind aus kleineren zusammengesetzt; diese aus noch kleineren, und soweit wir das aus heutiger Sicht feststellen können, geht das bis ins Unendliche. Selbst der Mensch, dieses vergängliche Wesen, das allerlei Irrtümern unterworfen ist, legt seinem Handeln Pläne zugrunde; wer ohne jeden Plan handelt, gilt als töricht. Bevor wir eine Reise antreten oder ein Werkstück anfertigen, setzen wir uns ein Ziel. Dann gehen wir daran, dieses Ziel, soweit wir dazu in der Lage sind, zu erreichen. Unabhängig davon, dass manche Menschen die Prädestination als Lehre bestreiten, leben wir im Alltag nach demselben Schema. Es ist, wie E. W. Smith gesagt hat: Ein kluger Mann »denkt zuerst nach, welches Ziel er erreichen will und dann darüber, wie dieses Ziel am besten zu erreichen ist. Bevor der Architekt ein Gebäude errichtet, zeichnet er einen Plan, und diesen äußerst genau. In seinem Kopf steht das Gebäude schon fertig da, noch bevor ein einziger Stein gelegt ist. Genauso verhält es sich mit dem Händler, mit dem Anwalt, dem Bauern und allen vernünftigen und verständigen Menschen. Sie folgen funktionierenden Mustern, die sich in ihrer Vergangenheit bewährt haben. Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, dann nach einem Plan, den sie schon davor gehabt hatten.« [17] Je größer unser Vorhaben, desto wichtiger ist es, dass wir einen Plan haben; all unser Bemühen müsste sonst im Sand verlaufen. Jeder, der versuchte, ein Schiff zu bauen, das auf Schienen fährt, würde für verrückt gehalten werden, genauso jeder, der eine ganze Nation regieren will, ohne Ahnung davon zu haben. Wir lernen, dass Napoleon die Russland-Invasion nach einem detaillierten Plan ausgeführt hat: Jede Division hatte ihre eigene Marschroute; sie wusste, wann sie wo sein musste, welche Ausstattung sie brauchte und wie viel Lebensmittel sie dabei haben musste etc. Wenn im Plan etwas nicht berücksichtigt war, dann war das auf die Unvollkommenheit menschlicher Klugheit und Fähigkeit zurückzuführen. Wäre Napoleons Einschätzung fehlerlos gewesen und seine Kontrolle der Ereignisse absolut, so dürften wir mit Fug und Recht behaupten, dass alle Aktionen jedes einzelnen Soldaten auf diesem Marsch geplant, oder, wie wir jetzt sagen können, >vorherbestimmt< gewesen wären. Wenn das schon vom Menschen gilt, wie viel mehr wird das dann auf Gott zutreffen! »Ein Universum ohne planende Vorsehung«, sagt A. J. Gordon [18] , »wäre so irrational und schrecklich wie ein Expresszug ohne Fahrer, der in der Dunkelheit auf einen Abgrund zuraste.« Eine Vorstellung von Gott, der ein Universum geschaffen habe, in dem er nicht alles genau geplant hätte, ist undenkbar. Wenn die Schrift sagt, dass Gottes Vorsehung jedes Ereignis bis in das kleinste Detail beherrscht, dann lehrt sie damit auch, dass sein Plan allumfassend ist. Es gehört zu seiner Vollkommenheit, den bestmöglichen Plan entworfen zu haben. Er leitet den Verlauf der Geschichte an ihr festgesetztes Ende. Zu behaupten, dass Gott einen Plan hat, dem er folgt, bedeutet nichts anderes, als die Vorherbestimmung zu postulieren. Gottes Plan, so wie er sich uns offenbart, ist einheitlich, sagt Dabney [19] : »Die Ursache zeitigt die Wirkung, und diese Wirkung wird wieder zur Ursache; die Ereignisse beeinflussen einander gegenseitig und münden in neue Ereignisse -- das ganze, gigantische Ergebnis davon betrifft jedes kleinste Detail. Wie die Astronomen vermuten, würde die Vernichtung eines einzigen Planeten die Orbitalbahnen aller anderen Himmelskörper unseres Sonnensystems verändern; würde auch nur ein Detail der Geschichte ungeschehen gemacht werden können, so hätte dies Auswirkungen auf alles, was >danach< geschehen ist.« [20] Hätte Gott den Ablauf der Geschichte nicht vorherbestimmt, sondern müsste je noch auf die Erfüllung gewisser Bedingungen warten, dann wären seine Beschlüsse weder ewig noch unveränderlich. Wir wissen aber, dass er keinen Fehler machen kann; er kann nicht von irgendwelchen unvorhergesehenen Gegebenheiten überrascht werden. Er ist König im Himmel und regiert das All. Sein Plan muss daher jedes einzelne Ereignis in diesem Universum erfassen, jedes Detail dieser Geschichte. Es ist leicht einzusehen, dass aufgrund dieser Gegebenheiten selbst das kleinste Detail seinen Platz in diesem Plan finden muss. Wir erinnern uns alle an gewisse »zufällige Ereignisse«, die unser Leben in der einen oder anderen Weise verändert haben. Diese Veränderungen wirken sich nachhaltig auf die weitere Geschichte aus und erzeugen neuerliche »zufällige Ereignisse«. Es heißt, dass das Geschnatter von Gänsen einst Rom gerettet habe. Ob das nun historisch stimmt oder nicht, ist für die Veranschaulichung des Gesagten irrelevant. Hätten die Gänse die Wachen nicht gewarnt und damit die Soldaten zur Verteidigung veranlasst, wäre Rom vielleicht untergegangen -- die Geschichte wäre vielleicht ganz anders verlaufen. [21] Hätten die Gänse geschwiegen -- wer könnte schon wissen, welche Machtkonstellationen den Planeten heute prägten oder wo die Kulturzentren heute lägen? Nur wenige Zentimeter verfehlt die Kugel einen General während der Schlacht: Sein Leben ist verschont, er kommandiert weiterhin seine Truppen, gewinnt eine entscheidende Schlacht und George Washington bleibt viele Jahre der erste Präsident der USA. Wie anders wäre die Geschichte aber verlaufen, hätte der Soldat sein Ziel nicht verfehlt? Oder das große Feuer in Chicago 1871, das mehr als die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt hatte: Es heißt, es brach aus, weil eine Kuh eine Laterne umgestoßen hatte. Die Geschichte Chicagos wäre anders verlaufen, wenn die Kuh diese kleine Bewegung unterlassen hätte! »Die Herrschaft des Größten schließt die Herrschaft des Kleinsten mit ein, denn es ist nicht nur so, dass große Ereignisse aus kleineren bestehen, nein; die Geschichte selbst zeigt: Die unwichtigsten Bagatellen beweisen, dass sie Dreh- und Angelpunkte für große Abweichungen im Geschichtsverlauf sein können. Der Ausdauer einer Spinne ist es zuzuschreiben, welche die Anstrengungen eines verzweifelten Mannes anspornten, der die Geschichte seiner Nation wesentlich beeinflusste. Der Gott, der den Gang der Geschichte Schottlands vorherbestimmte, hat selbst dieses kleine Insekt gelenkt, das Robert Bruce vor der Verzweiflung bewahren sollte.« [22] Derlei Geschehnisse könnten freilich viele aufgezählt werden. Der Pelagianismus [23] bestreitet, dass Gott einen solchen Plan überhaupt hat; der Arminianer sieht eine Art »Generalplan«, der aber weitgehend unspezifisch bleibt; einzig der Calvinist behauptet einen allesumfassenden und allgegenwärtigen Plan Gottes. Er erkennt: Der ewige Gott hat einen ewigen Plan, in welchem jedes einzelne Ereignis vorgezeichnet ist; er lässt Gottes Eigenschaften stehen und leugnet jegliche menschliche Beeinflussung. Die Heilige Schrift zeigt uns Gott als eine Person, die anderen Personen insofern ähnlich ist, als er nach Zwecken handelt; unähnlich dagegen, als die Ausführung seiner Pläne von Allweisheit und Allmacht getragen ist. Der Calvinist sieht das Universum als Ergebnis seiner schöpferischen Macht und als eine Präsentation seiner herrlichen Vollkommenheit. Alles, was geschieht, muss deshalb mit Seinen Zwecken exakt übereinstimmen. In einem inspirierenden Artikel über die Prädestination sagt Dr. Benjamin Breckinridge Warfield -- ich halte ihn für den bedeutendsten Theologen seit Johannes Calvin --, die Schreiber der Heiligen Schrift sahen den göttlichen Plan als »groß genug, das ganze Universum zu umfassen und als minutiös genug, auch das kleinste Detail zu berücksichtigen; dieser Plan verwirklicht sich mit unausweichlicher Gewissheit in allem, was geschieht. ... Der unendlichen Weisheit des Herrn dieser Erde gemäß fällt jedes Ereignis präzise in den Rahmen, der ihm in diesem Plan zugedacht ist; nichts, wie klein oder seltsam es auch erscheinen mag, geschieht ohne Gottes Beschluss oder ohne Passgenauigkeit hinsichtlich seiner Bestimmung in diesem göttlichen Plan. Das Ziel dieses Plans ist die Verherrlichung Gottes und der Höhepunkt seines Lobes. Die Philosophie des Alten Testamentes (und auch des Neuen Testamentes) in bezug auf das Universum gründet in der Ansicht eines absoluten Plans oder Zwecks; alles, was geplant ist, entfaltet sich zu seiner Zeit.« [24] Die Existenz eines göttlichen Plans konstituiert das innerste Wesen eines folgerichtigen Theismus. Gott weiß, was seine Geschöpfe tun werden, noch bevor er beschlossen hatte, sie zu erschaffen; insofern hat er die absolute Herrschaft über das ganze System. Hätte er nur bestimmte einzelne Ereignisse vorherbestimmt, so hätte dies in der Natur und in menschlichen Angelegenheiten zur Unordnung geführt. Gott müsste ständig reorganisieren, damit er sein Ziel erreicht. Seine Weltregierung wäre ein launisches Flickwerk immer neuer Mittel; er verfolgte dann eine Art Generalplan, müsste über den Ausgang vieler Dinge jedoch zwangsläufig im Ungewissen bleiben. Niemand, der sich Gott einigermaßen richtig vorstellt, wird behaupten, Gott müsse seine Meinung über gewisse Dinge alle paar Tage ändern, damit er auf Unverhofftes richtig reagieren kann, das so ursprünglich nicht eingeplant gewesen war. Wenn die Abgeschlossenheit des göttlichen Plans geleugnet wird, hat man keinen Fixpunkt vor der Gefahr des Atheismus. Zunächst sei gesagt: Gott musste dieses Universum nicht aus einer Notwendigkeit heraus erschaffen. Seine Handlungen sind vollkommen frei, und aus dieser Freiheit heraus erschuf er das Universum. Er hat aus einer Unzahl an Möglichkeiten den besten Plan ausgewählt. Tatsächlich hat er sich entschieden, die Welt genauso zu erschaffen, wie sie ist. Da er jedes Ereignis bis ins kleinste Detail voherweiß und kennt, hat er damit auch beschlossen, also eben vorherbestimmt, was genau geschehen soll. Seine Wahl, dass die Dinge genau so geschehen, wie sie geschehen, nennen wir Vorherbestimmung oder Prädestination. Dieser Plan umfasst allerdings auch die Sünden der Menschen. Sie sind vorhergesehen, zugelassen und haben ihren exakten Platz. Sie sind aber kontrolliert und werden in Hinsicht auf Gottes Ehre überstimmt. Die Kreuzigung Christi, das schlimmste Verbrechen der Menschheit, hat nach der Schrift ihren exakten Platz im Plan Gottes (Apg 2,23; 4,28). Diese spezielle Art der Erlösung ist kein Schritt, zu dem sich Gott entschlossen hat, nachdem er gesehen hat, was der Mensch angerichtet hatte. Vielmehr geschieht sie »nach ewiger Vorherbestimmung, die Gott in Christus Jesus festgesetzt hat« (Eph 3,11). Petrus sagt, dass Christus als Opfer für Sünde »vorherersehen [war] vor Grundlegung der Welt« (1 Petr 1,20). Die Gläubigen »sind ... auserwählt vor Grundlegung der Welt« (oder von Ewigkeit her, Eph 1,4). Wir sind gerettet, aber nicht aufgrund persönlicher Taten, »sondern aufgrund seines eigenen Vorsatzes und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gewährt wurde« (2 Tim 1,9). Wenn die Kreuzigung Christi oder seine Selbstaufopferung für die Sünde Bestandteil des ewigen Plans ist, dann auch der Sündenfall und alle anderen Sünden, für welche dieses Opfer nötig war, ganz abgesehen davon, wie hassenswert manche Einzelheiten dieses Plans auch sein mögen. Die Geschichte ist bis ins kleinste Detail die Entfaltung jenes ewigen Plans Gottes. Seine Beschlüsse werden nicht nach plötzlich eintretenden Gegebenheiten gefasst, sondern sind alle Teil jenes allumfassenden Plans; wir können uns nicht vorstellen, dass Gott plötzlich einen neuen Plan ausarbeitet, dessen Inhalt ihm nicht schon immer bekannt war. Die Tatsache, dass die Heilige Schrift sagt, ein Zweck Gottes sei von einem anderen abhängig oder auch davon, was immer Menschen tun, ist kein Einwand gegen diese Lehre. Die Heilige Schrift ist in der Alltagssprache des Menschen verfasst, und hier spricht man oft, wie die Dinge erscheinen, nicht wie sie wirklich sind. Die Bibel spricht von den »vier Enden der Erde«, (Jes 12,12) und von »der Gründung der Erde« (Ps 104,5). Niemand denkt deswegen, die Erde sei eine Scheibe oder ruhe auf einem buchstäblichen Fundament. Wir sprechen von der auf- und untergehenden Sonne und meinen das nicht wörtlich, sondern beschreiben einfach, was wir mit eigenen Augen sehen. Genauso spricht Gott auch davon, dass er etwas bereut, und dennoch meint niemand mit der rechten Vorstellung von Gott, dass er einen Irrtum bereue. Es bedeutet einfach, dass seine Handlungen menschlich interpretiert werden. Gott bereut aus dieser Sicht, wie ein Mensch es tut. An anderen Stellen spricht die Schrift von den Händen, Armen oder Augen Gottes. Diese Beschreibungen nennen wir »Anthropomorphismen«, Beispiele, in denen Gott dem Menschen ähnlich gezeichnet wird. Wird das Wort »bereuen« im wahren Sinn gebraucht, so wird gesagt, dass Gott niemals bereut: »Gott ist kein Mensch, dass er lüge oder der Sohn eines Menschen, dass er etwas bereuen müsste« (4 Mo 23,19). An einer anderen Stelle steht: »Israels Stärke lügt nicht, es reut ihn auch nicht; denn er ist kein Mensch, dass er etwas bereuen müsste« (1 Sam 15,29). Die Betrachtung dieses großartigen Plans muss zum Preise seiner unerforschlichen Weisheit ausschlagen und zu seiner ungeschmälerten Macht; er, der solches beschließt, führt es auch aus. Was kann einem Christen mehr Zufriedenheit und Freude schenken als die Gewissheit: Die Welt verläuft nach den genauen Plänen des himmlischen Königreiches und nach der Erscheinung der göttlichen Herrlichkeit; er ist derjenige, dem unendliche Liebe gebührt, in ihm findet man Barmherzigkeit! __________________________________________________________________ [17] Egbert Watson Smith, "The creed of Presbyterians", S. 159. [18] Adoniram Judson Gordon (1836-1895), amerikanischer Baptistenprediger und Gründer des Gordon-College (A. d. Ü.). [19] Robert Lewis Dabney (1820-1898), amerikanischer Theologe (A. d. Ü.). [20] Dabney, Systematic Theology, S. 214. [21] Nach Livius haben die heiligen Gänse der Juno Rom 387 v. Chr. mit ihrem nächtlichen Geschnatter vor einer Invasion der Gallier bewahrt (A. d. Ü.). [22] Egbert Watson Smith, "The Creed of Presbyterians", S. 160. [23] Eine Lehre, die auf den britischen Mönch Pelagius (360-420) zurückgeht. Pelagius lehrte, die menschliche Natur sei durch die Erbsünde nicht verdorben worden. Die menschliche Natur, von Gott geschaffen, sei keineswegs als böse anzusehen, denn dies widerspräche der guten Schöpfung Gottes. Der Mensch verfüge demnach über die Macht und Fähigkeit, von sich aus das Gute zu tun und sündlos zu bleiben, sei daher also grundsätzlich in der Lage, sich durch gute Werke selbst zu erlösen (A. d. Ü.). [24] Benjamin Breckinridge Warfield, "Biblical Doctrines", S. 13 u. 22. __________________________________________________________________ Belegstellen aus der Schrift 1) Gottes Plan ist ewig: 2 Tim 1,9: Er hat uns ja errettet und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht aufgrund unserer Werke, sondern aufgrund seines eigenen Vorsatzes und der Gnade, die uns in Christus Jesus vor ewigen Zeiten gegeben wurde. Ps 33,11: Der Ratschluss des Herrn bleibt ewig bestehen, die Gedanken seines Herzens von Geschlecht zu Geschlecht. Jes 37,26: Hast du aber nicht gehört, dass ich dies längst vorbereitet und seit den Tagen der Vorzeit beschlossen habe? Nun aber habe ich es kommen lassen, dass du feste Städte zu öden Steinhaufen verwüstet hast. Jes 46,9--10: Gedenkt an die Anfänge von der Urzeit her, dass ich Gott bin und keiner sonst; ein Gott, dem keiner zu vergleichen ist. Ich verkündige von Anfang an das Ende, und von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen. 2 Thess 2,13: Wir aber sind es Gott schuldig, allezeit für euch zu danken, vom Herrn geliebte Brüder, dass Gott euch von Anfang an zur Errettung erwählt hat in der Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit. Mt 25,34: Dann wird der König denen zu seiner Rechten sagen: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, und erbt das Reich, das euch bereitet ist seit Grundlegung der Welt! 1 Petr 1,20: Er war vorherbestimmt vor Grundlegung der Welt, aber wurde offenbar gemacht in den letzten Zeiten um euretwillen. Jer 31,3: Von ferne her ist mir der Herr erschienen: Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt; darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Gnade. Apg 15,18: Gott sind alle seine Werke von Ewigkeit her überblickbar. Ps 139,16: Deine Augen sahen mich schon als ungeformten Keim, und in dein Buch waren geschrieben alle Tage, die noch werden sollten, als noch keiner von ihnen war. 2) Gottes Plan ist unveränderlich: Jak. 1,17: Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei dem keine Veränderung ist, noch ein Schatten infolge von Wechsel. Jes 14,24: Der Herr der Heerscharen hat geschworen und gesagt: Fürwahr, es soll geschehen, wie ich es mir vorgenommen habe, und es soll zustande kommen, wie ich es beschlossen habe. Jes 46,10--11: Ich verkündige von Anfang an das Ende, und von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen. Ich berufe von Osten her einen Adler und aus fernen Ländern den Mann meines Ratschlusses. Ja, ich habe es gesagt, ich führe es auch herbei; ich habe es geplant, und ich vollbringe es auch. 4 Mo 23,19: Gott ist nicht ein Mensch, dass er lüge, noch ein Menschenkind, dass ihn etwas gereuen würde. Was er gesagt hat, sollte er es nicht tun? Was er geredet hat, sollte er es nicht ausführen? Mal 3,6: Denn ich, der Herr, verändere mich nicht; deshalb seid ihr, die Kinder Jakobs, nicht zugrunde gegangen. 3) Der göttliche Plan enthält alles Handeln des Menschen: Dan 2,28: ... aber es gibt einen Gott im Himmel, der Geheimnisse offenbart; der hat den König Nebukadnezar wissen lassen, was am Ende der Tage geschehen soll. Joh 6,64: Aber es sind etliche unter euch, die nicht glauben. Denn Jesus wusste von Anfang an, wer die waren, die nicht glaubten, und wer ihn verraten würde. Mt 20,18--19: Siehe, wir ziehen hinauf nach Jerusalem, und der Sohn des Menschen wird den obersten Priestern und Schriftgelehrten ausgeliefert werden, und sie werden ihn zum Tode verurteilen und werden ihn den Heiden ausliefern, damit diese ihn verspotten und geißeln und kreuzigen; und am dritten Tag wird er auferstehen. Alle Prophezeiungen, die die Zukunft betreffen, fallen unter diese Rubrik. Vergleiche besonders: Mi 5,2; Mt 2,5f. und Lk 2,1-7; Ps 22,18, Joh 19,24; Ps 69,21; Joh 19,29; Sach 12,10, Joh 19,37; Mk 14,30; Sach 11,12f.; Mt 27,9f.; Ps 34,19f.; Joh 19,33.36. 1. Der göttliche Plan enthält auch alle »Zufälle« Spr 16,33: Im Gewandbausch wird das Los geworfen, aber jeder seiner Entscheide kommt von dem Herrn. Jona 1,7: Und sie sprachen einer zum anderen: Kommt, wir wollen Lose werfen, damit wir erfahren, um wessen willen uns dieses Unglück getroffen hat! Und sie warfen Lose, und das Los fiel auf Jona. Apg 1,24.26: Und sie beteten und sprachen: Herr, du Kenner aller Herzen, zeige an, welchen von diesen beiden du erwählt hast ... Und sie warfen das Los über sie, und das Los fiel auf Matthias, und er wurde zu den elf Aposteln hinzugezählt. Hiob 36,32: Seine Hände umhüllt er mit dem Blitzstrahl und gebietet ihm, zu treffen. 1 Kön 22,28.34: Micha aber sprach: Wenn du in Frieden wiederkommst, dann hat der Herr nicht durch mich geredet! Und dann sagte er: Hört es, ihr Völker alle! ... Ein Mann aber spannte den Bogen aufs Geratewohl und traf den König von Israel zwischen den Tragbändern des Panzers und dem Panzer. Da sprach er zu seinem Wagenlenker: Wende um und bringe mich aus dem Heer, denn ich bin verwundet! Hiob 5,6: Denn Unglück wächst nicht aus dem Staub hervor, und Unheil sprosst nicht aus der Erde. Mk 14,30: Und Jesus spricht zu ihm [Petrus]: Wahrlich, ich sage dir: Heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen! (vgl. 1 Mo 37,28 und 45,5; 1 Sam 9,15.16 u. 9,5-10). 1. Manche Ereignisse werden als fix oder unveränderlich geschildert: Lk 22,22: Und der Sohn des Menschen geht zwar dahin, wie es bestimmt ist; aber wehe dem Menschen, durch den er verraten wird! Joh 8,20: Diese Worte redete Jesus bei dem Opferkasten, als er im Tempel lehrte; und niemand ergriff ihn, denn seine Stunde war noch nicht gekommen. Mt 24,36: Um jenen Tag aber und die Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, sondern allein mein Vater. 1 Mo 41,32: Dass aber der Pharao den Traum zweimal hatte, das bedeutet, dass die Sache bei Gott fest beschlossen ist, und dass Gott es rasch ausführen wird. Hab 2,3: Denn die Offenbarung wartet noch auf die bestimmte Zeit, und doch eilt sie auf das Ende zu und wird nicht trügen. Wenn sie sich verzögert, so warte auf sie, denn sie wird gewiss eintreffen und nicht ausbleiben. Lk 21,24: Und sie werden fallen durch die Schärfe des Schwerts und gefangen weggeführt werden unter alle Heiden. Und Jerusalem wird zertreten werden von den Heiden, bis die Zeiten der Heiden erfüllt sind. Jer 15,2: Und wenn sie zu dir sagen: Wo sollen wir hingehen? so sage du ihnen: So spricht der Herr: Wer dem Tod verfallen ist, der gehe in den Tod, wer dem Schwert, zum Schwert; wer dem Hunger [verfallen ist], [der gehe] zum Hunger, wer der Gefangenschaft, in die Gefangenschaft. Hiob 14,5: Wenn doch seine Tage bestimmt sind, die Zahl seiner Monate bei dir [festgelegt] ist und du ihm ein Ziel gesetzt hast, das er nicht überschreiten kann ... Jer 27,7: ... und alle Völker sollen ihm und seinem Sohn und seinem Enkel dienen, bis auch die Zeit für sein Land kommt und viele Völker und mächtige Könige es unterjochen werden. 6) Sogar die Sünden sind Bestandteil des Plans, werden aber zugunsten des Guten überstimmt: 1 Mo 50,20: Ihr gedachtet mir zwar Böses zu tun; aber Gott gedachte es gut zu machen, um es so hinauszuführen, wie es jetzt zutage liegt, um ein zahlreiches Volk am Leben zu erhalten. Jes 45,7: ... der ich das Licht mache und die Finsternis schaffe; der ich Frieden gebe und Unheil schaffe. Ich, der Herr, vollbringe dies alles. Amos 3,6: Kann man in das Horn stoßen in der Stadt, ohne dass das Volk erschrickt? Geschieht auch ein Unglück in der Stadt, das nicht der Herr gewirkt hat? Apg 3,18: Gott aber hat das, was er durch den Mund aller seiner Propheten vorher verkündigte, dass nämlich der Christus leiden müsse, auf diese Weise erfüllt. Mt 21,42: Jesus spricht zu ihnen: Habt ihr noch nie in den Schriften gelesen: »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden. Vom Herrn ist das geschehen, und es ist wunderbar in unseren Augen«? Röm 8,28: Wir wissen aber, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel IV __________________________________________________________________ Gottes Souveränität Jeder einigermaßen vernünftige Mensch kann erkennen, dass sein Leben in gewissen vorgezeichneten Bahnen verläuft. Er ist nicht gefragt worden, ob er zu Welt kommen will; auch nicht wann, wo, oder als was er geboren werden möchte; ob im zwanzigsten Jahrhundert oder vor der Sintflut; ob als Weißer oder als Schwarzer; ob in Amerika oder in China. Christen aller Zeitalter haben zugegeben: Gott ist der Schöpfer und Herrscher des Universums und damit die letzte Ursache für alle Macht, die in seiner Schöpfung existiert. Es kann also nichts ohne seinen souveränen Willen geschehen. Wenn wir auf diese Wahrheit bauen, dann werden wir folgern müssen: Diese eine Wahrheit führt zu Überlegungen, die die calvinistische Sichtweise aufrichten und die arminianische Sicht [25] widerlegen. Da die gesamte Schöpfung aus Gottes Hand ist, ist er der absolute Eigentümer und Dirigent seiner Schöpfung. Gott übt nicht etwa nur einen generellen Einfluss aus, sondern beherrscht die Welt vollkommen, die er geschaffen hat. Die Nationen dieser Welt in ihrer Ignoranz sind -- verglichen mit seiner Größe -- nichts als Staub auf der Waage; eher könnte man die Sonne in ihrem Lauf stoppen, als dass man Gottes Handeln oder Willen hindern könnte. Mitten in all den offensichtlichen Niederlagen und Widersprüchen des Lebens führt Gott seinen Willen ungestört aus. Sogar die sündigen Taten der Menschen können nur mit seiner Erlaubnis geschehen. Nichts geschieht gegen seinen absoluten Willen, sondern alle Dinge müssen sich seinem Willen beugen -- dazu gehören auch alle Handlungen und die Bestimmung der Menschen -- daher müssen diese Dinge in irgendeiner Weise mit seinen Zwecken übereinstimmen. Wer dies verneint, spricht Gott die Weltherrschaft ab. Freilich entbehrt dieser Sachverhalt nicht einiger Verständnisprobleme. Diese sind aber auf unseren unvollkommenen Verstand zurückzuführen; es entsteht kein ausreichender Grund, zu leugnen, was die Schrift an vielen Stellen bezeugt und was auch klar und unmissverständlich der Logik entspricht. Wenn die Macht eines irdischen Königs in seinem Königreich Gesetz ist, wie viel mehr ist es dann nicht Gottes Wort in seinem Reich? Der Christ weiß: Jener Tag wird sicher kommen, an dem sich alle Knie beugen werden und jede Zunge bekennen wird, dass Christus zur Ehre Gottes des Vaters unerachtet jemandes Zustimmung der Herr ist. Dieser Gott tritt uns aus der Schrift als der Allmächtige entgegen, der auf seinem Thron sitzt und universale Herrschaft übt. Er kennt das Ziel von Anfang an und weiß genau, welche Mittel er einsetzen will, um dieses Ziel zu erreichen. Weit über Bitten und Verstehen weiß er uns Gutes zu tun. Die Kategorie des Unmöglichen hat keine Bedeutung für den, »dem alle Dinge möglich sind« (Mt 19,26; Mk 10,27). Das bedeutet aber freilich nicht, dass Gott in der Lage ist, gegen sein Wesen zu handeln oder etwas zu tun, was in sich widersprüchlich ist. Gott kann nicht lügen oder etwas gegen sein eigenes Gesetz tun. Er kann nicht bewirken, dass zwei und zwei fünf geben oder dass sich ein Rad dreht, während es stillsteht. Seine Allmacht garantiert den willensgemäßen Ablauf der Welt, so wie seine Heiligkeit garantiert, dass all sein Tun rechtens ist. Die Lehre von der Souveränität Gottes findet sich durchgängig im AT wie auch im NT. Dr. Warfield schreibt dazu: »Dem allmächtigen Schöpfer kann nicht widerstanden werden in allem, was Er tut; Jahwe sitzt als König für immer (Ps 29,10). Er zeigt, dass die Schreiber der Heiligen Schrift selten Aussagen machen wie >es regnet<, nein, sie sprechen davon, dass Gott den Regen sendet usw. Die Möglichkeit von Zufällen wird ausgeschaltet; sogar das Los war ein anerkanntes Mittel, die Entscheidung Gottes sichtbar zu machen (Jos 7,16; 14,2; 18,6; 1 Sam 10,19; Jona 1,7). Alles ohne jede Ausnahme verfügt Er, und Sein Wille steht hinter allem, was sein kann. Himmel und Erde und alles, was sie enthalten, sind Mittel, durch welche Er sein Ziel erreicht. Die Natur, die Völker und auch die Schicksale der Individuen sind gleicherweise und in all ihren Veränderungen das Sichtbarwerden seiner Absicht. Winde macht Er zu seinen Boten, Feuer zu Seinen Dienern: Jedes Naturereignis ist Sein Handeln; Wohlstand ist eines seiner Geschenke, und wenn jemandem ein Unglück widerfährt, so ist es Gott, der es gesandt hat (Amos 3,5.6 [26] ; Klgl 3,33--38 [27] ; Jes 47,7 [28] ; Pred. 7,14 [29] ; Jes 54,16 [30] ). Er lenkt die Schritte der Menschen, ob sie es wollen oder nicht; Er ist es, der hochkommen und zu Fall kommen lässt, der Herzen öffnet oder verstockt, Er lässt die Gedanken und Absichten der Seele hervorkommen.« [31] Sollen wir daran zweifeln, dass Gott einen Sünder bekehrt, wenn es ihm so gefällt? Kann denn der Allmächtige, der allmächtige Beherrscher des Universum nicht auch den Charakter seiner Geschöpfe ändern? Er hat in Kana Wasser in Wein verwandelt und Saulus auf der Straße nach Damaskus verwandelt. Der Aussätzige sagte: »Herr, wenn du es willst, kannst du mich reinigen«. Durch ein einziges Wort Jesu wurde er dann auch rein. Gott kann Seele und Körper reinigen, und wir glauben: Wenn er sich entschließt, das zu tun, dann könnte er eine solche Anzahl an Missionaren, Geistlichen und christlichen Arbeitern jeglicher Couleur auf den Plan rufen, dass sich die Erde in kürzester Zeit bekehren würde. Wenn es wirklich seinen Zielen entspräche, alle Menschen zu erretten, könnte er Heerscharen an Engeln senden, die auf übernatürliche Art und Weise auf Erden tätig würden. Er könnte auf wundervolle Weise die Herzen der Menschen so verändern, dass niemand mehr verlorenginge. Da das Böse nur mit Seiner Erlaubnis geschieht, könnte er es auch vollkommen vernichten. Diese seine Macht war sichtbar, als der Engel des Herrn in einer Nacht alle erstgeborenen Ägypter erschlug (2 Mo 12,29), in einem anderen Fall die 185.000 Mann starke assyrische Arme (2 Kön 19,35). Seine Macht zeigte sich, als sich die Erde öffnete und den Korah samt den rebellischen Anhängern verschlang (4 Mo 16,31--33). Ananias und Saphira sind geschlagen worden (Apg 5,1--11); Herodes wurde geschlagen und starb eines schrecklichen Todes (Apg 12,23). Gott hat nichts von seiner Macht eingebüßt, und es verunehrt ihn, wenn man glaubt, jetzt kämpfe er um die menschliche Rasse, könne aber mit den meisten Menschen sein Ziel doch nicht erreichen. Obwohl Gottes Souveränität universal und absolut ist, ist sie keine Souveränität einer blinden Macht. Sie ist gepaart mit unendlicher Weisheit, Heiligkeit und Liebe. Wenn diese Lehre richtig verstanden wird, trägt sie sehr viel zu Geborgenheit und Trost bei. Wer würde nicht vorziehen, sein Schicksal in den Händen eines allmächtigen, weisen, heiligen und liebenden Gottes zu wissen, statt es blindem Naturglauben, dem Schicksal, den Naturgesetzen oder gar seinem kurzsichtigen und pervertierten Selbst zu überlassen? Die, die Gottes Souveränität ablehnen, sollten die Alternative bedenken! Der Lauf des Universums wird also gelenkt und kontrolliert, aber wie? »Nach dem Vorsatz dessen, der alle Dinge nach dem Ratschluss seines Willens lenkt« (Eph 1,11). Heute tendiert man dazu, die Lehre von der göttlichen Souveränität und der Prädestination zu missachten, damit man die Selbstbestimmung des Menschen an diese Stelle setzen kann. Menschlicher Stolz und Einbildung auf der einen Seite, auf der anderen Seite seine Unwissenheit und Verderbtheit -- das bringt ihn dazu, Gott auszuschließen und sich selbst zu erhöhen; diese beiden Tendenzen haben wesentlich dazu beigetragen, den größten Teil der Menschen vom Calvinismus abzubringen. Die arminianische Sichtweise nimmt an, die ehrlichen Absichten Gottes in gewisser Weise zunichte machen zu können; dass der Mensch, der nicht nur Schöpfung ist, sondern sündige Kreatur, eine Art Vetorecht gegen die Pläne des allmächtigen Gottes haben könne. [32] Dies aber widerspricht der Lehre der Schrift, die Gott über alle Schwachheit der Menschen erhaben sein lässt. Dass der Mensch sein Ziel nicht immer erreicht, liegt ganz einfach daran, dass ihm dazu oft die Macht fehlt oder auch die Einsicht, wie er sein Ziel erreichen könne. Gott dagegen kennt solche Unzulänglichkeiten nicht; nichts Unvorhergesehenes kann ihm begegnen, und Zufälle sind ganz ausgeschlossen. Wenn man nun annimmt, er kämpfe manchmal vergeblich und erreiche seinen Plan nicht, so reduziert man ihn auf die Ebene seiner Geschöpfe! __________________________________________________________________ [25] Der Gegensatz dieser beiden Sichtweisen lässt sich überspitzt so formulieren: Der Arminianismus hält Gott tatsächlich "nur" für potentiell allmächtig: "Gott kann", so könnte man sagen. Er kann "eingreifen", wenn er will. Der Calvinismus dagegen sieht im Verwehen des kleinsten Staubkörnchens noch Gott in actu. Gott kann nicht nur "eingreifen"; alles ist sein "Eingreifen", da nichts geschehen hat, was er nicht bestimmt hat. Logisch zu Ende gedacht führt der Arminianismus -- ohne dass das seinen Verfechtern bewusst sein müsste -- zwangsläufig zur Kontingenz, zur Möglichkeit des Zufalls. Dass der Arminianismus dabei expressis verbis die Möglichkeit von Zufällen bestreitet, tut dem keinen Eintrag (A. d. Ü.). [26] »Gerät auch ein Vogel in die Falle am Boden, wenn ihm kein Köder gelegt worden ist? Schnellt wohl die Falle vom Erdboden empor, obwohl sie gar nichts gefangen hat? Kann man in das Horn stoßen in der Stadt, ohne dass das Volk erschrickt? Geschieht auch ein Unglück in der Stadt, das nicht der Herr gewirkt hat?« [27] » ... denn nicht aus Lust plagt und betrübt Er die Menschenkinder. Wenn alle Gefangenen eines Landes mit Füßen getreten werden, wenn das Recht eines Mannes gebeugt wird vor dem Angesicht des Höchsten, wenn die Rechtssache eines Menschen verdreht wird -- sollte der Herr es nicht beachten? Wer hat je etwas gesagt und es ist geschehen, ohne dass der Herr es befahl? Geht nicht aus dem Munde des Höchsten hervor das Böse und das Gute?« [28] »Wie sollte es aber ruhen? Hat doch der Herr es beordert, gegen Askalon und gegen die Meeresküste, dorthin hat er es bestellt.« [29] »Am guten Tag sei guter Dinge, und am bösen Tag bedenke: Auch diesen hat Gott gemacht gleichwie jenen -- wie ja der Mensch auch gar nicht herausfinden kann, was nach ihm kommt.« [30] »Siehe, ich habe den Schmied gemacht, der das Kohlenfeuer anbläst und eine Waffe hervorbringt nach seinem Handwerk; und ich habe auch den Zerstörer gemacht, um zu vernichten.« [31] B. B. Warfield, "Biblical Doctrines, Art. Predestination", S. 9. [32] Dies ist tatsächlich die Ansicht der meisten Arminianer: Gott will zwar, dass alle Menschen errettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen sollen, kann das aber nicht erreichen, weil der »freie Wille« (ich möchte lieber sagen: der neutrale Wille) des Menschen diesem Ziel entgegenstehe. An diesem »freien Willen« muss der allmächtige Wille Gottes letztlich scheitern, der er den »freien Willen« des Menschen mehr achte als seinen eigenen, demnach er will, dass alle Menschen errettet werden. Auch wenn der Arminianismus dies niemals mit diesen Worten sagt (in der Tat gibt es eine Vielzahl von ausweichenden Formulierungen), trifft das seine Ansicht der Sache nach ganz genau. Ich selbst war lange Zeit eifriger Anhänger der arminianischen Lehre, kenne die Ansicht also quasi »von innen« (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ Belegstellen aus der Schrift Dan 4, 31b--32: Da lobte ich den Höchsten und pries und verherrlichte den, der ewig lebt, dessen Herrschaft eine ewige Herrschaft ist und dessen Reich von Geschlecht zu Geschlecht währt; gegen welchen alle, die auf Erden wohnen, wie nichts zu rechnen sind; er verfährt mit dem Heer des Himmels und mit denen, die auf Erden wohnen, wie er will, und es gibt niemand, der seiner Hand wehren oder zu ihm sagen dürfte: Was machst du? Jer 32,17: Ach, Herr, Herr, siehe, du hast den Himmel und die Erde gemacht mit deiner großen Kraft und mit deinem ausgestreckten Arm; dir ist nichts unmöglich! Mt 28,18: Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden. Eph 1,22: ... und er hat alles seinen Füßen unterworfen und ihn als Haupt über alles der Gemeinde gegeben ... Eph 1,11: ... in ihm, in welchem wir auch ein Erbteil erlangt haben, die wir vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens. Jes 14, 24.27: Der Herr der Heerscharen hat geschworen und gesagt: Fürwahr, es soll geschehen, wie ich es mir vorgenommen habe, und es soll zustande kommen, wie ich es beschlossen habe: ... Denn der Herr der Heerscharen hat es beschlossen -- wer will es vereiteln? Seine Hand ist ausgestreckt -- wer will sie abwenden? Jes 46,9--11: Gedenkt an die Anfänge von der Urzeit her, dass Ich Gott bin uns keiner sonst; ein Gott, dem keiner zu vergleichen ist. Ich verkündige von Anfang an das Ende, und von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen. Ich berufe von Osten her einen Adler und aus fernen Ländern den Mann meines Ratschlusses. Ja, ich habe es gesagt, ich führe es auch herbei; ich habe es geplant, und ich vollbringe es auch. 1 Mo 18,14: Sollte denn dem Herrn etwas zu wunderbar sein? Hiob 42,2: Ich erkenne, dass du alles vermagst, und dass kein Vorhaben dir verwehrt werden kann. Ps 115,3: Aber unser Gott ist im Himmel; er tut alles, was ihm wohl gefällt. Ps 135,6: Alles, was dem Herrn wohl gefällt, das tut er, im Himmel und auf Erden, in den Meeren und in allen Tiefen. Jes 55,11: ... genau so soll auch mein Wort sein, das aus meinem Mund hervorgeht: es wird nicht leer zu mir zurückkehren, sondern es wird ausrichten, was mir gefällt, und durchführen, wozu ich es gesandt habe. Röm 9,20f: Ja, o Mensch, wer bist denn du, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch das Gebilde zu dem, der es geformt hat: Warum hast du mich so gemacht? Oder hat nicht der Töpfer Macht über den Ton, aus derselben Masse das eine Gefäß zur Ehre, das andere zur Unehre zu machen? __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel V __________________________________________________________________ Die Vorsehung Gottes »Gottes Ratschlüsse sind die weisen, freien und heiligen Beschlüsse des Rates seines Willens, wodurch er von aller Ewigkeit her zu seiner eignen Ehre unabänderlich alles vorausverordnet hat, was sich in der Zeit ereignet, besonders in Hinsicht auf die Engel und die Menschen« [33] Die Schrift lehrt klar, dass alle Dinge außerhalb Gottes nicht nur ihre Existenz Seinem Willen verdanken, sondern auch ihr Fortbestehen in all ihren Eigenschaften und Kräften. Er hält alle Dinge aufrecht durch das Wort seiner Macht (Heb. 1,3). Er ist vor allen Dingen, in ihm sind alle Dinge zu einem Ganzen verbunden (Kol. 1,17). »Du bist Gott, nur du allein; du hast die Himmel und die Himmel der Himmel gemacht mit all ihrem Herr, die Erde und alles, was darin ist, das Meer und alles, was darin ist; du erhältst sie alle« (Neh. 9,6). »In ihm leben, weben und sind wir«. (Apg . 17, 28) Er ist »über allem und durch alles und in allen« (Eph 4,6). Der Faden zieht sich durch die ganze Bibel: Die Naturgesetze, der Lauf der Geschichte, die veränderlichen Schicksale der Individuen -- alles hängt von Gottes Vorsehung ab. Alles, vom Seraph bis zum kleinsten Atom fügt sich in diese unfehlbare Ordnung ein. Gottes Nähe zur Schöpfung kann einen unvorsichtigen Leser leicht in die Nähe des Pantheismus bringen. Individualität und Zweitursachen [34] werden hier zwar durchaus zugegeben, aber nicht unabhängig von Gott gedacht, sondern als zu seinem Plan gehörend. Zusammen mit der Lehre, dass Gott den Dingen [gewissermaßen] innewohnt [Immanenz], lehren uns die Schreiber der Bibel die verwandte Lehre seiner Erhabenheit [Transzendenz], die besagt, dass Gott vollkommen von seinen Geschöpfen und seiner Schöpfung verschieden ist. Was Gottes Vorsehung betrifft, so müssen wir verstehen, dass er zu allen menschlichen Angelegenheiten und zur Natur in engstem Bezug steht. Dr. Charles Hodge sagt einmal: »Anzunehmen, es gäbe etwas, das zu groß wäre, als dass es unter der Kontrolle Gottes stehen könnte oder dass etwas seiner Aufmerksamkeit entgehen könnte oder dass gar die Vielzahl der Dinge seine Aufmerksamkeit stören könnte, würde bedeuten, dass man vergessen hat, dass Gott unendlich ist ... Das Licht der Sonne trifft auf jeden Punkt gleich. Genauso ist Gott überall so gegenwärtig, wie er es wäre, wenn er sich nur an einem einzigen Ort befände.« Er fügt hinzu: »Er ist in jedem Grashalm und lenkt doch die Bahn Arkturs, er befiehlt den Sternen wie einem Heer und nennt sie bei ihrem Namen; er wohnt der Seele jedes Menschen ein und macht sie verständig, begabt sie, bewirkt Wollen und Tun. Das menschliche Herz ist in seiner Hand, er lenkt seine Gedanken, wie er die Wasserbäche lenkt.« [35] Es wird fast allgemein zugegeben: Gott bestimmt, wann, wo und unter welchen Umständen jeder Mensch geboren wird, lebt und stirbt, ob Mann oder Frau, weiß oder schwarz, klug oder dumm. Gottes Souveränität wird durch diese Bestimmungen nicht geschmälert. Er behandelt sein Eigentum nach seinem Willen. Manchen gibt er Reichtum, anderen Ehre, anderen wiederum Gesundheit, andere begabt er musikalisch, rhetorisch, künstlerisch, wirtschaftlich, politisch usw. Andere sind arm, unwissend, werden in Unehre geboren, sind Opfer von Krankheiten und leben ein elendes Leben. Manche werden in christliche Länder hineingeboren, wo sie alle Errungenschaften des Evangeliums genießen dürfen; andere leben und sterben in der Dunkelheit des Heidentums. Manche führt Gottes Gnade zum Evangelium, andere werden gelassen, um im Unglauben zu sterben. Zu einem sehr großen Teil bestimmen diese »Äußerlichkeiten« unabhängig von der Wahl des Menschen sein gesamtes Leben und auch seine ewige Bestimmung. Sowohl Bibel als auch tägliche Erfahrung lehren uns: Gott gibt den einen, was er den anderen vorenthält. Wäre die Frage nach dem Weshalb dieser ungleichen Verteilung erlaubt oder dürfte man fragen, weshalb Gott die einen Menschen errettet, die anderen dagegen nicht, dann gäbe es darauf nur die Antwort Jesu: »Ja, Vater, denn so hat es dir wohlgefallen.« Um dies einigermaßen zu verstehen, bedürfen wir der biblischen Lehre vom Sündenfall und von der Erlösung. Es muss daran erinnert werden: Alle Gaben, ob geistlicher oder zeitlicher Natur, sind samt und sonders Gnadengeschenke. Was ist mit denen, denen solche Gaben fehlen? Hätte Gott ihnen solche Gaben geben müssen? Ist er denn etwa dazu verpflichtet? So sind Nationen und auch die einzelnen Menschen in der Hand Gottes, der ihnen ihre Grenze setzt und ihr Schicksal in Händen hält. Seine Macht ist absolut. Er hat ihr Schicksal in Seiner Hand wie ein Mann einen Stab. Sie sind in seiner Hand und er benützt sie für seine Zwecke. Er zerbricht sie wie ein Töpfer den Ton, oder er erhöht sie, ganz so wie es ihm gefällt. Er gibt Frieden und ertragreiche Ernte, Eigentum und Fröhlichkeit, oder er schickt Verwüstung, Krieg, Hungersnot, Trockenheit und Pest. Alle Dinge gehen von ihm aus und dienen seinen höchsten Zielen unter seiner allumfassenden Vorsehung. Gott hat das Universum nicht geschaffen, um zuzusehen, wie sich die Dinge entwickeln; er ist vielmehr überall und selbst höchst aktiv. Er begründet alles und ist die allesbeherrschende Macht. Der Wert eines Spatzen ist gering, sein Flug ist ausgelassen und scheint zufällig zu sein, und doch fällt er nicht zu Boden, ohne dass es unser Vater weiß. »Seine allweise Vorsehung hat vorherbestimmt, auf welchem Ast er sich niederlässt, welches Korn er aufpickt, wo er seinen Brutplatz baut und wo er nistet, wovon er lebt und wann er stirbt.« [36] Jeder Regentropfen und jede Schneeflocke, die aus den Wolken fällt, jedes Insekt, das kriecht, jede wachsende Pflanze, jedes Staubkörnchen, das durch die Luft fliegt -- all dies hat ganz bestimmte Ursachen und wird ganz bestimmte Wirkungen zeitigen. Jedes ist ein Glied in einer Kette von Ereignissen; viele bedeutende Ereignisse beruhen auf diesen scheinbar unbedeutenden Ursachen. Der Verlauf der Ereignisse schreitet fort bis zu seinem festgesetzten Ziel. Dr. Warfield hat sehr schön gesagt: »Es war kein Zufall, der Rebekka zum Brunnen führte, um Abrahams Diener willkommen zu heißen (1 Mo 24); es war auch kein Zufall, der Joseph nach Ägypten sandte (1 Mo 45,8; 50,20; >Gott gedachte es gut zu machen< [37] ); es war kein Zufall, der Pharaos Tochter zum Körbchen im Schilf führte (2 Mo 2); es war kein Zufall, der jenen Mühlstein auf Abimelechs Kopf lenkte (Richter 9,53) oder den Pfeil in die Lücke des königlichen Panzer eindringen ließ (1 .Könige 22,34). Jedes geschichtliche Ereignis ist Teil des tieferliegenden göttlichen Plans. Der Geschichtsschreiber steht in dem Bewusstsein der Gegenwart Gottes, der sogar dem Blitz weist, wo er einschlagen muss (Hiob 36,32).« [38] Dr. Clarence E. Macartney sagt einmal: »Auf großen Bahnhöfen kann man einen Metallstift sehen, der in großen Lettern jeweils Abfahrt und Ankunft der Züge auf die Tafel schreibt. Der Stift scheint von selbst zu schreiben, aber freilich wissen wir, dass irgendwo ein Beamter sitzt, der den Stift lenkt. So ist es auch in unserem Leben: wir bemerken unsere eigenen Überlegungen, Wahlmöglichkeiten und Entscheidungen, und doch scheint es im Gefüge unseres Schicksals einen Handlungsfaden zu geben, den nicht wir selbst weben. Ganz offensichtlich spielen oberflächliche Ereignisse eine Rolle in größeren Angelegenheiten.« [39] Des Menschen moralischer Sinn für Verantwortlichkeit und Abhängigkeit und seine instinktive Frage nach Gott in Zeiten der Not zeigen, wie universal und angeboren die Gewissheit ist, dass Gott das Schicksal von Mensch und Welt völlig in seiner Hand hat. Obgleich die Bibel lehrt, dass Gottes Herrschaft unumschränkt ist, dass sie mächtig, weise und heilig ist, versucht sie uns an keiner Stelle zu zeigen, wie diese Herrschaft mit der Verantwortlichkeit des Menschen ineins zu bringen ist. Alles, was wir wissen müssen, ist, dass Gott seine Geschöpfe beherrscht, und zwar so, dass diese Herrschaft ihn nicht gegen ihre Natur zwingt. [40] Vielleicht kann die Beziehung zwischen göttlicher Souveränität und menschlicher Freiheit am besten mit folgenden Worten zusammengefasst werden: Gott veranlasst äußere Anreize so, dass der Mensch ganz gemäß seiner Natur darauf reagiert, ganz so, wie Gott es für ihn geplant hat. [41] Ich werde auf diese Thematik näher im Kapitel über die Handlungsfreiheit eingehen. __________________________________________________________________ [33] Kleiner Westminster-Katechismus, Art. 11. [34] "Die ,Zweitursachen stellen den menschlichen Erfahrungshorizont dar, der alle Ereignisse den Umständen entsprechend als zwangsläufig (z.B. Abfolge, Reaktionen), frei (z.B. Appell an den Willen) oder zufällig geschehen einstuft. In diesen begrenzten Rahmen hinein hat sich Gott durch sein Wort offenbart, sodass jeder Mensch von seiner Warte aus die Möglichkeit hat, sich dem Evangelium zu verschließen oder sich von der Liebe Christi überwinden zu lassen, wenn er die frohe Botschaft der Vergebung Gottes hört." (Pfr. Reinhold Widter in seiner Erklärung zu Art. 5.2 des Westminster-Bekenntnisses; A. d. Ü.). [35] Charles Hodge, "Systematic Theology" Bd. II, S. 583 bzw. 585. [36] Augustus Toplady, "The Doctrine Of Absolute Predestination", S. 14. [37] Darin liegt keinesfalls der gut gemeinte Euphemismus: Wir alle machen Mist, und Gott macht Dünger draus -- als reagiere er nur auf menschliches Tun. Vielmehr ist das menschliche Tun Reaktion oder Aktion des menschlichen Seins, das gerade nicht in und aus sich selbst besteht (A. d. Ü.). [38] B. B. Warfield, "Biblical Doctrines", S. 14. [39] Nach einer Predigt über die Vorherbestimmung vor der Generalversammlung der Presbyterianischen Kirche der Vereinigten Staaten (1924). [40] Auch der Mensch manipuliert andere Menschen gegen deren grundsätzlichen Willen und ohne jeglichen Zwang. Er bringt ihn dazu, Dinge zu tun, die er wohl sonst nicht täte, und zwar mit dessen vollem Einverständnis. Es ist ein Leichtes, den Menschen etwa mit seinem Willen gegen seinen Willen dazu zu bringen, Dinge zu kaufen, die er sonst nie kaufen würde. Die Allgegenwart der medialen Werbung erreicht ihr Ziel -- sie stiftet dem Konsumenten ein Bedürfnis ein. Das Bedürfnis wird zum Wunsch und zum Willen -- der Konsument hat sich mit seinem Willen gegen seinen Willen manipulieren lassen (A. d. Ü.). [41] Das ist eine vereinfachte Darstellung, die die arminianische Angst vorm »Marionettenbewusstsein« steigert. Gott erscheint hier als "großer Lockvogel", der unsere Triebnatur motiviert, um seine Ziele zu verwirklichen. So aber ist es gerade nicht, denn Gott lässt den Menschen nach menschlicher Würde handeln, so zwar, dass der Mensch, der Gottes Willen zu tun vermeint, selbst noch in Zweifel bleibt, ob er nach Gottes Willen handelt. Gott ist so nahe, dass wir zwar in ihm leben, weben und sind; dennoch ist Er der Verborgene, der transzendente Gott, der sich zu seinen Geschöpfen mittelbar verhält. Es wäre nicht möglich, konsistent zu zeigen, wie ein Mensch genau den Plan Gottes erfüllt, ob er das nun selber zu tun vermeint oder nicht; der Mensch verbleibt in seiner Handlungsfreiheit, handelt aber gemäß seiner Natur und seinem Willen -- dies ist nichts als alltägliche Erfahrung (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ Belegstellen aus der Schrift Diese Art Vorsehung ist Lehre der Schrift; dies ist so klar, dass viele dies zugeben, deren philosophische Sicht sie diese Lehre dennoch ablehnen lässt. Ich führe hier eine Zusammenstellung von Belegen aus der Schrift an, um zu zeigen, dass alle Ereignisse ihren bestimmten Platz und Zweck haben, dass Gottes Vorsehung allumfassend ist und dass er genau damit die minutiöse Erfüllung seines Plans erreicht. Gottes Vorsehung ersteckt sich auf: 1. die Natur, oder die physische Welt: Nah. 1,3: Der Weg des Herrn ist im Sturmwind und im Ungewitter, und Gewölk ist der Staub seiner Füße. 2 Mo 9,26: Nur im Land Gosen, wo die Kinder Israels waren, hagelte es nicht. Mt 5,45: Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt es regnen über Gerechte und Ungerechte. 1 Mo 41,32: (Die Hungersnot in Ägypten sah für die Menschen so aus, als sei sie nichts als ein Naturereignis, doch Joseph konnte sagen:) ... dass die Sache bei Gott fest beschlossen ist, und dass Gott es rasch ausführen wird. Amos 4,7: So habe ich euch auch den Regen vorenthalten bis drei Monate vor der Ernte, und ich ließ es regnen auf die eine Stadt, während ich es auf die andere Stadt nicht regnen ließ; ein Feld wurde beregnet, und ein anderes, auf das es nicht regnete, verdorrte. Apg 14,17: ... und doch hat er sich selbst nicht unbezeugt gelassen; er hat uns Gutes getan, uns vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gegeben und unsere Herzen erfüllt mit Speise und Freude. Jes 40,12: Wer hat die Wasser mit der hohlen Hand gemessen? Wer hat den Himmel mit der Spanne abgegrenzt und den Staub der Erde in ein Maß gefasst? Wer hat die Berge mit der Waage gewogen und die Hügel mit Waagschalen? 1. die Fauna: Mt 10,29: Verkauft man nicht zwei Sperlinge um einen Groschen? Und doch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Mt 6,26: Seht die Vögel des Himmels an: Sie säen nicht und ernten nicht, sie sammeln auch nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Dan 6,23: Mein Gott hat seinen Engel gesandt und den Rachen der Löwen verschlossen, dass sie mir kein Leid zufügten. Ps 104,21: Die jungen Löwen brüllen nach Raub und suchen ihre Nahrung von Gott. 1 Mo 31,9: So hat Gott eurem Vater [Laban] die Herde genommen und sie mir [Jakob] gegeben. 1. die Nationen: Dan 4,14: (Nebukadnezar wurde gedemütigt) ... damit die Lebenden erkennen, dass der Höchste über das Königtum der Menschen herrscht und es gibt, wem er will, und den Niedrigsten der Menschen darüber setzt. Jes 40,15: Siehe, die Völker sind wie ein Tropfen am Eimer; wie ein Stäubchen in den Waagschalen sind sie geachtet; siehe, er hebt die Inseln auf wie ein Staubkörnchen. 1. Chr. 16,31: Es freue sich der Himmel, und die Erde frohlocke, und unter den Heiden soll man sagen: Der Herr regiert als König! Ps 47,7: Denn Gott ist König der ganzen Erde! Dan 2,21: Er führt andere Zeiten und Stunden herbei; er setzt Könige ab und setzt Könige ein; er gibt den Weisen die Weisheit und den Verständigen den Verstand. Ps 33,10: Der Herr macht den Ratschluss der Heiden zunichte, er vereitelt die Gedanken der Völker. Jos 21,44: Und der Herr verschaffte ihnen Ruhe ... der Herr gab alle ihre Feinde in ihre Hand. Ri. 6,1: Und die Kinder Israels taten [wieder], was böse war in den Augen des Herrn; da gab sie der Herr in die Hand der Midianiter, sieben Jahre lang. Amos 3,6: Geschieht auch ein Unglück in der Stadt, das nicht der Herr gewirkt hat? Hab 1,6: Denn siehe, ich erwecke die Chaldäer, ein bitterböses und ungestümes Volk, das die Weiten der Erde durchzieht, um Wohnsitze zu erobern, die ihm nicht gehören. 1. einzelne Menschen: Spr 21,1: Gleich Wasserbächen ist das Herz des Königs in der Hand des Herrn; er leitet es, wohin immer er will. Ps 37,23: Vom Herrn werden die Schritte des Mannes bestätigt, wenn Ihm sein Weg gefällt. Spr 16,9: Das Herz des Menschen denkt sich seinen Weg aus, aber der Herr lenkt seine Schritte. Jak. 4,15: Statt dessen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will und wir leben, wollen wir dies oder das tun. Röm 11,36: Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge. 1 Kor 4,7: Denn wer gibt dir den Vorzug? Und was besitzt du, das du nicht geschenkt bekommen hast? Wenn du es aber geschenkt bekommen hast, was rühmst du dich, als hättest du es dir selbst verdient? Ps 34,8: Der Engel des Herrn lagert sich um die her, die ihn fürchten, und er rettet sie. Dan 3,17: Wenn es so sein soll -- unser Gott, dem wir dienen, kann uns aus dem glühenden Feuerofen erretten, und er wird uns bestimmt aus deiner Hand erretten, o König! Ps 118,6: Der Herr ist für mich, ich fürchte mich nicht; was kann ein Mensch mir antun? Jes 64,7: Nun aber bist du, Herr, unser Vater; wir sind der Ton, und du bist unser Töpfer; wir alle sind das Werk deiner Hände. Esra 8,31: ... und die Hand unseres Gottes war über uns, und er errettete uns [die zurückkehrenden Exilanten] vor der Hand des Feindes und des Wegelagerers. Neh. 4,14: Unser Gott wird für uns kämpfen. 2 Mo 11,7: Aber bei allen Kindern Israels soll kein Hund die Zunge regen, weder gegen Menschen noch gegen das Vieh, damit ihr erkennt, dass der Herr einen Unterschied macht zwischen Ägypten und Israel. Apg 18,9: Und der Herr sprach durch ein Gesicht in der Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! 1. Handlungsfreiheit des Menschen: Phil. 2,13: ... denn Gott ist es, der in euch sowohl das Wollen als auch das Vollbringen wirkt nach seinem Wohlgefallen. 2 Mo 12,36: Dazu gab der Herr dem Volk bei den Ägyptern Gunst, dass sie ihr Begehren erfüllten. Esra 7,6: ... weil die Hand des Herrn, seines Gottes, über ihm war. Esra 6,22: ... denn der Herr hatte sie fröhlich gemacht und das Herz des Königs von Assyrien ihnen zugewandt, so dass ihre Hände gestärkt wurden in dem Werk am Haus Gottes [Aufbau des Tempels], des Gottes Israels. Ez 36,27: Ja, ich will meinen Geist in euer Inneres legen und werde bewirken, dass ihr meine Satzungen und meine Rechtsbestimmungen befolgt und tut. 1. die sündhaften Handlungen der Menschen: Apg 4,27f: Ja, wahrhaftig, gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, haben sich Herodes und Pontius Pilatus versammelt zusammen mit den Heiden und dem Volk Israel, um zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss vorher bestimmt hatte, dass es geschehen sollte. Joh 19,11: Jesus antwortete: Du hättest gar keine Vollmacht über mich, wenn sie dir nicht von oben her gegeben wäre. 2. Sam. 16,10: (David, der Abisai wegen Simei zurückwies) Lass ihn doch fluchen! Wenn der Herr zu ihm gesagt hat: Fluche dem David! -- wer will dann sagen: Warum tust du dies? Ps 76,11: Denn der Zorn des Menschen muss dich preisen, mit dem Rest der Zornesflammen gürtest du dich. 2 Mo 14,17: Ich aber, siehe, ich will das Herz der Ägypter verstocken, dass sie ihnen nachziehen; dann will ich mich verherrlichen an dem Pharao und an seiner ganzen Heeresmacht, an seinen Streitwagen und seinen Reitern. 1. Zufälle: Siehe Kap. III __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel VI __________________________________________________________________ Das Vorherwissen Gottes Der Einwand der Arminianer gegen die Vorherbestimmung richtet sich mit gleicher Kraft gegen das Vorherwissen Gottes: Was Gott im Voraus weiß -- und das liegt schon in der Natur der Sache! -- muss so sicher eintreffen wie das, was Gott vorherbestimmt hat; die Vorherbestimmung behauptet die Gewissheit der Ereignisse; das (bloße) Vorherwissen setzt diese Gewissheit aber unbewusst voraus. Wenn Gott die Dinge vorausweiß, dann können sie sich nicht auch anders entwickeln. Wenn der Ablauf der Geschichte vorhergesehen werden kann, dann verläuft der Kurs der Geschichte wie eine Lokomotive auf Schienen von New York nach Chicago. Die arminianische Lehre, die die Vorherbestimmung leugnet, leugnet damit nichts weniger als genau dieses logische Axiom. Der gesunde Menschenverstand sagt uns aber, dass nichts vorausgewusst werden kann, sei es physischer oder geistiger Natur, wenn es nicht vorher auf die eine oder andere Weise vorherbestimmt war. Mit >Vorherbestimmung< bezeichnen wir zweierlei: Entweder die Vorherbestimmung des weisen und barmherzigen, himmlischen Vaters, oder den Zwang des blinden Schicksals. Die Sozinianer und Unitarier werden kaum dem evangelikalen Glauben zuzuzählen sein [42] wie die Arminianer, waren aber in Bezug auf unser Thema konsequenter, denn als sie die Vorherbestimmung leugneten, leugneten sie damit auch, dass Gott die Handlungen der freien Menschen vorhersehen könne. Es läge in der Natur der Sache, so meinten sie, dass man nicht wissen könne, wie eine Person handeln werde, solange dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen ist und jene Person sich zu einer Handlungsweise entschieden hat. Eine solche Sicht degradiert freilich die biblischen Prophezeiungen zu Vermutungen und greift damit auf zerstörerische Weise die Lehre von der Unfehlbarkeit und Inspiration der Heiligen Schrift an. Diese Sicht wurde daher im Lauf der Geschichte von allen anerkannten Kirchen verworfen. Einige Sozinianer und Unitarier waren unerschrocken und aufrichtig genug, zuzugeben, dass der Grund für ihr Leugnen des göttlichen Vorherwissens menschlicher Akte darin bestehe, dass sie die calvinistische Lehre von der Prädestination nicht widerlegen könnten, wenn sie dieses göttliche Vorherwissen nicht leugneten. Viele Arminianer spürten die Stärke dieses Arguments, und Obgleich sie den Unitariern in der Leugnung des göttlichen Vorherwissens nicht gefolgt sind, haben sie doch klar gemacht, dass sie sie leugnen würden, wenn sie das könnten, oder es zumindest wagen würden. Manche haben von dieser Lehre sehr abschätzig gesprochen und zu verstehen gegeben, dass es nicht wichtig sei, daran zu glauben oder nicht. Manche gehen so weit, uns klarzumachen, es sei besser, auch das Vorherwissen Gottes zu leugnen als an die Vorherbestimmung zu glauben. Andere haben vorgeschlagen, Gott verzichte freiwillig auf sein Vorherwissen, damit die Handlungen der Menschen frei blieben; ein solcher Verzicht jedoch negiert die Allwissenheit Gottes! Wieder andere haben gemeint, der Umstand, dass Gott allwissend ist, besage bloß eine Möglichkeit, ganz wie er seine Allmacht ja auch nur da ausübe, wo er es wolle. Aber dieser Vergleich hält nicht, denn die Gewissheit der Handlungen sind keine Möglichkeit, sondern Realität, wenngleich noch Zukunft; Gott über diese Dinge Unwissenheit zuzuschreiben spricht ihm die Eigenschaft der Allwissenheit ab. Wir hätten einen Gott, der, obgleich allwissend, eben doch nicht alles wissen würde. Wenn der Arminianer mit dem Argument des Vorherwissens Gottes konfrontiert wird, muss er zugeben: Das Zukünftige ist gewiss. Geht es jedoch um die freien Handlungen von Menschen, dann will er zugestanden haben, dass einzelne Handlungen immer noch ungewiss bleiben müssten, da sie ja von der jeweiligen Person abhingen. Das ist aber ein Widerspruch: Wer behauptet, die Handlungsfreiheit der Menschen sei ungewiss, opfert die Souveränität Gottes der Freiheit des Menschen. Wenn die Handlungen des freien Menschen in sich selbst unsicher wären, dann müsste Gott stets auf die Manifestation dieser Handlung warten, bevor er das Ergebnis in seine Pläne einbauen kann. Wollte Gott demnach jemanden bekehren, müsste man sich ihn vorstellen wie Napoleon, von dem gesagt wird, er habe jedes mal, wenn er in eine Schlacht zog sei, drei oder vier Pläne im Gedächtnis gehabt, so dass er im Falle des Fehlschlagens des ersten Plans auf den zweiten zurückgreifen konnte usw. Ein solcher Gott widerspräche seiner eigenen Natur! Das Meiste der Zukunft müsste ihm da verborgen bleiben; täglich müsste er erneut riesiges Wissen anhäufen. Seine Weltregierung wäre in der Tat eine ziemlich unsichere Sache -- jedes mal davon abhängig, wie sich die Menschen entscheiden werden. Gottes vollkommenes Vorauswissen und Unveränderlichkeit zu leugnen macht ihn zu einer enttäuschten und unglücklichen Figur, die von seiner eigenen Kreatur ständig besiegt und schachmatt gesetzt wird. Wer kann sich vorstellen, dass Gott, der Herr, angesichts des Menschen sitzen und warten und sich fragen muss: »Was wird er tun?«. Abgesehen davon, dass Arminianer das Vorauswissen Gottes leugnen, stehen sie damit ohne Argument gegen die logische Konsistenz des Calvinismus da, denn Vorauswissen impliziert Gewissheit, und Gewissheit impliziert Vorherbestimmung. Mit den Worten Jesajas gesprochen, der den Herrn sagen lässt: »Ich verkündige von Anfang an das Ende, und von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen« (Jes 46,10). »Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne«, sagt der Psalmist in Ps 139,2. Er »kennt das Herz«, Apg 15,8. »Kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern alles ist enthüllt und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft zu geben haben« (Heb. 4,13). Vieles von der Schwierigkeit in Bezug auf die Vorherbestimmung resultiert aus der Unvollkommenheit unseres Verstandes, der jeweils nur einige Details ergreifen kann und der auch die Beziehung zwischen den Teilen nur unvollständig versteht. Wir sind Geschöpfe der Zeit und vergessen oft den Umstand, dass Gott keinerlei Begrenzungen unterliegt. Was uns vergangen, gegenwärtig und zukünftig erscheint, ist seinem Geiste stets gegenwärtig. Er lebt im ewigen »Jetzt«. Er ist »der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt und dessen Name 'Der Heilige ist« (Jes 57,15). »Denn tausend Jahre sind vor dir wie der gestrige Tag, der vergangen ist« (Ps 90,4). Was wir geschehen sehen, ist nichts anderes als das, was Er von Ewigkeit verordnet hat, dass es geschehen soll. Zeit ist eine Eigenschaft, die zur Schöpfung gehört; für Gott ist sie jedoch »Gegenstand«. Er steht über ihr und sieht sie, ist ihr aber nicht unterworfen. Er ist auch dem Raum nicht unterworfen, der ebenso eine Eigenschaft der Schöpfung ist. Genauso wie er die ganze Straße von New York nach San Francisco auf einmal sehen kann, während wir immer nur das kleine Stückchen sehen, auf dem wir gerade fahren, so sieht er alle Ereignisse der Geschichte auf einmal: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die ganze Geschichte als ein ewiges »Jetzt« vor ihm steht und er der Schöpfer aller endlichen Existenz ist, dann wird der Gedanke an die Vorherbestimmung wesentlich einfacher. In den ewigen Zeitaltern vor der Schöpfung kann es so etwas wie Gewissheit der zukünftigen Geschehnisse nicht gegeben haben, und zwar genau so lange nicht, als Gott seinen Plan gefasst hatte. Der Weg von der Kategorie der Möglichkeit zur Kategorie der Gewissheit geht nur über die Beschlüsse Gottes. Diese Gewissheit kann ihren Grund nicht außerhalb Gottes haben, denn unabhängig von Gott existiert in alle Ewigkeit nichts. Dr . R . L . Dabney sagt ganz treffend: »Der einzige Weg, auf welchem etwas auf irgend eine Weise aus dem Dunkel der Möglichkeit in das Licht der Wirklichkeit treten kann, ist der, dass Gott seine Möglichkeit zulässt; sei es, indem er selbst diese Möglichkeit Wirklichkeit werden lässt oder eines seiner Geschöpfe veranlasst, die Sache Wirklichkeit werden zu lassen. All dies kann nicht ohne Gottes Wissen und Wollen geschehen. Das sieht man an den Tatsachen: Mögliches kann nur wirklich werden, insofern es eine zureichende Ursache hat. Wenn Gott nach vorne blickt und alles sieht, was geschehen wird, dann ist eines klar: Er selbst ist die erste Ursache all dieses Geschehens. Jede Ursache samt ihrer Wirkung muss letztlich auf Ihn zurückgeführt werden. Wenn Gottes unendliches Vorherwissen jede Wirkung umgreift, die seine Geschöpfe zeitigen, dann bedeutet der Umstand, dass er diese Geschöpfe existieren lässt, nichts anderes, als dass Er selbst jene Wirkungen beabsichtigt hat.« [43] Zum gleichen Ergebnis kommt auch der baptistische Theologe Dr. A. B. Strong. Strong war einige Jahre Präsident und Professor am Rochester Theological Seminary. Er schreibt: »In der Ewigkeit kann es keine Ursache für die Existenz des Universums gegeben haben, welche außerhalb des Handlungsbezirks Gottes gewesen wäre, da ohne Wissen und Wollen Gottes nichts existieren kann. Gott hat aber in Ewigkeit vorhergesehen, dass die Schöpfung der Welt und ihrer Naturgesetze alles, was geschehen wird, auf eine gewisse und bestimmte unveränderliche Art festlegen, und zwar bis ins unbedeutendste Detail. Dennoch hat Gott beschlossen, diese Welt zu erschaffen -- und damit ihre Gesetze. Damit hat er aber nichts anderes getan, als das Feststehende zu beschließen, und das bedeutet: Der Beschluss, diese Welt zu erschaffen impliziert die Gewissheit alles dessen, was innerhalb dieser Schöpfung geschehen wird. [44] Vorherwissen darf nicht verwechselt werden mit Vorherbestimmung! Vorherwissen setzt Vorherbestimmung voraus, ist ihr aber nicht gleichzusetzen. Die Handlungen freier Menschen finden nicht statt, weil sie vorhergesehen werden; sie werden vorhergesehen, weil gewiss ist, dass sie stattfinden werden. Daher sagt Strong: »Der Beschluss geht dem Vorherwissen logischerweise -- wenn auch nicht chronologisch -- voraus. Wenn ich sage: >Ich weiß, was ich tun werde<, ist klar, dass ich vorherbestimmt habe, was ich tun will und dass mein Wissen um das, was ich vorhabe, dieser Bestimmung keineswegs vorangeht, sondern ihr folgt und erst darin gründet.« [45] Da Gottes Vorherwissen alles umfasst, kennt er auch das Schicksal jeder einzelnen Person nicht nur bevor diese Person ihre eigenen Entscheidungen getroffen hat, sondern von Ewigkeit her! Und da er das Schicksal jedes Menschen kennt, noch bevor er geschaffen ist, ihn aber dennoch ins Dasein ruft, ist klar, dass sowohl Errettete als auch Verlorene seinen Plan erfüllen; denn wenn er nicht geplant hätte, dass irgend jemand verloren gehe, hätte er diese Person ja auch nicht zu erschaffen brauchen. Wir müssen also daraus schließen, dass die christliche Lehre vom Vorherwissen Gottes die Prädestination voraussetzt. Diese Dinge können einzig und allein deshalb vorhergesehen werden, weil sie gewiss sind, und nichts und niemand kann diese Dinge gewiss machen als das Wohlgefallen Gottes, dieser "ersten großen Ursache", welche frei und unveränderlich verordnet, was kommen muss. Die ganze Schwierigkeit liegt darin, zu zeigen, wie denn die menschlichen Handlungen jetzt noch »frei« genannt werden können. Eines muss man zugeben: Dass etwas in Zukunft gewiss geschehen wird, dieser Gedanke ist die Grundlage jeglichen Vorherwissens und wird von der Vorherbestimmung erst möglich gemacht. Der Arminianismus müsste beides widerlegen -- Vorherwissen und Vorherbestimmung, wollte er konsequent sein. Da er damit aber zu viel »be- wiese«, müssen wir daraus schließen, dass er gar nichts beweist. Soviel zu A . B . Strong. __________________________________________________________________ [42] Zur Unterscheidung der Begriffe evangelisch und evangelikal: Das englische "evangelical" bedeutet heute sowohl evangelisch wie auch evangelikal. Der Begriff "evangelikal" ist eine Rückübersetzung des englischen "evangelical". Heute wird er im deutschen Sprachraum für jene Christen verwendet, die sich von den liberalen Ansichten der evangelischen Kirche abgrenzen und sich zur Bibeltreue bekennen. Da sich auch Boettners Theologie deutlich von der liberalen Theologie der evangelischen Landeskirche abgrenzt und der Begriff "evangelisch" (= sich auf das Evangelium berufend) schon besetzt ist, habe ich zur Unterscheidung manchmal den Begriff "evangelikal" verwendet. Leider verliert der Begriff »evangelikal« heute immer mehr an ursprünglicher Aussagekraft (A. d. Ü.). [43] Robert L. Dabney, "Systematic Theology", S. 212. [44] A. B. Strong, "Systematic Theology", S. 356. [45] Ebd., S. 357. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel VII __________________________________________________________________ Grundriss der Systeme Es gibt nur drei Gedankengebäude, die behaupten, einen Weg zur Errettung des Menschen durch Christus darlegen zu können: 1. Der Heilsuniversalismus lehrt, Christus sei für alle Menschen gestorben und es werden letztlich auch alle Menschen gerettet werden, entweder in diesem Leben oder auch in einer zukünftigen Zeit der Bewährung. Diese Sichtweise mag uns am sympathischsten sein, ist aber unbiblisch und wurde niemals von irgend einer anerkannten Kirche vertreten. 2. Der Arminianismus lehrt, dass Christus unterschiedslos für alle Menschen gestorben sei -- auch für jene, die schließlich verlorengehen; Erwählung sei kein ewiger und unbedingter Akt Gottes; die rettende Gnade werde jedem Menschen angeboten, und diese Gnade könne er annehmen oder ablehnen. Weiter behauptet der Arminianismus, ein Mensch könne der erneuernden Gnade des Heiligen Geistes widerstehen, wenn es ihm beliebe. Der errettenden Gnade könne widerstanden werden; jene, die Gott geliebt hat, die Christus errettet hat und die der Heilige Geist wiedergeboren hat -- das möge Gott freilich verhindern! -- können wieder abfallen und ewig verlorengehen. [46] In seiner radikalen und entwickelteren Form ist der Arminianismus wesentlich nichts anderes als der Pelagianismus -- eine Art der Selbsterlösung. Tatsächlich können die Wurzeln des Arminianismus bis zum Pelagianismus zurückverfolgt werden, genauso wie die Wurzeln des Calvinismus auf Augustinus zurückgeführt werden können. Vielleicht sollte er sogar mit mehr Recht »Pelagianismus« genannt werden, da seine Prinzipien schon etwa 1200 Jahre vor Arminius festgestanden haben. Der Pelagianismus leugnet die menschliche Verderbtheit und in Folge die Notwendigkeit der wirksamen Gnade und hebt damit den menschlichen Willen über den Willen Gottes. »Seine Lehren schmecken dem natürlichen Menschen besser, der ganz natürlicherweise die Lehre von der totalen Verderbtheit des Menschen hasst. Der Mensch kann demnach heilig werden, ja sogar sündlos; er kann sich Gottes Gnade sichern und die Errettung aus eigenem Willen annehmen -- diese Lehre hat viele angezogen, und sie tut es auch heute noch vielfach. [47] Im besten Fall ist der Arminianismus der etwas vage und unbestimmte Versuch einer Versöhnung; er schwebt irgendwo zwischen den scharf abgegrenzten Gedankengebäude des Pelagius und Augustins. Er glättet die Kanten beider Systeme und neigt einmal mehr zu diesem, das andere mal mehr zum anderen. Dr. A. A. Hodge spricht in diesem Zusammenhang von einem »mannigfaltigen und elastischem System von Kompromissen«. Das Leitmotiv dabei ist, dass die göttliche Gnade mit dem menschlichen Willen zusammen sowohl Bekehrung als auch Heiligung bewirke; der Mensch allerdings behalte das souveräne Recht, anzunehmen oder abzulehnen. Der Arminianismus gibt die Schwäche des Menschen als Folge des Sündenfalls wohl zu, er leugnet aber, dass dem Menschen dadurch jegliche Fähigkeit verloren gegangen ist, sich Gott zuzuwenden. Der Mensch brauche also nur etwas göttliche Gnade, die seinen eigenen Bemühungen zu Hilfe kommen müsse. Anders gesagt: Der Mensch ist krank, aber nicht tot, er kann sich zwar nicht selbst helfen, kann aber die Hilfe eines Mediziners in Anspruch nehmen und die angebotene Hilfe annehmen oder ablehnen. Somit hat er die Macht der Kooperation, wenn denn Gottes Gnade ihm zu Hilfe kommt. Diese Sichtweise erhöht den Willen des Menschen auf Kosten der Souveränität Gottes. Sie fußt auf einigen scheinbaren (aber falsch interpretierten) Stützbelegen aus der Schrift und widerspricht ganz klar anderen Teilen der Heiligen Schrift. Die Geschichte zeigt klar: Der Arminianismus neigt zum Kompromiss; er verliert allmählich die evangelische Basis. [48] Bis heute existiert konsequenterweise kein logisch in sich geschlossenes Lehrmodell der arminianischen Theologie. Zwar hat die Methodistische Kirche ein kurzes, informatives Bekenntnis mit ca. 25 Artikeln; der Kontrast zwischen dieser Erklärung und dem sorgfältig ausgearbeiteten Westminster-Bekenntnis tritt jedoch klar zutage. 1. Das dritte Lehrgebäude, das die Errettung durch Christus darlegt, ist der Calvinismus. Der Calvinismus lehrt, dass aufgrund des Sündenfalles alle Menschen schuldig, verderbt und hoffnungslos verloren sind. Aus dieser gefallenen Menschheit erwählt der souveräne Gott einige Menschen, die er durch Christus erretten will, während er die anderen übergeht. Christus ist gesandt, Sein Volk zu erretten, und zwar mit einem rein stellvertretendem Opfer. Der Heilige Geist stiftet den Erwählten diese Errettung wirksam ein. Alle Erwählten gelangen sicher zur ewigen Errettung. [49] Diese Sicht allein deckt sich mit der Schrift und mit unserer Erfahrung. Der Calvinismus behauptet, der Fall des Menschen lasse den Menschen ohne jede Fähigkeit, etwas zu seinem Heil beizutragen; er ist vollkommen abhängig von der Gnade Gottes, die das Inkrafttreten und die Entwicklung des geistlichen Lebens bewirkt. Der Hauptfehler des Arminianismus ist, dass er Gottes Handeln bei der Errettung nicht genügend erkennt. Er liebt es, die Würde und Kraft des Menschen zu bewundern. Der Calvinismus dagegen verliert sich in der Anbetung der Gnade und Allmacht Gottes. Er unterwirft den Menschen zuerst einmal der übernatürlichen Macht. Der Arminianismus schmeichelt dem natürlichen Stolz; der Calvinismus ist ein Evangelium für schuldige Sünder. Das, was den Menschen aus seiner eigenen Sicht erhebt und seine Einbildungskraft kitzelt, ist dem natürlichen Herzen lieber als das, was ihn herabsetzt, und deshalb ist der Arminianismus heute wesentlich populärer. Doch der Calvinismus ist näher an den Tatsachen, so rau und unbegreiflich diese Fakten auch sein mögen. »Die heilende Medizin ist nicht immer die schmackhafteste schmackhafteste. Die Erfahrung des Apostels Johannes, dass das kleine Buch im Mund zwar süß schmeckt, im Bauch jedoch zwickt, kann jeden Tag gemacht werden. Der gekreuzigte Christus war den einen ein Stolperstein, den anderen Torheit; dennoch war und ist Er die Kraft Gottes gemäß Seiner Weisheit zum Heil allen, die an Ihn glauben.« [50] Die Menschen betrügen sich ständig; sie setzen ihre eigenen Gefühle und Meinungen als moralische Axiome voraus. Manchen ist es selbstverständlich, dass ein heiliger Gott Sünde nicht erlauben kann; daraus schließen sie: Gott existiert nicht. Anderen gilt es als ausgemacht, dass kein barmherziger Gott es zulassen könne, dass ein Teil seiner Geschöpfe Oper ihrer Sünden und ihres Elend bleiben müssen, daher leugnen sie die Lehre der ewigen Verdammnis. Wieder andere unterstellen: Die Unschuldigen können nicht gerechterweise aufgrund der Sünde eines anderen gerichtet werden, daher leugnen sie die stellvertretende Eigenschaft des Opfers Christi, das sie sonst in Anspruch zu nehmen hätten. Für wieder andere ist es ausgemachte Sache, dass die freien Handlungen freier Menschen nicht im Voraus feststehen können, daher leugnen sie die Vorherbestimmung oder sogar das Vorherwissen solcher menschlichen Akte. Wir sind jedoch nicht frei, ein System nach unserem Geschmack zu entwickeln. Daher sagt Dr. Charles Hodge, ein eifriger und kompromissloser Verfechter des Calvinismus: »Die Frage, welches dieser Systeme der Wahrheit entspricht wird nicht im Hinblick auf unsere Gefühle oder unser Verständnis beantwortet, sondern beruht einzig und allein auf den durchgängigen Lehren der Bibel und den erfahrungsmäßigen Tatsachen. ... Es ist die Pflicht jedes Theologen, seine Theorien der Bibel unterzuordnen und nicht zu lehren, was ihm selbst wahr oder vernünftig scheint, sondern genau das zu verkünden, was die Bibel lehrt.« An einer anderen Stelle sagt er: »Die Kontroverse käme an kein Ende, ließe man persönliche Überzeugungen einzelner Geister bestimmen, was wahr ist und was nicht und was die Bibel lehren darf und was nicht.« [51] Die Bibel legt weder die Lehren des Calvinismus noch die aller anderen christlichen Systeme systematisch und in umfassender Weise dar. Die Bibel ist kein Buch der systematischen Theologie, sondern der Steinbruch, aus dem der Tempel Stein für Stein aufgebaut werden muss. Anstatt uns eine formalisierte Aussage über ein theologisches System zu geben, bietet sie uns massenweise Rohmaterial an, das organisiert, systematisiert [52] und nach zusammengehörigen Relationen gegliedert werden muss. Wir finden zum Beispiel nirgends eine direkte Aussage der Lehre der Dreieinigkeit oder der Persönlichkeit des Heiligen Geistes oder auch der Inspiration der gesamten Heiligen Schrift. Die Bibel berichtet uns über den Ursprung der hebräischen Völker und des Christentums; die Lehraussagen werden mit wenig Rücksicht auf theologische Systeme verkündet. Die Fakten müssen erst in ein logisches System eingebunden und klassifiziert werden, aus dem dann die einzelnen Theologien entstehen können. Der Umstand, dass das Material der Bibel nicht theologisch gegliedert ist, stimmt genau mit der Vorgehensweise Gottes in anderen Bereichen überein: Er hat uns auch kein voll entwickeltes System der Biologie, Astronomie oder der Politik gegeben. Wir finden zuerst einfach Fakten in der Natur und in der Erfahrung, aus denen wir dann nach bestem Wissen Systeme erstellen. Da wir die Lehraussagen der Schrift nicht als fertiges theologisches System antreffen, ist auch die Gefahr falscher Interpretation größer. __________________________________________________________________ [46] Im deutschsprachigen Raum gibt es einige Mischformen; die Verlierbarkeit des Heils wird von vielen Evangelikalen bestritten. Ein reiner Arminianismus findet sich etwa bei den Siebenten-Tags-Adventisten und verschiedenen Heiligungsbewegungen (A. d. Ü.). [47] Ben A. Warburton, Calvinism, S. 11. [48] James Montgomery Boice und Philipp Graham Ryken haben in ihrem Buch "The Doctrines of Grace. Rediscovering the Evangelical Gospel" ausführlich gezeigt, dass der Arminianismus oft ein Zwischenschritt vom evangelischen Glauben zum Atheismus (!) darstellt. Das Buch ist im Betanien-Verlag unter dem Titel "Die Lehren der Gnade" erschienen ([1]http://www.betanien.de; A. d. Ü.). [49] Das ist kein blinder Dynamismus à la "Once Saved -- Ever Saved"; es ist keine statische, sondern eine dynamische Erlösung, wie John Piper in seinen ausgezeichneten Vorträgen über die calvinistischen Prinzipien darlegt ([2]http://www.desiringgod.org/Search/?search=TULIP&x=0&y=0; A. d. Ü.). [50] McFetridge, "Calvinism in History", S. 136. [51] Charles Hodge, "Systematic Theology", Bd. 2, S. 356, 559, 531. [52] Es ist mitunter dem aggressiven Antiintellektualismus zu verdanken, dass der Irrationalismus so großen Einfluss auf unsere gängige Theologie hat gewinnen können. Der durchschnittliche Christ streckt jeder Systematisierung abwehrend die Hände entgegen; er spricht vom "Herz" und nicht vom "Kopf" -- einer völlig unbiblischen Vorstellung übrigens, da die Bibel den Menschen als Einheit sieht und im Gegensatz zum Durchschnittschristen keine klinisch-psychologische Trichotomie (Verstand/Wille/Emotion) voraussetzt (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel VIII __________________________________________________________________ Die Heilige Schrift ist die Autorität, anhand deren theologische Lehrgebäude geprüft werden müssen Bei allen Streitfragen unter Christen zählt die Bibel als letzte Instanz. Sie ist sozusagen der »oberste Gerichtshof«. So war es von Anfang an. Wir glauben, dass sie ein harmonisches und hinlänglich ausreichendes Lehrsystem umfasst; jeder ihrer Teile korrespondiert mit allen anderen. Es ist unsere Pflicht, diese Zusammenhänge mittels sorgfältiger Untersuchungen hinsichtlich Bedeutung in den einzelnen Passagen aufzuzeigen. [53] Warburton sagt in Bezug auf diese Lehren: »Das Wort Gottes ist das große und letzte Gericht, vor das alle Streitfragen gebracht werden müssen und in dem sie geprüft werden müssen. Ob eine Lehre richtig oder falsch ist, erweist sich am Grad der Übereinstimmung mit den Aussagen der unfehlbaren und offenbarten Schrift, die uns Gott mit seinem inspirierten Wort gegeben hat. An diesem Kriterium muss der Calvinismus geprüft werden. An diesem Kriterium müssen auch Arminianismus und Pelagianismus geprüft werden. An diesem Kriterium -- und an ihm allein -- muss jede Art Glauben, sei er religiös oder wissenschaftlich, geprüft werden; wenn ein Lehrgebäude mit diesem geoffenbarten Wort nicht übereinstimmt, dann bedeutet es: es wohnt ihm kein Licht ein ... Wir glauben an die volle Verbalinspiration des Wortes Gottes. Wir behaupten, dass es in allen Fragen letzte Autorität ist und versichern, dass keine Lehre der Wahrheit entsprechen kann und auch nicht wesentlich ist, wenn sie nicht in Gottes Wort gefunden werden kann.« [54] Es ist offensichtlich: Die Wahrheit oder der Irrtum der Prädestinationslehre kann nur auf der Basis göttlicher Offenbarung geprüft werden. Keine einzelne Person, welche nur aufgrund eigener Beobachtung und Urteile handelt, kann die Basisprinzipien des Plans ergründen, den Gott verfolgt. Philosophische Mutmaßungen und abstrakte Vernünfteleien sollten in der Schwebe gehalten wer- den, bevor man nicht das genaue Zeugnis der Schrift vernommen hat. Wenn wir dieses Zeugnis nun in Betracht nehmen, so wollen wir uns auch demütig darunter beugen. Wir wünschten, es gäbe mehr Menschen mit der Einstellung jener Christen in Beröa, die täglich in der Schrift forschten, ob sich alles so verhält, wie man es an sie heranträgt. Am Ende jener Lehre, die ich in diesem Buch erläutere, habe ich viele Zitate aus der Schrift zum direkten und indirekten Beweis der Lehre angeführt. Diese Beweise können nicht einfach wegerklärt werden; sie wiegen in Ausmaß und Genauigkeit sehr schwer gegen jede andere Ansicht. Die Bibel entfaltet ein System des Heilswegs, der von Anfang bis zum Ende calvinistisch ist; diese Lehren werden mit einer unausweichlichen Klarheit vorgetragen, so dass sie alle die angehen, die die Bibel für das Wort Gottes halten. Diese Lehren werden in eindrucksvoller Manier dargelegt. Wenn uns jemand fragt, ob es Sterne am Himmel gibt? so antworten wir: Der Himmel ist voller Sterne! (Ps 8,4). Wenn uns jemand fragt, ob das Meer auch Fische birgt? so antworten wir: Das Meer ist voller Fische! (Ps 104,25.27). Wenn uns jemand fragt, ob es im Wald Bäume gibt? so antworten wir: Der Wald steht voller Bäume! In der gleichen Weise sollten wir auch die Frage nach der Prädestination beantworten: Die Bibel setzt sie auf jeder Seite voraus, vom ersten Mosebuch bis zur Offenbarung! Dass Lehren wie die der Dreieinigkeit, der Göttlichkeit Christi, der Persönlichkeit des Heiligen Geistes, der Sündhaftigkeit des Menschen oder der Realität zukünftiger Verdammnis der heiligen Schrift entnommen sind, wird auch von denen zugestanden, die nicht an diese Lehren glauben. Unter Rationalisten und in der so genannten "höheren Kritik" ist es ausgemachte Sache, dass die Apostel die evangelischen und calvinistischen Artikel gelehrt und geglaubt haben und dass die Aussagen keine andere Interpretation zulassen, wenn man die Regeln der Auslegung korrekt anwendet. Freilich -- der Autorität der Apostel sehen sie sich nicht unterworfen. Für sie ist der Glaube der Apostel an diese Lehren die irrige Idee eines kruden und unzivilisierten Zeitalters. Das entzieht jedoch ihrer Feststellung nicht den Wert, dass jene Passagen aus der Schrift, kritisch interpretiert, keinerlei andere Bedeutung haben können. Ich ziehe vor, die Rationalisten sagen zu lassen: Die Schriften lehren diese Lehren wohl, haben für uns jedoch keinerlei Autorität, als dass wir der Kraft der Argumente ausweichen und Akzeptanz heucheln müssten. Es wird zu zeigen sein, dass jene Stellen, die die Arminianer gegen unsere Auffassung anführen, ohne jeden Zwang und ohne jede Umdeutung erklärt werden können, es jedoch unmöglich ist, ohne unverantwortliche Verbiegungen und Anstrengungen ihre Lehren mit den Passagen in Einklang zu bringen, die ich anführe. Außerdem kann unser System nicht dadurch zum Einsturz gebracht werden, dass man Stellen anführt, die dazu im Widerspruch stehen, denn dies würde die Bibel sich widersprechen lassen. [55] Im Licht moderner wissenschaftlicher Auslegung ist man sich einig, dass die Einwände, die gegen die reformierte Theologie vorgebracht werden, eher emotionaler oder philosophischer als exegetischer Natur sind. Cunningham merkt an: »Unsere Gegner sind in der Lage, einigermaßen plausible Argumente vorzubringen, wenn es einzelne Schriftstellen oder eine bestimmte Art von Schriftstellen betrifft; sie lassen aber außer Acht oder drängen in den Hintergrund, was die Schrift als Ganze zu diesem Thema sagt. Wenn wir die Zusammenschau, das ganze Korpus der Schrift betrachten, das darauf ausgelegt ist, uns die Natur, die Ursachen und die Konsequenzen des Todes Christi bekannt zu machen, und wenn wir gerecht beurteilen, was sie uns lehren wollen, dann gibt es keinen guten Grund, an den allgemeinen Schlüssen zu zweifeln, die anzunehmen wir uns dann auch gezwungen fühlen sollten.« [56] Solange wir an dem reformierten Prinzip festhalten, dass die Schrift alleinige Autorität in Sachen Lehre hat, ist das calvinistische System das einzige, das angemessen über Gott, den Menschen und die Erlösung spricht. __________________________________________________________________ [53] Für die umfassendste Behandlung der Themen »Offenbarung« und »Inspiration« vgl. B. B. Warfield, "Revelation and Inspiration". [54] Warburton, "Calvinism", S. 21. [55] In der Tat werden für jene Stellen, die die Prädestination eindeutig postulieren, bemerkenswerte »Erklärungen« gefunden; bei den weniger bedarften Lesern der Schrift hilft man sich bei jenen Stellen mit dem »unausforschlichen Ratschluss« Gottes und »lässt diese Stellen lieber so stehen«. Dabei hat man sich eines amüsanten Eklektizismus bedient, ohne sich dessen gewahr geworden zu sein: All die Stellen nämlich, die das arminianische System zu stützen scheinen, werden großzügig erklärt, während jene wesentlich zahlreicheren Stellen, die von Vorherbestimmung und anderen spezifisch reformierten Gedanken reden, dem »unausforschlichen Ratschluss Gottes« überlassen werden (A. d. Ü.). [56] William Cunningham, "Historical Theology", Bd. 2, S. 298. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel IX __________________________________________________________________ Warnung vor ungebührlichen Spekulationen An diesem Punkt muss ich, was die vornehme Lehre der Prädestination betrifft, einige Worte gegen unzulässige Spekulationen und falsche Neugier hersetzen. Am besten zitiere ich dazu Calvin selbst: »Die Erörterung über die Vorbestimmung ist zwar an sich schon einigermaßen verzwickt; aber der Vorwitz der Menschen macht sie erst recht verwickelt und geradezu gefährlich. Er lässt sich durch keinerlei Riegel davon abbringen, sich auf verbotene Abwege zu verlaufen und über sich hinaus in die Höhe zu dringen; wenn es möglich ist, so lässt er Gott kein Geheimnis übrig, das er nicht durchforscht und durchwühlt. ... Zunächst sollen sie sich daran erinnern, dass sie mit ihrem Forschen nach der Vorbestimmung in die heiligen Geheimnisse der göttlichen Weisheit eindringen; wer nun hier ohne Scheu und vermessen einbricht, der erlangt nichts, womit er seinen Vorwitz befriedigen könnte, und er tritt in einen Irrgarten, aus dem er keinen Ausgang finden wird! ... Wir werden dann nämlich wissen, dass unser Lauf, sobald wir die Grenzen des Wortes überschreiten, vom Wege abführt und in der Finsternis verläuft und dass wir da notwendig in die Irre gehen, fallen und immer wieder anstoßen müssen! Deshalb wollen wir uns zuerst vor Augen halten: Eine andere Erkenntnis der Vorbestimmung zu erstreben als die, welche uns im Worte Gottes entfaltet wird, das ist ebenso wahnwitzig, wie wenn einer weglos schreiten oder im Finstern sehen wollte. Auch sollen wir uns nicht schämen, in einer solchen Sache etwas nicht zu wissen, in der es eine wohlgelehrte Unwissenheit (docta ignorantia) gibt!« [57] Wir sind nicht aufgefordert, diese Wahrheiten zu »erklären«; wir sind nur aufgefordert, das zu lehren, was Gott in seinem Wort sagt und diese Aussagen gegen Missverständnisse und Einwände zu verteidigen. Es liegt in der Natur dieser Sache, dass alles, was wir über diese Wahrheiten wissen können, vom Geist Gottes genau für die Offenbarung zugeschnitten ist, und wir vertrauen darauf, dass alles, was Gott offenbart hat, unzweifelhaft wahr ist und geglaubt werden muss, obgleich wir vieles mit unserem Verstand nicht zu durchdringen vermögen. Wir kennen die inneren Zusammenhänge seines Plans nicht und dürfen es also nicht wagen, Ihm zu raten. »Deine Gerichte sind wie die große Flut«, sagt der Psalmist (Ps 36,6). Genauso gut könnte sich jemand anschicken, den Ozean zu durchschwimmen, als Gottes Beschlüsse auszuloten. Der Mensch weiß viel zu wenig, um sich bei dem Versuch rechtfertigen zu können, die Geheimnisse der Herrschaft Gottes zu ergründen. Die Wichtigkeit dieses Themas sollte uns mit äußerster Vorsicht und Ehrfurcht leiten, wenn wir fortfahren, darüber zu sprechen. Während Geheimnisse sehr sorgfältig behandelt werden müssen und anmaßende und ungebührliche Spekulationen vermieden werden müssen, aber dennoch das Evangelium in seiner Reinheit und Gänze verkündigen wollen, so müssen wir sorgsam darauf achten, dass wir den Gläubigen nichts davon vorenthalten, was die Schrift über die Vorherbestimmung sagt. Dass einige dieser Wahrheiten von den Ungläubigen verdreht und missbraucht werden, steht zu erwarten. Für den unerleuchteten Verstand spielt es keine Rolle, wie klar die Prädestinationslehre in der Schrift dargelegt ist: er findet diese Lehre absurd. Dass Gott in drei Personen existiert, die gesamte Geschichte im Voraus kennt oder einen ewigen Plan für jede Person hat, gilt ihm als Torheit. Wenn wir über die Prädestination nur das wissen können, was Gott uns zu erklären für gut geachtet hat, ist es auch wichtig, genau so viel zu wissen, denn sonst wäre es nicht offenbart worden. Wohin die Schrift uns führt, dorthin können wir getrost folgen. __________________________________________________________________ [57] Johannes Calvin, Unterricht in der Christlichen Religion; 3.21.1; Übers.: Otto Weber, S. 61. __________________________________________________________________ Die "fünf Punkte" des Calvinismus Das calvinistische Lehrgebäude betont speziell fünf verschiedene Lehren. Technisch sind sie unter dem Namen »Die fünf Punkte des Calvinismus« bekannt; auf diesen Hauptpfeilern ruht das ganze Gebäude. In diesem Abschnitt werde ich alle fünf Punkte erklären, die Basis der Schrift angeben und die Argumente anführen, die sie stützen Danach beschäftigen wir uns mit den gängigsten Einwänden. Ich werde zeigen, dass die Bibel eine Fülle an Material enthält, aus dem jede dieser Lehren entwickelt werden kann. Diese Lehren sind weder isoliert noch unabhängig, sondern so ineinander verwoben, dass sie ein einfaches, harmonisches, in sich logisches Gedankengebäude darstellen. Die Art und Weise, wie sie als Teile des wohlgeordneten Ganzen zueinander passen, hat die Bewunderung denkender Menschen aller Glaubensrichtung errungen. [58] Ist eine dieser Lehren bewiesen, folgen alle anderen logisch und notwendig als Teile des ganzen Systems. Wird eine dieser Lehren erfolgreich widerlegt, muss das ganze System abgelehnt werden. Sie sind passgenau ineinander gefügt und passen perfekt zueinander. Sie sind wie Glieder in der großen Kette der Ursachen; kein einziges Glied kann weggelassen werden, ohne die frohe Botschaft des Heilsplans Christi zu ruinieren und zu zerrütten! Wir können nicht annehmen, dass das nur zufällig so ist oder auch nur möglich ist, wenn diese Lehren nicht wahr wären. Wir müssen im Auge behalten, dass in diesem Buch nicht diskutiert wird, was in der evangelischen Christenheit außer Frage steht, sondern das, was dem calvinistischen System eigentümlich ist. Wenn man das vergisst, wird vieles von der Kraft und der Schönheit des typischen Calvinismus verlorengehen und die so genannten »Fünf Punkte des Calvinismus« -- die übrigens historisch und real gesehen das Gegenstück zu den so genannten »Fünf Punkten des Arminianismus« ausmachen -- würden einen ungebührlichen Platz im System einnehmen. Der Leser sei also davor gewarnt, die Fünf Punkte zu sehr mit dem Calvinismus zu identifizieren. Zwar: es sind wesentliche Elemente, doch enthält das Lehrgebäude wesentlich mehr. Wie in der Einleitung erwähnt, stellt das Westminster-Bekenntnis ein ausgewogenes Beispiel des reformierten Glaubens oder Calvinismus dar; es stellt überdies alle christliche Lehren in ihrer angemessenen Bedeutung dar. Die Fünf Punkte kann man sich leicht mit dem Wort T-U-L-I-P merken: T -- Total Inability; U -- Unconditional Election; L -- Limited Atonement; I -- Irresistible [efficacious] Grace und P -- Perseverance of the Saints. [59] __________________________________________________________________ [58] Dr. mult. Thomas Schirrmacher schreibt in seiner Einleitung zum Westminster-Bekenntnis von 1647: »Philipp Schaff, der die Theologie des Westminster-Bekenntnisses persönlich ablehnte, schrieb in seiner bedeutenden und monumentalen Geschichte und Textausgabe der protestantischen Bekenntnisse dennoch: >Die Lehren des Bekenntnisses werden mit ungewöhnlicher Sorgfalt, logischer Präzision, Klarheit, Vorsicht, Umsicht und mit einem Auge auf alle verschiedenen Aspekte und möglichen Verbindungen formuliert.<« [Philipp Schaff. The Historical Creeds. Bd. 3, S 788] (A. d. Ü.). [59] 1) völlige Verderbtheit (gemeint ist, dass der Mensch aufgrund seiner auf den Sündenfall zurückgehenden Verderbtheit sich nie von sich aus Gott zuwenden würde); 2) bedingungslose Erwählung; 3) begrenzte Sühne (Jesus starb nicht für alle Menschen ohne Unterschied, sondern nur für sein Volk); 4) unwiderstehliche (besser: vollwirksame) Gnade; 5) Beharren der Heiligen (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel X __________________________________________________________________ Völlige Unfähigkeit (Verderbtheit) __________________________________________________________________ 1) Die völlige Verderbtheit (oder Unfähigkeit) Im Westminster-Bekenntnis wird die Lehre der völligen Unfähigkeit folgendermaßen formuliert: »Der Mensch hat durch seinen Fall in den Stand der Sünde alle Fähigkeit des Willens [60] zu irgend etwas geistlich Gutem, das mit dem Heil zusammenhängt, völlig verloren, so dass er als natürlicher Mensch, weil er von diesem Guten ganz und gar abgewandt und in Sünden tot ist, nicht in der Lage ist, sich durch seine eigene Kraft zu bekehren oder sich darauf vorzubereiten.« [61] Paulus, Augustinus und Calvin beginnen mit der Tatsache, dass in Adam alle Menschen gesündigt haben und dass alle Menschen »ohne Entschuldigung« sind (Röm 2,1). Wieder und wieder erklärt uns Paulus, dass wir tot sind in Sünden und Übertretungen, von Gott entfremdet und hilflos. Im Epheserbrief fordert er die Christen auf, sich zu erinnern, dass sie (ihr) »in jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen von der Bürgerschaft Israels und fremd den Bündnissen der Verheißung; und ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt« (Eph 2,12). Beachten wir die fünffache Betonung, während er Ausdruck für Ausdruck aufeinander schichtet, um diese Wahrheit zu bekräftigen! __________________________________________________________________ [60] Diese »Unfähigkeit des Willens« bezeichnet der Calvinismus als das Fehlen des »freien Willens«, also der Fähigkeit, die Absicht des Willens zu steuern. Ich kann zwar tun, was ich will (ich unterliege keinem Zwang von außen), kann aber meinen Willen nicht dazu bestimmen, das Gute (im Sinne Gottes) zu wollen, denn ich bin als gefallener Mensch ist ein Sklave der Sünde und daher nicht in der Lage, von mir aus zu wollen, was das Gesetz fordert (= das Gute, das vor Gott gilt). Insofern ist der Wille Sklave der Sünde und damit nicht frei oder besser gesagt neutral (A. d. Ü.). [61] WB, Art. 9.3. __________________________________________________________________ 2) Ausmaß und Wirksamkeit des Sündenfalles Die Lehre von der völligen Unfähigkeit (sie besagt, dass die Menschen in ihren Sünden tot sind) besagt keineswegs, dass alle Menschen gleich schlecht sind oder dass jeder Mensch so schlecht sei, wie er es sein könnte, noch auch dass jemandem die Tugend völlig fehle oder dass die menschliche Natur in sich schlecht sei. Auch besagt sie nicht, dass der menschliche Geist nicht arbeite und noch weniger, dass der Körper tot sei. Was sie dagegen sagt, ist dies: Seit dem Sündenfall befindet sich der Mensch unter dem Fluch der Sünde; er wird von falschen Prinzipien gelenkt und ist völlig unfähig, Gott zu lieben oder irgendetwas zu seiner eigenen Errettung beizutragen. Seine Verderbtheit ist extensiv, nicht notwendigerweise intensiv. In diesem Sinne ist der Mensch völlig untauglich, unfähig, dem Guten total abgewandt und vollkommen zu allem Bösen geneigt. Er besitzt die feststehende Neigung, gegen Gottes Willen zu handeln und entscheidet sich instinktiv und willentlich zum Bösen. Durch seine Geburt schon entfremdet, wählt er die Sünde. Diese Unfähigkeit ist keine Unfähigkeit, sich überhaupt willentlich zu entscheiden; es ist die Unfähigkeit, sich willentlich für das Heilige zu entscheiden. Dieser Zustand brachte Luther dazu, zu sagen: »Nachdem nämlich zugestanden und begriffen ist, dass der freie Wille, nachdem er die Freiheit verloren hat, unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen worden ist und gar nichts Gutes wollen könne, so kann ich aus diesen Worten nichts anderes entnehmen, als dass der freie Wille ein leeres Wörtchen ist, dessen Inhalt verloren ist.« [62] Dies bedeutet für die Erlösung, dass der natürliche, unbekehrte Mensch nicht zwischen Gut und Böse wählen kann, sondern nur zwischen verschiedenen Graden des Bösen; dies aber ist mit »Willensfreiheit« nicht richtig ausgedrückt. Die Tatsache, dass der gefallene Mensch immer in gewissem Sinne moralisch handeln kann, beweist nicht, dass er irgend etwas zu seiner Errettung beitragen kann, denn seine Motive können völlig falsch sein. Der Mensch handelt zwar frei, kann aber nicht aus sich selbst aus Gott lieben. Sein Wille ist frei in dem Sinne, dass er nicht gezwungen wird. Genau wie der Vogel mit gebrochenem Flügel »frei« ist zu fliegen, es aber nicht kann, so ist der natürliche Mensch »frei«, zu Gott zu kommen, kann es aber nicht. Wie kann er auch seine Sünden bereuen, die er doch liebt? Wie kann er zu Gott kommen, den er doch hasst? Es ist die Unfähigkeit des Willens, mit welchem der Mensch handelt. Jesus hat gesagt: »Darin aber besteht das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse« (Joh 3,19). An einer anderen Stelle sagt er: »Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu empfangen« (Joh 5,40). Des Menschen Ruin liegt hauptsächlich in der Perversion seines Willens. Er kann nicht kommen, weil er nicht kommen will. Es wäre genug Hilfe da, wenn der Wille sie nur annehmen könnte. Paulus sagt: » ... das Trachten des Fleisches ... ist Feindschaft gegen Gott; denn es ist dem Gesetz Gottes nicht untertan und kann es auch nicht« (Röm 8,7). Anzunehmen, dass der Mensch Gott lieben könne, weil er überhaupt lieben kann, ist genauso klug wie anzunehmen, dass das Wasser, weil es fließen kann, auch bergauf fließen kann oder dass ein Mensch, weil er in einen Abgrund stürzen kann, auch wieder hinaufstürzen könne. Der gefallene Mensch sieht nichts Begehrenswertes in dem Einen, der über alles liebenswert ist, dem »Schönsten unter Zehntausenden«. Er kann Jesus wohl als Person bewundern, aber Gott will er ihn nicht sein lassen; er widersteht dem Einfluss des Heiligen Geistes mit all seiner Kraft. Sein natürliches Element ist nicht die Gerechtigkeit, sondern die Sünde -- daher hat er kein Bedürfnis nach Erlösung. Die gefallene Natur des Menschen gibt Anlass zur verstocktesten Blindheit, Unvernunft und Ablehnung all dessen, was Gott betrifft. Sein Wille wird von einer verdunkelten Vernunft gelenkt, die Süßes »bitter« nennt und Bitteres »süß«, die Böses »gut« und Gutes »böse« nennt. Soweit es ihre Beziehung zu Gott betrifft, will diese Vernunft ausschließlich das Böse, und das ganz freiwillig. Ungezwungenheit und Versklavung koexistieren auf diese Weise, mit anderen Worten: Der gefallene Mensch ist moralisch dermaßen blind, dass er konstant das Böse dem Guten vorzieht, genau so wie die gefallenen Engel oder Dämonen. Wenn der Christ einst völlig geheiligt sein wird, wird er den heiligen Engeln gleich immer das Gute wählen und tun. Beide Zustände stimmen mit der Idee der Freiheit und der moralischen Verantwortung überein. Doch während der gefallene Mensch dermaßen handelt, wird er doch niemals zur Sünde gezwungen, sondern er tut sie willig und freut sich an ihr. Seine Veranlagung und seine Wünsche neigen zum Bösen; er handelt wissentlich und willentlich völlig ungezwungen, eben seinen Gedanken entsprechend. Diese natürliche Neigung oder der Appetit auf das Böse ist das charakteristische Merkmal seiner gefallenen und zerrütteten Natur, so dass, wie Hiob sagt, er »Unrecht säuft wie Wasser« (Hiob 15, 6). Wir lesen, dass »der natürliche Mensch nicht annimmt, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss« (1 Kor 2,14). Ich kann nicht verstehen, wie jemand den klaren Sinn dieser Stelle erfassen kann und immer noch behaupten kann, der Mensch könne sich von sich aus Gott zuwenden! Der Mensch kann in seinem natürlichen Zustand Gottes Reich nicht einmal sehen -- um wie viel weniger kann er dann erst hineingehen? Ein unkultivierter Mensch mag ein wunderschönes Kunststück betrachten, aber es fehlt ihm jeglicher Sinn, seine Vortrefflichkeit angemessen zu schätzen. Er kann die Figuren einer komplexen, mathematischen Gleichung betrachten, aber sie bedeuten ihm nichts. Pferde und Kühe sehen den gleichen, wunderschönen Sonnenuntergang oder auch andere Phänomene in der Natur, dem Zauber dieser Phänomene gegenüber jedoch bleiben sie blind. So ist es auch mit der frohen Botschaft des Kreuzes, wenn sie dem Nichtwiedergeborenen entgegengebracht wird: Er kann sie wohl intellektuell verstehen, kann von den Tatsachen und Lehren der Bibel wissen, aber er kann sie nicht geistlich einschätzen oder ihre Vortrefflichkeit erkennen; die Botschaft erfreut ihn nicht. Derselbe Christus ist dem einen ohne Anmut und Form -- weshalb sollte er ihn da begehren? Für den andern ist er der Fürst des Lebens und der Retter der Welt, der Mensch gewordene Gott; ihm ist es unmöglich, ihn nicht anzubeten, nicht zu lieben und ihm nicht zu gehorchen. Diese umfassende Unfähigkeit gründet allerdings nicht nur in der verkehrten moralischen Natur, sondern auch in Unwissenheit. Paulus schrieb, dass die Heiden »leben in der Nichtigkeit ihres Sinnes, deren Verstand verfinstert ist und die entfremdet sind dem Leben Gottes, wegen der Unwissenheit, die in ihnen ist, wegen der Verhärtung ihres Herzens« (Eph 4, 7f.). An einer anderen Stelle sagt er: »Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verlorengehen, uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Gotteskraft« (1 Kor 1,18). Als er sagte: »Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört und keinem Menschen ins Herz gekommen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben«, dachte er nicht (wie manchmal angenommen wird) an die Herrlichkeiten des Himmels, sondern an die geistlichen Wirklichkeiten dieses Lebens, welches von Nichtwiedergeborenen nicht gesehen werden kann, wie der folgende Vers erklärt: »Uns aber hat es Gott geoffenbart durch seinen Geist« (1 Kor 2,9.10). Jesus sagt: »Niemand erkennt den Sohn als nur der Vater; und niemand erkennt den Vater als nur der Sohn und der, welchem der Sohn es offenbaren will« (Mt 11,27). Hier wird uns klar gesagt, dass der Mensch in seiner alten, unerleuchteten Natur Gott in keinem Sinn des Wortes kennt und dass der Sohn souverän wählt, wem er die rettende Kenntnis Gottes anvertraut. Dem gefallenen Menschen fehlt die geistliche Unterscheidungsfähigkeit. Sein Verstand ist blind, sein Geschmack und seine Gefühle sind verdreht. Da dieser Zustand seines Geistes seiner Natur angeboren ist, liegt es außerhalb jeglicher Willenskraft, ihn zu ändern. Vielmehr beherrscht dieser Zustand des Geistes die Affekte und Willensakte. Die Auswirkung der Wiedergeburt wird im Zusammenhang mit dem göttlichen Auftrag sichtbar, den Paulus bei seiner Bekehrung erhielt, als ihm gesagt wurde, dass er zu den Heiden gesandt werde, »um ihnen die Augen zu öffnen, damit sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht und von der Herrschaft des Satans zu Gott« (Apg 26,18). Jesus lehrte dieselbe Wahrheit in anderer Gestalt, als er zu den Pharisäern sagte: »Warum versteht ihr meine Rede nicht? Weil ihr mein Wort nicht hören könnt. Ihr habt den Teufel zum Vater, und was euer Vater begehrt, wollt ihr tun« (Joh 8,43f). Sie konnten nicht verstehen, ja sein Wort nicht einmal in einer verständlichen Art hören. Für sie waren seine Worte nichts als Torheiten und Verrücktheiten; sie klagten ihn dämonischer Besessenheit an (V. 48.52). Nur seine Jünger kannten die Wahrheit (V. 31.32); die Pharisäer waren Kinder des Teufels (V. 42.44) und Sklaven der Sünde (V. 34), obgleich sie sich selber davon frei glaubten (V. 33). Ein andermal lehrte Jesus, dass kein guter Baum schlechte Früchte trägt noch ein schlechter Baum gute. Da dieses Gleichnis gute und böse Menschen veranschaulicht, was kann es da anderes meinen, als dass die einen von bestimmten Basisprinzipien geleitet werden, während die anderen von ganz anderen Prinzipien geleitet werden? Die Früchte dieser beiden Baumarten sind Taten, Worte, Gedanken, die, wenn sie gut sind, aus einer guten Natur stammen, und böse, wenn sie einer bösen Natur entstammen. Es kann nicht sein, dass eine Wurzel Früchte verschiedener Art hervorbringt. Daher leugnen wir die Existenz einer Kraft im Menschen, die beides bewirkt; aus logischen Gründen können nicht Tugend und Laster aus ein- und derselben moralischen Verfassung des Menschen hervorgehen. Wir behaupten dagegen, dass alle Handlungen gegenüber Gott entweder einer moralischen Verfassung entstammen, die notwendigerweise gute Taten hervorbringen muss, oder aber einer moralischen Verfassung, die notwendigerweise böse Handlungen zeitigen muss. »Im Epheserbrief erklärt Paulus, dass vor der Erleuchtung durch den Heiligen Geist jede einzelne Seele in ihren Sünden und Übertretungen tot ist. Es wird sicherlich zugegeben werden, dass tot zu sein, tot in Sünden, einen klaren und positiven Beweis für die völlig mangelnde Befähigung oder Kraft zu geistlichen Handlungen darstellt. Man wird zugeben: Ein Toter kann nicht handeln; es fehlt ihm jede Möglichkeit dazu. Eine Leiche kann in keiner Weise handeln, alle Lebensgeister, die es gekonnt hätten, sind ja von ihm gewichen. Ein geistlich Toter kann demzufolge offensichtlich auch keinerlei geistlichen Handlungen vollbringen. Daher ruht die Lehre von der moralischen Unfähigkeit ganz und gar auf den Belegen der Schrift.« [63] »Nach dem Prinzip, nach dem nichts Reines von Unreinem kommen kann (Hiob 14,4), werden alle, die von der Frau geboren werden, 'abscheulich und verderbt genannt; sie werden ihrer Natur nach nur von der Ungerechtigkeit angezogen (Hiob 15,14--16). Demzufolge muss der Mensch nicht erst noch warten, bis er das Alter erreicht hat, in welchem er sündfähig wird. Vielmehr ist er ein Gefallener von Mutterleib an und befindet sich von Geburt an auf dem Wege in die Verlorenheit (Ps 58,4); er ist sogar gemacht in dieser Ungerechtigkeit, und in Sünden empfangen (Ps 51,7). Das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an (1 Mo 8,21), und aus dem Herzen geht das Leben aus (Sprüche 4,23; 20,11). Die sündigen Handlungen sind daher nichts anderes als der Ausdruck unserer Natur, die überaus trügerisch und boshaft ist (Jer 17,9).« [64] Hesekiel malt dieselbe Wahrheit in anderen Farben: Er zeichnet uns das Bild eines hilflosen Kindes, das blutig und zum Sterben zurückgelassen ist, das aber der Herr fand und gnädig umsorgte (Kap. 16). Diese Lehre von der Erbsünde setzt voraus, dass alle gefallen Menschen denselben Grad an Freiheit haben wie der Teufel und die Dämonen, was ihre sündigen Taten unter dem Einfluss ihrer verderbten Natur angeht; die Heiligen in Herrlichkeit und die heiligen Engel handeln ihrerseits ebenfalls genau gemäß ihrer Natur. Alles in allem handelt jeder gemäß seiner Natur. So wie die Heiligen und die Engel in ihrer Heiligkeit bestätigt werden -- was bedeutet, ihre Natur lässt sie der Gerechtigkeit zu-, der Sünde dagegen abgeneigt sein --, genauso ist die Natur des gefallenen Menschen und der Dämonen: Sie können nicht eine einzige Handlung vollbringen, die dem Willen Gottes entspricht. Daher entsteht die Notwendigkeit, dass Gott souverän die Natur eines Menschen ändert, wenn er ihn zu neuem Leben wiedergebiert. Die alttestamentliche Zeremonie der Beschneidung neugeborener Jungen und das Reinigungszeremonial der Mutter sind verordnet worden, um zu lehren: Der Mensch kommt in Sünden zur Welt; seit dem Sündenfall ist die menschliche Natur von Anfang an verderbt. Paulus bekräftigt diese Wahrheit in 2 Kor 4,3f: »Wenn aber unser Evangelium verhüllt ist, so ist es bei denen verhüllt, die verlorengehen; bei den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt [gemeint ist der Teufel] die Sinne verblendet hat, so dass ihnen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit des Christus nicht aufleuchtet, welcher Gottes Ebenbild ist.« Mit einem Wort: Gefallene Menschen befinden sich komplett unter der Herrschaft Satans, wenn der Geist Gottes nicht interveniert. Sie werden gefangen geführt nach seinem Willen (2 Tim 2,26). So lange, bis der »starke Mann in seiner Rüstung« nicht von jenem angegriffen wird, der »stärker ist als er«, hält er sein eigenes Reich aufrecht und seine Gefangenen unter seinem Willen. Aber der »Stärkere« hat ihn schon besiegt, hat ihm seine Waffen entrissen und einen Teil seiner Gefangenen befreit (Luk. 11, 21f.). Gott übt sein Recht aus, zu befreien, wen immer er will; alle wiedergeborenen Christen sind erlöste Sünder aus jenem Königreich. Die Heilige Schrift erklärt, dass der gefallene Mensch ein Gefangener ist, ein williger Sklave der Sünde und damit vollkommen unfähig, sich aus dieser Gefangenschaft und Verderbtheit zu befreien. Er kann nicht verstehen, und noch weniger tun, was Gott gefällt. Das ist, was wir »Freiheit zur Sklaverei« nennen können -- ein Zustand, in dem der Sklave frei ist, alles zu tun, was sein Herr will, und das ist in diesem Fall die Sünde. Genau diesen Zustand hat Jesus gemeint, als er sagte: »Jeder, der die Sünde tut, ist der Sklave der Sünde« (Joh 8, 34). Die menschliche Verderbtheit hat keinerlei Möglichkeit, sich selbst zu erlösen. Des Menschen einzige Hoffnung auf Änderung des Lebens liegt in einer Änderung seines Wesens, die aber nur die souveräne und erneuernde Macht des Heiligen Geistes zuwege bringen kann, und der tut das genau dann, wann es ihm gefällt. Jemanden bessern zu wollen, ohne erst sein Wesen geändert zu haben, ist, wie wenn man das Wasser aus einem Schiff pumpt, ohne das Leck zu stopfen. Genauso wenig könnte ein Äthiopier seine Hautfarbe ändern, der Leopard seine Sprenkel, und jemand, der an die Sünde gewöhnt ist, plötzlich Gutes tun. Die Veränderung von »geistlich tot« zu »geistlichem Leben« nennen wir Wiedergeburt. In der Bibel tritt dieses Phänomen unter verschiedenen Namen auf: »Wiedergeburt«, »aufwecken«, »von der Dunkelheit ins Licht«, »Belebung«, »Erneuerung«, die Wegnahme des steinernen Herzens zugunsten eines Herzens aus Fleisch etc. -- All dies kann nur der Heilige Geist bewirken. Das Ergebnis dieser Veränderung ist, dass der Mensch die Wahrheit erkennt und sie glücklich annimmt. Seine innersten Instinkte und Antriebe sind auf die Seite des Gesetzes verlegt, und dass er diese nun befolgen will, ist ungezwungener Ausdruck seiner neuen Natur. Eph 1,18--20 zeigt, dass die Kraft, mit dem ein Mensch wiedergeboren wird, dieselbe ist, die Gott ausgeübt hat, als er Christus von den Toten aufgeweckt hatte. Der Mensch hat nicht die Macht, sich selbst zu erneuern; bevor diese gravierende Änderung in seinem eigenen Leben nicht stattgefunden hat, kann er nicht von der Wahrheit des Evangeliums überzeugt sein, so sehr er auch Bekehrte über dieses Wunder reden hört. »Wenn sie Mose und die Propheten nicht hören, dann werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Toten zurückkehrt.« __________________________________________________________________ [62] Martin Luther, De servo arbitrio ("Vom unfreien Willen"). [3]http://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Martin_Luther_unfreier_Wille n.htm. [63] Ben A. Warburton, Calvinism, S. 48. [64] B. B. Warfield, Biblical Doctrines, S. 440. __________________________________________________________________ 3) Die Schäden der allgemeinen Moral Der nicht wiedergeborene Mensch liebt seine Familie und kann ein guter Bürger sein. Er kann Millionen an ein Krankenhaus überweisen, aber einem Jünger, der im Auftrag Jesu handelt, kann er [aus dem Grund, weil er im Auftrag Jesu handelt] kein Glas Wasser reichen. Ein Trinker kann aus gesundheitlichen Gründen aufhören zu trinken, aus Liebe zu Gott jedoch kann er es nicht. All seine guten Taten oder Tugenden kranken daran, dass sie nicht aus dem richtigen Beweggrund geschehen -- eben Gott zu verherrlichen. Dieser Schaden ist so umfassend, dass er das, was da noch an Gutem bleibt, im Schatten stehen lässt. Es ist egal, wie gut all diese Dinge vor uns selbst dastehen: solange wir sie nicht aus der Harmonie mit Gott heraus tun, sind sie geistlich nicht annehmbar. Darüber hinaus haben jene guten Werke der Ungläubigen keine stabile Grundlage, denn die Natur des Ungläubigen bleibt unverändert; ganz natürlicherweise wälzt sich die Sau nach der Schwemme wieder im Dreck, und so wird auch der Ungläubige früher oder später zu seinem unheiligen Lebenswandel zurückkehren. Das Wesen der Moral lässt die Werke aus ihr hervorgehen, nicht umgekehrt. Jemand kann Engels- und allerlei Menschensprachen beherrschen; wenn er das innerliche Prinzip der Gottesliebe nicht kennt, ist er wie ein klingendes Stück Metall, eine Zimbel, die irgendwer geschlagen hat. Er kann alle seine Habe den Armen geben oder seinen Körper verbrennen lassen -- es bringt ihm ohne die Liebe Gottes alles gar nichts. Als Menschen wissen wir genau: Wenn uns einer unserer Feinde aus selbstsüchtigen Motiven heraus etwas Gutes tut, bekommt er unsere Liebe und Anerkennung nicht. Die Aussage der Schrift: »Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen« findet seine korrekte Anwendung darin, dass der Glaube erst die Grundlage aller anderen Tugenden ist; kommen sie nicht aus dieser Quelle, sind sie für Gott nicht annehmbar. Jede gute Tat wird an der Norm, Gott zu lieben, gemessen. Diese Liebe gegenüber Gott ist die Seele aller anderen Tugenden und wird uns ausschließlich aus Gnaden zuteil. Augustinus leugnete nicht etwa die natürlichen Tugenden wie Besonnenheit, Redlichkeit, Edelmut, die die Menschen durchaus achten und als Verdienst werten. Doch da ist ein großer Unterschied: Hier muss eine Linie gezogen werden zwischen menschlicher Tugend und den speziellen christlichen Gnaden (Glaube, Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott usf.). Letztere allein sind »gut« im strikten Sinn des Wortes, und ihnen allein auch schreibt Gott Wert zu. Der Unterschied kann anhand eines sehr guten Beispiels gezeigt werden. Es stammt von W. D. Smith. Er sagt: »Unter Piraten findet man viele Dinge, die an sich gut sind. Obgleich sie sich gegen die Gesetze der Regierung verschworen haben, haben sie ihre eigenen Gesetze und Regeln, die sie strikt einhalten. Unter ihnen finden sich Mut und Treue zusammen mit vielen anderen Dingen, die sie als Piraten auszeichnen. Sie mögen immer noch gewisse Gesetze der Regierung einhalten, aber das tun sie nicht deshalb, weil sie diese Gesetze als Gesetze der Regierung achten, sondern weil sie mit ihren eigenen Gesetzen zufällig übereinstimmen. Gebietet die Regierung, ehrlich zu sein, so können sie das sehr wohl auch untereinander. Sie teilen sich den Raub auf ehrliche Weise. Was aber die Regierung selbst anlangt und alle ihre Gesetze, so bleibt ihr ganzes Leben eine Unehrlichkeit. Nun ist es klar: Solange sie dieses Leben leben, können sie nicht erwarten, dass sie sich damit der Regierung als Bürger empfehlen können. Zuerst müssten sie ihre Rebellion aufgeben und der Regierung Loyalität schwören und um Gnade bitten. Auf diese Weise sind alle Menschen in ihrem natürlichen Zustand Gottes Rebellen, und Obgleich sie hie und da Gottes Gesetz entsprechen und sehr menschlich handeln, geschieht all das nicht aus den richtigen Motiven; sie handeln Gott und seinen Gesetzen nicht konform. Stattdessen haben sie ihre eigenen Gesetze aufgestellt, die ihnen das Höchste sind: Gesellschaft, die Achtung der Öffentlichkeit, Eigeninteresse, ihr Image oder andere weltlich-böse Motive. Von diesen Gesetzen werden sie regiert und beherrscht; Gott, dem sie eigentlich gehörten, haben sie vergessen, und wenn man gelegentlich seiner gedenkt, werden doch seine Ansprüche zurückgewiesen und sein Rat verschmäht; der Mensch lehnt den Gehorsam gegen Gott von ganzem Herzen ab.« Es sollte klar geworden sein: Der Mensch, der in diesem Zustand bleibt, rebelliert gegen Gott und kann nichts tun, was ihn für Gott annehmbar machen könnte. Der erste Schritt wäre, seine Rebellion aufzugeben, seine Sünden zu bereuen, sich Gott zuzuwenden und um Vergebung und Versöhnung durch den Erlöser zu bitten. Doch genau das will er ja nicht, solange er nicht erst willig gemacht wird. Er liebt seine Sünden und will sie weiterhin ausüben, so lange, bis er ein neues Herz bekommt. Smith fährt fort: »Die guten Taten Ungläubiger sind nicht sündig in sich selbst, sondern sie sind sündig, weil etwas daran fehlt. Es fehlt ihnen das Grundprinzip, das sie vor Gott als gut rechtfertigt. Am Beispiel der Piraten sieht man ja: Alles, was sie tun, ist gesetzeswidrig. Als Piraten sind ihre Seglereien, Ausbesserungsarbeiten, ihre Schiffsarbeiten und sogar ihre Mahlzeiten und Trinkgelage vor der Regierung nichts als Rebellion, denn alles, was sie damit tun, tun sie, damit sie weiterhin Piraterie betreiben können. All diese Dinge sind immer nur Teil ihrer Rebellion. Genauso verhält es sich mit den Sündern. Solange ihr Wesen nicht stimmt, ist in Gottes Augen alles beeinträchtigt, was sie tun, selbst die einfachsten täglichen Verrichtungen, denn die klare und unmissverständliche Stimme Gottes sagt: >Stolze Augen und aufgeblasene Herzen, das ist die Leuchte der Gottlosen -- doch es ist Sünde<« (Spr 21,4). [65] Unfähigkeit ist's, was die Schrift meint, wenn sie sagt: »Denn die im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen« (Röm 8,8). »Alles, was nicht aus Glauben geschieht, ist Sünde« (Röm 14,34). »Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen« (Heb. 11,6). Sogar die guten Taten der Ungläubigen sind also ausgerissene und verblühende Blumen. Deswegen hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt: »Wenn eure Gerechtigkeit nicht besser ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr keineswegs ins Himmelreich kommen.« Da aber die Tugenden der Ungläubigen gerade jener Natur sind, sind sie nur vorübergehend. Wer sie besitzt, gleicht jenem, bei dem der Samen auf das Steinige fällt und zwar sehr schnell aufgeht, aber dann verwelkt, wenn die Sonne kommt, weil er keine Wurzeln hat. Aus all diesem folgt nun genau das, was wir die Errettung einzig und allein aus Gnaden genannt haben. Es bleibt Gott überlassen, in Harmonie mit seiner unendlichen und vollkommenen Natur, ob er jemanden rettet, ob es einige, viele oder auch alle sind -- alles ganz nach seinem souveränen Willen. Es folgt daraus auch: Die Errettung basiert nicht auf irgend einer menschlichen Beschaffenheit. Es hängt ganz allein von Gott und nicht vom Menschen ab, wem Er das ewige Leben gibt und wem nicht. Gott handelt völlig souverän, wenn er einigen seine Gnade zuwendet, während er die anderen dem überlasst, was sie rechtmäßig verdienen. Die Sünder werden in ihrer Hilflosigkeit mit Toten verglichen, ja sogar mit vertrockneten Knochen. Darin sind sie sich alle gleich. Die Wahl des ewigen Lebens ist absolut: Es ist, als greife Christus in einzelne Gräber, um hier und da welche hervorzuholen und wiederzubeleben; der Grund, warum er diese und nicht andere erweckt, kann nur seinem Wohlgefallen zugeschrieben werden, nicht aber in den Toten gefunden werden. Daher auch die Aussage, dass wir vorherbestimmt sind nach dem Wohlgefallen seines Willens und nicht wegen eigener guter Taten; vorherbestimmt, um heilig zu sein, nicht weil wir es schon waren (Eph 1,4.5). »Da alle Menschen ausnahmslos nur Gottes Zorn und Fluch verdient haben, ist die Opferung seines einzigen Sohnes anstelle der Sünder als einzige Möglichkeit zur Sühne die erstaunlichste Darstellung unverdienter Gnade und persönlicher Liebe, die das Universum je gesehen hat.« [66] __________________________________________________________________ [65] Egbert W. Smith, What is Calvinism?, S. 125-127. [66] A. A. Hodge, Flugschrift Presbyterian Doctrine, S. 23. __________________________________________________________________ 4) Der Sündenfall Der Fall der Menschheit in den Zustand der Sünde und des Elends ist der Grund und die Basis für die Erlösung, wie sie uns in der Heiligen Schrift geschildert wird; auf diesem Grund und auf dieser Basis ruht unser Gedankengebäude. Nur der Calvinismus nimmt die Lehre vom Sündenfall wirklich ernst. Die Bibel selbst erklärt von Anfang bis zum Ende den Bankrott -- den totalen Bankrott -- der menschlichen Verfassung: Der Mensch ist in einem Zustand der Sünde und der Gefallenheit, aus dem er sich unmöglich erlösen kann. Gott hätte ihn gerechterweise dem Verderben überlassen können. Die Erzählung vom Sündenfall findet sich im AT in 1. Mose 3; das NT bezieht sich darauf in Röm 2,12--21; 1 Kor 15,22; 2 Kor 11,3; 1 Tim. 2,13f usf. Das Neue Testament betont nicht die Faktizität des Geschehenen, sondern den ethischen Aspekt des Gefallenseins. Die Schreiber des NT verstanden diesen Fall wörtlich und haben ihre Theologie darauf gegründet. Für Paulus war Adam genauso real wie Christus, der Sündenfall genauso wirklich wie die Erlösung. Es mag zwar eingewendet werden, die Apostel hätten sich geirrt; dass sie die Dinge aber so und nicht anders verstanden, kann hingegen nicht angezweifelt werden. Dr . A . A . Hodge hat diesen Umstand recht anschaulich dargestellt, daher führe ich seine Darstellung hier an: »Da es in der Natur der Sache liegt, dass nicht jedermann dieselbe Chance wie Adam bekommen kann, wenn er auf die Welt kommt, hat Gott, der über die Menschheit zu ihrem Besten wacht, allen Menschen in Adam unter den allerbesten Voraussetzungen die stellvertretende Chance gegeben, sich zu entscheiden und damit für die ganze Menschheit zu entscheiden. Er hat ihm einen »Bund der Werke und des Lebens« gestiftet: Er hat ihm fortdauerndes Leben garantiert, sofern sich Adam (und in ihm alle Menschen) an diesen Bund hält, ihm mithin gehorsam ist. Der geforderte Gehorsam war eine Prüfung auf Zeit: entweder andauernder Gehorsam oder Tod aufgrund von Ungehorsam. Der versprochene »Lohn« war das ewige Leben, eine Gnade, die viel mehr umfasste, als was Adam ursprünglich zugesagt war. Diese Zusage hätte die Menschheit in einen Zustand unanfechtbarer Heiligkeit und unausgesetzten Glückes erhoben. Die angedrohte 'Strafe war der Tod: 'An dem Tag, an dem du davon essen wirst, muss du sterben. Welcher Natur dieser Tod war, kann man nur anhand des Folgenden verstehen: Gottesferne und Entzug aller göttlichen Kommunikation, von der das Leben abhing. Daher die Entfremdung und der Fluch Gottes; Schuldgefühle und Verderbtheit der menschlichen Natur, wiederholte Übertretung von Gottes Gebot, das ganze Elend des Lebens, die Auflösung der Körper und die Höllenstrafe.« [67] Die Konsequenz der Sünde Adams wird im weitesten Sinn »Tod« genannt. Paulus formuliert es so: »Der Lohn der Sünde ist der Tod.« Die Totalzurechnung des Todes, die Adam erlitt, versteht man erst, wenn man alle Konsequenzen bedenkt, die der Mensch seither zu tragen hat. Der Anfang der Strafe war geistlicher Tod oder die Trennung von Gott; der physische Tod des Körpers ist eine der ersten Früchte dieser Strafe und eine vergleichsweise unbedeutende im Hinblick auf die viel größere Strafe, die ihm folgt. Adam starb erst ungefähr 930 Jahre nach dem Fall, aber er starb geistlich gesehen in dem Moment, als er gesündigt hatte. Er starb so, wie ein Fisch zu sterben beginnt, wenn man ihn aus dem Wasser zieht oder wie eine Pflanze, die man entwurzelt. »Allgemein pflegen wir eine falsche Auffassung vom Fall Adams. ... Adam ist nicht in direkter Weise von Satan versucht worden. ... Satan versuchte Eva, und Eva ließ sich verführen. Dass Adam nicht verführt worden ist, wissen wir aus 1 Tim 2,14. Er erlag keiner satanischen List, sondern tat das, was er getan hatte, willentlich und bewusst. In vollem Bewusstsein, was er tat, ist er darin absichtlich seiner Frau in ihre sündige Übertretung gefolgt. Es ist dieses absichtsvolle Wollen des Menschen gewesen, was seinen nunmehr ruchlosen Charakter hervorgebracht hat. Wäre er von Satan aufgrund einer Macht zum Nachgeben gezwungen worden, dann hätten wir zweifellos versucht, seinen Fall zu entschuldigen. Da er aber mit vollem Bewusstsein und Trotz gegen den Schöpfer gehandelt hatte, kann für seinen Fall keinerlei Entschuldigung gefunden werden. Seine Tat war willentlich, eine trotzige Rebellion, die ihn augenblicklich aus der Gefolgschaft Gottes in die Gefolgschaft Satans versetzte.« [68] War das denn etwa kein Fall? Es war ein fürchterlicher Fall! Je mehr wir in den menschlichen Abgrund sündigen Seins blicken, desto leichter fällt es uns, zu verstehen, was diese Erb-Sünde bedeutet. Man betrachte diese Erde als Ganzes: all die Mörder, Räuber, Trinker, Kriege, zerstörte Familien und Verbrechen aller Art. All die ausgeklügelten Verbrechen und Laster, wie sie seit dem Bestehen der Menschheit ausgeübt werden, erzählen uns eine beängstigende Geschichte. Ein großer Teil der Heiden -- sowohl vor Zeiten als auch heute -- wird in der Dunkelheit des Heidentums gelassen, hoffnungslos von Gott entfernt. Wie alle Arten der Ablehnung hält der Modernismus Einzug -- auch in den Gemeinden. Auch die so genannte christliche Presse ist stark von Unglauben durchzogen. Man beachte die generelle Neigung, weniger zu beten oder in der Bibel zu lesen, ganz zu schweigen von geistlichen Dingen! Wie flieht der Mensch seit Adam alles, was göttlich ist! Er will nicht mit Gott reden, und sein Herz ist voller Feindschaft gegen seinen Schöpfer. Die Natur des Menschen ist zweifellos verkehrt. Die täglichen Zeitungen berichten von Ereignissen -- auch in einem so erleuchteten Land wie Amerika -- die zeigen, wie sündig der Mensch, wie gottfern er ist und von unheiligen Prinzipien geleitet. Die einzig angemessene Erklärung dafür lautet, dass die Todesstrafe, die den Menschen vor seinem Fall bedrohte, jetzt auf der Menschheit liegt. Wir leben in einer verlorenen Welt, einer Welt, die, wenn sie sich überlassen bliebe, von Ewigkeit zu Ewigkeit schlimmer würde, einer Welt, die von Ungerechtigkeit und Gotteslästerung nur so raucht. Die Auswirkungen des Sündenfalles neigen den menschlichen Willen ausschließlich hin zu Sünde und Torheit. Tatsächlich erlaubt es Gott nicht, dass die Menschheit immer mehr verdirbt, wie es ohne diese göttliche Intervention zweifellos der Fall sein würde. Er übt bremsende Einflüsse aus, bringt Menschen dazu, einander zu lieben, ehrlich, menschenfreundlich und aufeinander bedacht zu sein. Wenn Gott diese Einflüsse nicht ausübte, steigerte sich die Gefallenheit des Menschen bis ins Allerschlechteste; es brächen alle sozialen Konventionen irgendwann zusammen und der Zenit der Gesetzlosigkeit wäre bald erreicht. Die Erde wäre in einem Zustand, in dem ein Leben als Auserwählter nicht mehr möglich wäre. __________________________________________________________________ [67] Ebd., S. 19-20. [68] Warburton, Calvinism, S. 34. __________________________________________________________________ 5) Das Prinzip der Stellvertretung Wir kennen die Idee der Stellvertretung sehr gut. In einem Land mit einem brauchbaren Präsidenten handelt das Volk durch seine Repräsentanten in der Legislative und kommt in den Genuss seiner Früchte. Ein schlechter Präsident verursacht schlimme Konsequenzen. Eltern sind für die Kinder verantwortlich und bestimmen zu einem großen Ausmaß ihr Schicksal. Sind die Eltern weise, tugendhaft und sparsam, dann ernten die Kinder den Segen; sind sie dagegen faul und unmoralisch, dann müssen die Kinder darunter leiden. Das Wohlergehen Einzelner ist in tausenden Fällen von den Handlungen anderer Menschen abhängig; dieses Prinzip illustriert die Verflochtenheit des menschlichen Lebens. Die biblische Lehre, dass Adam stellvertretend für die ganze Menschheit steht, ist eine Anwendung jenes Prinzips, das wir jeden Tag beobachten können. Dr . Charles Hodge hat diesen Umstand im folgenden Abschnitt sehr geschickt formuliert: »Das Prinzip der Stellvertretung durchzieht die ganze Heilige Schrift. Die Anrechnung der Sünde Adams auf seine Nachwelt ist kein singuläres Ereignis. Es ist nur eine Illustration eines allgemeinen Prinzips, welches das Rechtsverhalten Gottes von Beginn an zeigt. Gott erklärt Mose, dass er die Schuld der Väter an den Kindern und den Kindeskindern bis ins dritte und vierte Geschlecht heimsucht (2 Mo 34,6f.). ... Der Fluch, der Kanaan [den Namensgeber; A. d. Ü.] traf, traf seine Nachkommenschaft. Mit dem Verkauf seines Erstgeburtsrechtes schloss Esau seine Nachkommenschaft vom Bund der Verheißungen aus. Die Kinder Moabs und Ammons wurden für alle Ewigkeit von der Versammlung des Herrn ausgeschlossen, weil ihre Vorfahren die Israeliten am Durchzug nach Ägypten hindern wollten. Sowohl ihre Frauen als auch ihre Kinder mussten sterben, weil Dathan und Abiram (und auch Achan) gesündigt hatten. Gott teilte Eli mit, dass die Sünde seines Hauses niemals und durch kein Opfer mehr ausgetilgt werden könne. David wurde mitgeteilt: 'Das Schwert wird nicht mehr von deinem Hause weichen, weil du mich verachtet hast, indem du die Frau Urias des Hethiters zu deiner eigenen gemacht hast. Dem ungehorsamen Gehasi wurde gesagt: 'Der Aussatz Naemans soll für immer an dir und deinen Kindern haften. Die Sünde Jerobeams und seiner Generation bestimmte das Schicksal der zehn Stämme für alle Zeiten. Die Selbstverwünschung der Juden, als sie die Kreuzigung Christi gefordert hatten, wirkt sich immer noch auf das zerstreute Volk aus. ... Dieses Prinzip zieht sich durch die ganze Schrift. Der Bund Gottes mit Abraham war nicht auf ihn beschränkt, sondern meinte auch seine Nachkommenschaft. Sie war an all die Bedingungen des Bundes geknüpft. Sie genossen die Versprechen und empfingen die Drohungen, und in hunderten von Fällen traf die Strafe für Ungehorsam auch jene, die persönlich nicht ungehorsam waren. Die Kinder mussten in den Strafgerichten genauso leiden, war es nun Hungersnot, Pest oder Krieg, mit dem ihre Sünden bestraft wurden. ... Die Juden leiden heute immer noch unter der Strafe für die Ablehnung dessen, von dem Mose und die Propheten gesprochen hatten. Der ganze Heilsplan beruht auf diesem Prinzip. Christus ist der Repräsentant seines Volkes; auf dieser Basis wurde alle Schuld ihm angerechnet und seine Gerechtigkeit dem Volk. ... Niemand, der an die Bibel glaubt, kann seine Augen vor der Tatsache verschließen, dass sie an jeder Stelle die Idee der Stellvertretung der Eltern gegenüber ihren Kindern lehrt und dass das Rechtshandeln Gottes von Beginn an auf der Basis beruht, dass Kinder unter den Sünden ihrer Väter zu leiden haben. Das ist einer der Gründe, weshalb Ungläubige den göttlichen Ursprung der Heiligen Schrift leugnen. Aber Unglaube beweist nicht das Gegenteil, denn die Geschichte lehrt uns das Gleiche. Die Bestrafung des Verbrechers zieht immer auch seine Familie in Mitleidenschaft und Elend. Der Verschwender und Trinker zieht alle in sein Elend hinein, die mit ihm verbunden sind. Es gibt keine Nation auf Erden, deren Wohl oder Wehe nicht zum großen Teil vom Charakter und Verhalten ihrer Vorfahren abhängt. ... Die Idee der Schuldübertragung oder der stellvertretenden Strafe liegt allen Opfern im Alten Testament zugrunde, und ebenso dem großen Sühnopfer des Neuen Testaments. Sünden zu tragen bedeutet in biblischer Sprache immer auch die Strafe für Sünde tragen zu müssen. Das Opfer übernahm die Sünden des Opfernden. Bevor das Opfer geschlachtet wurde, wurde dem Opfertier die Hand auf den Kopf gelegt, um die Schuldübertragung zu symbolisieren. Das Tier selbst musste fehlerlos sein, damit klar zutage trat: Sein Blut wird nicht wegen eigener Mängel vergossen, sondern aufgrund der Sünde eines anderen (des Menschen). All das war Symbol und Typus. ... Das ist es, was die Schrift über das Opfer Christi lehrt. Er hat unsere Sünden getragen, er wurde für uns zum Fluch, er erlitt die Strafe des Gesetzes an unserer Stelle. All das ist nur möglich, wenn es möglich ist, die Sünde des einen auf einen anderen gerechterweise zu übertragen.« [69] Die Bibel sagt uns, dass »durch des einen Ungerechtigkeit die Vielen zu Sündern wurden« (Röm 5,19). »Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und damit auch der Tod; und so ist der Tod zu allen Menschen gekommen [=sind alle gestorben; A. d. Ü.], denn es haben auch alle gesündigt« (Röm 5,12). »Durch die Übertretung eines Menschen ist die Verurteilung über alle gekommen« (Röm 5,18). Es ist, als hätte Gott gesagt: Wenn die Sünde in die Welt kommt, dann durch einen Mann, so dass auch die Gerechtigkeit durch einen Mann verliehen wird. Adam war nicht nur der Vater, sondern auch der Repräsentant der gesamten Menschheit. Wenn wir die enge Beziehung zwischen ihm und der Menschheit richtig verstehen, dann verstehen wir auch, inwiefern seine Sünde gerechterweise die ganze Menschheit betrifft. Adams Sünde wird allen Menschen so zugerechnet, wie die Gerechtigkeit Christi allen zugerechnet wird, die an ihn glauben. Adams Nachkommen sind freilich nicht persönlich schuld an seiner Sünde -- genauso wenig haben sie in ihrem Glauben an Christi Gerechtigkeit etwas daran persönlich verdient. Leiden und Tod werden zu Konsequenzen der Sünde erklärt; der Grund, weshalb alle sterben, liegt darin, dass »alle gesündigt haben«. Jetzt wissen wir aber, dass viele schon im Kleinkindalter leiden und sterben, noch bevor sie persönlicher Sünde schuldig geworden sind. Entweder ist Gott also ungerecht, wenn er die Unschuldigen bestraft, oder diese Kleinkinder sind in irgendeinem Sinne doch schuldig. Wenn aber schuldig, wie können sie gesündigt haben? Es ist unmöglich, ihnen irgendeine Schuld zuzuschreiben außer die, dass sie als Nachkommen Adams gesündigt haben (1 Kor 15,22; Röm 5,12.18); allerdings können sie in keiner anderen Art und Weise gesündigt haben als eben durch jenes Prinzip der Stellvertretung. Obgleich wir nicht persönlich an Adams Sünde schuld sind, werden wir dennoch haftbar gemacht. So sagt Dr. A. A. Hodge: »Die Schuld von Adams öffentlicher Sünde wird durch einen gerichtlichen Akt Gottes an jedermann sofort vollzogen, der auf die Welt kommt, und auch an all seine Nachkommen. Somit ist die Geburt eines jeden Menschen schon allem Einfluss des Heiligen Geistes beraubt, von dem doch sein moralisches und geistliches Leben abhängt. ... Von Anfang an wohnt ihrer Natur die Tendenz zur Sünde ein; diese Tendenz ist selber Sünde und bestrafenswert. Die menschliche Natur behält seit dem Fall zwar die Fähigkeiten von Vernunft, Gewissen und Handlungsfreiheit und bleibt daher moralisch voll verantwortlich. Doch sie ist geistlich tot; sie ist in ihrer Aversion gegenüber allem, was in Beziehung auf Gott zu tun oder zu lassen wäre, völlig unfähig; sie kann ihre eigenen bösen Neigungen unter keinen Umständen ändern oder sich auch nur moralische Tendenzen aneignen oder zu einer solchen Änderung hinneigen, sie kann letztlich nicht einmal mit dem Heiligen Geist kooperieren, der eine solche Änderung herbeiführen möchte.« [70] Zu den gleichen Schlussfolgerungen kommt Dr . R . L . Dabney in seiner Systematik, jener bedeutende Theologe der Presbyterianischen Kirche: »Die Erklärung der Lehre der Schuldzurechnung wird von allen akzeptiert, außer von den Pelagianern und Sozinianern [71] . Der Mensch ist geistlich tot und gehört einer verdammten Rasse an (Eph 2,1--5 u. a.). Ganz offensichtlich steht er unter dem Fluch, und zwar von Anbeginn seines Lebens. Man beachte doch einmal die angeborene Verderbtheit von Kleinkindern; ihr Erbe ist Leid und Tod. Entweder wurde der Mensch im Repräsentanten Adam getestet und fiel mit ihm, oder er wird zu Unrecht verdammt. Entweder steht er unter dem Fluch der Sünde Adams (und dies von Anbeginn seines Lebens), oder er ist überhaupt nicht schuldig. Richten Sie selbst, was Gottes eher würdig ist: Eine geheimnisvolle Lehre, die Gott die Menschheit mit seinem ersten Vertreter gerechterweise und nach hervorragenden Bedingungen testen lässt, oder eine Lehre, die den Menschen ohne Prüfung verdammt, noch bevor er geboren wird.« [72] __________________________________________________________________ [69] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2, S. 198, 199, 201. [70] A. A. Hodge, Presbyterian Doctrine, S. 21. [71] Die Sozinianer leugneten die Dreieinigkeit, die Fleischwerdung und die Sakramente (A. d. Ü.). [72] Robert L. Dabney, Systematic Theology, S. 330. __________________________________________________________________ 6) Die Güte und die Strenge Gottes Ein Überblick über den Sündenfall und dessen Ausmaß ist keine erfreuliche Sache. Er beweist dem Menschen, dass all seine Versuche, gut zu sein, vergeblich sind, und dass all seine Hoffnung allein in der Gnade des allmächtigen Gottes liegt. Die »gnädig wiederhergestellte Fähigkeit«, die die Arminianer behaupten, passt keineswegs zu den Tatsachen. Die Bibel, die Geschichte und die Erfahrung des Christen stützen in keiner Weise diese günstige Ansicht des arminianischen Systems, demzufolge der moralische Zustand des Menschen eine solche Fähigkeit hat, in keiner Weise. Im Gegenteil werden wir eines sehr düsteren Bildes gewahr, wenn wir die furchtbare Verderbtheit und die allumfassende Neigung des Menschen zum Bösen betrachten, die einzig und allein durch göttliche Gnade überwunden werden kann. Der Calvinismus lehrt einen wesentlich ernsteren Sündenfall -- und damit eine leuchtendere und herrlichere Manifestation der Gnade Gottes. Aus diesem Ernst heraus lernt der Christ, völlig an sich zu verzweifeln und sich bedingungslos in die Arme Gottes zu werfen und sich auf die unverdiente Gnade zu verlassen, die allein ihn retten kann. Wir müssen Gottes Gnade und seine Strenge im geistlichen und im natürlichen Bereich zusammenschauen. Das Leben ist voll schrecklicher Tatsachen, vor denen man, so unangenehm das ist, nicht die Augen verschließen darf. Ihre Existenz kann nicht geleugnet werden. Die ganze Schrift hindurch, und speziell in den Worten Christi selbst, finden wir Beschreibungen der entsetzlichen Qualen, die den Bösen widerfahren werden. In Matthäus allein finden sie sich: 5,29f; 7,19; 10,28; 11,21--24; 13,30.41.42.49.50; 18,8f.34; 21,41; 22,14; 24,15; 25,12.30.41 und 26,24. Eine Lehre, die dermaßen starke Bedeutung aus den Worten Christi selbst erhält, darf nicht unerwähnt bleiben, so Abscheuliches sie auch mitteilen mag! Im nächsten Leben werden alle Bösen, all ihrer Hemmnisse entkleidet, direkt ihren Neigungen folgen und weitersündigen. Gott weiterhin lästernd und fluchend, werden sie verabscheuungswürdiger und boshafter und sinken so tiefer und tiefer in den bodenlosen Abgrund. Ewige Bestrafung ist die Strafe für endloses Sündigen. Darüber hinaus eignet es der Ehre und Herrlichkeit Gottes gleichermaßen, die Bösen zu bestrafen wie die Gerechten zu belohnen. Viel von der Lauheit unter den Christen heute ist auf die Fehler der christlichen Leiter zurückzuführen, diese Lehren, die Christus so oft wiederholt hat, zu wenig zu betonen. In unserer natürlichen Welt sehen wir Gottes Strenge in Kriegen, Hungersnöten, Überflutungen, Katastrophen, Krankheiten, Leiden, Todesfällen und Verbrechen, die Ungerechte und Gerechte gleichermaßen treffen. All dies findet in einer Welt statt, die vollkommen unter der Kontrolle eines unendlich vollkommenen Gottes steht. »So sieh nun die Güte und Strenge Gottes« (Röm 11,22). Der Naturalismus wird weder dem einen noch dem anderen gerecht. Der Arminianismus preist das eine und verleugnet das andere. Der Calvinismus ist das einzige Lehrgebäude, das beiden Teilen gerecht wird. Er allein entwickelt aus diesen Gegebenheiten ein angemessenes Lehrgebäude, das die ewige und unendliche Liebe Gottes berücksichtigt, die seinem Volk eine Erlösung errungen hat, und zwar auf Kosten seines einzigen Sohnes, den er damit ans Kreuz schicken musste; er berücksichtigt aber auch den unüberwindbaren und schrecklichen Abgrund, der den Menschen vom heiligen Gott trennt. Es ist wahr: Gott ist Liebe, aber zusammen mit dieser Tatsache muss die andere erwähnt werden: »Gott ist ein verzehrendes Feuer« (Heb. 12,29). Jedes Lehrgebäude, das eine dieser Tatsachen ignoriert oder auch nur weniger betont als die andere, ist ein verstümmeltes Lehrgebäude, ganz egal, wie plausibel es sonst klingen mag. Diese Lehre von der totalen Unfähigkeit des Menschen ist streng und ernst und scheint sich zu verbitten. Wir müssen uns aber daran erinnern, dass wir keine Erlaubnis haben, uns ein Lehrgebäude nach unserem Geschmack zu entwerfen. Wir müssen die Tatsachen nehmen, wie wir sie vorfinden. Solche Beschreibungen des wahren Zustands des Menschen werden Nichtchristen freilich sehr verletzend finden, und viele haben den Versuch unternommen, ein System zu entwerfen, das dem Menschen etwas schmackhafter erscheint. Der Zustand des gefallenen Menschen ist so schlimm, dass er willig und freudig allen Theorien lauscht, die ihn auf irgendeine Weise von Gott unabhängig sein lassen; er will der Herr seines eigenen Schicksals, er will der Kapitän seines Lebens sein. Der verlorene, zerstörte und hilflose Zustand des Sünders muss ihm ständig vorgehalten werden, denn bevor er das nicht verstanden hat, sucht er niemals die Hilfe einzig und alleine dort, wo er sie finden kann. Armer Mensch! Ganz fleischlich unter die Sünde verkauft, ohne jede Kraft und ohne jede Neigung, sich von sich selbst aus Gott zuzuwenden, und was noch schlimmer ist: Er ist ein anmaßender Rebell und lästerlicher Rivale des großen Jahwe. Ich habe dieser Lehre von der totalen Unfähigkeit oder der Erbsünde einen etwas längeren Abschnitt widmen müssen, um das Fundament legen zu können, auf welchem die Prädestinationslehre ruht. Diese Seite des Bildes ist dunkel, sehr dunkel sogar, seine Beigabe jedoch ist die Ehre und Herrlichkeit Gottes in der Erlösung. Jede dieser Wahrheiten muss in ihrem wahren Licht gesehen werden, bevor die anderen verstanden werden können. __________________________________________________________________ 7) Belege aus der Schrift 1 Kor 2,14: Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; denn es ist ihm eine Torheit, und er kann es nicht erkennen, weil es geistlich beurteilt werden muss. 1 Mo 2,17: ... aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen sollst du nicht essen; denn welchen Tages du davon isst, musst du unbedingt sterben! Röm 5,12: Darum, gleichwie durch einen Menschen die Sünde in die Welt gekommen ist und durch die Sünde der Tod, und so der Tod zu allen Menschen hindurchgedrungen ist, weil sie alle gesündigt haben ... 2 Kor 1,9: Ja, wir hatten in uns selbst schon das Todesurteil, damit wir nicht auf uns selbst vertrauten, sondern auf Gott, der die Toten auferweckt. Eph 2,1--3: -- auch euch, die ihr tot wart durch Übertretungen und Sünden, in denen ihr einst gelebt habt nach dem Lauf dieser Welt, gemäß dem Fürsten, der in der Luft herrscht, dem Geist, der jetzt in den Söhnen des Ungehorsams wirkt, unter denen auch wir alle einst unser Leben führten in den Begierden unseres Fleisches, indem wir den Willen des Fleisches und der Gedanken taten; und wir waren von Natur Kinder des Zorns, gleichwie die anderen. Eph 2,12: -- dass ihr in jener Zeit ohne Christus wart, ausgeschlossen von der Bürgerschaft Israels und fremd den Bündnissen der Verheißung; und ihr hattet keine Hoffnung und wart ohne Gott in der Welt. Jer 13,23: Kann wohl ein Mohr seine Haut verwandeln, oder ein Leopard seine Flecken? Könnt ihr auch Gutes tun, die ihr gewohnt seid, Böses zu tun? Ps 51,7: Siehe, ich bin in Schuld geboren, und meine Mutter hat mich in Sünden empfangen. Joh 3,3: Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reicht Gottes nicht sehen! Röm 3,10--12: ... wie geschrieben steht: Es ist keiner gerecht, auch nicht einer; es ist keiner, der verständig ist, der nach Gott fragt. Sie sind alle abgewichen, sie taugen alle zusammen nichts; da ist keiner, der Gutes tut, da ist auch nicht einer! Hiob 14,4: Gibt es einen Reinen unter den Unreinen? Keinen einzigen! 1 Kor 1,18: Denn das Wort vom Kreuz ist eine Torheit denen, die verlorengehen; uns aber, die wir gerettet werden, ist es eine Kraft Gottes. Apg 13,41: Seht, ihr Verächter, und verwundert euch und werdet zunichte, denn ich tue ein Werk in euren Tagen, ein Werk, das ihr nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt! Spr 30,12: ... ein Geschlecht, das rein ist in seinen eigenen Augen und doch von seinem Kot nicht gewaschen ist. Joh 5,21: Denn wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will. Joh 6,53: Darum sprach Jesus zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohnes esst und sein Blut trinkt, so habt ihr kein Leben in euch. Joh 8,19: Da sprachen sie zu ihm: Wo ist dein Vater? Jesus antwortete: Ihr kennt weder mich noch meinen Vater. Wenn ihr mich kennen würdet, so würdet ihr auch meinen Vater kennen. Mt 11,25: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen geoffenbart hast! 2 Kor 5,17: Darum: Ist jemand in Christus, so ist er eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden! Joh 14,16f: Und ich will den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben, dass er bei euch bleibt in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, denn sie beachtet ihn nicht und erkennt ihn nicht; ihr aber erkennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein. Joh 3,19: Darin aber besteht das Gericht: dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Werke waren böse. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XI __________________________________________________________________ Unbedingte Erwählung __________________________________________________________________ 1) Der Lehrsatz Die Lehre von der Erwählung muss als Teil der allgemeineren Lehre der Prädestination oder Vorbestimmung gesehen werden, insofern sie die Errettung von Sündern betrifft. Da die Schrift hauptsächlich von der Errettung von Sündern handelt, kommt diese Lehre besondere Bedeutung zu. Sie hat eng mit der allgemeineren Lehre der Vorherbestimmung zu tun, die, da sie vom Tun eines unendlich vollkommenen Wesens handelt, als ewige, absolute, unwandelbare und in ihrer Wirkung unfehlbare Festlegung seines Willens verstanden werden muss. Hier geht es um jene Menschen, die Gott erretten will. Kein Aspekt dieser Wahl ist deutlicher als seine absolute Souveränität. Der reformierte Glaube beruft sich auf die Existenz eines ewigen, göttlichen Beschlusses, der noch vor irgend einem Unterschied oder Verdienst der Menschen die Menschheit in zwei Gruppen teilt und den einen ewiges Leben bestimmt, den anderen den ewigen Tod. [73] Insofern dieser Beschluss sich auf Menschen bezieht, bestimmt er den Rat Gottes darin, dem Menschen in Adam eine faire Chance gegeben zu haben. Adam hat diese Chance vertan. Das Ergebnis des Sündenfalls war die Verderbnis und Schuld aller Menschen; all ihre Beweggründe sind falsch, so dass sie nichts zu ihrer Errettung beitragen können. Sie haben allen Anspruch auf Gottes Gnade verwirkt; es wäre nichts Ungerechtes daran, müssten sie alle die gerechte Strafe für ihren Ungehorsam tragen wie die gefallenen Engel ohne Ausnahme. Statt dessen werden die Erwählten vom Zustand der Schuldigkeit und Sünde erlöst und in einen Zustand des Segens und der Heiligkeit versetzt. Die Nichterwählten werden einfach in dem Zustand gelassen, in dem sie sich ohnehin schon befinden, und damit wegen dieser ihrer Sünden verdammt. Sie erleiden keine unverdiente Strafe, denn Gott handelt mit ihnen nicht nur als Menschen, sondern auch als Sünder. Das Westminster-Bekenntnis formuliert den Umstand so: »Durch den Ratschluss Gottes sind zur Offenbarung seiner Ehre einige Menschen und Engel zum ewigen Leben vorherbestimmt und andere zum ewigen Tod verordnet.« »Diese so vorherbestimmten und vorausverordneten Engel und Menschen sind speziell und unabänderlich bezeichnet, und ihre Zahl ist so sicher und begrenzt, dass sie weder vermehrt noch vermindert werden kann.« »Diejenigen, die aus der Menschheit zum Leben vorherbestimmt sind, hat Gott vor Grundlegung der Welt nach seinem ewigen und unabänderlichen Vorsatz und dem verborgenen Rat und guten Wohlgefallen seines Willens in Christus zur ewigen Herrlichkeit erwählt, und zwar aus völlig freier Gnade und Liebe und nicht aus irgendeiner Voraussicht des Glaubens oder guter Werke oder des Beharrens in einem von beiden und ohne dass ihn sonst irgend etwas in dem Geschöpf als Vorbedingungen oder Ursachen dazu bewogen hätten, und das alles zum Preis seiner herrlichen Gnade.« »Wie Gott die Erwählten zur Herrlichkeit bestimmt hat, so hat er auch alle Mittel dazu durch den ewigen und völlig freien Vorsatz seines Willens vorherbestimmt. Deswegen sind die, die erwählt sind, nachdem sie in Adam gefallen sind, durch Christus erlöst worden. Sie werden zum Glauben an Christus wirksam berufen durch seinen Geist, der zur rechten Zeit wirkt. Sie werden gerechtfertigt, als Kinder angenommen, geheiligt und durch seine Macht durch den Glauben zum Heil bewahrt. Keine anderen werden von Christus erlöst, wirksam berufen, gerechtfertigt, als Kinder angenommen, geheiligt und gerettet, als allein die Erwählten.« »Es hat Gott gefallen, nach dem unerforschlichen Ratschluss seines eigenen Willens, aufgrund dessen er Barmherzigkeit erweist oder vorenthält, wie es ihm gefällt, zur Ehre seiner unumschränkten Macht über seine Geschöpfe, den Rest der Menschheit zu übergehen und sie zur Unehre und zum Zorn über ihre Sünde vorherzubestimmen, zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit.« [74] Es ist wichtig, dass wir die Lehre von der göttlichen Erwählung ganz klar verstehen, denn die Art, wie wir diese Lehre verstehen, bestimmt unsere Sicht von Gott, dem Menschen, der Welt und der Erlösung. Wie Calvin richtig sagte: »Wir werden nie und nimmer so klar, wie es sein sollte, zu der Überzeugung gelangen, dass unser Heil aus dem Brunnquell der unverdienten Barmherzigkeit Gottes herfließt, ehe uns nicht Gottes ewige Erwählung kundgeworden ist; denn diese verherrlicht Gottes Gnade durch die Ungleichheit, dass er ja nicht unterschiedslos alle Menschen zur Hoffnung auf die Seligkeit als Kinder annimmt, sondern den einen schenkt, was er den anderen verweigert. Wie sehr die Unkenntnis dieses Grundsatzes Gottes Ehre mindert und wie sehr sie der wahren Demut Abbruch tut, das liegt auf der Hand.« [75] Calvin gibt zu, dass diese Lehre sehr perplexe Fragestellungen in manchen aufwirft: »Wahrlich, wie es vielen scheint! eine verwickelte Frage: man meint, es sei doch nichts weniger sinnvoll, als dass aus der allgemeinen Schar der Menschen die einen zum Heil, die anderen aber zum Verderben vorbestimmt sein sollten!« [76] Die Theologen der Reformation hatten dieses Prinzip konsequent auf die gegenwärtigen Erfahrungen geistlicher Phänomene angewandt, die sie selbst fühlten und an anderen gesehen hatten. Der göttliche Beschluss allein, mithin erst die Prädestination, konnte ihnen den Unterschied zwischen Gut und Böse zeigen, zwischen dem Heiligen und dem Sünder. __________________________________________________________________ [73] Der Mensch ist des höllischen Feuers schuldig, insofern er ein Sünder ist, und insofern geht ausnahmslos jeder Mensch verloren. Die Erwählung Gottes ist nicht die Ursache, aufgrund deren ein Mensch gerettet wird; man könnte hier besser sagen: Ursache ist seine Bekehrung. Die Erwählung ist der Grund, weshalb er sich bekehrt. Ein Mensch wird nicht bekehrt, wenn er nicht schon von Ewigkeit her erwählt ist. Er geht aber nicht deshalb verloren, weil er nicht erwählt war, sondern weil er von Geburt an Sünder ist. Durch den Sündenfall ist die gesamte Menschheit schon zum Tod »bestimmt«; was Gott tut, ist dies: Er wendet nach Kriterien, die uns vollkommen unbekannt sind, einigen Menschen, die das nicht verdient haben, seine Gnade zu. Der Einwand, jemand hätte dann ja keine »Chance«, verkennt die verzweifelte Lage des Sünders. Er hat nämlich unter keinen Umständen irgend eine "Chance" -- darin besteht ja seine verzweifelte Lage: dass er selbst daran schuld ist, keine "Chance" zu haben. Der Einwand: »Ein Nichterwählter könne dann ja nichts dafür« ist die Ausrede des Sünders, der lieber Gott ungerecht nennt als sich selbst einen Sünder. Er sieht nicht mehr, dass er zwar alles dafür kann, aber gar nichts dagegen (A. d. Ü.). [74] WB, Art. 3.3-3.7. [75] Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Übersetzung: Otto Weber (nach der letzten Ausgabe von 1559); Neukirchen-Vluyn: foedus-verlag, 2008, 3.21.1. [76] Ebd. __________________________________________________________________ 2) Schriftbeweise Die erste Frage, die wir uns stellen müssen, ist: Finden wir diese Lehre irgendwo in der Schrift? Gehen wir in den Epheserbrief. Dort lesen wir: » ... wie er uns in ihm auserwählt hat vor Grundlegung der Welt, damit wir heilig und tadellos seien vor ihm. In Liebe hat er uns vorherbestimmt zur Sohnschaft für sich selbst durch Jesus Christus, nach dem Wohlgefallen seines Willens« (Eph 1,4f.). In Röm 8,29f. lesen wir von der goldene Kette der Erlösung, die sich von der ewigen Vergangenheit bis in die ewige Zukunft erstreckt: »Denn die er vorher ersehen hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Ebenbild seines Sohnes gleichgestaltet zu werden, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, die er aber berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt, die er aber gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht.« Vorher ersehen, berufen, gerechtfertigt, verherrlicht -- das bezieht sich immer auf dieselben Menschen; ist einer dieser Begriffe gesetzt, dann auch alle anderen mit ihm. Paulus hat den Vers in der Vergangenheitsform geschrieben, denn für Gott ist ein einmal gefasster Beschluss so gut wie ausgeführt, so sicher ist seine Erfüllung. Dr. Warfield sagt: »Es sind dies fünf goldenen Glieder unzerreißbaren Kette, so dass alle, die einen Platz in dieser seiner charakteristischen Sicht haben, von Seiner Gnade Schritt für Schritt zur großen Vollendung gelangen, die sich verwirklicht, wenn sie dem Ebenbild des Sohnes Gottes gleichgemacht werden. Es ist >Erwählung<, was das alles zustande bringt, sehen Sie? >denn die er vorher ersehen hat ... die hat er auch verherrlicht.<« [77] Die Schrift spricht von der Erwählung als von einer Entscheidung, die von uns aus gesehen in der Vergangenheit liegt, nichts mit persönlichem Verdienst zu tun hat und vollkommen souverän getroffen wurde. » ... als die Kinder noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Böses getan hatten -- damit der gemäß der Erwählung gefasste Vorsatz Gottes bestehen bleibe, nicht aufgrund von Werken, sondern aufgrund des Berufenden -- wurde zu ihr gesagt: >Der Größere wird dem Kleineren dienen<; wie auch geschrieben steht: >Jakob habe ich geliebt, Esau aber habe ich gehasst<« (Röm 9,11--13). Wäre die Lehre von der Erwählung falsch, dann fragen wir uns, was die Worte des Apostels bedeuten sollen? »Die Illustration der souveränen Annahme Isaaks und Ablehnung Ismaels ist klar; ebenso die Auswahl Jakobs und nicht Esaus vor deren Geburt und damit, noch bevor sie Gutes oder Böses haben tun können; hier wird uns ausdrücklich gezeigt, dass die Errettung nicht in jemandes Willen oder Laufen liegt, sondern allein an Gottes Gnade, und dass Gott Gnade erweist, an wem er will und auch verhärtet, wen er will. Es wird uns klar gezeigt, dass Gott der Töpfer ist, der bestimmt, welches Gefäß er daraus macht: eines zu seinem Wohlgefallen, das andere nicht. Die Sprache an diesen Stellen konnte nicht besser gewählt werden, um die Lehre der Prädestination in vollster Klarheit zu zeigen.« [78] Selbst wenn wir keinerlei andere inspirierte Aussagen des Paulus zu diesem Thema hätten, wären diese klar und eindeutig genug, um die Lehre der Erwählung als festen Bestandteil biblischer Lehre auszuweisen. Wenn wir uns die Belegstellen der Schrift ansehen, wie sie im Glaubensbekenntnis aufgeführt sind, so sehen wir: Diese Lehre wird von der ganzen Schrift gestützt. Wenn wir die Inspiration der Bibel zugeben, wenn wir zugeben: Die Schriften der Propheten und der Apostel sind vom Geist Gottes eingehaucht und damit unfehlbar, dann aber muss das, was wir darin finden, ausreichend sein; damit müssen wir auch das unabweisbare Zeugnis der Schrift hinsichtlich Erwählung und Prädestination als unwiderrufliche Wahrheit zugeben, zumindest, wenn wir den ganzen Ratschluss Gottes stehen lassen wollen. Jeder Christ muss in irgend einer Form an die Erwählung glauben, und Obgleich die Schrift einige Dinge hinsichtlich der Erwählungslehre unerklärt lässt, stellt sie doch die Tatsache der Erwählung selbst nicht in Frage. Christus hat seinen Jüngern genau erklärt: »Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt ... .« (Joh 15,16). Damit erklärt er den Primat des Willens Gottes gegenüber der sekundären Wahl als einer Antwort auf diesen Primat. Der Arminianismus macht jedoch die Errettung von der Wahl des Menschen abhängig; ihm zufolge kann der Mensch die angebotene Gnade entweder annehmen oder ablehnen; damit aber dreht er die Reihenfolge um und macht Gottes Wahl von der des Menschen abhängig! Nirgends in der Schrift gibt es einen Beleg dafür, dass Gott seine Wahl von einer menschlichen Entscheidung abhängig macht, die der Mensch erst in der Zukunft trifft. Der göttliche Wille ist niemals abhängig vom menschlichen Willen. Die göttliche Souveränität dieser Wahl wird noch an einer anderen Stelle klar: wenn nämlich Paulus erklärt, dass Gott seine Liebe zu uns in Jesus Christus beweist, als wir noch Sünder waren (Röm 5,8) und Christus für Gottlose gestorben ist (Röm 5,6). Daran sieht man, dass keinerlei menschliche Eigenschaften die Liebe Gottes erlangen. Wir haben diese Liebe vielmehr trotz unserer Schlechtigkeit erlangt! Gott wählt die Person und bringt sie zur Umkehr (Ps 65,5). Der Arminianismus entreißt diese Wahl den Händen Gottes und legt sie in die Hände des Menschen. Jedes System aber, das die göttliche Erwählung durch eine menschliche Wahl ersetzt, widerspricht hier der Heiligen Schrift. In den dunkelsten Zeiten des Abfalls Israels wie auch in allen anderen Zeitaltern war es das Prinzip der Erwählung, was die Menschen in zwei Gruppen teilte und was sicherstellte, dass ein Rest übrigblieb. »Ich will mir 7000 in Israel übrig lassen, alle, die ihre Knie nicht vor Baal gebeugt haben und welcher Mund ihn nicht geküsst hat« 1. Könige 19,18. Diese siebentausend (Israeliten) taten dies nicht aus eigener Kraft; es wird ausdrücklich gesagt, dass Gott sie für sich behält und dass sie ein Überrest sind. Gott regiert den Lauf der Geschichte um der Auserwählten willen (Mk 13,20): Sie sind »das Salz der Erde« und »das Licht der Welt«, und zumindest insofern sind sie die wenigen in der Weltgeschichte, durch die die Vielen gesegnet sind -- Gott segnete das Haus Potiphar auch um Josefs willen; hätten in Sodom auch nur zehn Gerechte gewohnt, Gott hätte die Stadt nicht untergehen lassen. Die Erwählung enthält die Gelegenheit, das Evangelium zu hören und die Gnade zu empfangen; ohne diese Mittel wäre die Erwählung nicht zu erreichen. Sie sind den Tatsachen nach erwählt, alles zu erlangen, was den Gedanken des ewigen Lebens umfasst. Neben dieser individuellen Erwählung gibt es auch die Erwählung ganzer Nationen, die Vorherbestimmung einer Nation oder Gesellschaft in Bezug auf das Evangelium und die Segnungen, die damit einhergehen. Gott wendet zweifellos einigen Nationen größere geistliche und zeitliche Segnungen zu als anderen. Dies kann man beispielsweise am Volk Israel sehen, aber auch an bestimmten europäischen Ländern und Gesellschaftskörpern -- und auch an Amerika. Der Kontrast ist recht eindrucksvoll; man denke nur an Länder wie China, Japan, Indien etc. Die Juden sind ein auserwähltes Volk; dies zieht sich durch das ganze Alte Testament. »Euch allein habe ich aus allen Völkern der Erde erkannt« (Amos 3,2). »So hat keinem anderen Volk er getan, noch sie gelehrt seine Rechte« (Ps 147,20). »Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott, geweiht ist. Dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern auf Erden auserwählt, damit du ein Volk seist, das nur ihm gehört« (5 Mo 7,6). Man sieht hier völlig klar: Gott sah keinerlei Verdienst oder Würde in diesem Volk, die ihn dazu bewogen hätten, gerade dieses Volk auszuwählen. »Nicht weil ihr zahlreicher seid als alle anderen Völker, wandte sich der Herr euch zu, erwählte er euch -- ihr seid ja das kleinste von allen Völkern --, sondern, weil euch der Herr liebt und den Schwur hält, den er euren Vätern geschworen hat. Deshalb hat der Herr euch mit starker Hand weggeführt und euch aus dem Haus der Knechtschaft, aus der Gewalt des Pharaos, des Königs von Ägypten, befreit« (5 Mo 7,7f.). »Und doch hat der Herr sich euren Vätern bei seiner Liebe gegen sie zugewandt und euch, ihre Nachkommen, vor allen Völkern auserwählt, wie es heute der Fall ist« (5 Mo 10,15). Hier wird sorgfältig erklärt, dass Israel im Gegensatz zu allen anderen Völkern auf Erden mit der göttlichen Wahl geehrt wurde; die Wahl beruht auf der unverdienten Liebe Gottes und hat keinerlei Begründung in Israel selbst. Als der Heilige Geist dem Paulus verbot, das Evangelium in der Provinz Asia zu verbreiten (er hatte eine Vision: ein Mann rief über die Wasser: »Komm nach Mazedonien und hilf uns«), wurde ein Teil der Welt souverän vom Evangelium ausgeschlossen, während ein anderer Teil dieses Privileg genießen durfte. Wäre der göttliche Ruf aus Indien gekommen, so wäre Europa und Amerika heute vielleicht weniger zivilisiert als die Tibeter. Es war die souveräne Gnade Gottes, die das Evangelium den europäischen Nationen und später dann Amerika zukehrte, während die Völker des Ostens, des Nordens und des Südens in Finsternis gelassen worden waren. Wir können keinen einzigen Grund nennen, weshalb gerade Abrahams und nicht Ägyptens oder der Assyrer Nachkommen waren, die ausgewählt worden wurden, oder auch weshalb Großbritannien und Amerika, zwei Staaten, die zur Zeit Christi in völliger Unwissenheit lebten, das Evangelium so reichlich besitzen und dieses großartige Privileg verbreiten können. Die Unterschiede in Bezug auf Glaubensprivilegien in den verschiedenen Ländern sind nichts anderem zuzuschreiben als dem Wohlgefallen Gottes. Eine dritte Form der Erwählung, welche die Schrift lehrt, betrifft die Mitmenschen der Auserwählten: Auch sie profitieren von den Segnungen, die Gott ihnen der Auserwählten wegen zuwendet. Sie hören und lesen vom Evangelium und partizipieren an der Zivilisation, die der Einfluss des Evangeliums hervorgebracht hat. Niemand hat sich je seinen Geburtstag oder seinen Geburtsort aussuchen können; weder Rasse oder sonst was stand je in seiner Wahl. Das eine Kind wird gesund, ehrenhaft und in eine wohlhabende Familie geboren, in ein gutes Land, ein christliches Heim; das volle Licht des Evangeliums leuchtet ihm. Ein anderes wird in Unehre und Armut geboren, hat sündige und zügellose Eltern und ermangelt jeden christlichen Einflusses. Alle diese Dinge werden souverän für sie entschieden. Niemand würde behaupten, ein Kind, das in gute Umstände geboren wird, hätte es irgend verdient. Hat nicht Gott entschieden, uns zu schaffen, uns nach seinem Bild zu schaffen? Hätten wir vielleicht nicht ebenso gut Hunde, Rinder oder Pferde werden können? Könnte man sich etwa vorstellen, dass sich die Tiere bei Gott beschweren, dass er sie so unterschiedlich gemacht hat? All diese Dinge sind auf Gottes überstimmende Vorsehung zurückzuführen, nicht auf irgendeine menschliche Entscheidung. »Die Arminianer haben tatsächlich hart daran gearbeitet, all diese Dinge mit ihrer unzureichenden und irrigen Sicht von der Souveränität Gottes und ihren unbiblischen Lehren von der universellen Gnade [79] und Erlösung in Übereinstimmung zu bringen; sie konnten aber mit ihren Erklärungen selbst nie zufrieden sein und konstatieren dann allgemein, es gebe eben Geheimnisse, die nicht erklärt werden können und somit Gottes Allmacht und seinem unausforschlichen Ratschluss überlassen werden.« [80] Wir könnten vielleicht noch eine vierte Art von Erwählung erwähnen, die Erwählung einiger Individuen zu ihrer speziellen Berufung: spezielle Begabungen, die einen tauglich machen zum Staatsmann, zum Arzt, zum Anwalt oder auch zum Bauern; musische Begabungen, künstlerische Begabungen, Anmut und Schönheit, Intelligenz, ein sonniges Gemüt usf. Aber im Grunde genommen sind diese vier Arten der Erwählung gleich. Arminianer haben kein Problem, die zweite, dritte und vierte Art von Erwählung zuzugeben; die erste Art wird konsequent geleugnet. Jedenfalls gibt Gott dem einen, was er dem anderen vorenthält. Der Lauf der Welt, aber auch unsere eigenen, persönlichen Erlebnisse zeigen uns, dass die Segnungen völlig souverän und bedingungslos sind. Sie achten nicht irgendwelcher Verdienste oder Taten, die die Erwählung bedingten. Man kann sagen: Generell sind die äußeren Umstände schon bestimmend für jene, die das Evangelium niemals hören, so dass sie keine Möglichkeit auf Errettung haben. Cunningham hat das sehr gut beschrieben: »Gottes Herrschaft über diese Welt umfasst eine unveränderliche Verbindung zwischen den erfreulichen äußerlichen Umständen oder den Gnadenmitteln einerseits und dem Glauben und der Errettung andererseits. So kann man sagen: Fehlt es an ersterem, dann auch an zweiterem. Wir können aufgrund des ganzen Tenors der Schrift sagen: Insofern Gott in seiner uneingeschränkten Macht jemandem die Gnadenmittel nicht schon selbst gewährt -- denn darin besteht ja erst der Vorteil, mit jener einzigen Möglichkeit in Kontakt zu kommen, die einen errettet -- versagt er ihm durch eben jenes Vorenthalten auch die Möglichkeit und Kraft des Glaubens und damit die Möglichkeit der Errettung.«11) Der Calvinismus hält daran fest, dass Gott nicht nur mit der Menschheit insgesamt handelt, sondern auch mit den Einzelnen, die tatsächlich errettet werden: Gewisse Personen hat er zum ewigen Leben ersehen und lässt ihnen in ihrem Leben folglich alles begegnen, damit sie Leben erlangen. Der Calvinismus gibt zu, dass einige Passagen in der Schrift, die von Erwählung sprechen, über die Erwählung von Nationen sprechen oder auch über die Vorbestimmung äußerlicher Umstände; andere Schriftstellen dagegen sprechen ganz unzweideutig von der Erwählung des Einzelnen zum ewigen Leben. Freilich hat es immer welche gegeben, die das ganze Thema der Erwählung komplett geleugnet haben. Sie gehen vom Hinweis aus, dieses Schreckgespenst habe seinen Ursprung im falschen Verständnis des Wortes, das man so noch nicht erlebt hat. Demgegenüber findet man im Neuen Testament die Worte >elektos<, >ekloga< und >eklego<, also >erwählen<, >Erwählung< und >Wahl< etwa achtundvierzig mal (Youngs Analytical Concordance for complete lists). Andere lassen das Wort in diesem Sinne zwar stehen, erklären aber die Sachlage ganz hinweg. Sie glauben an eine Art »bedingter Erwählung«, die auf vorhergesehenen Tatsachen basiert, etwa auf dem vorhergesehenen Glauben des Einzelnen. Dies aber zerstört den Gedanken an eine Erwählung im besten Sinne des Wortes und macht ihn zu einem Konstrukt, das nur das Vorherwissen zukünftiger Ereignisse bezeichnet, etwa dass eine bestimmte Person über bestimmte Qualitäten verfügen wird. Wie es einmal etwas zynisch formuliert worden ist, erwählt Gott sehr sorgfältig nur jene Personen, die sich aufgrund ihres Glaubensgehorsams selbst erwählt haben. Im Arminianismus verkommt der Begriff »Erwählung« zu einem bloßen Wort, dessen Gebrauch zu nichts gut ist als zur Verschleierung und zur Verwirrung. Das Vorherwissen, dass sich Menschen bekehren werden, würde dann aber völlig falsch mit einem Wort wie Erwählung bezeichnet, denn dieses Vorherwissen bezeichnet genau gesagt überhaupt keine »Erwählung«. Manche Arminianer, die auf ihrer Lehre bestehen, dass der Mensch das Evangelium selbst entweder akzeptieren oder ablehnen müsse und so auch auch wieder verlorengehen könne, beziehen das Wort der Erwählung auf den Zeitpunkt des Todes eines Menschen, weil ja erst dann sicher sein kann, ob jemand errettet ist oder nicht. Die Erwählung erstreckt sich nun aber nicht nur auf den Menschen, sondern auch auf Engel, denn auch sie sind Teil von Gottes Schöpfung und unterstehen seiner Herrschaft. Einige dieser Engel sind heilig und leben glücklich, andere sind sündig und leben im Elend. Die gleichen Gründe, die uns an eine Prädestination des Menschen glauben machen, tun das auch in Bezug auf die Engel. Die Bibel bestätigt das mit dem Hinweis auf die »erwählten Engel« (1 Tim 5,21) oder »heiligen Engel« (Mk 8,38), die in Kontrast zu den Engeln oder Dämonen gesetzt werden. Wir lesen, dass Gott »die Engel nicht verschont hat, die gesündigt haben, sondern sie in den Abgrund hinabgestürzt und den Ketten der Finsternis übergeben hat, um sie für das Gericht aufzubewahren« (2 Petr 2,4). Wir lesen auch vom »ewigen Feuer, das dem Teufel bereitet ist und seinen Engeln« (Mt 25,41). Wir lesen, dass Gott »die Engel, die ihre Herrscherwürde nicht bewahrt, sondern ihre Wohnstätte verlassen haben, unten im Dunkel mit ewigen Fesseln für den großen Gerichtstag verwahrt hält.« Und »Michael und seine Engel stritten wider den Drachen, und der Drache und seine Engel führten Krieg« (Offb. 12,6). Das Studium dieser Passagen zeigt uns, wie Dabney sagt, dass »da zwei Arten von Geistern dieser Art sind: heilige und sündige Engel, Diener Christi und Diener Satans; sie wurden in einem Zustand der Heiligkeit und der Seligkeit geschaffen und wohnen in einem Bereich, der ,Himmel genannt wird (Gottes Heiligkeit und Güte sind ein ausreichender Beweis, dass er sie nicht möglicherweise anders geschaffen haben könnte); dass die gefallenen Engel freiwillig ihren Bereich verlassen haben, um zu sündigen und daher für ewig aus dem Himmel und der Heiligkeit verbannt worden sind und dass jene, die ihren Herrschaftsbereich nicht verlassen hatten, von Gott dazu erwählt worden sind und somit ihr Zustand der gesegneten Heiligkeit für immer sicher ist.« [81] Paulus erklärt uns nicht, wie Gott denn gerecht sein könne, wenn er denen, die er dazu erwählt hat, die Gnade gewährt, die er anderen vorenthält. Seine Antwort auf die Frage: »Was verklagt er uns dann noch?« (gemeint sind jene, die Gott nicht erwählt hat) ist der Hinweis auf die unumschränkte Herrschaft Gottes: »Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich also? Hat nicht ein Töpfer Macht, aus einem Klumpen zu machen ein Fass zu Ehren und das andere zu Unehren?« (Röm 9,19--21). (Hier geht es nicht um verschiedene Arten von Ton, sondern um Ton vom gleichen Klumpen! Gott kann als Töpfer das eine Gefäß für einen unehrenhaften Gebrauch zubereiten und das andere zu ehrenhaftem!) Paulus zieht Gott nicht von seinem Thron herunter und stellt ihn vor den Richterstuhl menschlicher Vernunft, die das alles erst zu verarbeiten und zu begreifen hätte. Das Geheimnis seines Rates, in das sogar die Engel hineinzublicken wünschen, wird gerade nicht erklärt, außer eben insofern, dass es Gott gefallen hat, so und nicht anders zu entscheiden. Nachdem Paulus dies gesagt hat, lässt er den Gegenstand fallen, so als wolle er uns damit verbieten, über das Gesagte hinauszugehen. Hätte die arminianische Ansicht recht, dass nämlich allen Menschen genügend »Chancen« (und damit Gnade) angeboten wird und jeder für seine Ablehnung oder Annahme des Evangeliums bestraft oder belohnt werden wird, hätte es an dieser Stelle überhaupt kein Problem gegeben. __________________________________________________________________ [77] B. B. Warfield, Flugschrift über die Erwählung, S. 10. [78] B. B. Warfield, Biblical Doctrines, S. 50. [79] Gemeint ist die arminianische Auffassung, Jesus Christus sei für unterschiedslos alle Menschen gestorben und nicht vielmehr nur für sein Volk (A. d. Ü.). [80] Cunningham, Historical Theology, Bd. 2, S. 398. [81] Robert L. Dabney, Systematic Theology, S. 230. __________________________________________________________________ (Belegstellen aus der Schrift) 2 Thess 2,13: Wir aber sind euretwegen, vom Herrn geliebte Brüder, Gott zu stetem Dank verpflichtet, dafür, dass Gott euch am Anfang zum Heil erwählt hat in der Heiligung des Geistes und durch den Glauben an die Wahrheit. Mt 24,24: Denn es werden falsche Messiasse und falsche Propheten auftreten und große Zeichen und Wunder wirken, um -- wenn möglich -- selbst die Auserwählten irrezuführen. Mt 24,31: Er wird seine Engel aussenden mit lautem Posaunenschall, und sie werden seine Auserwählten von den vier Windrichtungen zusammenführen, von einem Ende des Himmels bis zum anderen. Mk 13,20: Hätte der Herr die Tage nicht abgekürzt, würde kein Mensch gerettet werden. Aber um der Auserwählten willen, die er erkoren, hat er die Tage abgekürzt (dies bezieht sich auf die Zerstörung Jerusalems). 1 Thess 1,4: Im Wissen, von Gott geliebte Brüder, um eure Erwählung ... Röm 11,7: Was nun? Was Israel anstrebte, hat es nicht erreicht. Nur die Auserwählten haben es erreicht. Die übrigen aber wurden verstockt. 1 Tim 5,21: Ich beschwöre dich vor Gott, Christus Jesus und den auserwählten Engeln, dass du dies ohne Vorurteil befolgst und unparteiisch handelst. Röm 8,33: Wer soll gegen die Auserwählten Gottes Anklage erheben? Gott, der sie für gerecht erklärt? Röm 11,5: So ist auch in der jetzigen Zeit ein Rest geblieben, den die Gnade erwählt hat. 2 Tim 2,10: Deswegen ertrage ich alles um der Auserwählten willen, damit auch sie in Christus Jesus das Heil und ewige Herrlichkeit erlangen. Tit. 1,1: Paulus, Knecht Gottes und Apostel Jesu Christi nach dem Glauben der Auserwählten Gottes und der Erkenntnis der Wahrheit, die zur Frömmigkeit führt. 1 Petr 1,1: Petrus, Apostel Jesu Christi, an die Fremdlinge in der Diaspora von Pontus, Galatien, Kappadozien, Asien und Bithynien, die auserwählt sind. 1 Petr 5,13: Es grüßt euch die mitauserwählte Gemeinde in Babylon und Markus, mein Sohn. 1 Petr 2,9: Ihr aber seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliges Volk, ein Volk, das Gott gehört, damit ihr die herrlichen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat. 1 Thess 5,9: Denn Gott hat uns nicht für das Zorngericht bestimmt, sondern für die Erlangung des Heils durch unseren Herrn Jesus Christus. Apg 13,48: Als die Heiden das hörten, freuten sie sich und priesen das Wort des Herrn. Und alle, die zum ewigen Leben bestimmt waren, nahmen den Glauben an. Joh 17,9: Für sie bitte ich. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für sie, die du mir gegeben hast. Sie sind ja dein. Joh 6,37: Jeder, den der Vater mir gibt, kommt zu mir, und wer zu mir kommt, den stoße ich nicht hinaus. Joh 6,65: Und er sagte: »Darum habe ich zu euch gesagt: Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht vom Vater gegeben ist«. Joh 13,18: Nicht von euch allen spreche ich. Ich weiß, wen ich mir erwählt habe. Allein die Schrift muss in Erfüllung gehen: Der mein Brot isst, hat seine Ferse gegen mich erhoben. Joh 15,16: Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und euch dazu bestellt, dass ihr hingeht und Frucht bringt, bleibende Frucht! Dann wird der Vater euch alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Ps 105,6: Ihr seines Dieners Abraham Stamm, ihr Jakobs, seines Erwählten, Söhne! Röm 9,23: Und wenn er an den Gefäßen des Erbarmens, die er für die Herrlichkeit vorausbestimmt hat, den Reichtum seiner Gnade zeigen will? Vgl. dazu Eph 1,4.5.11; Röm 9,11--13; 8, 29f. usf. __________________________________________________________________ 3) Vernunftbeweise Wird die Lehre von der völligen Unfähigkeit oder der Erbsünde anerkannt, so folgt logisch die Lehre der unbedingten Erwählung. Wenn sich alle Menschen ihrer Natur nach im einem Zustand von Schuld und Verderbtheit befinden, wie die Schrift sagt, von dem aus sie völlig unfähig sind, sich selbst zu erlösen und auch keinerlei Anspruch erheben können, dass Gott sie daraus erlöst, dann folgt daraus, dass alle, die errettet werden, von Gott dazu vorherbestimmt werden müssen. Seine Liebe gegenüber gefallenen Menschen erweist sich darin, dass er eine unzählbare Schar ausgewählt hat, in der Vorsehung eines Erlösers, der als deren königliches Oberhaupt und Repräsentant ihre Schuld auf sich genommen hat; der die Strafe bezahlt und ihre Errettung errungen hat. Der Beschluss zur Erwählung beruht immer auf der göttlichen Liebe, und die Schrift wird nicht müde, uns zu zeigen, was der wahre Beweggrund dieser Erwählung war: die göttliche Liebe. Die Lehre, dass Menschen ausschließlich aufgrund dieser unverdienten Liebe und Gnade Gottes gerettet werden, findet vollen und redlichen Ausdruck nur in der Lehre des Calvinismus. Die gnadenvolle Eigenschaft der Errettung kann am besten betrachtet werden anhand der Erwählung Einzelner. Diejenigen, die behaupten, die Erlösung beruhe einzig und allein auf der Gnade Gottes, dabei aber die Lehre von der Gnadenwahl ablehnen, widersprechen sich damit selbst. Die inspirierten Schreiber lassen kein Mittel aus, uns zu zeigen, dass die Gnadenwahl völlig souverän ist und einzig und allein auf Gottes Liebe beruht. Menschen und Engel sollen seine Gnade und rettende Barmherzigkeit sehen. Als Herrscher und Richter ist Gott frei, mit einer sündigen Welt nach seinem Wohlgefallen umzugehen. Er kann völlig gerechterweise einigen vergeben und andere verdammen; er kann seine Gnade zuwenden, wem immer er will und sie auch vorenthalten, wem immer er will. Es liegt nicht am Laufen oder Wollen, sondern an Gott, der Gnade erweist, und der Grund, weshalb es diese Errettung überhaupt gibt und weshalb der eine errettet wird und der andere nicht, kann einzig und allein im Wohlgefallen dessen gefunden werden, der alle Dinge nach dem Ratschluss seines Willens anordnet. Aus diesem Grund allein hat er all jene vor Grundlegung der Welt auserwählt, denen er seine freie Gnade zuwenden will und damit das Erbe ewigen Segens; die Schreiber der Bibel haben peinlich darauf geachtet, jedem einzelnen Gläubigen unter all diesen unzähligen Erlösten die Versicherung zuzusprechen, dass ihre Erlösung vor aller Ewigkeit beschlossene Sache ist und sich jetzt diese hohe Bestimmung erfüllt, die vor Grundlegung der Welt beschlossen worden war. [82] Die Lehre der ewigen und unbedingten Erwählung ist manchmal das Herzstück des reformierten Glaubens genannt worden. Sie legt die Bedeutung auf die Souveränität der Gnade Gottes in die Erlösung, während die arminianische Sicht die Bedeutung auf das Werk des Glaubens und des Gehorsams legt, das derjenige erfüllt, der die angebotene Gnade annimmt. Der Calvinismus lässt Gott allein die Wahl treffen, wer des Himmels Erbe ist und mit wem Er die Reichtümer seiner Herrlichkeit teilen will, während der Arminianismus letztlich den Menschen entscheiden lässt -- ein Prinzip, dem es im besten Fall an Demut mangelt. Man mag fragen, weshalb denn Gott gerade diesen rettet und den anderen nicht? Aber das gehört zu seinen geheimen Ratschlüssen. Warum gerade der eine bekommt, was dem anderen vorenthalten wird, was beide nicht verdient haben, wird uns nicht gesagt. Dass es Gott gefallen hat, uns zu erwählen, muss für immer Sache anbetender Verehrung jenes Wunders bleiben. Da ist ganz sicher nichts in uns, weder eine Eigenschaft, noch eine Tat, die uns in irgendeiner Weise seine Gunst zuwendete, denn wir waren tot in Übertretungen und Sünden und Kinder des Zorns wie die anderen (Eph 2,1--3). Wir können nur anbeten und bewundern und mit Paulus ausrufen: »O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse, wie unergründlich seine Wege!« Das Wunder der Wunder ist nicht, dass Gott in seiner unendlichen Liebe und Gerechtigkeit nicht alle Menschen erwählt hat, sondern dass Er einige Verlorene begnadigt hat. Wenn wir auf der einen Seite bedenken, welch abscheuliche Sache die Sünde zusammen mit ihrer entsetzlichen Strafe ist, andererseits die Heiligkeit Gottes bedenken, die diese Sünde hasst, dann ist es ein Wunder, dass Gottes Heiligkeit es überhaupt zugelassen hat, irgendeinen Menschen zu erretten. Dass Gott nicht alle Menschen zur Errettung bestimmt hat, sondern nur einige, kann nicht damit zu tun haben, dass er nicht alle erretten wollte, sondern dies können wir uns einfach nicht erklären; vielleicht verträgt sich die Erwählung aller Menschen mit seiner vollkommenen Gerechtigkeit nicht. Niemand darf sagen, diese Sicht präsentierte uns Gott als einen Willkürgott, der ohne Gründe handle. Dies zu behaupten geht über jedermanns Wissen weit hinaus. Die Gründe, weshalb er einige errettet und andere übergeht, sind uns nicht offenbart worden. »Nach Seinem Willen tut er mit dem Heere des Himmels und mit den Bewohnern der Erde« (Dan 4,32). Einige werden als Kinder bestimmt »nach dem Wohlgefallen seines Willens« (Eph 1,5) -- das bedeutet nicht, dass er keinen Grund für seine Wahl hat. Wenn ein Regiment für seinen Ungehorsam bestraft wird, so ist die Tatsache, dass etwa nur jeder zehnte getötet wird, ebenso nicht ohne Grund; der Grund liegt jedoch nicht in den Menschen. Unzweifelhaft hat Gott die besten Gründe dafür, den einen auszuwählen und den andern zu übergehen, auch wenn er uns die Gründe nicht offengelegt hat. »May not the Sovreign Lord on high Dispense His favors as He will;Choose some to life, while others die, And yet be just and gracious still?Shall man reply against the Lord, And call his Makers ways unjust? The thunder whose dread word Can crush a thousand worlds to dust. But, O my soul, if truths so bright Should dazzle and confound thy sight, Yet still His written will obey, And wait the great decisive day!« [83] __________________________________________________________________ [82] Die Gefahr des Missverständnisses dieser Lehre besteht in der Auffassung, die Erwählung impliziere ein statisches Erlöstsein, (das letztlich auch die Notwendigkeit von Mission überflüssig mache) -- ein typisches Missverständnis, das u. a. im amerikanischen Sprachraum unter der Bezeichnung »Once saved, ever saved« bekannt geworden ist. Dass das Beharren der Heiligen aber kein statisches "Dabeisein" ist, sondern durch den verordneten Kampf des Glaubens jenseits jeglicher Trödlersicherheit steht, hat die Geschichte des Calvinismus hinlänglich bewiesen (Max Weber!). Die Lehre sagt auch nicht, die Erwählten seien sicher, egal was sie tun; sie sagt nicht, dass das Kind Gottes je schon errettet ist und bleibt (»Once saved -- ever saved«), sondern dass ein Erwählter den Kampf des Glaubens kämpfen wird, so dass er auf diesem Wege bewahrt bleibt. Dies wiederum impliziert gerade nicht die Möglichkeit des Abfalles -- und genau darin besteht das Missverständnis des Arminianismus, der meint, das Heil könne auch wieder verloren werden. Die kritischen Stellen des NT interpretiert er als Hinweis auf diesen Verlust, der Calvinismus sieht diese Stellen teilweise als Mittel, die Kinder Gottes vor diesem Verlust zu bewahren (Spurgeon), teilweise sieht er Menschen angesprochen, die zwar erleuchtet sind, in ihrem Herzen aber doch nicht wiedergeboren sind (z. B. Hebr. 6 + 10; vgl. Wayne Grudem, Systematic Theology). Die Ansicht, der Christ könne wieder verlorengehen, setzt einen Gott voraus, der immer noch das Verdienst des Gläubigen gegen sein Bewahren in Rechnung setzt. In eifrigem Heiligungsstreben hat er vergessen, dass es Gott ist, der heiligt, und dass der Ungehorsam eines seiner Kinder nicht mit dem Ausschluss vom Heil bestraft wird, sondern dass Gott es in Seiner Gnade versteht, das ungehorsame Kind zu züchtigen und zu Seiner Herde zurückzubringen (A. d. Ü.). [83] »Darf nicht der allmächt'ge Herr der Höhe bezeugen Seine Gunst, wem immer er will; bestimmen die einen zum Leben, die anderen zum Tode, doch ganz gerecht und gnadenvoll? Darf der Mensch hier rebellieren, seines Herren Wege unrecht prädizieren? Der Donner, dessen schrecklich Wort zerschlagen kann zu Staub an tausend Welten. Doch meine Seele, ach, so leuchtend Wahrheit sollt' blenden und verblüffen dich. 'Doch immer noch geschieht sein Wille wartet auf den entscheidenden Tag!« (Zitiert aus: Ness, Antidote Against Arminianism). __________________________________________________________________ 4) Glaube und Werke -- Früchte als Beweise der Erwählung, nicht als deren Basis Weder die Prädestination im Allgemeinen noch die Erwählung zur Errettung im Besonderen basieren darauf, dass Gott irgend eine Handlung seiner Schöpfung vorhersieht. Dieses Dogma des reformierten Glaubens ist im Westminster-Bekenntnis angemessen formuliert. Wir lesen da: »Obwohl Gott alles weiß, was unter allen gegebenen Umständen geschehen soll oder kann, so hat er doch nichts aus dem Grund beschlossen, weil er es als zukünftig vorausgesehen hat, oder dass es unter bestimmten Umständen eintreffen würde.« »Diese guten Werke, getan im Gehorsam gegen Gottes Gebote, sind die Früchte und sichtbaren Folgen eines wahren und lebendigen Glaubens. Durch sie bringen die Gläubigen ihre Dankbarkeit zum Ausdruck, bekräftigen ihre Gewissheit, fördern ihre Brüder, zieren das Bekenntnis des Evangeliums, stopfen Gegnern den Mund und verherrlichen Gott; denn sie sind dessen Werkzeuge, dazu geschaffen in Christus Jesus, um als solche, die ihre Frucht in Heiligkeit bringen, zum Schluss das ewige Leben zu empfangen.« »Ihre Fähigkeit, Gutes zu tun, stammt keineswegs von ihnen selbst, sondern gänzlich vom Geist Christi. Damit sie dazu befähigt werden, ist neben den bereits empfangenen Gnadengaben ein direkter Einfluss desselben Heiligen Geistes erforderlich, um in ihnen das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen zu wirken. Doch dürfen sie dadurch nicht nachlässig werden, als ob sie keinerlei Aufgaben zu erfüllen hätten, außer auf ein besonderes Zeichen des Geistes hin; sondern sie sollen eifrig die Gnade Gottes entfachen, die in ihnen ist.« [84] Sieht Gott den Glauben und die Guten Werke auch voraus, so sind sie niemals der Grund der göttlichen Erwählung. Sie sind die Frucht der Erwählung. Sie zeigen, dass eine Person erwählt und wiedergeboren ist. Sie zur Basis der Erwählung zu machen, bringt uns erneut in einen Bund der Werke und verlegt Gottes Absichten in die Zeit anstatt in die Ewigkeit. Das wäre dann keine Vorher-Bestimmung, sondern eine Hernach-Bestimmung -- eine Verkehrung mithin der schriftlichen Belegstellen --, die den Glauben und die Heiligkeit zu Konsequenzen der Erwählung machen statt umgekehrt (Eph 1,4; Joh 15,16; Tit. 3,5). Die Aussage, dass wir in Christus erwählt sind »vor Grundlegung der Welt« schließt jedes eigene Verdienst aus; die hebräische Ausdrucksweise »vor Grundlegung der Welt« bedeutet, dass jene Sache in Ewigkeit festgelegt worden ist. Wenn der Arminianismus Paulus' Aussage »nicht aus Werken, sondern durch Ihn, der beruft« auf zukünftige Werke bezogen sein lässt, widerspricht er den eigenen Worten des Apostels. Dass der Beschluss der Erwählung in irgendeiner Weise auf das Vorherwissen bezogen sein sollte, lehnt Paulus ab, wenn er sagt, es sei darum, »dass wir heilig sein sollten« (Eph 1,4). Er besteht darauf, dass die Errettung »nicht aus Werken [ist], so dass sich niemand rühme«. In 2 Tim1,9 lesen wir, dass Gott es ist, »der uns errettet hat und berufen mit heiligem Rufe, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem eigenen Vorsatz und der Gnade, die uns in Christo Jesu vor den Zeiten der Zeitalter gegeben ist.« Daher hält der Calvinismus daran fest, dass die Erwählung den guten Werken vorausgeht, nicht aber auf ihnen gründet. Die Essenz dieser Lehre besteht darin, dass sich Gott in seiner Wahl nicht von Überlegungen zu Verdienst oder Güte der Erwählten hat leiten lassen. »Weder am Laufenden, noch am Wollenden, sondern an Gottes Gnade hängt die Erlösung des Sünders -- dies ist das standfeste Zeugnis der gesamten heiligen Schrift, die unter beständiger Wiederholung und vielfältiger Verbindung zeigt, dass sich hinter der Erwählung keinerlei Überlegungen zu vorhergesehenem Charakter, Handlungen oder Umständen verbirgt, die sich etwa als Gründe für eine Erwählung erweisen könnten.« [85] Vorherbestimmung kann ganz allgemein nicht auf Vorherwissen beruhen; denn nur, was gewiss geschehen wird, kann auch vorhergewusst werden, und gewiss geschehen kann nur, was vorherbestimmt ist. Der allmächtige und souveräne Herrscher des Universums lässt sich nicht von Zukunftsvisionen bestimmen, die vielleicht -- vielleicht auch nicht -- eintreffen werden. Die ganze Schrift hindurch wird das göttliche Vorherwissen immer als vom göttlichen Ratschluss abhängig gelehrt; Gott weiß die Dinge vorher, weil er sie vorherbestimmt. Sein Vorherwissen ist nichts als eine Art Kopie seines Willens, was in Zukunft geschehen soll; der Lauf der Geschichte unter seiner Vorsehung ist nichts als die Ausführung seines allumfassenden Plans. Sein Vorherwissen dessen, was noch kommen soll -- betrifft es nun die Welt als Ganze oder auch den Einzelnen in jedem Detail seines Lebens -- beruht auf seinem vorherbestimmten Plan (Jer 1,5; Ps 139,14--16; Hi. 23,13.14; 28,26f.; Am. 3,7). Nun gibt es allerdings eine Schriftstelle, die zu besagen scheint, Erwählung und auch Vorherbestimmung basieren generell auf dem Vorherwissen. Dieser Schriftstelle wollen wir uns nun zuwenden. In Röm 8, 29f. lesen wir: »Denn welche er vorhererkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bilde seines Sohnes gleichförmig zu sein, damit er der Erstgeborene sei unter vielen Brüdern. Welche er aber vorherbestimmt hat, diese hat er auch berufen; und welche er berufen hat, diese hat er auch gerechtfertigt; welche er aber gerechtfertigt hat, diese hat er auch verherrlicht.« Das Wort »erkannt« wird zu oft in anderem Sinn gebraucht, als dass es nur die verstandesgemäße Wahrnehmung des in Frage stehenden Dinges bezeichnet. Gelegentlich bedeutet es, dass eine »erkannte« Person in einem ganz speziellen und einzigartigen Sinn Gegenstand der Gunst Gottes sein kann, zum Beispiel, wenn von den Juden gesagt wird: »Nur euch habe ich von allen Geschlechtern der Erde erkannt« (Am. 3,2). Paulus schreibt: »Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt« (1. Kor 8,3). Von Jesus wird gesagt, dass er seine Schaffe »kennt« (Joh10,14.27); und zu den Bösen sagt Jesus: »Ich habe euch nie gekannt« (Mt 7,23). Im ersten Psalm lesen wir: »Der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Weg der Gottlosen führt ins Verderben.« In all diesen Passagen ist mehr als ein mentaler Akt des Wissens gemeint, denn in einem solchen Sinne »kennt« Gott ja sowohl die Gottlosen als auch die Gerechten. Es ist eine Form des Kennens, dessen Gegenstand nur die Erwählten sind und die immer mit Gottes Zuwendung, ja, mit seiner Liebe verbunden ist; es ist es diese Liebe, Gunst und Anerkennung. Röm 8,29 meint die vorher eingesetzten Erwählten, die Gegenstand seiner Gunst sind. Das zeigt sich etwas klarer in Röm 11,2--5, wo es heißt: »Gott hat sein Volk nicht verstoßen, das er vorhererkannt hat.« Ein Vergleich mit Elia wird gemacht, wenn Gott sagt: »Ich habe mir übrigbleiben lassen siebentausend Mann, welche dem Baal das Knie nicht gebeugt haben.« Im fünften Vers setzt er hinzu: »Also ist nun auch in der jetzigen Zeit ein Überrest nach Wahl der Gnade.« Jene, die in Vers zwei vorhergewusst werden und jene aus der Erwählung -- das sind dieselben Menschen; daraus ergibt sich: sie sind vorhergewusst in dem Sinne, dass sie als Gegenstand seiner Gnade vorherbestimmt sind. Man beachte, dass Röm 8,29 nicht sagt, sie werden vorher erkannt, weil sie irgend welche gute Werke getan hätten, sondern sie sind Gott vorher bekannt als Einzelne, denen er die Gnade der Erwählung zuwenden will. Man beachte weiter, dass wenn Paulus den Ausdruck »vorherersehen« in dem Sinne verwendete, dass die Erwählung auf dieser Vorkenntnis erst basiere, dann widerspräche er seinen Aussagen, mit der er die Erwählung sonst nur vom Wohlgefallen Gottes abhängen lässt. Der Arminianismus entreißt die Erwählung den Händen Gottes und legt sie in die Hände des Menschen. Das macht den Vorsatz Gottes abhängig von den labilen Willensakten gefallener Menschen und lässt zeitliche Ereignisse seine ewigen Beschlüsse bedingen. Das bedeutet: Er hat souveräne Menschen geschaffen, von denen nun sein Wille und seine Handlungen zu einem gewissen Ausmaß abhängig sind. So ist Gott aber höchstens ein guter, alter Vater, der versucht, seine Kinder dazu zu bringen, richtig zu handeln, meistens aber wenig Glück hat, weil der Wille des gefallenen Menschen zu verdreht ist; besser gesagt hat er sich zwar einen Plan ausgedacht, der aber die ganze Geschichte hindurch von den Menschen dermaßen durchkreuzt wird, so dass letztlich die meisten Menschen zur Hölle gehen als in den Himmel. Eine Lehre, die in solche Absurditäten führt, ist nicht nur unbiblisch, sondern auch unvernünftig und beraubt Gott Seiner Ehre. Im Kontrast dazu zeigt uns der Calvinismus einen großartigen Gott, der unendlich und perfekt ist, der Gnade und Gerechtigkeit nach Seinem besseren Wissen verleiht und der die Angelegenheiten der Menschen tatsächlich in seiner Hand hat. Sowohl Schrift wie christliche Erfahrung lehren uns, dass der Glaube und die Umkehr, durch die wir gerettet werden, selber Gaben Gottes sind. »Durch Gnade seid ihr errettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es« (Eph 2,8). Die Christen in Achaia hatten »geglaubt aus Gnaden« (Apg 18,27). Ein Mensch wird nicht gerettet, weil er an Christus glaubt, sondern er glaubt an Christus, weil er gerettet ist. Sogar der Beginn des Glaubens, die Neigung also, nach Erlösung zu suchen, ist selbst schon Auswirkung jener Gnade und damit Geschenk Gottes. Paulus sagt oft, dass wir durch den Glauben gerettet sind (der Glaube ist hier die bewirkende Ursache), aber eines sagt er niemals: dass wir wegen unseres Glaubens gerettet sind (hier wäre der Glaube selbst schon ein verdienstliches Werk). Im gleichen Sinn können wir sagen: Zwar werden die Erlösten etwa proportional zu ihren guten Werken belohnt, aber nicht aufgrund dieser guten Werke. Im gleichen Sinn sagt Augustinus: »Die Erwählten Gottes sind von Ihm erwählt worden, damit sie seine Kinder sein sollen, damit sie zum Glauben gebracht werden sollten, nicht etwa, weil Er voraussah, dass sie einst glauben würden.« Auch die Bekehrung, die Umkehr selbst ist schon ein Geschenk: »Als sie aber dies gehört hatten, beruhigten sie sich und verherrlichten Gott und sagten: Dann hat Gott also auch den Nationen die Buße gegeben zum Leben« (Apg 11,18). »Diesen hat Gott durch seine Rechte zum Führer und Heiland erhöht, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben«. [86] (Apg . 5,31). Paulus wies jene zurück, die nicht wahr haben wollten, dass es die Güte Gottes sei, was sie zur Buße leite (Röm 2,4). Jeremia schrie: »Bringe mich heim, ich will mich bekehren! Du bist ja der Herr, mein Gott. Seit ich dich ließ, bereute ich es. Als ich es einsah, schlug ich auf meine Hüfte« (Jer 31,18f.). [87] Womit hätte der ungeborene Johannes im Mutterleib die Erfüllung mit Heiligem Geist erreicht (Lk 1,15)? Jesus sagte seinen Jüngern, dass ihnen, nicht aber den anderen gegeben werde, die Geheimnisse des Königreichs zu verstehen (Mt 13,11). Wenn man die Erwählung von vorhergesehenem Glauben anhängen lässt, dann behauptet man damit: Wir sind zum ewigen Leben erwählt, weil wir geglaubt haben. Die Schrift aber sagt das genaue Gegenteil: » ... so viele ihrer zum ewigen Leben bestimmt waren« (Apg 13,48). Unsere Erlösung ist »nicht auf Grund von Werken der Gerechtigkeit, die wir vollbracht hätten, sondern nach Seinem Erbarmen: durch das Bad der Wiedergeburt und durch die Erneuerung im Heiligen Geist« (Tit. 3,5). Wir werden ermutigt, unsere Erlösung mit Furcht und Zittern zu bewirken, weil Gott es ist, der in uns wirkt beides: das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen. Gerade weil Gott ins uns wirkt, bemühen wir uns um Entwicklung und Bearbeitung unserer Erlösung (Phil. 2,12f.). Der Psalmist sagt uns, dass das Volk Gottes sich willentlich hingibt am Tag seiner Macht (Ps 110,3). Daher ist die Bekehrung ein einzigartiges und souveränes Geschenk Gottes. Der Sünder hat keinerlei Kraft in sich selbst, sich Gott zuzukehren, sondern er wird durch die göttliche Gnade erst erneuert und bekehrt, bevor er irgend etwas geistlich Gutes tun kann. In Übereinstimmung damit lehrt Paulus, dass Liebe, Freude, Friede, Güte, Treue, Selbstbeherrschung etc. gerade nicht die Bedingungen der Erlösung sind, sondern diese Dinge sind erst »die Früchte des Geistes« (Gal. 5, 22f.). Paulus selbst war auserwählt, den Willen Gottes zu erkennen und zu tun, aber nicht, weil das vorhergesehen worden war (Apg 22,14f.). . Augustin sagt: »Die Gnade Gottes sucht sich keine passenden Menschen, um sie zu erwählen, sondern macht sie passend. ... Die göttliche Güte öffnet denen nicht nur, die klopfen, sondern bringt sie dazu, anzuklopfen und zu bitten.« [88] Luther hat die gleiche Wahrheit ähnlich ausgedrückt: »Gott allein wirket in uns Verdienst und Belohnung durch seinen Geist.« [89] Johannes sagt: »Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat« (1. Joh 4,19). Diese Stellen lehren unmissverständlich, dass der Glaube und die guten Werke die Früchte des Wirkens Gottes in uns sind. Wir sind nicht auserwählt, weil wir gerecht sind, sondern damit wir gerecht werden. Während nun gute Werke nicht die Basis der Errettung sind, sind sie als Früchte und Auswirkungen gesehen absolut notwendig. Der Glaube bringt sie hervor, genau wie der Weinstock die Weintrauben hervorbringt. Während uns die guten Werke vor Gott nicht gerecht machen, sind sie doch mit dem Glauben so eng verbunden, dass echter Glaube nie ohne gute Werke sein kann. Gute Werke können strikt genommen nicht außerhalb des Glaubens gefunden werden. Unsere Errettung ist nicht »aus Werken«, sondern »für gute Werke« (Eph 2,9f.), und der errettete Christ fühlt sich nur dann in seinem natürlichen Element, wenn er gute Werke vollbringt. Jakobus lehrt uns, dass ein fadenscheiniger und unechter Glaube der ist, welcher keinerlei Früchte zeitigt. Es liegt dieser Aussage dasselbe Prinzip zugrunde wie bei der Veranschaulichung Jesu, dass man den Baum an den Früchten erkennt und dass ein guter Baum keine schlechten Früchte bringt. Gute Werke sind für den Christen der Normalfall. Es ist wie beim Atmen -- er atmet nicht, um Leben zu bekommen, sondern er atmet, weil er lebt, ja, aus diesem Grunde muss er atmen. Gute Werke ehren Gott, daher sagt Jesus: »Lasst euer Licht vor den Menschen scheinen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel dafür loben (und nicht euch)«. Ihm allein gebührt die Ehre. Der Calvinismus ist die logische Konsequenz der biblischen Lehre, dass die Erlösung allein das Werk der Gnade ist. Alles andere führt uns in ein aussichtsloses Chaos an verschiedenen Ansichten, die der Heiligen Schrift widersprechen. Freilich gibt es immer noch Geheimnisse, auch im Calvinismus, und ganz sicher wäre der Mensch, hätte er einen eigenen Plan aufstellen müssen, nicht auf diesen gekommen. Die Prädestination aber deswegen über Bord zu werfen, weil sie nicht zu unseren Vorurteilen und liebgewordenen Traditionen passt, ist schlicht und ergreifend dumm. So etwas zu tun bedeutet, Gott am menschlichen Verstand auszurichten und die Weisheit und Gerechtigkeit seines Handelns zu leugnen, weil wir sie nicht verstehen. Damit erklären wir stillschweigend seine eigene Offenbarung für falsch und irreführend. »Es ist gefährliche Einbildung, wenn der Mensch >mit ungewaschenen Händen< unternimmt, die großen Geheimnisse Gottes mit seiner menschlichen Vernunft lösen zu wollen, dort, wo der Apostel selbst erstaunt ausruft: ,O welche Tiefe, wie unerforschlich ... wer hat des Herrn Sinn erkannt? Hätte Paulus die Sicht des Arminianismus gehabt, hätte er geantwortet: Errettet ist, von dem vorausgesehen wird, dass er glauben und beharren wird! [90] Es wäre kein Geheimnis, wenn die Errettung auf guten Werken beruhte. In unserem Gedankengebäude ist aber jedes Rühmen völlig ausgeschlossen. Hier ist die Erlösung in allen ihren Teilen das uneingeschränkte Werk der ungetrübten Gnade; diese Gnade basiert nicht auf guten Werken, sondern bringt sie erst hervor. __________________________________________________________________ [84] WB, Art. 3.2; 16.2; 16.3. [85] B. B. Warfield, Biblical Doctrines, über die Prädestination, S. 63. [86] Man beachte, dass nirgends steht: »die Möglichkeit zur Buße gegeben«, sondern: »die Buße gegeben«. Die anthropozentrische Theologie des Arminianismus lässt sich von der theozentrischen Theologie wahrscheinlich genauso schwer wieder vom Thron stoßen, wie das Christentum den Humanismus schwerlich wieder vom Thron stoßen wird, wenn nicht Gott ein goldenes Zeitalter des Christentums heraufführt, bevor unser Herr und Heiland auf die Erde zurückkehrt (A. d. Ü.). [87] Die King James Version übersetzt: »Turn thou me and I shall be turned; for thou art Jahweh my God. Surely after that I was turned, I repented; and after that I was instructed« (A. d. Ü.). [88] Quelle nicht angegeben. [89] Quelle nicht angegeben. [90] Christopher Ness, Antidote Against Arminianism, S. 31. __________________________________________________________________ 5) Verwerfung 1. Aussagen 2. Kommentare von Calvin, Luther und Warfield 3. Schriftbelege 4. Die Basis der Lehre -- die Erbsünde 5. Den Nichterwählten wird kein Unrecht getan 6. Der unerwählte Zustand der Heiden 7. Zweck der Lehre von der Verurteilung 8. Der Hauptangriff der Arminianer auf diese Lehre 9. Wir sind nicht verpflichtet, alles zu erklären 1. Aussagen Die Lehre von der Prädestination führt es logischerweise mit sich, dass einige zum Tod vorherbestimmt sind. Die Begriffe »erwählt« und »Erwählung« implizieren die Begriffe »nicht erwählt« und »verurteilt«. Wenn einige auserwählt sind, sind es notwendig andere nicht. Die großen Privilegien und die herrliche Bestimmung der Einen gilt den anderen nicht. Auch dies ist allein auf Gott zurückzuführen. Wir glauben, dass Gott von Ewigkeit her vorhatte, einige Nachkommen Adams in ihren Sünden zu lassen und dass der Grund für eine solche die Auswahl einzig und allein in Gottes Willen gefunden werden kann. Wie Mozley gesagt hat, war die gesamte Menschheit nach dem Fall »eine einzige Masse der Verdammnis; es hat Gott in seiner souveränen Gnade gefallen, einige zu retten und andere zu lassen, was sie sind; einige zur Herrlichkeit zu führen und ihnen die dafür notwendige Gnade zuzuwenden, die anderen jedoch der ewigen Strafe zu überlassen, indem er ihnen diese Gnade vorenthielt.« [91] Die Hauptschwierigkeit in der Lehre der Erwählung entsteht in bezug auf diejenigen, die verlorengehen; die Schrift hat uns keine genaue Auskunft über ihren Zustand gegeben. Da die Mission Jesu nicht war, die Welt zu richten, sondern sie zu retten, wird jenem Aspekt der Sache wenig Aufmerksamkeit geschenkt. In allen reformierten Bekenntnissen, in denen von der Verurteilung gehandelt wird, wird davon gesprochen, dass sie ein wesentlicher Bestandteil der Prädestinationslehre sei. Das Westminster-Bekenntnis sagt im Anschluss an den Artikel um die Erwählung: »Nach dem unerforschlichen Ratschluss seines eigenen Willens -- aufgrund dessen er Barmherzigkeit walten lässt oder zurückhält, wie es ihm gefällt -- hat Gott beschlossen, die übrige Menschheit zur Ehre seiner höchsten Macht über seine Geschöpfe zu übergehen und sie zum Lob seiner vollkommenen Gerechtigkeit wegen ihrer Sünde zu Schmach und Zorn zu bestimmen.« [92] Wer an die Erwählung glaubt, die Verurteilung (der Nichterwählten) aber leugnet, kann schwerlich auf die Logik seiner Aussage pochen. Ersterem zuzustimmen, während man letzteres leugnet, bedeutet letztlich, dass man das Dekret der Prädestination zu einem unlogischen oder ungleichgewichtigen System erklärt. Das Bekenntnis, das zwar die Prädestination aufrecht hält, die Verurteilung der Nichterwählten aber nicht Sache der Vorherbestimmung sein lässt, gleicht einem verwundeten Adler, der versucht, mit nur einem Flügel zu fliegen. Man hat im »gemäßigteren Calvinismus« die Neigung entwickelt, die Lehre der Verurteilung aufzugeben, und dieser ach so milde Ausdruck hat sich wie ein Keil in den echten Calvinismus geschoben, der Tür und Tor für allerlei gefährliche Angriffe geöffnet hat. »Gemäßigter Calvinismus« ist ein Synonym für angekränkelten Calvinismus; eine Krankheit aber, die nicht geheilt wird, ist der Beginn vom Ende. 1. Kommentare Calvins, Luthers und Warfields Calvin selbst hat nicht gezögert, auch die Verurteilung der Verlorenen gleich der Erwählung der Geretteten auf den ewigen Plan Gottes zurückzuführen. Wir haben ihn bereits zu diesem Thema zitiert: »Denn die Menschen werden nicht alle mit der gleichen Bestimmung erschaffen, sondern den einen wird das ewige Leben, den anderen die ewige Verdammnis vorher zugeordnet. Wie also nun der einzelne zu dem einen oder anderen Zweck geschaffen ist, so -- sagen wir -- ist er zum Leben oder zum Tode >vorbestimmt<.« [93] An einer anderen Stelle sagt er: »Denn die Erwählung selbst hätte ohne die ihr gegenüberstehende Verwerfung keinen Bestand.« [94] Calvin selbst gab zu, dass letzteres zu Problemen führe, die nicht leicht zu lösen sind, beharrte aber darauf, dass es die einzig denkbare Alternative sei, die Schrift-Tatsachen zu erklären. Luther hat die ewige Verdammnis genauso klar auf den ewigen Plan Gottes zurückgeführt wie die ewige Errettung der Gerechten: »Das beleidigt unsere natürliche Vernunft, dass Gott ganz vorurteilslos einige Menschen sich selbst überlassen, sie verhärten und verdammen sollte, und dennoch gibt Er vielfach Zeugnis davon, dass es sich gerade so verhält. Die einzige Ursache der Errettung einiger und der Verdammnis anderer liegt darin, dass er die einen erlösen will, die anderen jedoch der Verdammnis überlassen will, ganz wie Paulus sagt: ,Er erbarmt sich, wessen er sich erbarmen will und verhärtet, wen er verhärten will. ... Es scheint der menschlichen Weisheit absurd, dass Gott einige Menschen verhärten, blenden und ihrem verderbten Sinn überlassen sollte, dass Er sie zuerst dem Bösen überlassen sollte, um sie nachher dafür zu verurteilen. Der gläubige, geistliche Mensch sieht in all dem keine Absurdität, denn er weiß, dass Gottes Güte nicht geschmälert würde, sollte er alle Menschen verdammen.« [95] Er fügt hinzu, dass darunter nicht verstanden werden darf, dass Gott die Menschen gut, weise, gehorsam vorfindet, um sie dann böse, töricht zu machen und zu verstocken; die Menschen sind bereits so gefallen und verderbt, dass jene, die nicht wiedergeboren werden, statt durch Gottes Gesetz und Einfluss besser zu werden, dagegen aufbegehren und schlechter werden. In Bezug auf Röm 9,10f. redet Luther »von der ewigen Vorherbestimmung Gottes, woher es ursprünglich fließt, wer glauben oder nicht glauben soll, wer von Sünden los oder nicht los werden kann, womit es ja ganz aus unsern Händen genommen und allein in Gottes Hand gegeben sei, dass wir fromm werden. Und das ist auch aufs allerhöchste not. Denn wir sind so schwach und ungewiss, dass, wenn es bei uns stünde, freilich nicht ein Mensch selig würde, der Teufel würde sie gewisslich alle überwältigen. Aber nun Gott gewiss ist, dass ihm das, was er vorherbestimmt, nicht fehlgehet, noch jemand ihm wehren kann, haben wir noch Hoffnung wider die Sünde.« [96] Dr. Warfield sagt: »Die Schreiber der Bibel sind weit davon entfernt, die Lehre der Erwählung zu verdunkeln, um nur ja jede falsche Schlussfolgerung zu vermeiden. Im Gegenteil, sie gehen auf diese falschen Argumente ein und machten sie zu einem fixen Bestandteil ihrer Lehre. Ihre Lehre von der Erwählung, von der sie uns ganz ungezwungen berichten, involviert ganz selbstverständlich auch den Aspekt des Vergangenen. Der genaue Ausdruck im NT, den sie verwenden, lautet >eklegomai<, (Eph 1,4). So sagt Meyer korrekt über diesen Ausdruck, er habe immer, und dies aus zwingend logischen Gründen, einen Bezug zu einer andern Personengruppe, zu denen die Erwählten ohne die >ekloga< gehörten. Dieser Ausdruck impliziert, dass die Erwählten immer schon aus einer Gruppe Verlorener herausgenommen sind. Die Lehre präsentiert die Erwählung als einen puren Akt der Gnade Gottes. Die Erwählten sind ursprünglich durchaus Verlorene wie alle anderen auch, auf die die Gnade Gottes keinerlei rettenden Einfluss genommen hat und die daher ohne Hoffnung in ihrer Sünde belassen werden. Die gerechte Verdammung der Unbußfertigen wird explizit und in scharfem Kontrast zur rettenden Gnade gelehrt, die den Erwählten trotz ihrer Sünde gewährt wird.« [97] An einer anderen Stelle sagt er: »Die Schwierigkeit, die einige mit dem Argument des Apostels (Röm 9,11f.) haben, hat -- so vermuten wir -- seine Wurzeln zum Teil darin, dass sie meinen, Gott treffe in Bezug auf Erwählung und Verdammnis Willkürentscheidungen. Sicher bekräftigt Paulus die Souveränität von Gnade und auch von der Verwerfung, wenn man diese beiden Begriffe überhaupt voneinander trennen darf; wenn er etwa die Liebe Gottes zu Jakob erwähnt, verschweigt er auch nicht, dass Gott Esau aus nicht bekannten Gründen gehasst hat; wenn er sagt, Gott sei barmherzig, wem er will, dann bekräftigt er auch, dass Gott auch diejenigen verhärtet, die er verhärten will. Die Schwierigkeit, die einigen hier entsteht, hat zweifellos damit zu tun, dass man nicht bedenkt, auf welcher Basis der Apostel hier argumentiert: dass nämlich die ganze sündige Menschheit sich den Zorn Gottes zugezogen hat. Er redet von Gott vor dem Hintergrund einer verlorenen Menschheit, und aus dieser Menschheit baut er sich ein Königtum der Gnade. Es könnte immer noch eine souveräne Erwählung und auch Verwerfung geben, auch wenn nicht alle Menschen Sünder wären; die Verwerfung wäre dann keine Verwerfung zur Strafe, zur Vertilgung, zu ewigem Tode, sondern sie würden einer anderen Bestimmung übergeben, die mit jenem Zustand übereinstimmte, in dem sich die Übergangenen befänden. Tatsächlich ist die Nichterwählung einiger nicht auf ihren sündigen Zustand zurückzuführen; da die Erwählung ja eine freie Wahl ist, muss auch die Verwerfung gleich frei sein, jedoch werden die Verworfenen der Verdammnis überlassen, weil sie Sünder sind. Nicht die allgemeine Erlösung, sondern die allgemeine Verdammnis ist die Basis, von der aus Paulus seine Theodizee entwickelt. Wenn alle den (ewigen) Tod verdienen, dann ist es ein reines Wunder, wenn irgendwer zum Leben gelangt; wer will leugnen, dass der, der solche Gnade erweist, nicht selbst bestimmen darf, wem er sie erweist und wem nicht? [98] 1. Schriftbelege Zugegeben: Das ist keine ersprießliche Lehre. Sie wird auch nicht gelehrt, um sich bei Menschen einzuschmeicheln, sondern ganz einfach deswegen, weil es biblische Lehre ist -- eben die Kehrseite der Erwählungslehre. Ich werde nun einige Schriftstellen anführen, die diese Lehre mit unmissverständlicher Klarheit untermauern. Sie sollten ausreichen, um jedermann zufrieden zu stellen, der die Bibel für Gottes Wort nimmt. Spr 16,4: Für seinen Zweck hat der Herr alles geschaffen, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks. 1 Petr 2,8: (Von Christus wird gesagt, er sei gegenüber den Gottlosen gemacht) zum Stein des Anstoßes, zum Fels des Ärgernisses. Sie stoßen sich an ihm, wozu sie auch bestimmt sind, weil sie dem Wort nicht gehorchen. Jud. 4: Denn es haben sich gewisse Leute eingeschlichen, die längst für das Gericht vorgemerkt sind, gottlose Menschen, die die Gnade unseres Gottes in Ausschweifung verkehren und unseren alleinigen Gebieter und Herrn Jesus Christus verleugnen. 2 Petr 2,12: Sie aber lästern, was sie nicht verstehen, und werden auch in ihrer Verdorbenheit vernichtet werden, wie unvernünftige Tiere von Natur dazu bestimmt sind, eingefangen zu werden und zu verderben. Offb. 17,17: Denn Gott hat ihnen den Gedanken eingegeben, seinen Willen auszuführen und einmütig ihre Herrschaft so lange dem Tier zu übertragen, bis Gottes Worte durchgeführt sind. Offb. 13,8: (Joh Vision des Tieres hat die Aussage:) Anbeten werden es alle Bewohner der Erde, deren Namen seit Grundlegung der Welt nicht eingetragen sind im Buch des Lebens des Lammes, das geschlachtet wurde. Jene Bewohner stehen in starkem Kontrast zu den Jüngern, die Jesus zu frohlocken auffordert, weil ihre Namen im Himmel geschrieben stehen (Lk 10,20) und auch zu den Mitarbeitern Paulus', deren Namen im Buch des Lebens stehen (Phil. 4,3). Paulus erläutert, dass die »Gefäße des Zorns«, die vom Herrn »zum Verderben geweiht sind«, mit »Langmut ertragen worden sind«, damit Er an ihnen »seinen Zorn und seine Macht erzeige«; er kontrastiert sie mit den »Gefäßen des Erbarmens, die er für die Herrlichkeit vorausbestimmt hat« (Röm 9,22f.). Röm 1,28: (Über die Heiden wird gesagt:) Gott hat sie dahingegeben in ihren verwerflichen Sinn, zu tun, was sich nicht ziemt. Röm 2,5: (Dem Gottlosen wird gesagt:) Aber mit deinem Starrsinn und deinem zur Umkehr nicht bereiten Herzen häufst du dir Zorn auf für den Tag des Zornes und der Offenbarung des gerechten Gerichtes Gottes. 2 Thess 2,11: (Über jene, die verlorengehen, sagt Paulus:) Deshalb schickt Gott ihnen die Kraft der Verführung, dass sie der Lüge Glauben schenken. Sie werden aufgerufen, diese Dinge äußerlich zur Kenntnis zu nehmen, sich über sie zu wundern und in ihren Sünden zuschanden zu werden. Man beachte die Worte des Paulus in der Synagoge in Antiochien in Pisidien: »Schaut, ihr Verächter, staunt und vergeht! Ein Werk vollbringe ich in euren Tagen, ein Werk, das ihr nicht glauben würdet, wenn einer es euch erzählte.« Nachdem Johannes berichtet hat, wie ungläubig das Volk geblieben war, selbst nachdem Jesus derart viele Wunder getan hatte, fügt er hinzu: »Sie konnten nicht glauben; denn Jesaja hat weiter gesagt: >Er hat ihre Augen geblendet und ihr Herz verhärtet, damit sie mit den Augen nicht sehen und mit dem Herzen nicht verstehen und sich nicht bekehren, dass ich sie heile.<« Der Befehl Christi den Gottlosen im jüngsten Gericht gegenüber ist wohl der stärkste Beweis für die Lehre der Verwerfung: »Hinweg von mir, ihr Verfluchten, ins ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bereitet ist!« (Mt 25,41); es ist nicht von Belang, ob dieser Befehl in Zeit oder Ewigkeit ergeht. Was Gott richtig erscheint, im Zeitlauf zu tun, ist auch nicht falsch, wenn es bereits in seinem ewigen Plan enthalten ist. Einmal sagt Jesus: »Zum Gericht bin ich in diese Welt gekommen: Die Blinden sollen sehend, die Sehenden blind werden« (Joh 13,39). Ein andermal sagt er: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast« (Mt 11,25). Es fällt der menschlichen Vernunft schwer, zuzugeben, dass gerade jener anbetungswürdige Erlöser und einzige Erretter der Menschen für einige ein Stolperstein und ein Stein des Anstoßes ist, und dennoch erklärt ihn die Schrift genau dazu. Noch vor seiner Inkarnation war er bestimmt zum Fall und zur Auferstehung vieler in Israel (Lk 2,34). Wenn er in seinem vermittelnden Gebet in Gethsemane gesagt hat: »Für sie bitte ich, nicht für die Welt bitte ich, sondern nur für jene, die du mir gegeben hast«, so wird man sagen müssen, dass die Lehre der vorherbestimmten Verwerfung doch sehr stark fundiert ist. Jesus selbst erklärte, dass einer der Gründe, weshalb er in Gleichnissen rede, der sei, dass die Wahrheit denen verhüllt wird, für welche sie nicht bestimmt ist. Wir lassen die heilige Geschichte selbst für sich sprechen: »Da kamen die Jünger und fragten ihn: Warum redest du zu ihnen in Gleichnissen? Er antwortete ihnen: Euch ist es gegeben, die Geheimnisse des Himmelreichs zu verstehen. Jenen ist es nicht gegeben. Denn wer hat, dem wird gegeben, und er wird im Überfluss haben; wer aber nicht hat, dem wird noch weggenommen, was er hat. Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht hören und nicht verstehen. So erfüllt sich für sie die Weissagung Jesajas: Mit den Ohren sollt ihr hören und doch nicht verstehen; mit den Augen sollt ihr sehen und doch nicht erkennen. Denn verstockt ist das Herz dieses Volkes. Mit den Ohren hört es schwer, seine Augen hat es geschlossen, damit es mit den Augen nicht sieht und mit den Ohren nicht hört, mit dem Herzen nicht versteht und sich nicht bekehrt, dass ich es heile« (Mt 13,10--15; Jes 6,9f.). In diesen Worten haben wir die Anwendung eines anderen Jesuswortes: »Gebt das Heilige nicht den Hunden, und werft eure Perlen nicht den Schweinen vor, damit sie sie nicht mit ihren Füßen zertreten, sich umwenden und euch zerreißen« (Mt 7,6). Jeder, der behauptet, dass Christus geplant hat, seine rettende Wahrheit jedem anzubieten, der widerspricht Christus selbst. Den Verworfenen bleibt die Bibel ein verschlossenes Buch, nur dem echten Christen ist es »gegeben«, die Dinge darin zu sehen und zu verstehen. Diese Wahrheit ist dermaßen wichtig, dass es dem Heiligen Geist gefallen hat, die Jesajastelle im Neuen Testament sechsmal zu wiederholen (Mt 13, 14f.; Mk 4,12; Lk 8,10; Joh 12,40; Apg 28,27; Röm 11,9f.). Paulus teilt uns klipp und klar mit: Die Erwählten sind es aus Gnade; die Übrigen werden verhärtet. Er fügt hinzu: »Gott gab ihnen einen Geist der Betäubung, Augen, um nicht zu sehen, Ohren, um nicht zu hören, bis auf den heutigen Tag.« Und David sagt: »Ihr Tisch soll ihnen werden zum Strick und Strang, zum Verderben und zur Vergeltung. Ihre Augen sollen finster werden, dass sie nicht sehen; ihren Rücken beuge allezeit!« (Röm 11,8--10). Aus all diesen Gründen trägt die evangelische Verkündigung einigen gegenüber nicht zur Heilung, sondern zur Verstockung bei. Diese gleiche Lehre findet in zahlreichen anderen Stellen der Bibel die gleiche Anwendung. Mose sagte zu den Kindern Israel: »Doch Sihon, der König von Heschbon, wollte uns den Durchzug nicht gestatten. Denn der Herr, dein Gott, hatte seinen Sinn unbeugsam und sein Herz hart werden lassen, um ihn in deine Gewalt zu geben, wie es heute der Fall sein wird.« Über die kanaanitischen Stämme, die Josua Widerstand leisteten, wird gesagt: »Denn vom Herrn war es so gefügt, dass er ihr Herz verhärtete, so dass sie gegen Israel stritten, damit ohne Gnade der Bann an ihnen vollstreckt werden könnte und sie ausgerottet würden, wie der Herr dem Mose geboten hatte« (Jos11,20). Hophni und Pinhas, die Söhne Elis, »hörten nicht auf ihres Vaters Worte; denn der Herr hatte beschlossen, sie sterben zu lassen« (1 Sam 2,25). Obgleich der Pharao gegenüber den Israeliten gottlos und arrogant gehandelt hatte, gibt Paulus keinen anderen Grund für seine Verwerfung an als den, dass er ein Verworfener sei, dessen Handlungen zum Guten ausschlagen müssen: »Gerade dazu habe ich dich erweckt, um an dir meine Macht zu zeigen, damit mein Name auf der ganzen Erde verkündet werde« (2 Mo 9,16). All diese Verworfenen sind blind und verstockter Herzenshärtigkeit; wenn von jemandem wie dem Pharao gesagt wird, er sei von Gott verhärtet worden, dann können wir sicher sein, dass er in sich selber schon wert ist, dem Satan übergeben zu werden. Die Herzen der Gottlosen werden freilich nicht auf direktem Wege von Gott verhärtet; er erlaubt es dem Menschen ganz einfach, den ureigensten inneren Impulsen seiner selbst zu folgen, so dass das Resultat der eigenen Wahl ihn tiefer und tiefer in seine unempfindliche Rebellion führt. Wenn gesagt wird, Gott verhärte das Herz Pharaos, so heißt das auch: er selber trotzte (2 Mo 8,15; 8,32; 9,34). Die eine Beschreibung ist vom göttlichen Standpunkt aus gesehen, die andere vom menschlichen aus. Gott ist der Letztverantwortliche, insofern er es dem menschlichen Herzen erlaubt, eigene Wege zu gehen; die inspirierten Schreiber haben das in anschaulichen Bildern geschildert, doch niemals dürfen wir meinen, dass Gott die unmittelbare oder direkte Ursache der Sünde ist! Obgleich diese Lehre sehr unangenehm ist, ist sie nichtsdestoweniger biblisch. Da die Bibel sie so klar lehrt, können wir den Einwänden, die ihr entgegengebracht werden, keinen anderen Grund zuweisen als völlige Unkenntnis und unreflektierte Vorurteile, wie sie Menschen gerne mitbringen, wenn sie das erste Mal mit dieser Lehre in Kontakt kommen. Wie passend ist hier, was Rice gesagt hat: »Wie schön wäre es für Kirche und Welt, wenn die Diener Christi und sein gesamtes Volk damit zufrieden wären, Jünger zu sein, eben >Lernende<; wenn sie doch ihre beschränkten Fähigkeiten bedächten, ihre Unwissenheit göttlichen Dingen gegenüber einsähen und sich ihrer Fehlbarkeit erinnerten, da sie ja gefallene und vorurteilshafte Wesen sind; sie könnten dann zu Füßen Jesu sitzen und von Ihm lernen. Die Kirche stand fast in jedem Zeitalter unter dem Fluch von Männern, die sie mit dem Vertrauen auf ihre eigene Vernunft angesteckt hatten. Sie hatten es unternommen, über Vernunft oder Unvernunft von Lehren zu urteilen, die jenseits ihrer Vernunft stehen und einzig und allein Sache der Offenbarung sein können. Sie haben sich eingebildet, >die Tiefen Gottes< verstehen zu können; sie haben die Schriftstellen nicht nach der offenkundigen Bedeutung ausgelegt, sondern anhand ihrer endlichen Vernunft. ... Niemand hat je die Natur oder auch das Buch der Offenbarung studieren können, ohne sich von allen Seiten von Geheimnissen umgeben zu sehen, die er nicht lösen kann. Der Philosoph muss sich mit den Fakten begnügen, der Theologe muss sich mit dem zufrieden geben, was Gott offenbart hat.« [99] Es ist schon seltsam: Viele verteidigen die die Lehre der Dreieinigkeit mit dem Hinweis darauf, dass man sich hier von allen vorgefassten Meinungen freimachen müsse und dass man sich nicht auf den menschlichen Verstand verlassen dürfe, wenn man entscheidet, was rechtens über Gott ausgesagt werden darf. Sie bestehen darauf, dass auch hier die Schrift das letzte Wort haben muss. Wenn die Rede allerdings auf die Prädestinationslehre kommt, weigern sie sich, diese Prinzipien auf diese Lehre anzuwenden. 1. Die Basis der Lehre -- die Erbsünde 2. Den Nichterwählten wird kein Unrecht getan Offensichtlich stört uns an der Prädestinationslehre der Teil, in dem behauptet wird, Gott habe aufgrund eines souveränen und ewigen Beschlusses einen Teil der Menschheit zur Errettung bestimmt und damit den anderen Teil der Menschheit der Verdammnis überlassen. Das scheint unserem gewohnten Gedankengang ungerecht zu sein und bedarf demzufolge einer Erklärung. Die Verteidigung der Lehre von der Verwerfung kann erst verstanden werden, wenn man die Idee der Erbsünde und der daraus resultierenden Unfähigkeit des Menschen verstanden hat. Der Beschluss betrifft zunächst die ganze Menschheit. Niemand hat Anspruch auf Gottes Gnade. Anstatt alle Menschen ihrer Bestrafung zu überlassen, wendet Gott einem Teil der Menschheit unverdiente Seligkeit zu -- ein Akt der puren Barmherzigkeit und Gnade, gegen den niemand Einspruch erheben kann --, die anderen bleiben unberücksichtigt. Dadurch wird diesen Menschen nichts vor- enthalten, was zu beanspruchen sie irgend ein Recht hätten. Folglich hat auch niemand das Recht, diesen Teil des Beschlusses anzufechten. Handelte der Beschluss von Unschuldigen, so wäre es in der Tat ungerecht, einen Teil der Verdammnis zu überlassen, aber da der Beschluss von einer sündigen Menschheit in einem durch und durch sündigen Zustand handelt, ist er mitnichten ungerecht. »Die Auffassung, die Welt liegt im Argen und ist schon gerichtet (Joh 3, 18) -- auf jene, die nicht aus diesem ,Argen erlöst werden, wird der Zorn Gottes nicht ausgegossen, sondern er bleibt vielmehr auf ihnen (Joh 3,36. 1. Joh 3,14) -- ist das Fundament der ganzen Vorstellung. Daher erklärt Jesus, dass er nicht gekommen sei, die Welt zu richten, sondern sie zu retten (Joh 3,17; 3,12; 9,5; 12,47; vgl. 4,42). Sein Ziel ist es, das Leben in die Welt zu bringen (Joh 6,33.51); eine Welt, die bereits verdammt ist, braucht keine weitere Verdammnis mehr, sondern Erlösung.« [100] Der schuldige Mensch hat alle Rechte verloren und untersteht dem Willen Gottes. Er steht nun Gottes absoluter Souveränität gegenüber, und wenn Gott in einigen Fällen Gnade erzeigt, dann können wir nicht wagen, seine Gerechtigkeit den Verworfenen gegenüber infrage zu stellen, ohne damit seine Herrschaft über das Universum ebenso zu hinterfragen. Wird der Beschluss der Prädestination in diesem Licht gesehen, dann trifft er auf eine große Masse Verlorener, lässt aber nur einen Teil dieser Menschen in ihrem Zustand. Wenn alle die Strafe schon von vornherein verdienen -- wie könnte es dann ungerecht sein, diese Strafe auch von vornherein festzulegen? Es wäre ja die Ausführung eines gerechten Urteils sonst selbst ungerecht. Dr. Clark sagt: »Wenn der Arminianismus behauptet, Glaube und Werk legen den Grund zur Erwählung, so widersprechen wir. Behauptete er dagegen, dass der vorhergesehene Unglaube und Ungehorsam der Grund für die Verwerfung sind, dann stimmen wir gerne zu. Ein Mensch wird nicht aufgrund irgendwelcher guter Eigenschaften gerettet, sondern ist aufgrund seiner Sünde verdammt. Als konsequente Calvinisten beharren wir darauf: Während einige Menschen trotz ihres Unglaubens und Ungehorsams erlöst werden -- und unter diesen Unglauben und Ungehorsam fallen grundsätzlich alle Menschen ohne Ausnahme --, werden einige nicht erlöst. Trotzdem ist es immer die Sündigkeit des Sünders, was der Grund für seine Verwerfung ist. Erwählung und Verwerfung basieren auf verschiedenen Fundamenten: Erwählung auf Gottes Gnade, Verwerfung auf der Sünde des Menschen. Es ist eine böswillige Verdrehung, die dem Calvinismus angedichtet wird, wenn man sagt, er behaupte: Wenn Gott einen Menschen ohne Hinblick auf dessen Charakter errette, dann tue er das auch in Bezug auf die Verdammnis und verdamme einen Menschen, ohne seinen Charakter zu bedenken.« [101] Die Verwerfung oder das Übergehen der Nichterwählten hat ihren Grund nicht nur in dem Vorherwissen seiner fortwährenden Sündigkeit, denn wenn das die Ursache dafür wäre, dann wäre dies das Schicksal aller Menschen, da wir uns alle unter dies Urteil stellen müssten. Es kann auch nicht gesagt werden, dass diejenigen, die übergangen werden, in jedem Fall schlimmere Sünder seien als jene, die zu ewigem Leben geführt werden. Die Schrift schreibt Glauben und Umkehr immer dem Wohlgefallen Gottes und der speziellen Gnadenwirkung Seines Geistes zu. Diejenigen, die meinen, der Mensch sei an sich unschuldig und verdiene die Erlösung, sind freilich über die Lehre sehr erbost, dass ein Teil der Menschheit von vornherein [102] verloren ist. Wenn die Lehre von der Erbsünde im rechten Licht gesehen wird -- und diese Lehre steht glasklar in der Schrift --, dann verschwinden die Einwände gegen die Prädestinationslehre von selbst, und die Verurteilung der Gottlosen scheint gerecht und natürlich. Daher geht die Erlösung einzig von Gott aus, während wir uns die Verdammnis selbst zuzuschreiben haben. Der Mensch geht verloren, weil er nicht zu Christus kommen will; derjenige, der da will, der will deshalb, weil Gott den Willen in ihm bewirkt. Gnade, erwählende Gnade: dies zieht den Willen und hält ihn sich recht; dieser Gnade gebührt alles Lob und aller Preis. Gott hat in seiner Gnade einige erwählt aus einer Welt sündiger und rebellischer Geschöpfe: Menschen, die es nicht verdienen, gerettet zu werden, sondern mit allen anderen und auch den gefallen Engeln (2 . Petr. 2,4; Jud. 6) verlorenzugehen. Er hat alles auf sich genommen, um seinem Volk die Erlösung zu bringen. Die Sühne ist allein seine Sache, und hier darf er -- und wird er auch -- erretten, welche er will. Die Gnade wird dem einen gewährt und dem anderen verwehrt, ganz wie es ihm gefällt. Es darf dabei nicht außer Acht gelassen werden: Dass Er seine Gnade den Nichterwählten vorenthält, ist der negative Aspekt ihres Verderbens; so wird ja auch die Abwesenheit des Arztes gegenüber dem Todkranken >nur< Anlass, nicht bewirkende Ursache seines Todes. Dr. Charles Hodge: »Aus der Sicht eines unendlich guten und gnädigen Gottes war es notwendig, dass einige Menschen dieser rebellischen Menschheit die Strafe des Gesetzes erleiden müssen, welches alle gebrochen haben. Es ist Gottes Vorrecht, im Voraus zu bestimmen, wer >Gefäß der Gnade<, und wer den Folgen seiner Sünden überlassen wird.« [103] Da sich der Mensch selbst in diesen Zustand der Sünde manövriert hat, ist seine Verdammnis gerecht; den Anforderungen des Gesetzes wird durch die Strafe Genüge getan. Das Gewissen sagt uns, dass der Mensch gerechterweise untergeht, da er lieber dem Satan als Gott folgt. »Und doch wollt ihr nicht zu mir kommen, um das Leben zu haben« (Joh 5,40), sagte Jesus. Prof. F. E. Hamilton trifft den Punkt: »Alles, was Gott tut, ist, dass er ihn (den Nichtwiedergeborenen) sich selbst überlässt und es ihm erlaubt, >ungestört< seiner eigenen Wege zu gehen. Seiner Natur nach ist er böse, und Gott hat nur vorherbestimmt, diese Natur unverändert zu lassen. Wie Gegner des Calvinismus das Bild gerne malen: dass ein grausamer Gott es ablehnt, Menschen zu erretten, die sich nach Erlösung sehnen, ist eine abscheuliche Karikatur. Gott errettet alle, die errettet werden wollen, doch ist die Natur des Menschen, wenn sie nicht schon von Gott verändert wird, derart, dass er gar nicht gerettet werden will.« [104] Diejenigen, die verloren werden, werden verloren, weil sie es wählen, in den Wegen der Sünde zu gehen; das ist die wahre Hölle: die Hölle zieht ihre Kinder an. Viele Menschen reden so, als sei Erlösung so etwas wie ein Geburtsrecht. Sie vergessen die Tatsache, dass der Mensch seine Chance in Adam vertan hat und meinen, Gott sei ungerecht, wenn er die Erlösungsmöglichkeit nicht allen Menschen anbietet. Dass die Erlösung aufgrund einer menschlichen Tat zuerkannt werden soll, kommentiert Luther mit folgenden Worten: »Lass uns, ich bitte dich, einmal annehmen, dass Gott wirklich auf die Werke der Verdammten acht gebe. Müssen wir dann nicht gleicher Weise auch die Werke der Erlösten in Rechnung zu bringen? Folgen wir dem Wege der Vernunft, dann entspricht es ihr, jene zu krönen, die es nicht verdient haben, gleich wie es ihr entspricht, jene zu verdammen, die das verdient haben.« [105] Niemand, der richtig von Gott denkt, wird auf den Gedanken verfallen, Gott handle spontan, ohne vorherige Überlegung. Wir sprechen hier über den ewigen Plan Gottes: Was in Zeit und Raum geschieht, hat er von Ewigkeit her beschlossen. Diejenigen, die er errettet, hat er zu erretten schon in Ewigkeit sich vorgenommen, und diejenigen, die er dem Verderben überlässt, sind sich schon von Ewigkeit her dem Verderben überlassen. Gottes gerechtes Handeln in Zeit und Raum hindert ihn nicht, mit gleichem Grund jenseits von Zeit und Raum ein solches Handeln von Ewigkeit her schon festzulegen. Das Prinzip dieses Handelns ist in beiden Fällen das gleiche. Wenn wir zurecht sagen, dass Gott von Ewigkeit her geplant hat, einer großen Anzahl Sündern zu vergeben, warum geben sich dann einige so viel Mühe, zu zeigen, dass wir unrecht haben, wenn wir behaupten, es treffe umgekehrt auch zu, dass Gott von Ewigkeit her geplant hat, den Rest der Menschheit der gerechten Strafe zu überlassen? Wenn es Gott recht ist, einige Menschen nach ihrer Geburt nicht zu retten, dann ist es ihm auch recht, sie schon vor ihrer Geburt oder von Ewigkeit her nicht zu retten. Da der bestimmende Wille Gottes allmächtig ist, kann er auch nicht blockiert oder nichtig gemacht werden. Wenn das stimmt, dann folgt daraus, dass er niemals wollte noch jemals will, dass jeder Mensch errettet werde. Wenn er das gewollt hätte, dann ginge kein Mensch verloren, denn »wer kann gegen seinen Willen bestehen?« Hätte er gewollt, dass niemand verlorengeht, hätte er allen Menschen die wirksame Gnade zugewendet, ohne die man nicht auskommt. Gott hätte dies ohne weiteres tun können, aber wir sehen, dass er es nicht tut. Daher ist es nur logisch, dass es nicht etwa sein verborgener oder bestimmter Wille sein kann, dass alle Menschen gerettet werden. Tatsächlich sind die zwei Wahrheiten: dass nämlich Gott erstens das, was er tut, von Ewigkeit her tut und zweitens, dass nur ein Teil der Menschheit gerettet wird, genug, um die Lehre von der Erwählung und der Verwerfung nun abzuschließen. 1. Der Zustand der Heiden Schon die Tatsache, dass nach der Vorsehung Gottes einige Menschen das Evangelium überhaupt nie zu hören bekommen und auch nicht in den Genuss der anderen Gnadenmittel kommen, zeigt schon das Prinzip, das der Calvinismus mit der Prädestinationslehre aufstellt. Wir sehen, dass zu jeder Zeit der größere Teil der Menschheit hinsichtlich der äußeren Gnadenmittel völlig alleine gelassen worden ist. Viele Jahrhunderte waren die Juden, ein vergleichsweise kleines Volk, die einzigen Menschen, denen sich Gott offenbart hat. Jesus beschränkte sein öffentliches Auftreten fast nur auf sie und verbot seinen Jüngern vor Pfingsten sogar, zu den Heiden zu gehen (Mt 10,5f.; 28,19; Mk 16,15; Apg 1,4). Eine große Anzahl von Menschen hatte keinerlei Chance, das Evangelium auch nur zu hören -- sie starben folglich in ihren Sünden. Hätte Gott vorgehabt, sie zu retten, so hätte er ihnen diese Möglichkeit zweifellos gegeben. Hätte er vorgehabt, Indien und China vor tausend Jahren zu erretten, dann hätte er auch dies zuwege gebracht. Stattdessen sind sie in großer Dunkelheit und Unglauben gelassen worden. All jene Zeiten der Sünde, des Elends und des Todes können keine andere Erklärung finden als die der Schrift: In Adam haben alle gesündigt, in ihm sind alle gefallen. Gott errettet in seiner souveränen Gnade eine unzählbare Schar, und das durch eine Erlösung, die er selbst dafür bestimmt und bereitet hat. Es ist eine verdrehte und entehrende Sicht, wenn man sich Gott als jemanden vorstellt, der sich mit ungehorsamen Menschen herumschlägt, indem er sein Bestes tut, um sie zu bekehren, seinen Zweck aber dennoch oft nicht erreichen kann. Wäre die arminianische Theorie wahr, dass Christus für alle Menschen gestorben sei und dass dies allen zugute kommen sollte, so sollte man doch meinen, Gott müsse Vorsorge getroffen haben, dass das Evangelium auch jedermann zu hören bekomme. Das Problem der Heiden, die ohne Evangelium leben und sterben, hat den Arminianismus immer schon gequält, beharrt er doch darauf, dass alle Menschen die Gnade haben könnten, wenn sie sie nur wollten. Nur wenige würden leugnen, dass es zur Errettung auch darauf ankomme, dass ein Mensch das Evangelium hört und annimmt. Das Christentum ist sich in diesem Punkt wenigstens einig: die Heiden als Masse sind verloren. Dass dies biblische Lehre ist, kann leicht gezeigt werden: Apg 4,12: In keinem anderen ist das Heil. Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen sollen. Röm 12,2: Alle, die ohne das Gesetz gesündigt haben, werden ohne das Gesetz dem Verderben anheimfallen. 1 Kor 3,11: Denn niemand kann einen anderen Grund legen als den, der gelegt ist: Jesus Christus. Joh 15,5: Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Joh 14,6: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben: niemand kommt zum Vater außer durch mich. Joh 3,36: Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn lastet auf ihm. 1. Joh 5,12: Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Joh 17,3: Das ewige Leben besteht aber darin, dass sie dich erkennen, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus. Hebr. 11,6: Ohne Glauben aber ist es unmöglich, Gott zu gefallen. Röm 10,13f: Denn jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden. Doch wie sollen sie den anrufen, an den sie nicht glauben? Wie sollen sie an den glauben, von dem sie nichts gehört haben? Wie von ihm hören, wenn ihnen niemand verkündet? Anders gefragt: Wie können die Heiden gerettet werden, wenn sie nicht einmal von Christus gehört haben, der doch der einzige Weg zur Errettung ist? Jesus aber sagte ihnen: Joh 6,53: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr kein Leben in euch. Ez 33,8: Wenn ich zu dem Gottlosen sage: »Gottloser, du musst sterben!«, und du sagst dies nicht, um den Gottlosen zu warnen vor seinem bösen Weg, wird zwar der Gottlose wegen seiner Schuld sterben, aber sein Blut werde ich von deiner Hand fordern. Es wird zwar der Wächter verantwortlich gemacht; am Schicksal der Völker ändert das nichts. Jesus erklärte, dass selbst die Samariter, die wesentlich größere Privilegien genossen als die Völker außerhalb Palästinas, nicht wussten, wen sie anbeteten, und dass die Erlösung von den Juden komme. Vergleichen wir damit die ersten zwei Kapitel des Römerbriefs. Die Heilige Schrift macht sehr deutlich: Unter normalen Bedingungen geht jeder, der weder Christus noch das Evangelium hat, verloren. Wir stimmen mit dem Westminster-Bekenntnis überein, welches lehrt, dass jene, die Christus ablehnen, nicht errettet werden können. Es heißt da: Viel weniger können Menschen, die den christlichen Glauben nicht bekennen, auf irgendeine andere Weise gerettet werden, seien sie auch noch so fleißig, ihr Leben nach der natürlichen Offenbarung und den Vorschriften der Religion, die sie bekennen, einzurichten. [106] Tatsächlich hat die Auffassung, dass die Heiden ohne Evangelium verlorengehen, der Heidenmission zu den stärksten Argumenten verholfen. Wenn wir glaubten, ihre Religionen gäben ihnen genug Licht und Wahrheit, um sie zu erretten, dann wäre die Verkündigung des Evangeliums nicht sehr wichtig für sie. Unsere Haltung der Mission gegenüber wird ziemlich stark von der Antwort bestimmt, die wir auf diese Frage haben. Wir leugnen nicht, dass Gott auch einige aus den erwachsenen Heiden retten kann, wenn er es so will, denn sein Geist weht dort, wo immer er will, mit oder ohne Mittel. Wenn dies aber geschieht, dann durch ein pures Gnadenwunder. Es ist sicher, dass Gottes »normaler« Weg der ist, sein Volk aus dem evangelisierten Teil der Menschheit zu sammeln; dennoch müssen wir zugeben: Es können durchaus auch Menschen aus nichtevangelisierten Teilen der Menschheit errettet werden. (Das Schicksal der Kleinkinder aus heidnischen Ländern erörtere ich später unter dem Titel »Kindes-Erlösung«.) Es ist unvernünftig, anzunehmen, dass der Mensch etwas verwenden könne, von dem er gar nichts weiß. Wie man leicht sehen kann: Vergnügungen, Lebensfreude und Gelegenheiten sind den Heiden meist fremd, und wir können uns gut denken, dass ihnen diese Dinge auch nach dem Tod fehlen werden. Jene, die nach Vorsehung in heidnischer Dunkelheit leben müssen, etwa das westliche China, können Christus ebenso wenig annehmen, wie sie Radio hören können, fliegen können oder die kopernikanische Astronomie kennen können. Wenn Gott Menschen in solche Zustände hineingeboren werden lässt, dann können wir davon ausgehen, dass sie ebenso sicher gerettet werden, wie es ausgemacht ist, dass der Boden Nordsibiriens, der das ganze Jahr gefroren ist, Unmengen an Weizen hervorbringt. Beabsichtigte Gott tatsächlich, sie zu retten, so hätte er sie mit den notwendigen Mitteln versorgt, damit sie dies Ziel erreichen können. Und gibt es nicht Unmengen an Namenschristen in so genannten christianisierten Ländern, die das Evangelium noch niemals angemessen gehört haben und die damit nicht einmal die äußerlichen Mittel der Erlösung haben (um nicht vom völlig hilflosen Zustand ihres Herzens zu sprechen)? Das alles soll freilich nicht bedeuten, dass alle Verlorenen das gleiche Strafmaß erleiden werden. Wir glauben, dass von einem allgemeinen Nullpunkt aus alle Grade der Belohnung und alle Grade der Strafe vorkommen werden, und dass der Grad der Belohnung oder der Strafe zu einem gewissen Ausmaß auf die Möglichkeiten zurückzuführen ist, die ein Mensch im Leben gehabt hat. Jesus selbst hat einmal gesagt, dass es Sodom am Tage des Gerichts erträglicher gehen wird als jenen Städten Palästinas, die seine Botschaft hörten und dennoch verworfen hatten (Lk 10,12--14). Er beschließt das Gleichnis von den treuen und untreuen Knechten wie folgt: »Jener Knecht, der den Willen seines Herrn zwar kennt, aber nicht danach handelt, wird viele Schläge erhalten. Wer ihn dagegen nicht kennt, aber strafwürdig handelt, wird wenige Schläge erhalten. Wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert; wem viel anvertraut ist, von dem wird um so mehr verlangt werden« (Lk 12,47f.). Während die Heiden also verlorengehen, werden sie vergleichsweise weniger leiden als jene, die das Evangelium gehört haben, es aber abgelehnt haben. Das Problem der heidnischen Völker betreffend, befindet sich der Arminianismus von Anfang an in Schwierigkeiten, die seinen ganzen Entwurf zum Einsturz bringen. Es sind Schwierigkeiten, von denen er sich niemals hat freimachen können. Viele glauben, dass jedem ausreichend Gnade erteilt oder zumindest die Möglichkeit dazu gegeben werden müsse, bevor jemand rechtmäßig verdammt werden kann; die Verwerfung sei folglich erst ein Ereignis, das in der Zukunft stattfindet -- doch dies ist nicht nur ohne jeden Beleg aus der Schrift, sondern widerspricht ihr sogar. Es ist, wie Cunningham sagt: »Calvinisten haben diesen Umstand stets als das stärkste Argument gegen die arminianischen Lehren von der allumfassenden Gnade und generellen Erlösung [107] gehalten. Sie sahen darin ein Argument zugunsten ihrer eigenen Sichtweise von der souveränen Absicht Gottes, die vielmehr einen Großteil der Menschheit in Unwissenheit über Seine Gnade gelassen hat und auch über den Weg der Erlösung, den das Evangelium zeigt. Die Umstände, denen diese Menschen ausgesetzt sind, werfen ihnen allem Anschein nach solch unüberwindliche Hindernisse in den Weg, dass sie niemals Kenntnis von Gott und Jesus Christus erlangen können, die zu ewigem Leben führt.« [108] Nur der Calvinismus mit seiner Lehre von der allumfassenden Schuld und Verderbtheit, in die die Menschheit durch die Sünde Adams gefallen ist -- in Kombination mit seiner Gnadenlehre von der unbedingten Erwählung einzelner -- kann eine angemessene Erklärung für das Problem der Heiden finden. 1. Was bezweckt die Lehre von der Verwerfung? Die Verdammnis der Nichterwählten ist hauptsächlich dazu da, vor Menschen und Engeln eine ewige Zurschaustellung zu liefern. Sie soll zeigen, wie sehr Gott die Sünde hasst. Mit anderen Worten: sie ist Ausdruck der ewigen Gerechtigkeit Gottes. (Man erinnere sich daran, dass Gottes Gerechtigkeit die Bestrafung von Sünde ebenso fordert wie die Belohnung der Gerechtigkeit.) Dieser Beschluss zeigt eine der göttlichen Eigenschaften, die ohne diesen Beschluss gar nicht richtig geschätzt werden könnte. Die Errettung einiger durch einen Erlöser ist Ausdruck von Gottes Liebe, Barmherzigkeit und Heiligkeit. Weisheit, Macht und Souveränität zeigen sich an beiden Gruppen der Menschheit. Dies zeigt die Stelle aus Sprüche 16,4: »Für seinen Zweck hat der Herr alles geschaffen, so auch den Gottlosen für den Tag des Unglücks«. Paulus, für den Gott damit ausdrücken will, sagt: »Was, wenn also Gott die Gefäße des Zornes, die dem Verderben geweiht sind, mit viel Langmut ertragen hat, um nun an ihnen seinen Zorn zu zeigen und seine Macht zu offenbaren? Und wenn er an den Gefäßen des Erbarmens, die er für die Herrlichkeit vorausbestimmt hat, den Reichtum seiner Gnade zeigen will?« (Röm 9,22f.). Der Beschluss zur Verwerfung einiger dient auch noch anderen, untergeordneten Zielen in Bezug auf die Erwählten, da sie im Hinblick auf die Ablehnung und den letzten Zustand der Gottlosen erstens sehen, was sie ebenfalls zu erleiden gehabt hätten, hätte die göttliche Gnade sie nicht davor bewahrt. So werden sie nur noch tiefer hineingeführt in die göttliche Liebe, die sie aus der Sünde gerissen und ins ewige Leben gebracht hat, während andere nicht etwa schuldiger oder unwerter waren als sie selbst, jedoch der ewigen Verdammnis überlassen werden. Zweitens: Die Erwählten haben hiermit einen guten Grund mehr zur Dankbarkeit für solche Gaben. Drittens: Der Erwählten Vertrauen in ihren himmlischen Vater wird gestärkt; er wird immer und für alles sorgen, wessen sie bedürfen, im Diesseits und im Jenseits. Viertens: Was sie geschenkt bekommen haben, wird sie ihren himmlischen Vater noch um so mehr lieben machen, so dass sie gewillt sind, ein heiliges Leben zu führen. Fünftens: Sie werden die Sünde noch viel mehr hassen. Sechstens werden sie enger mit Gott leben wollen und auch die Beziehung untereinander besser pflegen wollen, da sie ja gemeinsame Erben des himmlischen Königreichs sind, und siebentens geschah die Ablehnung der Juden nicht ohne Grund, wie Paulus von Anfang an klar macht: »Ich frage nun: Sind sie gestrauchelt, nur um zu Fall zu kommen? Das sei fern! Vielmehr ist durch ihren Fehltritt den Heiden das Heil zuteil geworden; und das soll sie zur Eifersucht reizen« (Röm 11,11). So sehen wir: Gott hat die Juden aus einem sehr weisen und bestimmten Grund in diesen blinden Zustand kommen lassen: Erlösung sollte den Heiden zuteil werden, und dies sollte auf die Erlösung der Juden zurückwirken. Historisch gesehen, besteht die Kirche Christi hauptsächlich aus Heiden. Aber jede Zeit hat ihre bekehrten Juden gehabt, und wir glauben, je länger, desto mehr Juden werden sich »zur Eifersucht anreizen« lassen, zu Gott umzukehren. Ein ganzer Abschnitt aus Röm 11 macht deutlich, dass ein beachtlicher Teil der Juden letztlich bekehrt werden wird und die Juden eifrig der Gerechtigkeit nachjagen werden. 1. Der Frontalangriff des Arminianismus Die Lehre von der Verwerfung ist das Hauptangriffsziel des Arminianismus. Er isoliert sie und hebt sie aus dem Gesamtzusammenhang heraus, als sei sie die Summe und Substanz des Calvinismus, während die anderen Lehren, etwa die Lehre von der Souveränität Gottes, die Erwählung einzig aus Gnaden, die Bewahrung der Gläubigen usf., die Gott ehren, nur am Rande erwähnt oder sogar kommentarlos übergangen werden. Auf der Synode von Dordrecht beharrten die Arminianer darauf, die Verwerfungslehre zu diskutieren und beschwerten sich der Härte, als die Synode nicht darauf eingehen wollte. Das hat sich bis heute nicht geändert: ihr Einwand ist klar, denn sie wissen, dass es sehr einfach ist, diese Lehre zu ihrem eigenen Vorteil zu missbrauchen. Oft verzerren sie die Ansichten der Calvinisten, und nachdem sie steif und fest behauptet haben, so etwas wie vorherbestimmte Verwerfung könne es gar nicht geben, weiten sie diese Behauptung auch auf die Erwählungslehre aus. Die einseitige Betonung der Verwerfungslehre zeigt alles andere als Vorurteilslosigkeit und Ernst gegenüber der Suche nach Wahrheit. Sie sollten sich besser mit der erfreulicheren Seite des Systems beschäftigen und auf die wesentlich größere Evidenz dessen antworten, was ich zugunsten des Systems schon alles zusammengetragen habe. Der Calvinismus sucht zuerst zu zeigen, dass die Erwählungslehre der Wahrheit entspricht, und wenn ihm das hinlänglich gelungen ist, schickt er sich an, zu zeigen, dass die Verwerfung nichts als die Kehrseite der Medaille ist. Er hält die Verwerfungslehre allerdings nicht für beweisnotwendig für die Erwählungslehre, meint aber, dass unter ausreichender Beweisführung die Lehre von der Verwerfung logisch aus ihr folgt. Da uns die Schrift weitaus mehr Hinweise darauf gibt, wie Gott den Glauben und die Umkehr in den Erwählten bewirkt, als dass sie uns beschreibt, wie Gott mit denen verfährt, die in ihrer Unbußfertigkeit und ihrem Unglauben verharren, verlangt es die Vernunft, zuerst die Lehre der Erwählung zu untersuchen und erst im Anschluss daran zu sehen, was es mit der Verwerfung auf sich hat. Das Insistieren des Arminianismus auf der Lehre von der Verwerfung offenbart aber nur seine mangelnde Fairness. Wie schon gesagt, ist es zugegebenermaßen keine erfreuliche Lehre. Der Calvinismus schrickt zwar nicht davor zurück, darüber zu sprechen, doch weil diese Lehre keinerlei erfreulichen Charakter hat, findet er es auch nicht schön, darauf herumzureiten. Er ist sich der wohl bewusst, nicht über das hinausgehen zu sollen, was geschrieben steht; leider gibt es auch hier immer wieder welche, die es nicht unterlassen können, sich auf Sachverhalte einzulassen, die sich jenseits ihres Horizontes befinden. 1. Wir sind nicht verpflichtet, alles zu erklären Wir unterliegen nicht der Verpflichtung, alle Geheimnisse zu erklären, die mit dieser Lehre zu tun haben. Wir sind nur verpflichtet, das zu lehren, was die Schrift selbst darüber sagt, und diese Lehren gegen alle möglichen Einwände zu verteidigen. »Ja, Vater, so ist es dir wohlgefällig« (Mt . 11,26; Lk 10,21) -- das war für unseren Herrn eine ausreichende Theodizee, was sein Unternehmen in Bezug auf die Menschheit betrifft. Die ausreichende und einzige Antwort von Paulus an alle Vernünftler, die es nicht lassen können, zu tief in jene Geheimnisse einzudringen, ist die Aufforderung, sich in die göttliche Weisheit und Souveränität zu schicken . Treffend hat Toplady gesagt: »Ergreife nicht die Partei jener Gegner der Lehre, mit denen es Paulus zu tun gehabt hat: >Was verklagt er die Gottlosen denn überhaupt? Wer kann denn seinem Willen widerstehen? Wenn der Einzige, der in der Lage dazu wäre, sie zu bekehren, doch davon Abstand nimmt, wie kann er sie dann beschuldigen, wo es doch unmöglich ist, seinem Willen zu widerstehen?< So soll man sich mit der Antwort des Paulus zufrieden geben: >Ja lieber Mensch, wer bist denn du, dass du mit Gott rechten willst?< Der Apostel lässt alles völlig von der Souveränität Gottes abhängen. Dort liegt das Geheimnis, und dort sollen wir es liegen lassen.« [109] Der Mensch kann die Gerechtigkeit Gottes nicht mit seinen Verstandeskräften beurteilen, und wir sollten uns bescheiden, auch dann noch an seine Gerechtigkeit zu glauben, wenn einiges, das er tut, für uns in Dunkelheit gehüllt bleibt. Wer glaubt, diese Lehre führe uns einen ungerechten Gott vor Augen, der glaubt dies, weil er sich weder die Bedeutung der Erbsünde noch deren Konsequenzen ausreichend vor Augen geführt hat. Er sollte seine Gedanken von falschen und vorurteilsbehafteten Ansichten reinigen, dann wird er sehen, dass die Verdammnis gerecht und natürlich ist. Ist der erste Schritt getan, sollte auch der Rest keine Schwierigkeit mehr bereiten. Es ist sehr schwer für uns, uns zu vergegenwärtigen, dass viele unserer Mitmenschen (in manchen Fällen enge Freunde und Verwandte) vielleicht zum ewigen Gericht vorherbestimmt sind; und da sind wir geneigt, ihnen besondere Sympathie zuzuwenden. Könnten wir es unter dem Blickwinkel der Ewigkeit sehen, so sähen wir, dass diese Sympathie unverdient und unangebracht ist. Diejenigen, die letztlich verlorengehen, werden dann als das gesehen werden, was sie wirklich sind: Feinde Gottes, Feinde aller Gerechtigkeit und Liebhaber der Sünde, die keinerlei Bedürfnis nach Errettung oder gar nach dem Herrn gehabt haben. Wir fügen hinzu, dass um der Gerechtigkeit Gottes willen ja niemand zur Hölle geht, außer eben denen, die es verdienen. Wenn wir dann den Charakter derer betrachten, die an diesen Ort gelangen, so werden wir mit dem Entschluss Gottes notwendigerweise einverstanden sein. Tatsächlich hat der Arminianismus hier keine Ausflüchte mehr: er gibt ja zu, dass Gott alle Dinge voraussieht; weshalb hat er dann, wenn er es doch voraussieht, Menschen geschaffen, von denen er gewusst haben muss, dass sie ein sündiges Leben führen werden, das Evangelium ablehnen werden, ohne Umkehrbereitschaft sterben und schließlich in der Hölle landen werden? Das Problem des Arminianismus ist an dieser Stelle in der Tat wesentlich größer als das der Calvinisten, denn der Calvinismus sagt ja, dass diejenigen, die Gott so erschafft und von denen er weiß, dass sie verlorengehen werden, Nichterwählte sind, die freiwillig gesündigt haben und die die Strafe, die Gott in seiner Gerechtigkeit vorgesehen hat, zurecht erleiden. Der Arminianismus muss an dieser Stelle erklären, dass Gott absichtlich arme und elende Menschen in Existenz gerufen hat, von denen er vorauswusste, dass sie keinem guten Zweck dienen werden und sich ihre Vernichtung zuziehen werden. Sie werden in der Hölle landen, obgleich Gott selbst ernsthaft wünscht, dies möge nicht geschehen; lieber sähe er sie im Himmel. Gott muss tiefbetrübt darüber sein, dass sie gegen seinen Willen an jenen anderen Ort gelangen. Präsentiert uns eine solche Ansicht nicht einen etwas beschränkten Gott, der sich in eine solch unglückliche Lage manövriert, indem er über seine Geschöpfe derartiges Elend verhängt, wo er doch wenigstens hätte verhindern können, solch unselige Geschöpfe überhaupt erst existieren zu lassen? Vielleicht werden einige, die die Prädestinationslehre das erste Mal hören, sich selbst für Verworfene halten und geneigt sein, mit der Entschuldigung weiterzusündigen, sie seien ja ohnehin verdammt. Aber so zu denken, heißt Gift aus einer süßen Blume zu saugen und sich selbst am Felsen der Zeit zu zerschmettern. Kein Mensch hat das Recht, sich selbst als verworfen zu verurteilen und deswegen zu verzweifeln, denn ob ein Mensch letztlich verworfen ist, weil er sich als »Ungehorsamer« herausstellen wird, kann nicht vor dem Tod der Person herausgefunden werden. Kein Unbekehrter kann in diesem Leben wissen, ob Gott ihn nicht noch bekehren und retten wird, auch wenn er sich noch keiner Anzeichen solcher Bekehrung bewusst ist. Daher hat er kein Recht, sich unter die Verworfenen zu zählen. Gott hat uns nicht mitgeteilt, wen er unter den noch Unbekehrten noch bekehren und retten wird. Schon die Gewissenspein kann das Mittel Gottes sein, mit dem er einen Menschen zu sich zieht. Ich habe der Diskussion um die Verwerfungslehre einigen Raum zukommen lassen müssen, weil diese Lehre denen, die das calvinistische System ablehnen, ein solcher Stolperstein zu sein pflegt. Wir glauben, dass wenn diese Lehre als biblisch erwiesen werden kann, die anderen Teile des Systems leicht angenommen werden können. __________________________________________________________________ [91] James Bowling Mozley, The Augustinian Doctrine of Predestination. [92] WB, Art. 3.7. [93] Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Übersetzung: Otto Weber (nach der letzten Ausgabe von 1559); Neukirchen-Vluyn: foedus-verlag, 2008, 3.21.5. [94] Ebd., 3.23.1. Es ist Siegfried Kettling recht zu geben, wenn er sagt: "Es ist unannehmbar, dass Gott Menschen erschaffen haben soll, deren Gemeinschaft er von Ewigkeit her niemals gewollt hätte." (Siegfried Kettling: »Typisch evangelisch«, Brunnen Verlag Gießen, 5. Aufl. 1994, S. 140) Der Gedanke Boettners kann an dieser Stelle verstanden werden, wenn man davon ausgeht, dass Gott diese Welt eben trotz des vorhergesehenen Sündenfalles geschaffen hat.« (Mt 18, 7; A. d. Ü.). [95] Boettner zitiert aus einer englischen Lutherausgabe, gibt aber die genaue Quelle nicht an. In der Übersetzung von Henry Cole aus dem Jahre 1823 sind die Stellen nicht auffindbar; ebensowenig habe ich sie in der deutschen Ausgabe von Kurt Aland finden können (A. d. Ü.). [96] Martin Luther: Vorrede zum Brief des Paulus an die Römer Martin Luther: Gesammelte Werke (vgl. Luther-W Bd. 5, S. 59) (c) Vandenhoeck und Ruprecht] (Luther warnt auch Neubekehrte und Unbefestigte davor, sich allzu schnell mit dieser Lehre zu befassen. Diese Warnung kann nicht genug betont werden. Er schreibt: »Aber hier ist den frevelhaften und hochfahrenden Geistern eine Grenze zu stecken, die ihren Verstand zuerst hierher führen und damit anfangen, vorher den Abgrund göttlicher Vorherbestimmung zu erforschen und sich damit vergeblich bekümmern, ob sie vorherbestimmt sind. Die müssen sich denn selbst stürzen, dass sie entweder verzagen oder alles aufs Spiel setzen. Du aber folge diesem Brief seiner Ordnung entsprechend, beschäftige dich vorher mit Christus und dem Evangelium, dass du deine Sünde und seine Gnade erkennest, danach mit der Sünde streitest, wie hier das 1., 2., 3., 4., 5., 6., 7., 8. Kapitel gelehret haben. Danach, wenn du zum 8. (Kapitel) gekommen bist, unter das Kreuz und Leiden, wird dich das die Vorherbestimmung im 9., 10. und 11. Kapitel recht (verstehen) lehren, wie tröstlich sie sei. Denn ohne Leiden, Kreuz und Todesnöte kann man die Vorherbestimmung nicht ohne Schaden und heimlichen Zorn wider Gott behandeln. Darum muss (der alte) Adam vorher richtig tot sein, ehe er dies Ding leide und den starken Wein trinke. Darum sieh dich vor, dass du nicht Wein trinkest, wenn du noch ein Säugling bist. Eine jegliche Lehre hat ihr Maß, Zeit und Alter« (A. d. Ü.). [97] B. B. Warfield, Biblical Doctrines, über die Prädestination, S. 64. [98] Ebd., S. 54. [99] Nathan Lewis Rice, God Sovereign and Man Free, S. 3, 4. [100] B. B. Warfield, Biblical Doctrine, S. 35. [101] David. S. Clark, A Syllabus of Systematic Theology, S. 219f. [102] Von vornherein meint hier nicht: zum Sündigen geschaffen, wie der Arminianismus den Calvinismus notorisch falsch versteht, sondern von vornherein meint: Der Sünder kommt schon als Sünder zur Welt und ist immer schon ein Verlorener. Man muss der Schwierigkeit jener erschreckenden Lehre mit der Askese gegenüber alltäglich eingespielten Reaktionen und erlernten Deutungsmustern begegnen und sich so vor eingewurzelten Vorurteilen freizumachen suchen (A. d. Ü.). [103] Hodge, Systematic Theology, Bd. 2, S. 652. [104] Quelle nicht angegeben. [105] Luther, Bondage of the Will, Sect. CVII. Ich habe dieses Zitat im Deutschen nicht finden können (A. d. Ü.). [106] WB, Art. 10.4. [107] »Generelle Erlösung« ist nicht gleich Allversöhnung, sondern bedeutet, Jesus ist ausnahmslos für alle Menschen gestorben (A. d. Ü.). [108] Cunningham, Historical Theology, Bd. 2, S. 397. [109] Aus der Vorrede zu Zanchius', Predestination. __________________________________________________________________ 6) Infralapsarier und Supralapsarier [110] Die Calvinisten unterscheiden sich in bezug auf die Reihenfolge in Gottes Plan. Es handelt sich dabei um die Frage, wann der Beschluss der Erwählung und der Verwerfung feststand: Traf Gott diesen Beschluss, als der die Menschheit als gefallene betrachtete, oder traf Gott diesen Beschluss, bevor er diese Gefallenheit sah? Setzt die Lehre die Menschheit bereits als gefallen voraus oder wollte Gott sie überhaupt schon so erschaffen? Nach der Ansicht der Infralapsarier ist die Ordnung der Dinge folgende: Gott beschloss (1) zu erschaffen; (2) den Sündenfall zu erlauben; (3) eine große Schar aus der Masse der gefallenen Menschen heraus zu erwählen und zu ewigem und gesegnetem Leben zu bringen und den Rest, genau wie den Teufel und die gefallenen Engel, zu übergehen, so dass diese die gerechte Strafe für ihre Sünden erleiden müssen; (4) seinen Sohn, Jesus Christus, für seine Erwählten zu opfern und (5) den Heiligen Geist zu senden, um den Erwählten diese Erlösung einzustiften. Der Supralapsarismus sieht die Reihenfolge so: Gott beschloss, (1) einige Menschen zu erwählen, die erst noch zu erschaffen seien, andere dagegen zu ewiger Verdammnis zu verurteilen; (2) die Schöpfung; (3) den Sündenfall zu erlauben; (4) Christus zu senden, um die Erwählten zu erlösen und (5) den Heiligen Geist zu senden, um den Erwählten die Erlösung einzustiften. Der springende Punkt ist der Zeitpunkt der Erwählung: Traf Gott diesen Beschluss, bevor der den Sündenfall bedachte, oder erst danach? Einer der Hauptgründe für den Supralapsarismus ist die Betonung auf die Unterschiedlichkeit, mit der Gott den Menschen offensichtlich behandelt. Ich glaube aber, dass der Supralapsarismus diese Idee überbewertet. Der Natur der Sache nach kann diese Idee nicht konsequent durchgeführt werden, schon gar nicht in der Schöpfung Mehr noch gilt das für den Sündenfall: Gott hat ja nicht nur Nichterwählte geschaffen, sondern alle Menschen, und so auch die ganze Schöpfung. Es sind ja auch nicht nur einige gefallen, sondern die ganze Schöpfung. Wie der Universalismus ins eine Extrem geht, so der Supralapsarismus ins andere. Die infralapsarische Ansicht ist in sich logisch und teilt diese Logik auch mit den Tatsachen. Diesen Unterschied betreffend sagt Dr. Warfield: »Die Formulierung der Frage allein impliziert schon ihre Antwort: Beide Teile der Menschheit sind sündenbehaftet; wenn wir von Erwählung oder Verwerfung sprechen, darf dieser Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. Dass der Mensch sündigen wird, dieser Gedanke geht dem Beschluss, ihn dennoch zu erschaffen, voraus, aber nicht in dem Sinne, dass Gott unterschiedliche Arten von Menschen erschaffen wollte, so dass schon zum Voraus feststünde, wer als Erwählter und wer als Verworfener erschaffen wird. Der Beschluss der Erwählung setzt das Wissen um die menschliche Sündhaftigkeit immer schon voraus, und ebenso der Beschluss zur Verwerfung. Wir dürfen uns den Beschluss nicht so vorstellen, als sei der Mensch schon zum Heil oder zu ewiger Sünde erschaffen worden, sondern hier gilt: Das Wissen um die Gefallenheit des Menschen kommt logisch immer zuerst.« [111] Zum gleichen Ergebnis kommt auch Dr. Charles Hodge: »Das biblische Prinzip ist klar enthüllt: wo keine Sünde ist, da gibt es auch keine Verdammnis ... ER übt Gnade an dem einen und verwirft den anderen, alles nach Seinem Wohlgefallen, denn alle sind gleich unwert und schuldig. ... Überall (wie in Röm 1,24.26.28) wird die Verwerfung als gerecht erklärt und basiert auf der Sündhaftigkeit dessen, der verworfen ist, sonst könnte die Verwerfung keine Manifestation der Gerechtigkeit Gottes sein.« [112] Es harmoniert nicht mit den Aussagen der Schrift über Gott, dass unschuldige Menschen zu ewiger Verdammnis, zu Elend und Tod vorherbestimmt seien. Der Beschluss, die Erwählten und die Verworfenen betreffend, darf nicht als abstrakte Idee missverstanden werden, die einzig auf der Willkürherrschaft Gottes basiert. Gott ist zwar unumschränkter Herrscher, aber diese Souveränität hat nichts mit Willkürherrschaft zu tun. Vielmehr harmoniert seine Souveränität mit seinen anderen Eigenschaften, insbesondere mit seiner Gerechtigkeit, seiner Heiligkeit und seiner Weisheit. Gott kann nicht sündigen; man kann zwar sagen: dies kann er nicht; doch wäre es angemessener zu sagen, dass gerade diese Unfähigkeit zur Sünde Teil seiner Vollkommenheit ist. Freilich haben sowohl Infralapsarismus als auch Supralapsarismus immer noch ihre Geheimnisse; der Supralapsarismus scheint sich in Bezug auf diese Geheimnisse aber eher in Widersprüche zu verwickeln. Die Schrift lehrt praktischen Infralapsarismus -- es wird ja gesagt, Christen sind »aus der Welt« auserwählt (Joh 15,19). Der Töpfer hat das Recht, »aus derselben Tonmasse« Gefäße zur Ehre wie zur Unehre zu formen (Röm 9,21). Der Erwählte und der Verworfene werden zunächst im gemeinsamen Zustand der Verlorenheit gesehen. Leiden und Tod werden gleichermaßen als Lohn für die Sünde betrachtet. Der Infralapsarismus empfiehlt sich uns natürlicherweise als dasjenige Schema, das mit unseren Ideen von Gerechtigkeit und Gnade am besten korrespondiert. Er ist wenigstens hier gegen das arminianische Argument gefeit, dass Gott Menschen erschaffen habe, nur um sie zu verdammen. Die Hauptvertreter der Erwählungslehre seit Augustin waren durchaus Infralapsarier, glaubten also, dass aus der großen Masse der gefallenen Menschheit heraus einige zu ewigem Leben bestimmt worden sind, während die Übrigen zu ewigem Tode verurteilt sind. Kein reformiertes Bekenntnis lehrt den Supralapsarismus, dagegen lehrt eine beträchtliche Anzahl dieser Bekenntnisse sehr wohl die infralapsarische Sicht, aus der sich die typische Sicht des Calvinismus entwickelte. Man kann sagen, dass bis zum heutigen Tag nur einer aus hundert den Supralapsarismus vertritt. Wir sind zwar konsequente Calvinisten, aber keine »SupraCalvinisten«. Unter »SupraCalvinismus« verstehe ich die Sicht des Supralapsarismus. Es stimmt freilich: In beiden Systemen kennt man den Grund für Gottes Auswahl nicht; die Errettung bleibt als Ganzes einzig das Werk Gottes. Gegner bekämpfen für gewöhnlich den Supralapsarismus, da dieser unbestritten den menschlichen Empfindungen und Eindrücken wesentlich stärker widerspricht. Es stimmt auch, dass es da einiges gibt, was man nicht mit zeitlichem Verstand erfassen kann -- all diese Ereignisse denkt Gott ja anders als der Mensch; alle Akte der Vorherbestimmung müssen bei Gott ineins gedacht werden. Gott sieht seinen Plan als Einheit; jeder einzelne Teil ist mit den andern verbunden und muss, wenn isoliert gedacht, auf die Gesamtintention Gottes zurückgeführt werden. All seine Beschlüsse sind ewig. Sie haben untereinander eine logische, wenn auch nicht chronologische Beziehung. Das Nachdenken über diese Beziehungen freilich erfordert, dass wir sie in ein System bringen. Es ist ja auch nur natürlich, wenn wir die Gaben Christi, etwa Heiligung und Verherrlichung, dem Beschluss der Schöpfung und des Sündenfalles zeitlich nachordnen. Zum Westminster-Bekenntnis sagt Dr . Charles Hodge in diesem Punkt folgendes: »Twiss, der Sprecher dieser ehrwürdigen Versammlung (die Westminster-Assembly), war ein brennender Supralapsarier, die große Mehrzahl der Versammlung dagegen nicht. Die Formulierungen der Versammlung, obgleich sie ganz klar den Infralapsarismus meinen, waren doch sorgsam so gewählt worden, dass sich diejenigen, die sich dem Supralapsarismus zugewandt hatten, nicht angegriffen fühlen mussten. Das Westminster-Bekenntnis sagt, Gott hat die Erwählten zu ewigem Leben bestimmt und den Rest der Menschheit -- nach seinem Wohlgefallen und nach dem unausforschlichen Rat seines Willens, wonach er seine Gnade gewährt oder verweigert, wem er will, zur Herrlichkeit seiner unumschränkten Herrschaft über seine Schöpfung -- übergeht und sie zu Unehre und zum Zorn ihrer Sünde wegen bestimmt, alles aber zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit: Hier wird gelehrt, dass jene, die Gott übergeht, den Rest der Menschheit ausmachen; nicht den Rest einer gedachten oder möglichen Menschheit wohlgemerkt, sondern einer bestehenden, vorhergesehenen Menschheit. Zweitens sagt das Bekenntnis an der erwähnten Stelle, dass die Nichterwählten wegen ihrer Sünden übergangen und zum Zorn bestimmt werden. Das heißt aber, dass sie vor der Vorherbestimmung zum Gericht bereits als sündig gesehen sind. Auf den Infralapsarismus wird im >kleineren Katechismus< des 19. u. 20. Jahrhunderts näher eingegangen. Dort wird auch gelehrt, dass die gesamte Menschheit die Gemeinschaft mit Gott verloren hat und unter seinem Zorn und Fluch steht, und dass Gott aus reiner Gnade nach seinem Wohlgefallen einige (die genauso unter seinem Zorn und Fluch stehen) zu ewigem Leben erwählt. Nichts anderes war die Lehre der großen Schar der Anhänger Augustins seit Augustin bis heute.« [113] __________________________________________________________________ [110] Supralapsarismus (supra = oben, vorher; Lapsus = Fall): Es geht um die Beschlüsse, die Gott vor Grundlegung der Welt fasste: 1. Gott beschloss, einige Menschen zu erwählen und die anderen zu verwerfen. 2. Dann beschloss er, sowohl die, die erwählt werden sollen, als auch die, die verworfen werden sollen, zu schaffen. 3. Gott beschloss, den Sündenfall zuzulassen. 4. Der Beschluss, durch Christus nur für die Erlösung der Erwählten zu sorgen. Infralapsarismus (infra = unten, nachher; auch "Sublapsarismus". Sub = unten): 1. Gott beschloss zu schaffen. 2. Gott beschloss, den Sündenfall zuzulassen. 3. Gott beschloss, einige zu erwählen. 4. Gott beschloss, durch Christus für die Erlösung der Erwählten zu sorgen. Beide Ansichten setzen die »Fünf Punkte« des Calvinismus voraus (A. d. Ü.). [111] B. B. Warfield, The Plan of Salvation, S. 28. [112] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2, S. 318. [113] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2, S. 317. __________________________________________________________________ 7) Viele sind erwählt Wird die Lehre von der Erwählung erwähnt, glauben die meisten sofort, sie betreffe nur eine kleine Schar, während die große Mehrheit der Menschheit verlorenginge. Aber weshalb sollte man so etwas glauben? Kann Gott nicht frei wählen, wen und wie viele er erretten möchte? Ich glaube, dass der unendlich gnädige, wohlwollende und heilige Gott die große Mehrheit der Menschheit zu ewigem Leben erwählt hat. Es gibt wirklich keinen guten Grund, weshalb er nur einige wenige erretten sollte. Wir wissen, dass Christus die Überlegenheit in allem hat, folglich glauben wir auch nicht, dass der Teufel, was die Zahl der Verlorenen betrifft, siegen wird. Dr. W. G. T. Shedd hat unsere Ansicht treffend vorgezeichnet: »Wir müssen bedenken, dass die Frage nach dem Zahlenverhältnis der Erwählten und der Verworfenen nichts mit der Frage zu tun hat, ob Gott überhaupt Sünder erwählt oder verwirft. Wenn es Seiner Gerechtigkeit entspricht, Sünder zu erwählen und zu retten oder Menschen zu verwerfen, die sich übrigens durch eigene Schuld in diesen sündigen und ruinösen Zustand gebracht haben, lässt sich diese Gerechtigkeit ja nicht vom Zahlenverhältnis ablesen, und umgekehrt, falls die freie Wahl seiner Gerechtigkeit widerspräche, so wäre auch hier das Zahlenverhältnis ohne Belang. Es besteht keine innere Notwendigkeit, dass die Anzahl der Erwählten im Vergleich zu den Verlorenen klein sein müsste oder umgekehrt. Wer erwählt ist und wer nicht, und auch die Anzahl der beiden Gruppen -- all dies liegt allein im Ermessen der Souveränität Gottes. Zur gleichen Zeit werden Ernst und Schrecken der Verwerfungslehre gelockert, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Schrift selbst sagt, die Zahl der Auserwählten sei viel größer als die der Nichterwählten: Die Schrift lässt das Königreich des Erlösers dieser gefallenen Welt stets größer sein als das Reich Satans. Die Schrift sagt, das Werk der Gnade sei größer als das Werk der Sünde. >Wo aber die Sünde mächtig geworden ist, da ist die Gnade noch viel mächtiger geworden.< Von den Erwählten wird gesagt, sie seien >Schar, die niemand zählen kann<; die Verworfenen werden nicht so betont.« [114] Es ist eine weit verbreitete Praxis unter Autoren, die sich dem Armininanismus zuzählen, den Calvinismus so darzustellen, als wolleer eine möglichst große Zahl an Menschen in die Hölle schicken, denen sie selbst den Himmel geöffnet hätten. Doch das ist nichts als eine Karikatur des Calvinismus. Man stellt ihn so dar, als lehre er, die Erlösten seien nur eine kleine Schar; wie ein paar Zweige, die rasch noch von einem brennenden Baum herunter gerissen werden. Wenn der Calvinismus auf der Erwählungslehre besteht, dann deshalb, weil er Gott mit jedem einzelnen Menschen handeln sieht und nicht einfach, weil er meint, Gott handle mit der Menschheit als Ganzer. Das alles hat aber gar nichts damit zu tun, wie viele Auserwählte und wie viele Verworfene es geben wird. Denen, die geneigt sind zu sagen: »Nach dieser Lehre ist Gott allein für die Rettung einer Seele verantwortlich; nur wenige werden errettet«, wollen wir antworten, dass sie genauso gut sagen könnten: »Da Gott alleine Sterne erschaffen kann, kann es auch nur wenige Sterne geben.« Der Einwand ist nichtig. Die Erwählungslehre alleine kann uns keine Antwort auf diese Frage geben. Es gibt nur diese eine Begrenzung, dass eben nicht alle Menschen errettet werden. Insofern es die Prinzipien der Souveränität und der persönlichen Erwählung betrifft, gibt es keinen Grund, weshalb der Calvinismus nicht der Auffassung sein sollte, dass schließlich und endlich alle Menschen errettet werden, und tatsächlich haben manche Calvinisten genau das geglaubt. So schrieb W. P. Patterson von der Universität Edinburgh: »Der Calvinismus ist das einzige Gedankengebäude, dessen Prinzipien (Erwählungslehre und vollwirksame Gnade) es erlauben, eine glaubwürdige Theorie der Allversöhnung aufzustellen.« Ähnlich Dr. S. G. Craig, der Herausgeber der Zeitschrift Christianity Today, ein bedeutender Mann in der Presbyterianischen Gemeinde seiner Zeit: »Zweifellos sind sowohl Calvinisten als auch andere Christen der Auffassung, ihrem Schriftverständnis zufolge zu glauben, dass nur wenige Menschen gerettet werden. Es gibt aber keinen Grund, weshalb Calvinisten nicht genauso gut glauben sollten, dass letztlich die Anzahl der Geretteten den wesentlich größeren Teil der Menschheit ausmachen werden. Jedenfalls war dies die Auffassung unserer bedeutendsten Theologen wie Charles Hodge, Robert L. Dabney, W. G. T. Shedd und B. B. Warfield.« [115] Wie Patterson gesagt hat, ist der Calvinismus mit der Betonung auf der persönlichen Beziehung zwischen Gott und jedem einzelnen Menschen das einzige Lehrgebäude, das eine logische Basis für die Allversöhnung böte, wenn sie nicht ganz klar der Schrift widerspräche. Muss nicht der Arminianismus seinerseits zugeben, dass seine Theologie nur wenigen Menschen ermöglicht, gerettet zu werden? Er wird jedenfalls zugeben müssen, dass doch geschichtlich gesehen die große Mehrheit der Erwachsenen, sogar in christlichen Ländern, Menschen mit »freiem Willen« und »gnädig wiederhergestellter Fähigkeit« gestorben sind, ohne Christus angenommen zu haben. Und wenn nicht Gott selbst die Welt an ihr bestimmtes Ziel führt -- welche Gründe gäbe es, anzunehmen, dass sich das je ändern sollte, solange die menschliche Natur bleibt, wie sie ist, auch wenn die Welt noch eine Milliarde Jahre weiterbestünde? __________________________________________________________________ [114] William G. T. Shedd, Calvinism, Pure and Mixed, S. 84. [115] Quelle nicht angegeben. __________________________________________________________________ 8) Eine erlöste Welt Da die ganze Menschheit in Adam gefallen ist, war es auch die ganze Welt oder Menschheit, die Christus erlöst hat. Das bedeutet aber nicht, dass jeder Einzelne gerettet wird, sondern dass die Menschheit als Rasse erlöst wird. Jahwe ist kein einfacher Stammesgott, sondern »der Gott der ganzen Erde«; die Erlösung, die er im Auge hatte, darf nicht auf eine kleine Auswahl beschränkt werden. Das Evangelium war nicht einfach die gute Lokalnachricht für ein paar Einwohner Palästinas, sondern frohe Botschaft an die ganze Welt, und das ganze Zeugnis der Schrift sagt ausreichend, dass das Königreich Gottes die ganze Erde erfüllt: »Seine Herrschaft wird reichen von Meer zu Meer, vom Euphrat bis zu den Enden der Erde« (Sach 9,10). Schon früh im Alten Testament haben wir das Versprechen, dass »die ganze Erde von der Herrlichkeit des Herrn erfüllt werden soll« (4 Mo 14,21). Jesaja wiederholt das Versprechen, dass alle Menschen die Herrlichkeit des Herrn sehen sollen (Jes 40,5 [116] ). Israel wurde zum »Licht für die Nationen« gesetzt und »zum Licht für die Heiden, dass du Mittler meines Heils seist bis ans Ende der Erde« (Jes 49,6; Apg 13,47). Joel hat klar gemacht, dass in den kommenden und gesegneten Tagen der Geist, der über Israel »ausgegossen« worden war, nun über die ganze Erde kommen werde. »Ausgießen werde ich danach meinen Geist über alles Fleisch« (Joel 3,1). Petrus deutete diese Prophezeiung von der Ausgießung auf den Anfang zu Pfingsten (Apg 2,16). Hesekiel malt uns ein Bild zunehmender Heilungsströme, die unter dem Tempel hervorquellen: Wasser, das zuerst nur bis zu den Knöcheln, dann bis zu den Knien, hernach bis zu den Lenden in einen großen Strom anwachsen, den man nicht mehr durchschreiten kann (Ez 47,1--5). Die Interpretation Daniels vom Traum Nebukadnezars lehrt uns dieselbe Wahrheit. Der König sah ein großes Standbild, mit Teilen aus Gold, Silber, Bronze, Eisen und Ton. Dann sah er einen Stein, der ohne Zutun von Menschenhand losgelöst worden war und der das Standbild zertrümmerte, so dass die einzelnen Teile weggefegt wurden wie die Spreu vom Weizen auf der Tenne, wenn der Sommerwind hineinfährt. Die einzelnen Teile, die die Weltreiche symbolisieren, werden hier als zerblasen beschrieben, während der Stein zu einem großen Berg wird, der die ganze Erde erfüllt. »In der Zeit jener Könige wird der Gott des Himmels ein Reich erstehen lassen, das nicht zerstört wird bis in Ewigkeit. Seine Herrschaft wird nicht übergehen auf ein anderes Volk. Es wird alle jene Reiche zertrümmern und vernichten, selbst aber ewigen Bestand haben« (Dan 2,44). Aus dem Neuen Testament ersehen wir, dass eben dies das Königreich war, das Christus aufgerichtet hatte. In der Vision Daniels kämpfte die Bestie gegen die Heiligen und behielt eine Zeitlang den Sieg über sie, aber nur bis »die Zeit anbrach, wo die Heiligen die Herrschaft in Besitz nahmen« (Dan 7,22). Jeremia gibt das Versprechen, dass die Zeit kommen wird, dass nicht mehr einer den anderen auffordern wird: »erkenne den Herrn«, »weil alle mich kennen werden vom Kleinsten zum Größten« (Jer 31,34). »Richte den Wunsch an mich, und zum Erbe gebe ich dir die Völker, zum eigenen Besitz die Enden der Erde«, sagt der Psalmist (Ps 2,8). Das letzte Buch des Alten Testamentes erwähnt das Versprechen, dass »vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang ... mein Name groß sein (wird) unter den Völkern, und überall wird meinem Namen geopfert und ein reines Speiseopfer dargebracht. Denn groß wird mein Name sein unter den Völkern« (Mal 1,11). Im Neuen Testament finden wir die gleiche Ansicht: Wenn der Herr zuletzt seinen geistlichen Segen über sein Volk ausschüttet, »dann sollen die übrigen Menschen den Herrn suchen, alle Völker, über die mein Name ausgerufen wird. So spricht der Herr, der dieses wirkt.« »Er ist die Versöhnung für unsere Sünden, doch nicht nur für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt« (1. Joh 2,2). »Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe. Denn Gott hat seinen Sohn nicht dazu in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern damit die Welt durch ihn gerettet werde« (Joh 3,16f). »Wir haben gesehen und bezeugen, dass der Vater den Sohn als Retter der Welt gesandt hat« (1. Joh 4,14). »Das ist das Lamm Gottes, das hinweg nimmt die Sünde der Welt!« (Joh 1,29). »Wir haben selbst gehört und wissen: Dieser ist wahrhaftig der Erlöser der Welt« (Joh 4,42). »Ich bin das Licht der Welt« (Joh 8,12). »Denn ich bin nicht gekommen, die Welt zu richten, sondern die Welt zu retten« (Joh 12,47). »Ich aber werde, wenn ich von der Erde erhöht bin, alle an mich ziehen« (Joh 12,32). »Denn Gott hat in Christus die Welt mit sich versöhnt; er rechnet ihr die Sünden nicht mehr an und hat uns das Wort der Versöhnung übertragen« (2 Kor 5,19). Vom Königreich der Himmel heißt es, es gleiche »dem Sauerteig, den eine Frau unter drei Maß Mehl mengte, bis das Ganze durchsäuert war« (Mt 13,33). Im elften Kapitel des Römerbriefs lesen wir, dass die Annahme des Evangeliums durch die Juden auf die Welt geistlich wirken wird wie »Leben aus dem Tod«. Durch ihren Fall ist das Evangelium zu den Nationen gekommen -- »Wenn aber schon ihr Fehltritt Reichtum für die Welt bedeutet und ihr Versagen Reichtum für die Heiden, wie viel mehr dann ihre Vollzahl! ... Denn wenn schon ihre Verwerfung die Versöhnung der Welt bedeutet, was wird dann ihre Aufnahme anderes bedeuten als Leben aus den Toten?« Die vollkommene Herrschaft Christi wird erneut erwähnt, wenn es heißt, er sitzt zur Rechten des Vaters, bis dieser ihm alle Feinde unter seine Füße getan haben wird. So wird der umfassenden Größe des Erlösungswerks Christi große Bedeutung beigemessen. Wir warten darauf, dass diese Welt christianisiert wird. Da uns aber nicht mitgeteilt wird, wie lange die Erde nach Erreichung dieses Zieles noch bestehen wird, sehen wir vielleicht einem »goldenen Zeitalter« geistlichen Erfolges entgegen, das über Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende andauern wird und in dem das Christentum in der ganzen Welt vorherrschend sein wird; die große Mehrzahl der Erwachsenen wird dann errettet werden. Es scheint, dass erst dann die Anzahl derer, die gerettet werden, jene bei weitem übertreffen wird, die verlorengehen. Freilich können wir keinesfalls irgend ein Datum für das Ende der Welt annehmen. An verschiedenen Orten sagt uns die Schrift, dass Christus am Ende dieser Weltordnung kommen wird, dass sein Erscheinen persönlich, sichtbar und mit großer Macht und Herrlichkeit stattfinden wird; die allgemeine Auferstehung und das jüngste Gericht werden dann stattfinden und Himmel und Hölle zu eigentlichem Sein gelangen. Aber eines wird ganz genau offenbart: dass die Zeit, wann unser Herr kommen wird, »den geheimen Dingen angehört, die der Herr alleine weiß.« »Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.« Das sagte Jesus vor seiner Kreuzigung, und nach der Auferstehung sagte er: »Euch kommt es nicht zu, Zeit und Stunde zu kennen, die der Vater in seiner Macht festgesetzt hat« (Apg 1,7). Daher ist es nichts als pure Ignoranz, wenn uns irgend ein Datum oder eine Zeit vor Augen gestellt wird, die das Ende der Welt bezeichnen wollen. Angesichts der Tatsache, dass seit Jesu erstem Erscheinen auf der Erde schon 2000 Jahre vergangen sind, kann es gut sein, dass es noch einmal 2000 Jahre dauern wird, bis er wiederkommen wird -- vielleicht auch viel länger, aber vielleicht kommt er auch schon sehr bald. Dr. S. G. Craig hat zu diesem Thema trefflich gesagt: »Es heißt, dass gewisse Ereignisse wie die Predigt des Evangeliums an alle Nationen (Mt 24,14), die Bekehrung der Juden (Röm 11,25ff.), der Umsturz aller anderen Herrschaft, Macht und Kraft und aller seiner Feinde (1 Kor 15,24) noch geschehen müssen, bevor der Herr wiederkommt. So scheint klar zu sein: Während die Zeit der Wiederkunft unseres Herrn unbekannt bleibt, dürfte sie doch noch einige Zeit in der Zukunft liegen. Nur wie weit in der Zukunft, das weiß niemand. Kein Zweifel: wenn die Ereignisse zukünftig ebenso träge dahin tröpfeln wie in der Vergangenheit, dürfte die Wiederkunft noch weit in der Zukunft liegen. Jetzt aber, wo die Zeit schneller zu rasen scheint als in der Vergangenheit, jetzt, wo das, was in der Vergangenheit Jahrhunderte gedauert hat, in wenigen Jahren erreicht wird, kann es sehr leicht sein, dass wir der Wiederkunft Christi sehr bald ins Auge sehen dürfen. Ob man, gemessen an menschlicher Lebenszeit, von kurz oder lang spricht -- für Gott ist es eine sehr kurze Zeit, für den doch tausend Jahre sind wie ein einziger Tag. Angesichts heutiger Verhältnisse allerdings weist nichts in der Schrift darauf hin, dass die jetzige Generation die Wiederkunft Jesu noch erleben wird.« [117] Vielleicht ist die Welt noch jung. Gewiss: Gott hat nirgends offenbart, was er mit einer Welt tun kann, die völlig zur Gerechtigkeit bekehrt worden ist. Was wir bis jetzt gesehen haben, scheint nur eine Art Vorspiel zu sein, ein zeitlicher Triumph des Teufels, dessen Werk vor seiner Zerstörung steht. Gottes Werk umfasst die Jahrhunderte. Auch Jahrtausende bedeuten bei dem nicht viel, der ewig ist. Wenn wir unsere Theologie mit unserer Astronomie in Verbindung bringen, dann sehen wir, welches Ausmaß das Werk Gottes hat. Er hat Millionen, vielleicht Milliarden leuchtender Sonnen ins Weltall gestellt -- etwa zehn Millionen davon sind sogar schon katalogisiert. Die Astronomen sagen uns zum Beispiel, dass die Erde 149,5 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist und das Licht mit einer Geschwindigkeit von ca. 300.000 Kilometer in der Sekunde nur etwa acht Minuten braucht, um diese Entfernung zu überwinden. Sie sagen uns, dass der nächste Fixstern so weit von uns entfernt ist, dass sein Licht etwa vier Jahre braucht, uns zu erreichen; das Licht eines der am weitesten entfernten Sterne muss schon Millionen von Jahren zu uns unterwegs sein. Was die moderne Wissenschaft entdeckt hat, lehrt uns, dass die Zeit, in der der Mensch auf Erden lebt, vergleichsweise unbedeutend ist. Vielleicht hat Gott Entwicklungen mit dem Menschen vor, die äußerst spannend sind -- Entwicklungen, von denen wir uns nicht träumen lassen. __________________________________________________________________ [116] »Denn offenbar wird des Herrn Glanz. Alles Fleisch zumal wird ihn schauen. Denn der Mund des Herrn hat es versprochen.« [117] Samuel G. Craig, Jesus as He Was and Is, S. 276. __________________________________________________________________ 9) Die überragende Menge der erlösten Schar Der Beschluss Gottes zur Erwählung und seine vorherbestimmende Liebe ist, obgleich sehr anspruchsvoll und eigenartig, nichtsdestoweniger umfassend. »Darauf sah ich eine große Schar, die niemand zu zählen vermochte, aus allen Völkern, Stämmen, Geschlechtern und Sprachen. Sie stehen vor dem Thron und vor dem Lamm, angetan mit weißen Gewändern und mit Palmzweigen in ihren Händen. Sie rufen mit lauter Stimme: Das Heil ist bei unserem Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm« (Offb. 7,9f). Gott, der Vater, hat unzählbare Millionen aus der Menschheit erwählt, damit sie ewige Erlösung und ewige Glückseligkeit haben sollen. Wie groß der Anteil dieser Schar an der gesamten Menschheit ist, ist uns nicht gesagt, aber im Hinblick auf die großartige Zukunft, auf die wir zugehen und die der Kirche prophezeit ist, kann man folgern, dass es der weit größere Teil der Menschheit sein wird, der sich unter Seinen Auserwählten befinden wird. Im neunzehnten Kapitel der Offenbarung berichtet Johannes von einer Vision, in der symbolisch der Kampf zwischen den guten und den bösen Mächten der Welt geschildert wird. Über diese Beschreibung sagt Dr. Warfield: »Die Szene wird mit der Vision vom Sieg des Wortes Gottes eröffnet, dem König der Könige und Herrn der Herrn, der über alle seine Feinde siegt. Wir sehen ihn aus dem Himmel kommen, gerüstet zum Krieg und gefolgt von den himmlischen Armeen; die Vögel des Himmels sind geladen zum großen Mahl der Leichname, die für sie bestimmt sind. Die Armeen des Feindes, die Bestien und die Könige der Erde werden gegen ihn aufgeboten und völlig zerstört; alle Vögel werden satt von der Leichname Fleisch (Offb. 19,11--21). Das ist das lebendige Bild eines totalen Sieges; ein ganzer Krieg wird hier beschrieben; die ganze Kriegsmetaphorik wird bemüht, um dies angemessen zu beschreiben. Doch das ist symbolisch zu verstehen. Was hier symbolisch dargestellt wird, ist der Totalsieg des Sohnes Gottes über alle Heere der Gottlosigkeit. Wir brauchen eigentlich nur einen einzigen Hinweis aus dieser Symbolsprache, um zu verstehen, und dieser einzige genügt auch schon. An zwei Stellen (V. 15 u. 21) wird uns gesagt, dass das Schwert, mit dem der Sieg errungen wird, aus dem Munde des Eroberers kommt. Das bedeutet, dass wir nicht an eine wörtliche Schlacht zu denken haben, sondern an einen Krieg, der durch das gesprochene Wort ausgefochten wird -- kurz gesagt: durch die Verkündigung des Evangeliums. Wir haben hier die siegreiche Ausbreitung des Evangeliums in aller Welt vor uns. All diese Bilder einer schrecklichen Schlacht und deren grausamen Details sollen uns den Eindruck eines Totalsiegs (des Christentums) vermitteln. Das Evangelium Christi ist dabei, die Welt zu erobern, bis es alle seine Feinde besiegt hat.« [118] Wir, die wir zwischen den zwei Adventen leben, sehen diesen Krieg im vollen Gang. Wie lange es dauern wird, bis dieser Sieg eingetreten sein wird oder wie lange die bekehrte Welt warten muss, bis ihr Herr wiederkommt, wissen wir nicht. Wir leben heute in einer Zeit, die man beinahe golden nennen könnte [119] , wenn man das erste Jahrhundert des Christentums bedenkt. Dies sollte sich in Zukunft fortsetzen, bis die Lebenden die praktische Erfüllung der Bitte sehen: »Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.« So wie wir uns einer größeren Schau von Gottes gnädigem Handeln mit der sündigen Erde befleißigen, sehen wir, dass Er seine erwählende Gnade nicht mit der Hand eines Geizhalses austeilt, sondern dass es Seine Absicht ist, die ganze Welt zu sich zu bekehren. Das Versprechen wurde schon Abraham gegeben, dass nämlich seine Nachkommen eine ungeheure Schar werde werden: »Ich will dich reichlich segnen und deine Nachkommenschaft so zahlreich werden lassen wie die Sterne des Himmels und wie den Sand am Gestade des Meeres« (1 Mo 22,17). »Ich will deine Nachkommenschaft zahlreich werden lassen wie den Staub der Erde. Nur wenn jemand imstande wäre, den Staub der Erde zu zählen, erst dann könnte auch deine Nachkommenschaft gezählt werden« (1 Mo 13,16). Dem Neuen Testament entnehmen wir, dass sich dieses Versprechen nicht nur auf das nationale Volk der Juden beschränkt, sondern dass gerade die Christen diejenigen sind, die im wahren Sinn des Wortes »Söhne Abrahams« genannt werden: »Erkennt daraus, dass jene Kinder Abrahams sind, die aus Glauben leben. ... Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr auch Abrahams Nachkommen und gemäß der Verheißung Erben« (Gal. 3,7.29). Jesaja hat gesagt, dass die Hand des Herrn durch seinen Messias nicht leer ausgehen wird, sondern dass sich »seine Seele an seiner Arbeit sattsehen wird« (Jes 53,11). Was Jesus auf Golgatha gelitten hat, wird Anlass dazu sein, sich nicht mit Wenigem zufriedenzugeben. Die Ansicht, dass die Geretteten die Verlorenen an Zahl weit überwiegen, zeigt auch die biblische Sprache selbst. Unter der kommenden Welt wird ganz allgemein der Himmel verstanden, der Himmel als großes Königreich, als Land, auch als Stadt, während die Hölle einheitlich als ein vergleichsweise kleiner Ort beschrieben ist, also als Gefängnis, als See (Feuersee), als Abgrund (vielleicht tief, aber schmal; Lk20,35; 1 Tim 6,17; Offb. 21,1; Mt 5,3; Heb. 11,16; 1 Petr 3,19; Offb. 19,20; 20,10.14.15; 21,8--27). Die Engel und die Heiligen werden in der Schrift als Heer bezeichnet, als Myriaden, als eine unzählbare Schar: Zehntausend mal zehntausend und tausend mal tausende; eine solche Bezeichnung wird auf die Verlorenen niemals angewandt, und verglichen mit den Geretteten erscheint ihre Zahl vergleichsweise unbedeutend (Lk 2,13; Jes 6,3; Offb. 5,11). Shedd bemerkt dazu: »Der Kreis der Erwählten Gottes ist ein himmlisch großer Kreis, keine Tretmühle. Das Königreich Satans ist unbedeutend verglichen mit dem Königreich Christi. Im immens großen Bereich der Gottesherrschaft ist das Gute die Regel, das Böse die Ausnahme. Auf dem Azurblau der Ewigkeit ist die Sünde nur ein Fleckchen, ein Punkt auf der Sonne. Die Hölle ist nur eine Ecke im Universum.« [120] Von da aus gesehen scheint es so -- wenn wir die Vermutung wagen dürfen --, als könnte das Zahlenverhältnis von Geretteten zu Verlorenen etwa das der freien Bürger unseres Landes zu den Gefangenen sein; vielleicht wird man es auch mit einem Baum vergleichen dürfen, dessen Stamm, Äste und Zweige die Geretten darstellen, während die Verlorenen nichts als der Beschnitt sind, der verbrannt wird. Wer, auch Nichtcalvinist, wünschte sich nicht, dass dem so sei? Aber, so mag eingewendet werden, sprechen nicht die Verse »Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und nur wenige finden ihn« (Mt 7,14) und »Viele sind zwar berufen, wenige aber auserwählt« (Mt 22,14) eine ganz andere Sprache? Ich glaube, dass diese Verse einen bestimmten Zeitrahmen betreffen, und zwar jenen, der das Palästina zur Zeit Jesu und zu dessen Bedingungen damals umfasst. Die große Mehrheit der Menschen damals beschritt nicht die Pfade der Gerechtigkeit, und diese Verse sind vom momentanen Standpunkt aus gesprochen, nicht von der Sicht eines noch in ferner Zukunft liegenden Gerichts aus. In diesen Versen tritt uns eine Beschreibung des Lebens entgegen, wie sie der damaligen Zeit eignete und wie sie auch bis in unsere Tage wohl zutrifft. Aber, fragt Dr. Warfield, »Kann es denn nicht sein -- wird es denn nicht so sein? --, dass mit dem Verstreichen der Jahre, der Jahrhunderte, ja ganzer Zeitalter das Verhältnis dieser >zwei Wege< umgekehrt werden wird?« [121] Diese Verse sollen uns zeigen, dass der Weg zur Errettung ein schwieriger und dornenvoller Weg ist, und dass es unsere Aufgabe ist, diesen Weg wachsam und ausdauernd zu gehen. Niemand sollte seine Errettung als Selbstverständlichkeit sehen. Diejenigen, die in das Königreich des Himmels eingehen, werden ihn durch viele Trübsale hindurch gehen müssen, daher der Befehl: »Ringet danach, durch die enge Pforte einzugehen« (Lk 13,24). Die Wahl, die man im Leben hat, ist die zwischen zwei Wegen: einer breit, angenehm und leicht zu beschreiten, und doch führt er in die Vernichtung. Der andere ist schmal und schwierig -- dieser Weg führt ins Leben. »Es gibt nicht mehr Grund anzunehmen, dieses Gleichnis lehre die zahlenmäßige Überlegenheit der Verlorenen gegenüber den Geretteten als dass das Gleichnis mit den zehn Jungfrauen (Mt 25) lehren soll, dass sie numerisch gleich seien; noch weniger Grund gibt es, anzunehmen, das Gleichnis vom Unkraut im Weizen (Mt 13,24ff.) lehre, dass die Verlorenen vergleichsweise unbedeutend seien im Vergleich mit den Geretteten, denn das ist in der Tat ein wesentlicher Bestandteil des Gleichnisses.« [122] __________________________________________________________________ [118] B. B. Warfield, Biblical Doctrines, Art. "The Millenium and the Apocalypse", S. 647. [119] Man wird sich erinnern, dass Boettner 1932 schreibt und nicht die Bibel im Licht der Ereignisse sieht, sondern -- wie es der Calvinismus im allgemeinen tut -- sich die Sicht auf die Bibel nicht vom Tagesgeschehen trüben lässt (A. d. Ü.). [120] Boettner gibt die Quelle des Zitats nicht an (A. d. Ü.). [121] Boettner gibt die Quelle des Zitats nicht an (A. d. Ü.). [122] B. B. Warfield, kleinere Schrift »Are They Few That Be Saved?« __________________________________________________________________ 10) Die Zustände in der Welt werden sich verbessern Die Erlösung der Welt ist ein langer und langsamer Prozess, der die Jahrhunderte durchzieht, jedoch sicher an sein Ziel gelangt. Wir leben bereits in den Tagen verstärkten Sieges und sehen der Eroberung entgegen. Es gibt Zeiten geistlichen Erfolgs und auch Zeiten geistlichen Niedergangs, doch sind das nur Stadien auf jenem Wege zum Ziel. Wenn wir die Zeit seit Christi erstem Erscheinen auf der Erde betrachten, dann bestaunen wir einen wunderbaren Ablauf. Zuletzt wird die Geschichte vollendet sein, und noch bevor Christus wiederkommt, haben wir eine christianisierte Welt. Das heißt nicht, dass die Sünde vollkommen ausgerottet sein wird -- der Weizen wird immer unter Unkraut zu leiden haben, bis die Ernte kommt. Auch die Gerechten fallen manchmal der Sünde und der Versuchung zum Opfer, solange sie auf dieser Erde leben. Aber genauso, wie wir heute christliche Gruppen und Gesellschaften sehen, so werden wir eine christianisierte Welt sehen. »Die richtige Methode, die Zeit einzuschätzen, ist, ihre Bedingungen mit jenen der Vergangenheit zu vergleichen und zu sehen, in welche Richtung sie sich bewegt. Geht es rückwärts oder vorwärts? Werden die Dinge schlechter oder besser? Mögen die Dinge auch in düsteres Zwielicht eingewickelt sein, aber ist dies Zwielicht der Beginn des Abends oder des Morgens? Werden die Schatten dunkler, bis die sternenlose Nacht uns einhüllt oder fliehen sie, um der aufgehenden Sonne Platz zu machen? ... Ein Blick in die Welt, wie sie heute ist, verglichen mit dem, was zehn oder zwanzig Jahrhunderte vor uns war, zeigt uns, dass sie einen großen Bogen durchlaufen hat und sich auf den Morgen zubewegt.« [123] Mehr denn je ist die Kirche heute mit Wohlstand gesegnet, und trotz traurigem Abfall mancherorts, der dem Modernismus zugeschrieben werden muss, glauben wir, dass es heutzutage mehr ernsthafte Evangelisation gibt als je vorher. Die Anzahl der Bibelschulen, Kollegs und Seminare, in denen die Bibel systematisch studiert wird, wächst ständig und schneller als die Bevölkerung. Letztes Jahr sind mehr als 11 Millionen Bibeln oder Bibelteile in verschiedenen Sprachen verteilt worden, und das alleine von der amerikanischen Bibelgesellschaft -- ein Umstand, der zeigt, dass die Bibel die Welt erreicht wie nie zuvor. Die christliche Kirche hat in vielen Teilen der Welt große Fortschritte gemacht; speziell während der letzten zwei oder drei Jahrhunderte hat sie tausende und abertausende individuelle Kirchen hervorgebracht und hat das Leben vieler Millionen Menschen zum Guten beeinflusst. Unzählige Schulen und Krankenhäuser sind ihr zu verdanken. Unter ihrem liebevollen Einfluss standen auch Ethik, Kultur und Gemeinwohl, die weltweit zugenommen haben; die ethischen Standards sind heute wesentlich höher als damals, als die Kirche hierher kam. »Schon hat die Kirche jeden einzelnen Kontinent durchdrungen und wohnt auf jeder Insel und sendet ihre Außenposten rund um den Äquator und von Pol zu Pol. Sie ist heute die größte Organisation auf Erden, ein richtiges Weltunternehmen. Ihre Resultate sind sehr vielversprechend. In unserem Land ist das Christentum mindestens fünf mal so schnell gewachsen wie die Bevölkerung. Es ist etwa hundert Jahre her, da bekannte sich nur einer von fünfzehn zum Christentum, heute ist es jeder dritte, und, Kinder ausgenommen, jeder zweite. Die Welt weist im ganzen erstaunliche Resultate auf. Im Jahr 1500 gab es etwa 100 Millionen Menschen, die sich zum Christentum bekannten, 1800 waren es bereits 200 Millionen. Die neueste Statistik zeigt, dass sich bei einer Gesamtbevölkerung der Erde (1.646.491.000) bereits 564.510.000 Menschen zum Christentum bekennen, also beinahe ein Drittel der gesamten Menschheit! Das Christentum kann im letzten Jahrhundert ein riesiges Wachstum verzeichnen, ja, ein größeres Wachstum als in den vorherigen 1800 Jahren.« [124] Die Annahme, dass das Christentum im letzten Jahrhundert mehr Zuwachs bekommen hat als in den 1800 Jahren davor, dürfte ungefähr stimmen. Letzten Statistiken zufolge, etwa 1950 [125] , umfasst das nominelle Christentum mehr als jede Kombination zweier anderer Weltreligionen. Diese Zahlen zeigen einen Stand von 640 Millionen Christen, 300 Millionen Konfuzianer (Taoisten inbegriffen), 230 Millionen Hindus, 220 Millionen Moslems, 150 Millionen Buddhisten, 125 Millionen Animisten, 20 Millionen Shintoisten und 15 Millionen Juden. [126] Und wenn auch viele Christen es nur dem Namen nach sind, ist doch das Verhältnis vermutlich größer als in den heidnischen Religionen. Alle anderen Religionen, mit Ausnahme der Muslime, sind älter als das Christentum. Darüber hinaus ist das Christentum die einzige Religion, die in der modernen Zivilisation aufblühen und wachsen kann, während alle anderen Religionen sehr schnell verschwinden, wenn sie unter das gleißende Licht moderner Zivilisation geraten. Erst innerhalb der letzten hundert Jahre hat sich die Neulandmission wirklich durchgesetzt. So wie sie sich kürzlich entwickelt hat, mit großen kirchlichen Organisationen im Rücken, ist sie in der Position, eine Weltevangelisation zu betreiben, wie es sie nie zuvor gegeben hat. Man wird annehmen dürfen, dass die derzeitige Bevölkerung Indiens, Chinas, Koreas und Japans mehr Veränderung im religiösen, sozialen und politischen Bereich erfahren hat als in den vorhergegangenen 2000 Jahren. Wenn wir die rasche Verbreitung des Christentums in den letzten Jahren mit dem ebenso raschen Niedergang der anderen Weltreligionen kontrastieren, so scheint klar zu sein: Das Christentum ist die zukünftige Weltreligion. Im Licht dieser Fakten sehen wir der Zukunft als bestmöglicher vertrauensvoll entgegen. __________________________________________________________________ [123] James H. Snowden, The Coming of the Lord, S. 250. Für eine ausgezeichnete Untersuchung dieser Frage vgl. »Is the World Growing Better?« (Kap. 8). [124] Ebd., S. 265. [125] Siese Angabe entstammt einer späteren Auflage des Werks (A. d. Ü.). [126] A. d. Ü.: Nach einer Tabelle der letzen Ausgabe von »Gebet für die Welt« von Patrick Johnstone sehen die Zahlen nach dem Jahr 2000 etwa so aus: (Angaben in Mio.) Christen: 1.973 (32,54%); Mulime: 1.279 (21,09%); Nichtreligiöse: 938 (15,46%); Hinduisten: 820 (13,52%), Buddhisten: 400 (6,6%) Chinesische Religionen: 383 (6,31%); Stammesreligionen: 176 (2,9%) Sikhs: 20,5 (,34%); Juden: 14,2 (,24) Andere: 60,8 (1%) bei einer Weltbevölkerung von 6.065 Milliarden Menschen (S. 41f). Nachstehend die Zahlen aus dem digitalen Brockhaus 2005: Weltreligionen: Der Anteil der Religionen*) an der Weltbevölkerung (in %) Religionszugehörigkeit 190020022025 (Prognose) Christen 33,433,434,8Muslime 12,420,124,4Hindus 12,513,513,4Buddhisten 7,85,95,4Stammesreligionen 6,63,63,7neue Religionen ,41,61,4Sikhs ,20,40,4Juden ,80,20,2Nichtreligiöse/Atheisten ,214,913,1*) nicht berücksichtigt sind die Anhänger chinesischer Volksreligionen (Daoismus, Geisterglaube), religiös geprägter neokonfuzianischer Strömungen und die Shintoisten __________________________________________________________________ 11) Das Heil der Kleinkinder Die Mehrzahl calvinistischer Theologen war jeher der Auffassung, dass Menschen, die im Kindesalter sterben, gerettet sind. Die Schrift scheint klar genug zu lehren, dass die Kinder Gläubiger gerettet sind, in bezug auf die Kinder der Heiden schweigt sie jedoch. Das Westminster-Bekenntnis sieht die Kinder der Heiden, bevor sie in das Alter der Verantwortlichkeit kommen, jedenfalls nicht der Verdammnis anheim gestellt. Dort, wo die Heilige Schrift zu einem Thema schweigt, tut es auch das Westminster-Bekenntnis. Unsere bedeutenden Theologen geben jedoch zu bedenken, dass »seine Barmherzigkeit sich über alle seine Werke erstreckt« (Ps 145,9), ja, dass seine Gnade so weit wie möglich reicht; sie haben immer die liebevolle Hoffnung gehegt, dass, da diese Kinder ja noch keine eigene, persönliche Sünde begangen haben, ihnen die Erbsünde vergeben wird und sie ganz nach den evangelischen Prinzipien errettet werden. Das war immerhin die Meinung von Charles Hodge, W. G. T. Shedd und B. B. Warfield. Bezüglich der Kleinkinder sagt Dr. Warfield: »Ihr Schicksal ist festgelegt, ohne dass sie eine Wahl gehabt haben. Es beruht ganz auf dem unbedingten, göttlichen Entschluss, ganz ohne Einfluss ihrer Handlungen. Ihre Errettung hat die Gnade Christi erwirkt, und zwar durch die unmittelbare und unwiderstehliche Einwirkung des Heiligen Geistes vor und jenseits jeder Handlung, die sie etwa aus korrektem Willen hätten begehen können ... Wenn der Tod eines Kindes von Gottes Vorsehung abhängt, dann ist es sicher, dass Gott in seiner Vorsehung dafür Sorge trägt, dass diese große Schar an seiner unbedingten Erlösung Anteil hat ... Das ist nichts anderes als die unbedingte Prädestination zum Heil von Grundlegung der Welt an. Wenn auch nur ein einziges Kind gerettet wird, das gestorben ist, ohne je das Alter der Verantwortlichkeit erreicht zu haben, dann ist das ganze arminianische Prinzip ad absurdum geführt. Wenn nun alle Kinder, die in jenem Zustand sterben, gerettet werden, dann wird nicht nur die überwiegende Zahl der Geretteten, sondern die Mehrzahl der Menschheit ins ewige Leben eingehen -- auf ganz unarminianische Weise.« [127] Es gibt nichts im Calvinismus, das uns von dieser Ansicht abhalten könnte, und solange nicht bewiesen ist, dass die Lehre von der Prädestination falsch ist und Gott diejenigen, die er schon im Kindesalter zu sich gerufen hat, nicht schon von Ewigkeit her zur Erlösung bestimmt hat, wird uns niemand von dieser Absicht abbringen. Selbstverständlich glaubt ein Calvinist, dass die Erbsünde nicht nur die Erwachsenen vor Gott schuldig macht, sondern auch jedes Kind. Genauso wie alle anderen Söhne Adams, sind auch die Kinder schuldhaft, weil in Adam die ganze Menschheit schuldig geworden ist; Gott könnte gerechterweise alle Menschen bestrafen. Ihre Errettung entspricht aber der Realität. Sie besteht allerdings nur in der Gnade Christi und ist unverdient wie bei den Erwachsenen. Statt die Fehlerhaftigkeit und die Strafe abzuschwächen, die ihnen aufgrund der Erbsünde einwohnt, weist der Calvinismus auf die rettende Gnade Gottes hin. Die Errettung der Kinder ist bedeutend, denn sie illustriert das Prinzip der Erlösung, der Befreiung schuldiger Seelen von ewiger Pein. Und diese Erlösung ist überaus kostbar, denn sie wurde durch die Leiden Christi am Kreuz erkauft. Jene, die die Erbsünde anders beurteilen; jene, die in ihr gar keine richtige Sünde sehen, die ewige Bestrafung verdiente, schmälern auch den Schrecken, vor dem die Kinder »bewahrt« werden; konsequenterweise kann auch die Liebe, die sie Gott schulden, nicht gerade die größte sein. Die Lehre, dass Kinder generell erlöst werden, findet seinen logischen Platz im calvinistischen System, denn die Erlösung der Seelen ist hier ganz deutlich jenseits jeglicher Bedingung des Glaubens vorherbestimmt. Weder Bekehrung noch gute Werke, seien sie gegenwärtig oder vorhergesehen, können hier maßgeblich sein. Eine solche Lehre kann im Arminianismus keinen Platz haben, auch in keinem anderen System. Darüber hinaus muss es scheinen, dass ein System wie der Arminianismus, der die Errettung von einer persönlichen und verstandesgemäßen Entscheidung des einzelnen abhängen lässt, logischerweise verlangen müsste, dass verstorbene Kinder entweder im Jenseits eine weitere »Chance« bekommen, so dass ihr Schicksal besiegelt werden könnte, oder dass sie ausgelöscht (annihilated) werden. Zu dieser Frage sagt Dr . S . G . Craig: »Wir sehen die Sache so, dass keine Lehre, die die Erlösung der Kinder annimmt, christlich ist, wenn sie nicht gleichzeitig annimmt, dass die Kinder verlorene Mitglieder einer verlorenen Menschheit sind, für die es außer in Christus keine Erlösung gibt. Daher ist es offensichtlich, dass diese Lehre keinen Platz im römisch-katholischen oder auch anglo-katholischen System haben kann, da jene Systeme lehren, dass die Wiedergeburt durch die Taufe stattfindet. Wie viele Kinder sind aber ungetauft geblieben? Offensichtlich bietet auch das lutherische Gedankensystem keinen Platz für die Ansicht, dass alle, die im Kindesalter sterben, gerettet werden, denn dieses System legt große Bedeutung auf die Gnadenmittel, besonders die Gnadenmittel des Wortes und der Sakramente. Wenn die Gnade nur durch die Gnadenmittel erlangt werden kann -- und das ist bei ungetauften Kleinkindern ja gerade nicht der Fall -- dann scheint es klar zu sein, dass die meisten, die als Kinder gestorben sind, diese Gnade nicht erlangt haben. Jetzt wird auch klar, weshalb der Arminianismus kein Recht hat, alle verstorbenen Kinder im Himmel zu vermuten; vielmehr ist es sogar unklar, inwiefern er überhaupt ein Recht hat anzunehmen, dass je ein Kind gerettet wird. Denn nach der Annahme des Arminianismus, auch des evangelischen [u. evangelikalen; A. d. Ü.] Arminianismus, hat Gott in seiner Gnade den Menschen nur die Möglichkeit zur Errettung bereitgestellt. Es scheint indes wenig glaubhaft, dass jene »Möglichkeit« zur Errettung den frühzeitig verstorbenen Kindern recht viel sollte geholfen haben.« [128] Obgleich der Calvinismus die Lehre der Taufwiedergeburt ablehnt und in der Taufe Nichterwählter nichts als eine leere Form sieht, sieht er die rettende Gnade weit über die Grenzen sichtbaren Christentums hinausgreifen. Wenn es wahr ist, dass unterschiedslos alle Kinder die rettende Gnade empfangen, dann zählt bis heute die Mehrheit der Menschheit zu den Erwählten. Darüber hinaus statuiert der Calvinismus, dass der rettende Glaube an Christus die einzige Voraussetzung für die Erlösung darstellt, soweit es Erwachsene betrifft; äußerliche Kirchenzugehörigkeit ist weder Voraussetzung noch Garantie zur Errettung. Der Calvinismus geht auch davon aus, dass viele Erwachsene, die keinerlei Verbindung zur Kirche haben, nichtsdestotrotz gerettet sein können. Jeder logisch denkende Christ wird sich gerne dem biblischen Befehl zur Taufe unterwerfen, wie er klar in der Schrift formuliert ist, und somit ein Mitglied der äußerlichen Kirche werden. Es gibt allerdings viele, die entweder aus Schwachheit des Glaubens oder auch aus Mangel an Gelegenheit diesem Befehl nicht Folge leisten wollen. Das Westminster-Bekenntnis ist oft wegen der Formulierung angegriffen worden, die die Erlösung der Kinder betrifft: »Die erwählten Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, sind wiedergeboren und gerettet durch Christus«. [129] Man hat gemeint, daraus schließen zu müssen, dass die nichterwählten Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, nach dieser Formulierung verlorengehen müssten und dass die Presbyterianische Kirche gelehrt habe, dass einige Kinder tatsächlich verlorengingen. Dazu sagt Dr . Craig: »Die Geschichte dieses Einwandes gegen die Formulierung >Erwählte Kinder, die in ihrer Kindheit sterben< macht klar, dass hier keine Polarität zwischen >erwählten Kindern, die in ihrer Kindheit sterben< und >nichterwählten Kindern, die in ihrer Kindheit sterben< gemacht wird, sondern zwischen Erwählten, die in ihrer Kindheit sterben und solchen, die am Leben bleiben.« [130] Um jedoch Missverständnissen vorzubeugen, die von Streitsucht motiviert werden, hat die Presbyterianische Kirche der USA im Jahr 1903 eine Zusatzerklärung herausgegeben: »Unter Bezugnahme auf den 3. Absatz des 10. Kapitels des Glaubensbekenntnisses, der nicht davon handelt, dass Kinder verlorengehen können, glauben wir, dass alle Kinder, die in ihrer Kindheit sterben, von der erwählenden Gnade eingeschlossen sind und durch die Erlösung Christi und das Wirken des Geistes erneuert werden, wie, wann und wo es Ihm gefällt.« [131] Diesen Zusatz betreffend sagt Dr . Craig: »Offensichtlich greift diese Zusatzerklärung über den Art. 3 des zehnten Kapitels des Glaubensbekenntnisses hinaus, insofern sie behauptet, dass alle, die in ihrer Kindheit sterben, gerettet werden. Manche glauben, dass diese Zusatzerklärung über die Schrift hinausgeht, aber wie dem auch sei, sie macht klar, dass niemand die Presbyterianische Kirche der Lehre zeihen kann, dass es nichterwählte Kinder gebe. Zweifellos hat es innerhalb der Presbyterianischen Kirche Leute gegeben, die angenommen haben, es gebe auch nichterwählte Kinder, die infolge dessen verlorengingen, aber eine solche Sicht war nie offizielle Lehrmeinung der Presbyterianischen Kirche; vielmehr widerspricht eine solche Meinung dem Glauben der Kirche.« [132] Es wird Calvin manchmal vorgeworfen, er habe die tatsächliche Verdammnis einiger gelehrt, die während ihrer Kindheit sterben. Ein sorgfältiges Studium seiner Schriften zeigt aber die Haltlosigkeit jener Vorwürfe. Was er tatsächlich gelehrt hat, war, dass einige der Erwählten schon als Kinder sterben und auch als Kinder errettet sind. Er lehrte, dass auch Verworfene einmal Kinder waren; schließlich war er ja der Ansicht, dass die Verwerfung und die Erwählung beide von Ewigkeit her sind [133] und die Nichterwählten schon als Nichterwählte in diese Welt kommen. Nirgendwo allerdings sagt er, dass die Verworfenen in ihrer Kindheit sterben und so verlorengehen. Freilich verwarf er die pelagianische Sichtweise, die die Erbsünde leugnet und die Errettung verstorbener Kinder auf deren angenommene Unschuld und Sündlosigkeit gründet. Dr. R. A. Webb hat Calvins Ansichten zu diesem Thema hat untersucht, und sein Ergebnis kann folgendermaßen zusammengefasst werden: »Calvin lehrt, dass alle Verworfenen sich ihre eigene Zerstörung >verursachen< (sein eigenes Wort!); sie verursachen ihre eigene Verderbnis durch ihre eigenen persönlichen und bewussten Handlungen der Gottlosigkeit, Bosheit und Rebellion. Verworfene können ihre Verderbnis nun allerdings nicht während ihrer Kindheit durch Gottlosigkeit, Bosheit und Rebellion >verursachen<, obgleich sie im Sinne der Erbsünde schuldig sind und ebenso unter dem Urteil der Verdammnis stehen. Sie müssen also schon die Jahre erreichen, in denen sie jene Handlungen der Gottlosigkeit, Bosheit und Rebellion verüben, die Calvin als jene Akte beschreibt, durch welche sie ihre Verderbnis herbeiführen. Wenn Calvin lehrt, es gebe verworfene Kinder, dann ist das so zu verstehen, dass er meint, auch die Verworfenen seien ja einmal Kinder, gehen aber nicht als Kinder verloren. Im Gegenteil behauptet er, dass die Verworfenen ihre eigene Verwerfung selbst herbeiführen, und zwar durch all ihre gottlosen Handlungen, durch ihre Bosheit und ihre Rebellion. Konsequenterweise zwingt ihn sein Denken (um in sich logisch zu bleiben) zu der Annahme, dass kein Verworfener während seiner Kindheit sterben kann, sondern erst mindestens das Alter moralischer Zurechnungsfähigkeit erreichen muss und die Erbsünde zur persönlichen Sünde werden lassen muss.« [134] In keinem seiner Werke sagt Calvin, weder direkt noch indirekt, dass irgend ein Kind werde verlorengehen. Die meisten Angriffe gegen ihn beruhen auf seiner Lehre von der Erbsünde, durch welche die ganze Menschheit ausnahmslos schuldig und verderbt ist. Viele Lehraussagen Calvins sind hochkontroversiellen Abschnitten entnommen, die eigentlich von ganz anderen Lehren sprechen und so quasi »ungeschützt« sind; wenn sie dagegen in dem Zusammenhang gelassen werden, in den Calvin sie gesetzt hat, kann an ihrer wahren Aussage nicht mehr gezweifelt werden. Calvin sagt über die Kinder eigentlich nichts anderes als David von sich selbst gesagt hat: »Sieh doch, ich bin in Sünde geboren, in Schuld empfing mich schon meine Mutter«, oder auch was Paulus in 1 Kor 15,22 sagt: »Wie sie in Adam alle sterben« oder auch in Eph 2,3: »Von Natur aus Kinder des Zorns«. Ich glaube, ausreichend gezeigt zu haben, dass die Lehre von der Erwählung in jedem Punkt biblisch ist und außerdem zwingend Sache des gesunden Menschenverstandes. Jene, die sich gegen diese Lehre stellen, tun das, weil sie die Majestät und Heiligkeit Gottes weder verstehen noch recht betrachten, genauso wenig wie die Verderbtheit und Schuld ihrer eigenen Natur. Sie vergessen, dass sie vor ihrem Schöpfer kein Recht auf Gnade haben, sondern als verdammte Kriminelle vor ihm stehen und nichts als Strafe verdienen. Außerdem wollen sie unabhängig sein und lieber ihr eigenes Heilsschema ausarbeiten, als Gottes Plan anzunehmen, der nichts als Gnade ist. Die Lehre von der Erwählung kann mit keinem einzigen Werk harmonisiert werden, das der Mensch wirkt, auch nicht mit einer Mischung von Werk und Gnade, sondern sie ist das einzig mögliche Ergebnis eines Bundes reiner Gnade. __________________________________________________________________ [127] B. B. Warfield, Two Studies in the History of Doctrine, S. 230. [128] Christianity Today, Jan. 1931, S. 14. Der »gemäßigte Arminianismus«, wie ich ihn bezeichnen möchte (etwa: Brüderbewegung oder Freikirchen pietistischer Provenienz und ähnliche) zeichnet sich m. E. nicht gerade durch konsistente Gedankensysteme aus; wenn Schwierigkeiten auftauchen, etwa die logische Inkonsistenz der Lehre, so nimmt er schon mal Zuflucht zu den »Geheimnissen«, zu den »hohen Gedanken Gottes«, zu Gottes »Unausforschlichkeit« oder zum alten Spruch vom »Stahnlassen« der Schrift. Vom Irrationalismus beeinflusst, steht der Arminianismus -- ohne sich dessen freilich allzu bewusst zu sein -- logischem Denken (das er »Spekulation« nennt, wenn es nicht auf seiner Linie fährt) oft äußerst skeptisch gegenüber (A. d. Ü.). [129] WB, Art. 10.3. [130] Boettner gibt die Quelle des Zitats nicht an. Übrigens handelt es sich bei diesem Einwand um einen formallogischen Fehlschluss: Wenn ich sage: "Alle schwarzen Kugeln aus dem Säckchen sind glatt", dann kann man aus dieser Aussage nicht schließen, dass es auch noch andersfärbige Kugeln gibt (A. d. Ü.). [131] Quelle des Zitats nicht angegeben. [132] Christianity Today, Jan. 1931. S. 14 [133] Die Schwierigkeit derlei gedanklicher Operationen beruht weniger auf ihrer intrinsischen Komplexität, als vielmehr darauf, dass der durch raumzeitliche Kategorien bedingte Mensch über Dinge nachdenkt, die der Ewigkeit angehören und sich teilweise zwar in Raum und Zeit manifestieren, dass aber Sachverhalte der Ewigkeit nicht ohne weiteres mit raumzeitlichen Kategorien beschreibbar sind. Man darf nicht den Fehler machen, Ewiges mit Zeitlichem adäquat beschreibbar sehen zu wollen. Es ist immer schwierig -- ob Calvinist oder Arminianer -- über Sachverhalte der Ewigkeit anders als dogmatisch zu reden, insbesondere anders, als es die Sprache der Heiligen Schrift tut (A. d. Ü.). [134] R. A. Webb, Calvin Memorial Addresses, S. 112. __________________________________________________________________ 12) Zusammenfassung Die Erwählung ist der Akt der freien Entscheidung Gottes, durch welchen er bestimmt, wer das Erbe des Himmels antreten darf. Der Beschluss dazu existiert von Ewigkeit her. Der Beschluss betrachtet die Menschheit als gefallene Rasse. Die Erwählten werden aus dem Zustand der Sünde herausgerissen und in einen gesegneten Zustand der Seligkeit versetzt. Erwählung meint beides: Mittel und Ziel -- die Erwählung zu ewigem Leben begreift in sich auch die Erwählung zu einem gerechten Leben im Diesseits. Der Beschluss zur Erwählung ist durch das ausreichende Werk des Heiligen Geistes vollwirksam. Er wirkt, wann, wo, und wie es ihm gefällt. Gottes allgemeine Gnade würde alle Menschen zum Guten neigen lassen, wenn sie ihr nicht widerstünden. Der Beschluss zur Erwählung überlässt die Nichterwählten ihrem Schicksal -- sie gehen ihrer gerechten Strafe entgegen. Manchen Menschen wird erlaubt, dem Bösen zu folgen, das sie freiwillig und zu ihrem eigenen Verderben wählen. Gott könnte in seiner unumschränkten Herrschaft alle Menschen erneuern, wenn er es so wollte. Der Richter der Erde ist gerecht und weitet seine Gnade über eine unzählbare Schar aus, die diese Gnade nicht verdient hat. Die Erwählung basiert nicht auf vorhergesehenem Glauben oder guten Werken, sondern einzig und allein auf Gottes souveränem Wohlgefallen. Der wesentlich größere Teil der Menschheit ist zu ewigem Leben erwählt. Alle, die während ihrer Kindheit sterben, gehören zu den Erwählten. Die Erwählung bezieht sich nicht nur auf Individuen, sondern auch auf Nationen und auf äußerliche und zeitliche Segnungen und Privilegien -- Segnungen allerdings, die nicht die Errettung zu ewigem Heil bedeuten. Die Bibel erwähnt und betont die Lehre von der Erwählung von Anfang bis zum Ende. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XII -- Begrenzte Sühne __________________________________________________________________ 1) Erklärung der Lehre Die Frage, die wir unter dem Thema »Begrenzte Sühne« abhandeln, lautet folgendermaßen: Hat sich Christus als Opfer für das gesamte Menschengeschlecht hingegeben, also für jedes Individuum ohne Unterschied und Ausnahme, oder galt sein Tod nur den Erwählten? Mit anderen Worten: War seine Absicht, allen Menschen diese Erlösung nur anzubieten oder war die Absicht, diese Erlösung nur denen zu schenken, die der Vater ihm gegeben hat? Der Arminianismus behauptet, dass Christus unterschiedslos für alle Menschen gestorben sei, während der Calvinismus besagt, dass es die Absicht des geheimen Plans Gottes war, Christus nur für die Erwählten sterben zu lassen, und dass sein Tod für diejenigen nur nebensächliche Bedeutung hat, die an der allgemeinen Gnade partizipieren. Die Bedeutung dieses Themas wird vielleicht klarer, wenn wir statt »begrenzter Sühne« »begrenzte Erlösung« sagen. Die Sühne freilich ist streng genommen ein unendliches Werk; die Begrenzung besteht theologisch gesehen in der Anwendung der Auswirkung dieser Sühne, also in der Erlösung. Aber da sich in der Theologie nun einmal der Ausdruck »begrenzte Sühne« etabliert hat und da klar ist, was damit gemeint ist, werden auch wir diesen Ausdruck weiter verwenden. Das Westminster- Bekenntnis formuliert diese Lehre wie folgt: »Deswegen sind die Erwählten, die in Adam gefallen sind, erlöst durch Christus; wirksam berufen zum Glauben an Christus durch seinen Geist, der zu seiner Zeit wirkt; sind gerechtfertigt, zur Kindschaft angenommen, geheiligt und bewahrt aus seiner Kraft durch den Glauben zum ewigen Heil. So sind auch keine anderen durch Christus erlöst, wirksam berufen, gerechtfertigt, angenommen, geheiligt und bewahrt als allein die Erwählten«. [135] Man wird gleich sehen, dass diese Lehre notwendig aus der Erwählungslehre folgt. Wenn Gott von Ewigkeit her geplant hat, einen Teil der Menschheit zu erlösen und den anderen zu übergehen, dann wäre es ein Widerspruch, zu behaupten, seine Erlösung beziehe sich auf beide Teile der Menschheit oder Gott habe seinen Sohn gesandt, um für jene zu sterben, die nicht zur Erlösung vorherbestimmt sind, und zwar im gleichen Sinne, wie er für die gesandt wurde, die erwählt sind. Beide Lehren stehen oder fallen miteinander. Wir können logischerweise nicht eines lehren und das andere ablehnen. Wenn Gott einige Menschen auserwählt hat, andere dagegen nicht, dann ist eines klar: Das Erlösungswerk Christi ist geschehen, um die Auserwählten zu erretten. __________________________________________________________________ [135] WB, Art. 3.6. __________________________________________________________________ 2) Der unendliche Wert der Sühne Christi Diese Lehre meint keinesfalls, der Wert oder die Kraft der Sühne Christi seien in irgend einer weise begrenzt. Der Wert der Sühne misst sich an der Würde dessen, der sie erringt, ja, er hängt geradezu davon ab, und da Christus als der Gott-Mensch gelitten hat, ist der Wert seines Leidens unendlich groß. Die Schrift sagt uns auch ganz klar, dass es der »Herr der Herrlichkeit« war, welcher da gekreuzigt worden ist (1 Kor 2,9); die Gottlosen haben den »Fürsten des Lebens« ermordet (Apg 3,15); Gott hat seine Gemeinde »mit seinem eigenen Blut erkauft« (Apg 20,28). Die Sühne war daher unendlich verdienstvoll und könnte somit jeden einzelnen Menschen gerettet haben, wäre es Gottes Plan gewesen. Die Begrenzung der Sühne bezieht sich nur auf die Absicht und bewirkt die Errettung nur bestimmter Personen -- eben jener, die gerettet werden. Hier kommt es leider oft zu Missverständnissen, weil fälschlicherweise behauptet wird, der Calvinismus lehre, dass Christus für jeden Menschen unterschiedlich gelitten habe und dass, wenn mehr Menschen hätten gerettet werden sollen, Christus mehr hätte erleiden müssen. Wir glauben jedoch, dass dieses große und unendlich wertvolle Opfer auch dann vonnöten gewesen wäre, wenn seine Segnungen nur einem wesentlich kleineren Teil der Menschheit zugedacht gewesen wären, und dass das Opfer Christi in seiner ganzen Kraft ausreichte, auch die gesamte Menschheit zu erretten. Gäbe es nur eine einzige Pflanze auf Erden -- die Sonne müsste die gleiche Energie und Wärme ausstrahlen, wie wenn der ganze Planet voller Pflanzen wäre. Und genauso wäre Christi Opfer in seiner Fülle generell nötig gewesen, ob nun nur ein Mensch oder die ganze Menschheit gerettet wird. Da der Sünder gegen eine Person gesündigt hat, deren Würde unendlich ist und daher verurteilt ist, ewig dafür bestraft zu werden, war ein Opfer unendlichen Wertes vonnöten, um den Sünder zu erlösen. Niemand wird meinen, da ja Adams Sünde der Grund für die Verdammung der ganzen menschlichen Rasse war, dass seine Sünde hätte schwerer wiegen müssen, wenn seine sündige Nachkommenschaft zahlreicher wäre als sie es tatsächlich ist. Warum also dieses seltsame Prinzip auf das Opfer Christi anwenden? __________________________________________________________________ 3) Die Sühne ist begrenzt in bezug auf Zweck und Anwendung Obgleich der Wert der Sühne ausreichen würde, die gesamte Menschheit zu erlösen, ist sie nur in Bezug auf die Erwählten wirksam. Jeder Erwählte wird auf die gleiche Weise errettet; die Erlösung ist für jedermann objektiv möglich, doch aufgrund subjektiver Schwierigkeiten, die in der Unfähigkeit des Sünders begründet liegen, von sich aus das zu tun, was Gott genügte, werden nur diejenigen gerettet, die vorher vom Heiligen Geist erneuert und geheiligt worden sind. Der Grund, weshalb Gott seine Gnade nicht jedem Menschen zuwendet, ist nicht völlig offenbart worden. [136] Wenn die Sühne für alle Menschen geschehen wäre, würde ihr Wert dadurch sehr verringert. Wenn sie alle Menschen beträfe und einige trotzdem verlorengehen, so bedeutete dies: Die Erlösung ist objektiv gesehen für alle Menschen möglich, erlöst aber eben nicht alle. Der Arminianismus behauptet, die Sühne habe es nur möglich gemacht, dass der Mensch mit der göttlichen Gnade »zusammenwirken« kann -- er kann sich so gewissermaßen selbst erretten -- wenn er denn will. Gibt es denn einen einzigen, der am Krebs stirbt, von dem er geheilt wird? Dann leuchtete uns auch die Ansicht ein, dass jemand wegen der Sünde sterben muss, die ihm vergeben worden ist. Die Sühne umfasst das ganze denkbare Ausmaß. Wenn sie die Erlösung nur möglich machte, gälte sie jedermann. Wenn sie dagegen die Erlösung sicherstellte, beträfe sie nur die Erwählten. Es ist, wie B. B. Warfield sagt: »Wir können zwischen einer Sühne von höchstem Wert oder einer Sühne weitesten Ausmaßes wählen. Beides geht nicht zusammen.« [137] Die Tat Christi kann nur auf Kosten seiner Substanz verallgemeinert werden. Hier darf kein Missverständnis aufkommen: Der Arminianismus limitiert die Sühne genauso wie der Calvinismus. Der Calvinismus "limitiert" sie, indem er sagt, dass sie nicht allen Personen gilt (Obgleich gezeigt worden ist, dass er glaubt, sie sei jedenfalls ausreichend, die große Mehrheit der Menschen zu retten); der Arminianismus dagegen leugnet ihre Kraft, denn er behauptet, dass sie allein nicht ausreiche, den Menschen zu erretten. Der Calvinismus begrenzt ihre Quantität, der Arminianismus ihre Qualität. Der Calvinismus gleicht einer schmalen Brücke über einen breiten Strom, der Arminianismus gleicht einer breiten Brücke, die allerdings nur bis zur Hälfte des Stromes reicht. Letztendlich ist es der Arminianismus, der die Größe des Heils, das in Christus geschehen ist, schmälert! __________________________________________________________________ [136] Der Arminianismus sieht in diesem Grund die freie Willensentscheidung des Einzelnen (deren Möglichkeit Luther in seinem Hauptwerk vehement bekämpft hat), während der Calvinismus bestreitet, dass die Entscheidung, wer gerettet wird und wer nicht, mit der jeweiligen Person zu tun hat. Der Streit geht gewissermaßen an der Sache vorbei, da der Arminianismus den Calvinismus zu einem Zeitpunkt angreift, den der Calvinismus immer schon vor jener Entscheidung sieht. Die meisten Gegner der Erwählungslehre geben zwar zu, dass nicht sie auf Jesus, sondern Jesus auf sie "zugegangen" sei, verstehen sein "Zugehen" aber nur als reines Angebot, das auch ausgeschlagen werden kann. Der Calvinismus begrenzt die Sühne in ihrer Absicht, der Arminianismus in ihrer Wirkkraft. Ihm gemäß habe Gott den Menschen mit einem "freien" Willen ausgestattet und hält sich bloß an seine "Spielregeln", wenn er die Ablehnung des Menschen -- bei einer übrigens so wichtigen Sache ein prekärer Gedanke! -- akzeptiere. Abgesehen vom richtigen Verständnis der Willensfreiheit sollte man jedenfalls bedenken, dass ein beträchtlicher Teil derer, die das Evangelium hören, es nicht nur nicht annehmen, weil sie es an sich ablehnen, sondern weil sie es gar nicht verstehen; weil sie zu verblendet sind, weil sie nicht erleuchtet werden oder, last but not least, es gar nie hören. Trotz der Tatsache also, dass der Arminianismus den Primat durchaus Gott zugesteht, ist er nicht bereit, aus diesem Zugeständniss die logische Schlussfolgerung zu ziehen (A. d. Ü.). [137] Boettner gibt die Quelle nicht an. __________________________________________________________________ 4) Das Werk Christi als vollendete Erfüllung des Gesetzes Wäre die Sühne universell und unbegrenzt, so müsste sie -- ganz wie der Arminianismus behauptet -- einzig darin bestehen, den Fluch auszulöschen, der seit Adam auf der Menschheit liegt. Damit wäre sie nichts als ein Ersatz für die Art von Gesetzeserfüllung, die Gott in seiner unumschränkten Herrschaft anstelle der perfekten Erfüllung des Gesetzes angenommen hat. Gott verlangte danach nicht mehr die vollkommene Erfüllung dessen, was er geboten hat (wie etwa bei Adam), sondern böte die Erlösung quasi zu »günstigeren Bedingungen« an. Er räumte damit gesetzliche Hindernisse aus dem Weg und akzeptierte einen solchen Glauben und evangelischen Gehorsam, den ein Mensch mit gnadenvoll wiederhergestellter Gehorsams- und Glaubensfähigkeit aufbringen könnte, freilich mithilfe einer generellen Unterstützung des Heiligen Geistes. Die Gnade würde dadurch in einen einfacheren Zugang zur Erlösung ausgeweitet -- Er akzeptierte praktisch 50 Cent für einen Dollar, weil der Mensch nicht mehr zahlungsfähig ist. Der Calvinismus dagegen glaubt, dass das Gesetz vollkommenen Gehorsam verlangt, ganz wie schon bei Adam, und dass die Erfordernis vollkommenen Gehorsams für immer gilt und Gott nie den Eindruck hat vermitteln wollen, dass das Gesetz viel zu starr in seiner Forderung sei, seine Strafen zu rigoros seien oder dass das Gesetz irgendwie aufgehoben oder vermindert werden müsste. Die göttliche Gerechtigkeit verlangt, dass der Sünder bestraft wird -- entweder er selbst oder ein Stellvertreter. Wir sind der Ansicht, dass Christus für sein Volk im engsten Wortsinn stellvertretend gehandelt hat und ihm eine vollkommene Erlösung von seinen Sünden erwirkt hat und damit nicht nur den Fluch ausgelöscht hat, der seit Adam auf der Menschheit liegt, sondern restlos alle Sünden getilgt hat. Er hat durch seine Sündlosigkeit ein Leben gelebt, das in vollkommenem Gehorsam gegenüber Gott gestanden hat und hat damit seinem Volk das ewige Leben erkauft. Wir glauben, dass Erlösung damals wie heute vollkommenen Gehorsam erfordert und dass das Verdienst Christi seinem Volk als einzige Basis seiner Erlösung angerechnet wird. Sein Volk geht in den Himmel ein -- einzig bekleidet mit dem Kleid seiner vollkommenen Gerechtigkeit und ohne jedes Verdienst. Somit wird die Gnade, die pure Gnade, nicht durch Verringerung dessen vergrößert, was die Erlösung erfordert, sondern einzig in der Stellvertretung Christi für sein Volk. Er hat das für sein Volk erfüllt, was es selbst nie gekonnt hätte: er hat das Gesetz vollkommen erfüllt! Dieses calvinistische Prinzip macht klar: Das Gesetz muss seit Adam in jedem Fall ausnahmslos und vollkommen eingehalten werden. Es ist weder abgeschwächt noch abgeschafft worden, sondern ist angemessen gewürdigt worden, so dass seine Großartigkeit sichtbar wird. Beide, sowohl der Gerettete, für den Christus gehandelt hat, als auch der Verworfene, stehen unter dem Gesetz, dessen Majestät in Kraft und Amt ist. Stimmte die arminianische Theorie, dann bedeutete dies, dass letztlich Millionen verlorengehen, für die doch Christus gestorben ist. Die Erlösung, die für sie errungen worden ist, betrifft sie nicht wirklich oder wirksam. Welchen Nutzen könnten wir etwa im Leben der Heiden hervorheben, den sie von der Sühne hätten? Es sähe so aus, als würden Gottes Pläne durch seine Geschöpfe ständig vereitelt und zunichte gemacht und als könne er zwar im Himmel seinen Willen erfüllen, nicht aber auf Erden. »Adams Sünde hat die Verdammnis aller Menschen nicht nur möglich gemacht, sondern war der Grund für ihre tatsächliche Verdammnis. Genauso hat Christus die Erlösung für die Menschen nicht einfach nur möglich gemacht, sondern hat jene, für die er gekämpft hat, auch tatsächlich errettet« (Charles Hodge). Der große Baptistenprediger Charles H. Spurgeon hat einmal gesagt: »Wenn Christus für dich gestorben ist, dann kannst du nicht mehr verlorengehen. Gott wird dich nicht für dieselbe Sache zweimal bestrafen. Wenn Gott Christus für deine Sünden bereits bestraft hat, wird er nicht dich auch noch dafür bestrafen. >Gottes Gerechtigkeit verlangt nicht zweimal Genugtuung -- zuerst aus der Hand des blutenden Retters und dann nochmals von dir.< Wie könnte Gott gerecht sein, wenn er Christus bestraft hat, den Stellvertreter, und dann den Menschen hinterher auch noch bestrafte?« __________________________________________________________________ 5) Erlösung Es heißt, Christus ist die Erlösung für sein Volk. »Wie auch der Menschensohn nicht gekommen ist, sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele« (Mt 20,28). Man beachte, dass dieser Vers nicht sagt: für alle, sondern für viele. Es liegt in der Natur der Erlösung, dass sie die Person, für die der Preis akzeptiert und bezahlt ist, automatisch befreit; sonst wäre das keine wirkliche Erlösung. Die Gerechtigkeit verlangt, dass jene, für die dieser Preis bezahlt worden ist, von aller diesbezüglichen Verpflichtung freigesprochen sind. Wäre Leiden und Sterben Christi dagegen eine Erlösung für alle Menschen und nicht nur für die Erwählten, dann müsste das Verdienst Christi allen Menschen gleich angerechnet werden und niemand müsste gerechterweise noch ewige Strafe erleiden. Gott wäre ungerecht, wenn er diese extreme Strafe zweimal verlangte, zuerst vom Stellvertreter und dann noch von den Menschen selbst. Die Schlussfolgerung lautet daher: Die Sühne Christi erstreckt sich nicht auf alle Menschen, sondern ist auf jene begrenzt, für welche er gebürgt hat, für jene also, die seine wahre Gemeinde ausmachen. __________________________________________________________________ 6) Die Absicht Gottes mit dem Opfer Christi Hätte Gott die Absicht gehabt, durch das Opfer Christi alle Menschen zu erlösen, dann müssten wir daraus folgern, dass Gott seinen Plan entweder nicht ausführen wollte oder nicht ausführen konnte. Da aber das Werk Gottes sein Ziel immer erreicht, sind diejenigen, für die die Sühne errungen worden ist, auch gerettet. Der Arminianismus nimmt an, dass die Absicht Gottes wandelbar sei und er seinen Zweck verfehlen könne. Wenn er sagt, Gott habe zwar seinen Sohn gesandt, um alle Menschen zu erretten, habe aber vorausgesehen, dass er sein Ziel nicht werde erreichen können und habe somit jene »auserwählt«, von denen er vorausgesehen hat, dass sie glauben und umkehren werden, so sagt er damit, dass Gott etwas wolle, was niemals geschehen wird: sein Ziel, sein Plan muss am Willen und an den Handlungen von Geschöpfen, die voll und ganz von Ihm abhängig sind, scheitern! Kein vernünftiger Mensch, der über genügend Klugheit und Macht verfügt, ein gestecktes Ziel zu erreichen, beabsichtigt, ein Ziel zu erreichen, das von vorneherein nicht erreicht werden kann. Um wie viel weniger wird Gott das also tun, dessen Weisheit und Macht doch unendlich ist? Wir dürfen ruhig annehmen: Wenn Menschen verlorengegangen sind, hat Gott ihre Erlösung nie gewollt, hat auch niemals etwas unternommen, das sie hätte erlösen können. Jesus selbst hat die Absicht seines Todes begrenzt, wenn er sagt: »Ich gebe mein Leben für meine Schafe.« Wenn er solchermaßen sein Leben für seine Schafe gegeben hat, dann kann der erlösende Effekt nicht die ganze Menschheit betreffen. Zu einem anderen Anlass sagte er zu den Pharisäern: »Ihr zählt nicht zu meinen Schafen« und anderswo: »Ihr seid Kinder eures Vaters, des Teufels.« Wird irgend jemand behaupten, Jesus habe sein Leben auch für sie hingegeben, wo er sie doch so deutlich vom Heil ausschließt? Der Engel, der Joseph erschienen war, sagte ihm, dass der Name von Marias Sohn Jesus sein solle, weil sein Auftrag in der Welt sei, sein Volk von dessen Sünden zu erlösen. Er ist nicht gekommen, um die Erlösung nur möglich zu machen, sondern um sein Volk wirklich zu erlösen, und wir können mit Sicherheit davon ausgehen, dass er auch erreicht hat, was er sich vorgenommen hat. Da das Werk Gottes niemals vergeblich ist, werden diejenigen, die vom Vater ausgewählt sind, die von seinem Sohn erlöst worden sind und die durch den Heiligen Geist geheiligt werden (in anderen Worten: Erwählung, Erlösung und Heiligung), ein und dieselben Personen sein. Die arminianische Lehre der universellen Erlösung macht sie [die drei Personen der Gottheit; A. d. Ü.] ungleich und zerstört damit die vollkommene Harmonie der Dreieinigkeit. Universelle Erlösung bedeutet in letzter Konsequenz nichts anderes als Allversöhnung! Christus selbst hat gesagt, dass die Erwählten mit den Erlösten identisch sind. In seinem hohenpriesterlichen Gebet sagte er: »Sie waren dein. Du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt ... Für sie bitte ich. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für sie, die du mir gegeben hast. Sie sind ja dein ... alles, was mein ist, ist dein, und was dein ist, ist mein, und ich bin in ihnen verherrlicht« (Joh 17,6.9.10). An einer anderen Stelle sagt er: »Ich bin der gute Hirte. Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne. Ich gebe mein Leben für die Schafe« (Joh 10,14f.). Die gleiche Lehre findet man in den Worten: »Habt acht auf euch und auf die ganze Herde, über die euch der Heilige Geist zu Bischöfen bestellt hat, die Kirche Gottes zu weiden, die er mit dem Blut des eigenen Sohnes erworben hat« (Apg 20,28). Es wird gesagt: »wie Christus die Gemeinde geliebt und sich für sie hingegeben hat« (Eph 5,25); er hat sein Leben für seine Freunde gegeben (Joh 15,13). Christus ist für einen Paulus und einen Johannes, nicht aber für einen Pharao oder Judas gestorben, denn diese waren Böcke, keine Schafe. Wir können nicht sagen, Jesu Tod habe alle Menschen im Auge gehabt, sonst müssen wir auch Pharao, Judas etc. zu den Schafen, Freunden und zur Kirche Christi zählen. Wenn es heißt, Christus hat sein Leben für seine Kirche oder sein Volk gegeben, finden wir es unmöglich zu glauben, dass er sein Leben für die Verworfenen genauso gegeben habe wie für jene, die er hat erretten wollen. Die Menschheit ist in zwei Gruppen geteilt, und was der einen mit aller Deutlichkeit gilt, bleibt der anderen versagt. In jedem Fall heißt das aber: Was der einen Gruppe gilt, gilt der anderen nicht. Wenn man sagt, ein Mann opfere Arbeit und Gesundheit für seine Kinder, dann bedeutet das nicht, dass er nur philantropisch motiviert sei oder dass er damit nur soziale Anliegen im Blick habe. Wenn es also heißt, dass Christus für sein Volk gestorben ist, dann ist er nicht für alle Menschen gestorben. __________________________________________________________________ 7) Der Ausschluss der Nichterwählten Keine generelle und unterschiedslose Liebe also, die alle Menschen gleich behandelte, sondern eine seltsame, geheimnisvolle und unendliche Liebe für seine Erwählten bewegte Gott, seinen Sohn in die Welt zu senden, um zu leiden und zu sterben. Jede Theorie, die diese großartige und kostbare Wahrheit leugnet und diese Liebe zur generellen Philantropie oder zum allgemeinen Wohlwollen der gesamten Menschheit gegenüber erklärt, von der doch ein großer Teil verlorengeht, muss unbiblisch sein. Christus starb nicht für eine ungeordnete Masse, sondern für sein Volk, für seine Braut, für seine Gemeinde. Ein Farmer schätzt sein Feld. Aber niemand wird annehmen, er habe dabei jede einzelne Pflanze im Blick und sorge dafür, dass auch das Unkraut schön wachsen kann. Gottes Feld ist die Welt (Mt 13,38) und er liebt diese Welt mit dem Blick auf den »guten Samen«, die Kinder des Königreichs, nicht aber mit Blick auf die Kinder des Bösen. Nicht die ganze Menschheit also ist gleichermaßen von Gott geliebt, und er hat nicht den ganzen Wirrwarr der Menschheit durch Christus erlöst. Gottes Güte teilt sich nicht notwendig mit so wie die Sonne ihr Licht spendet oder wie ein Baum, der die Dinge nicht auswählt, die er beschattet, sondern seinen Schatten notwendig über alles erstreckt, was er beschattet. Gott würde zu einem Gott gemacht, der in dieser Hinsicht nicht mehr Verstand hat als die Sonne, die nicht scheint, wohin es ihr gefällt, sondern wohin sie scheinen muss. Er ist eine Person höchsten Verstandes und hat das souveräne Recht, auszuwählen, wen oder was er will. Im ersten Buch Mose lesen wir, dass Gott »Feindschaft gesetzt« hat zwischen dem Nachkommen der Frau und den Nachkommen der Schlange. Wer ist denn nun dieser »Same« der Frau und jener der Schlange? Man könnte auf den Gedanken kommen, der »Same« der Frau müsse ja die ganze Menschheit sein, da ja die ganze Menschheit von Eva stammt. Aber in Gal. 3,16 bezieht Paulus den Ausdruck »Samen« allein auf Christus! »Es heißt nicht: >Den Nachkommen<, also Mehrzahl, sondern Einzahl: >Deinem Nachkommen<, das ist Christus.« Bei genauerer Betrachtung sehen wir, dass der »Same« des Teufels nicht etwa eigene Nachkommen meint, sondern jene Menschen, die nicht erwählt sind und die an seiner sündigen Natur teilhaben. Jesus sagte von seinen Feinden: »Ihr habt den Teufel zum Vater, und nach den Begierden eures Vaters wollt ihr handeln« (Joh 8,44). Paulus nannte Elymas, den Zauberer, einen Sohn des Teufels und Feind aller Gerechtigkeit. Judas wird sogar »Teufel« genannt (Joh 6,70). Beides also, sowohl der Same der Frau als auch der Same der Schlange sind jeweils Teile der Menschheit. Wir finden in der Heiligen Schrift, dass Jesus und sein Volk »Eins« genannt werden, dass er in ihnen wohnt und mit ihnen verbunden ist wie die Reben mit dem Weinstock. Da Gott diese Feindschaft zwischen den beiden Teilen der Menschheit schon von Beginn an verursacht hat, ist es klar, dass er niemals alle gleich geliebt hat oder vorhatte, alle gleichermaßen zu erlösen. Eine Erlösung aller Menschen und Gottes Fluch über die Schlange gehen nicht zusammen. Man beachte auch die Parallele zwischen dem alttestamentlichen Hohenpriester Israels und unserem Hohenpriester Christus: Der alttestamentliche Hohepriester ist nur der Typus Christi, nur Abbild also. Am großen Versöhnungstag opferte der Hohepriester für die Sünden der zwölf Stämme Israels. Für sie allein trat er ein. Genauso bat Christi nicht für die Welt, sondern für sein Volk. Das Eintreten des Hohenpriesters erlangte Segnungen für Israel, von denen alle anderen Völker ausgeschlossen blieben; das Eintreten Christi, das ebenso einer Einschränkung unterliegt, ist, wenngleich ungleich höherer Natur, mit letzter Sicherheit vollwirksam, denn ihn erhört der Vater immer. Man kann Gottes Gnade nicht nur dann unendlich nennen, wenn sie sich über alle Menschen unterschiedslos erstreckte, denn alle Menschen zusammengenommen stellen ja auch keine unendliche Schar dar. Die Schrift sagt ganz klar, dass der Teufel und die gefallenen Engel von den Segnungen ausgeschlossen bleiben. Aber Seine Gnade ist unendlich darin, dass er eine riesige Schar von Erwählten aus unbeschreiblicher Sünde und ewigem Elend zu unbeschreiblichem und ewigem Segen erlöst hat. Der Arminianismus ist der Ansicht, dass Christus für alle Menschen starb. Er hat auch genügend Gnade erworben, um alle Menschen zur Umkehr, zum Glauben und zum Beharren zu bewegen, wenn sie nur dazu beitragen. Er ist weiter der Ansicht, dass jene, die das Angebot ablehnen, für diese Ablehnung wesentlich schwerer büßen müssen, als wenn Christus gar nicht für sie gestorben wäre. Wie man aber weiß, wenn man die Geschichte der Menschheit betrachtet, so hat die große Mehrzahl der Erwachsenen das Gnadenangebot abgelehnt und hat durch diese Ablehnung noch größeres Elend über sich gebracht, als wenn Christus nie erschienen wäre. Eine Ansicht, die Gottes Werk in lauter Fehlversuche münden lässt und der Sühne Christi einen dermaßen geringen Wert beimisst, kann ganz sicher nicht der Wahrheit entsprechen. Gottes Liebe und Gnade haben im Calvinismus mit seiner Lehre von unbedingter Erwählung und begrenzter Sühne wesentlich größere Bedeutung für Sein Volk als in der arminianischen Lehre der bedingten Erwählung und unbegrenzten Sühne. __________________________________________________________________ 8) Das Argument vom Vorherwissen Gottes Das Argument vom Vorherwissen Gottes ist selbst schon genug, um die Richtigkeit unserer Lehre zu beweisen. Ist Gottes Geist nicht unendlich? Ist seine Erkenntnis nicht vollkommen? Wer kann glauben, dass er wie ein schwacher Sterblicher auf »einen Geleitzug schießen könne, ohne die einzelnen Vögel unterscheiden zu können«? Da er immer schon im Voraus wüsste, wer errettet wird -- und die »evangelischeren« Arminianer geben auch zu, dass Gott genaue Vorkenntnis aller Dinge hat -- hätte er Christus nicht in die Welt gesandt, um die zu erretten, von denen er wusste, dass sie verlorengehen werden. Es ist, wie Calvin anmerkt: »Wo bliebe denn die logische Konsistenz der Behauptung, Gott berufe solche, die niemals kommen werden?« Wenn ein Mann weiß, dass sich im Nebenraum zehn Orangen befinden, und zwar sieben gute und drei verdorbene, dann geht er auch nicht nach nebenan und erwartet, dass es zehn gute sein werden. Oder wenn man im Voraus schon weiß, dass von den fünfzig zur Hochzeit geladenen Gäste zehn mit Sicherheit nicht erscheinen werden, dann sendet man auch keine Einladungskarten aus in der Erwartung, dass sie doch noch kommen werden. Diejenigen, die zwar Gottes Vorauswissen behaupten, aber trotzdem sagen, Christus sei für alle Menschen gestorben, begeht einen groben Denkfehler, denn was heißt das anderes als ihm, der vollkommen ist, Unverstand vorzuwerfen? __________________________________________________________________ 9) Bestimmte Vorteile, die dem Menschen im Allgemeinen zuerkannt werden Schlussfolgerung: Der Calvinismus leugnet nicht, dass der Mensch generell einige wichtige Segnungen durch Christi Sühne erlangt hat. Der Calvinismus gibt zu, dass die Strafe durch diese Segnung aufgeschoben oder unterdrückt wird, deren die ganze Menschheit durch Adams Sünde schuldig geworden ist. Hier haben wir die Basis, auf der das Evangelium gepredigt wird, welches der Welt großen ethischen Aufschwung eingebracht hat und viele böse Einflüsse verhindert hat. Paulus konnte zu den heidnischen Völkern in Lystra sagen: »Und doch hat er sich nicht unbezeugt gelassen . Er spendete Wohltaten, gab euch vom Himmel her Regen und fruchtbare Zeiten, Nahrung und erquicken- den Trank euren Herzen.« Gott lässt seine Sonne scheinen über die Bösen und die Guten; er sendet seinen Regen den Gerechten wie den Ungerechten. Viele zeitliche Segnungen sind so allen Menschen sichergestellt, obwohl sie nicht ausreichen, jedermann ewiges Heil zu vermitteln. Cunningham hat den Glauben des Calvinismus hier ganz klar zusammengefasst: »Die Verfechter der Teilerlösung oder begrenzten Sühne leugnen nicht, dass die Menschheit im Allgemeinen, also auch jene Menschen, die verderben werden, viele Vorteile und Gaben durch Christi Tod erlangen; nicht eine einzige Position, die sie beziehen, verbietet es ihnen, dies zuzugeben. Sie glauben, dass es sehr wichtige Gaben sind, die der Tod Christi allen Menschen schenkt, und unter diese Segnungen sind auch jene einbegriffen, die letztlich unbußfertig und ungläubig bleiben werden. Was sie aber sehr wohl leugnen, ist, dass Christus allen Menschen die Segnungen vermitteln wollte, die sein Tod eigentlich errungen hat, insofern dieser Tod Sühnecharakter hatte; dass er also keineswegs allen jene Erlösung angeboten oder vermittelt hat. Viele der Segnungen erstehen dem Menschen aus dem Tode Christi nebenher und begleitend und in Konsequenz der Beziehungen, in denen gesamt gesehen die Menschen untereinander stehen. Alle diese Gaben hat Gott selbstverständlich vorausgesehen, als er beschloss, seinen Sohn in die Welt zu senden; sie sind sein besonders Geschenk an die Menschheit. All diese Gaben sollen auf Ihn zurückgeführt werden, wenn er so seine Herrlichkeit entfaltet und sein Wesen offenbart, ja, seinen tatsächlichen Zweck erreicht. Der Mensch hätte sehen und erkennen sollen, dass Christus der Mittler all dieser Gaben ist -- durch sein Leiden und durch seinen Tod.« [138] So gesehen, könnte man sagen, Christus sei für alle Menschen gestorben; wir setzen dem arminianischen Dogma kein uneingeschränktes »Nein« entgegen. Von der Wirksamkeit des Todes Christi nur für die Erwählten dagegen rücken wir nicht ab; ihre Erlösung ist durch diesen Tod verursacht und bewirkt; alle anderen Auswirkungen des Evangeliums in anderen Menschen sind diesem großen Ziel nur nebensächlich. __________________________________________________________________ [138] Cunningham, Historical Theology, Bd. 2, S. 333. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XIII __________________________________________________________________ Wirksame Gnade __________________________________________________________________ 1) Die Lehre im Westminster-Bekenntnis Das Westminster-Bekenntnis formuliert die Lehre von der vollwirksamen Gnade so: »Alle diejenigen, die Gott zum Leben vorherbestimmt hat, diese allein beruft er nach seinem Wohlgefallen zu seiner bestimmten und willkommenen Zeit wirksam durch sein Wort und seinen Geist aus dem Stand von Sünde und Tod, worin sie von Natur sind, zur Gnade und Erlösung durch Jesus Christus, indem er ihren Verstand erleuchtet, die göttlichen Dinge geistlich und zum Heil zu verstehen, ihr steinernes Herz wegnimmt und ihnen ein fleischernes Herz gibt, ihre Willensregungen erneuert und sie durch seine allmächtige Kraft zum Guten bestimmt und sie wirksam zu Jesus Christus zieht, doch so, dass sie ganz freiwillig kommen, im Willen geweckt durch seine Gnade. ... Diese wirksame Berufung stammt allein von Gottes freier und besonderer Gnade, ganz und gar nicht von irgend etwas, was im Menschen vorausgesehen war, der darin ganz passiv ist, bis er -- durch den Heiligen Geist belebt und erneuert -- dadurch befähigt ist, seiner Berufung zu folgen und die darin angebotene und vermittelte Gnade zu empfangen.« [139] Der kleine Kateschismus antwortet auf die Frage: »Was bedeutet wirksame Berufung? -- Sie ist das Werk des Geistes Gottes, wodurch er uns von unseren Sünden und unserem Elend überführt, wodurch er unsern Geist bezüglich Jesus Christus erleuchtet, unseren Willen erneuert und uns überzeugt und befähigt, Jesus Christus anzunehmen, der uns im Evangelium frei angeboten wird.« [140] __________________________________________________________________ [139] WB, Art. 10.1 u. 10.2. [140] Kleiner Westminster-Katechismus, Frage 31. __________________________________________________________________ 2) Die Notwendigkeit einer Neuschöpfung Das Verdienst des Gehorsams Christi und sein Leiden reichten für alle Menschen aus. Die Frage aber ist: Weshalb wird der eine gerettet und geht der andere verloren? Was bewegt manche Menschen, sich zu bekehren und zu glauben, während andere, die das gleiche Evangelium erreicht, es ablehnen und unbußfertig im Unglauben beharren? Der Calvinismus sagt, es sei Gott, was diesen Unterschied bewirkt und den einen innerlich überzeugt, zu Ihm zu kommen; der Arminianismus schreibt diese Entscheidung dem Menschen selbst zu. Als Calvinisten sind wir davon überzeugt, dass der Mensch seit seinem Fall so sehr sich selbst überlassen ist, dass er von sich aus diesen Zustand der Rebellion beibehält und alle Angebote der Errettung ablehnt. Christus wäre umsonst gestorben. Aber da er sich »an der Arbeit seiner Seele sattsehen wird« (Jes 53,11), wird diese wirksame Kraft nicht dem sündigen Willen des launischen [141] Menschen überlassen. Vielmehr erreicht der Heilige Geist mit diesem Werk der Erlösung in seinen Erwählten, dass sie bereuen und glauben und dadurch zu Erben des ewigen Lebens gemacht werden. Die Lehre der Schrift besagt, dass der Mensch ist in seinem natürlichen Zustand vollkommen verdorben ist und niemals aus sich selbst heilig und glückselig werden kann. Er ist -- geistlich gesehen -- tot und bedarf als Ganzer der Rettung Christi. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass der Mensch in seinem gefallenen Zustand als Feind Gottes dasteht und dass daher dieser Zustand der Feindschaft erst einmal beseitigt werden muss, ehe der Mensch überhaupt ein Verlangen nach Gottes Willen haben kann. Wenn sich ein Sünder nach Vergebung und Erlösung durch Christus sehnen soll, so muss er erst eine neue Neigung bekommen. Er muss zuerst von neuem (oder: von oben) geboren werden (Joh 3,3). Leicht genug zu sehen: Der Teufel und die gefallenen Engel wären selbst schon auf diese souveräne Art verändert worden, wenn sie zum Heil vorherbestimmt wären; das sündige Prinzip, das dem gefallenen Menschen innewohnt, ist das gleiche, das den gefallenen Engeln innewohnt, nur vielleicht nicht mit jener Intensität. Wenn der Mensch in Sünden tot ist, dann wird nichts weniger als die übernatürliche und lebenspendende Kraftwirkung des Heiligen Geistes selbst notwendig sein, um ihn aus diesem Tod zum Leben zu erwecken. Könnte der gefallene Mensch den Himmel mit seiner sündigen Natur erreichen, dann wäre ihm der Himmel so schlecht wie die Hölle, denn mit dieser Umgebung stünde er alles andere als in Harmonie. Er würde die himmlische Atmosphäre verabscheuen und sich in Gottes Gegenwart nichts als elend fühlen. Daher ist es notwendig, dass der Heilige Geist ihn zunächst verändert. Es liegt in der Natur der Sache, dass genauso wenig, wie der Mensch selbst vom Tod auferstehen kann, er auch nicht den ersten Schritt zu seiner Erlösung tun kann. Die Erneuerung ist eine auf freier Entscheidung Gottes basierende Gabe, die gnadenvoll jenen zugewandt wird, die Er erwählt hat, und zu dieser Neuschöpfung ist allein Gott in der Lage. Diese Gnade kann nicht aufgrund eines vorhergesehenen guten Sachverhalts im Menschen selbst gewährt werden, denn die alte Natur des Menschen erlaubt ihm nicht, auch nur eine einzige Sache zu bewerkstelligen, die Gott genügte, und daher kann eine solche Sache gar nicht vorhergesehen werden. Der Mensch in seinem natürlichen Zustand ist gar nicht in der Lage, seine vollkommene Hilflosigkeit zu begreifen. Er bildet sich im Gegenteil ein, dass er sich selbst ändern könne und sich gegebenenfalls auch für Gott entscheiden könne, wenn er wolle. Er bildet sich sogar ein, dass er den Plänen der unendlichen Weisheit widerstehen könne und damit die Handlungen des Allmächtigen selbst noch vereiteln könne. Dr. Warfield sagt: »Der sündige Mensch ist bedürftig, aber nicht eines Anreizes oder eines Beistandes, sich selbst zu retten, sondern er ist der ganzen Rettung bedürftig. Jesus ist nicht gekommen um guten Rat zu geben, zu drängen oder zu locken oder Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten, sondern um zu retten.« [142] __________________________________________________________________ [141] Hätte der Arminianismus recht, dann wäre auch auschlaggebend, wann den Menschen das Evangelium erreicht, ob in seiner Jugend, im Alter, in Krankheit, Freude, Not -- es ist sicher, dass er sich nicht in allen Lebenslagen gleich entschiede. Schon allein darin, dass das Evangelium einen Menschen zu einer Zeit trifft, in der er -- arminianisch gesprochen -- geneigt ist, eine Ja-Entscheidung zu treffen, muss man Vorherbestimmung sehen, weil sonst tatsächlich alles ein billiges und zufälliges Angebot wäre (billig nicht im Sinne des Inhaltes, sondern der zufälligen Gelegenheit (A. d. Ü.). [142] Boettner gibt die Quelle nicht an. __________________________________________________________________ 3) Inwendige Veränderung durch übernatürliche Kraft Diese Veränderung nennt die Schrift Erneuerung (Tit. 3,5), eine geistliche Wiedergeburt, die mit der gleichen Kraft bewirkt wird, mit der Gott auch Christus von den Toten auferweckt hat (Eph 1,19f.), ein Ruf heraus aus der Finsternis in das wunderbare Licht Gottes (1 Petr 2,9), ein Durchdringen vom Tod ins Leben (Joh 5,24), eine Neugeburt (Joh 3,3), ein Erwecken zum Leben (Kol. 2,13), den Ersatz des steinernen Herzens durch ein Herz aus Fleisch (Ez 11,19) -- den Menschen, dem das geschieht, nennt die Bibel eine »neue Kreatur« (2 Kor 5,17). Solche Beschreibungen widerlegen die Ansicht des Arminianismus völlig, dass die Erneuerung in erster Linie ein Akt des Menschen sei, dass sie etwa der moralischen Überzeugung zuzurechnen sei oder einfach dem Einfluss der Wahrheit, wie sie generell vom Heiligen Geist ausgeht. Weil diese Veränderung gerade mit göttlicher Macht geschieht, die die lebendige Quelle dieses neuen Lebens ist, so ist sie auch vollwirksam und bleibend. Die Erneuerung der Seele ist etwas, das in uns und mit uns gemacht wird und nicht etwas, das wir selbst bewerkstelligten. Es ist eine augenblickliche Veränderung von geistlichem Tod zu geistlichem Leben. Wir werden dessen nicht einmal gewahr, weil diese Veränderung tiefer liegt, als das Bewusstsein greifen kann. Zum Zeitpunkt der Veränderung sind wir so passiv wie Lazarus, bevor er aus dem Grab gerufen wurde. Über diesen Prozess der Veränderung sagt Charles Hodge: »Wir sind die Behandelten, nicht die Behandelnden dieser Veränderung. Die Seele kommt den Geschehnissen vor und nach dieser Veränderung entgegen, doch zum Zeitpunkt der Veränderung ist sie empfangend, nicht handelnd. Der Blinde und Lahme, die zu Christus kamen, können zwar viel unternommen haben, um in Christi Gegenwart zu kommen und können die ihnen geschenkte Heilung voller Freude genießen -- aber sie haben diese Heilung zuerst einmal empfangen müssen, und dabei verhielten sie sich eben rein empfangend. Das gleiche geschieht bei der Wiedergeburt.« [143] An einer anderen Stelle sagt er: »Die gleiche Lehre zu diesem Thema wird in anderen Worten ausgedrückt, wenn von der Erneuerung als einer Wiedergeburt gehandelt wird. Das Kind tritt bei seiner Geburt in einen neuen Zustand des Existierens ein. Die Geburt ist nicht sein eigenes Handeln, es wird geboren. Es kommt aus einem Zustand der Dunkelheit, in welchem all seine Natur noch nicht zur Geltung hat kommen können oder es noch handlungsunfähig war. Doch sobald es zur Welt gekommen ist, werden all seine Fähigkeiten erwachen: es sieht, fühlt und hört, und nach und nach entwickelt es alle Fähigkeiten eines moralischen, verstandesbegabten und physischen Wesens. Die Schrift sagt, so ist es auch bei der Erneuerung. Die Seele geht in einen neuen Zustand über. Sie wird in eine neue Welt eingeführt. Kategorien werden ihr offenbart, zu denen sie vorher weder Zugang noch Interesse hatte. Diese Kategorien üben jetzt ihren entsprechenden Einfluss auf sie aus.« [144] Erneuerung bringt eine wesentliche Änderung des Charakters mit sich. Sie verändert den Baum in einen, der jetzt gute Früchte bringen kann. Das Resultat dieser Änderung ist, dass die Person vom Zustand des Unglaubens in den des rettenden Glaubens versetzt wird, nicht durch einen Prozess des Forschens oder durch logische Argumente, sondern aus innerer Erfahrung. Genauso wenig, wie wir aktiv zu unserer Geburt beigetragen haben, sondern diese Geburt als souveräne Handlung Gottes sehen, so haben wir auch nichts mit unserer geistlichen Geburt zu tun, sondern erhalten sie als ein Geschenk des souveränen Gottes. Beide Geburten geschehen ohne Ausübung unserer eigenen Kraft; wir wurden auch nicht danach gefragt, ob wir geboren werden wollten. Wir können der Neugeburt genauso wenig widerstehen, wie wir das gegenüber unserer natürlichen Geburt konnten. Genauso, wie wir nach unserer Geburt unser Leben leben, so tun wir das auch nach unserer Wiedergeburt: wir leben unser neues Leben und arbeiten unser Errettetsein aus. Die Bibel lehrt demonstrativ, dass die Grundvoraussetzung, um in das Königreich Gottes kommen zu können, eine radikale Verwandlung ist, die vom Geist Gottes selbst bewirkt werden muss. Da diese Veränderung der Seele souverän und übernatürlich geschieht, wird sie ganz dem Wohlgefallen Gottes gemäß gewährt oder verweigert. Daher ist Erlösung, wem immer sie auch gewährt wird, einzig und allein Gnade. Der wiedergeborene Christ begreift, dass Gott tatsächlich der »Urheber und Vollender« seines Glaubens ist (Heb. 12,2), und aus diesem Blickwinkel begreift er, dass Gott etwas in ihm und für ihn getan hat, das er seinem ungläubigen Nachbar verweigert hat. Die Antwort auf die Frage: »Denn wer gibt dir den Vorzug? Was hast du, das du nicht empfangen hättest?« [145] (1 Kor 4,7) lautet demnach: Gott gibt den Vorzug, Gott macht diesen Unterschied zwischen Menschen, zwischen Erlösten und Verlorenen. Wenn da jemand glaubt, dann deshalb, weil Gott ihn erweckt hat, und wenn jemand nicht glaubt, dann deshalb, weil Gott ihm diese Gnade vorenthalten hat, die zu gewähren er keinerlei Verpflichtung hat. Es gibt streng genommen keinen »self-made-man«; das Höchste, das der Mensch erreichten kann, muss er mit Paulus so ausdrücken: »Ich bin aus Gnaden, was ich bin.« Als Jesus Lazarus aus dem Grab rief, wurde eine große Macht wirksam, die jenem Ruf die totenerweckende Kraft verlieh. Lazarus war sich keiner übernatürlichen Kraft bewusst, die da auf ihn einwirkte, aber als er die Situation begriff, wusste er: die göttliche Macht hatte ihn ins Leben zurückgerufen. Zuerst wirkte die Macht Gottes, dann seine eigene Kraft, und diese eigene Kraft hätte Lazarus niemals ausüben können, wenn nicht die Macht Gottes ihn zuerst dazu befähigt hätte. Auf diese Art wird jede erlöste Seele von geistlichem Tod zu geistlichem Leben gebracht. Genau wie der tote Lazarus zuerst ins Leben zurückgerufen worden war, bevor er geatmet und gegessen hat, so muss auch der geistlich tote Mensch zuerst in einen Zustand geistlichen Lebens versetzt werden, bevor er irgend Glauben und Reue ausüben und gute Werke tun kann. Paulus betonte diesen Punkt besonders, als er sagte, er habe gepflanzt, Apollos habe begossen, doch es sei Gott gewesen, der das Wachstum geschenkt hat. Alle rein menschlichen Versuche erreichen nichts. Soll ein Weizenkorn wachsen, dann kann der Mensch nur äußere Vorkehrungen treffen, quasi die Rahmenbedingungen schaffen. Erst Gott bewirkt das Wunder des Lebens, das aus einer Sphäre göttlicher Macht kommt, die dem menschlichen Einfluss nicht zugänglich ist. Ähnlich hängt es auch nicht von der Eloquenz des Predigers ab, sondern davon, dass Gott die Herzen der Hörer öffnet. Ohne diese Einwirkung Gottes gibt es keine Bekehrung. Hier tut der Mensch nur die äußerlichen Dinge, während es der Heilige Geist ist, wer das Prinzip geistlichen Lebens vermittelt. Die biblische Lehre vom Sündenfall präsentiert uns einen moralisch völlig defekten Menschen, dem es nicht möglich ist, aus seiner eigenen Natur auch nur eine einzige gute Handlung hervorzubringen. Der bekehrte Christ sieht seine menschliche Unfähigkeit und weiß, dass er in Bezug auf das, was er selbst tut, nicht berechtigt ist, in den Himmel zu gehen; er verdient es einfach nicht. Er versteht und sieht, dass nicht er selbst sich geistlich bewegt, sondern dass er bewegt wird, dass er als Zweig an einem Baum nur Blätter oder Früchte hervorbringen kann, indem er den Saft vom Stamm bekommt, oder wie Calvin gesagt hat: »Denn keiner macht sich selbst zu einem Schaf, sondern er wird durch die himmlische Gnade dazu gestaltet!« [146] Die Auserwählten hören das Evangelium und glauben -- manchmal nicht beim ersten Hören schon, aber zu dem von Gott festgesetzten Zeitpunkt. Die Nichterwählten hören es auch, glauben aber nicht, nicht weil wie nicht genug zu hören bekämen, sondern weil ihre innere Natur gegen alles spricht, was heilig ist. Der Grund für diese beiden unterschiedlichen Reaktionen liegt außerhalb ihrer selbst. »Ich werde euch ein neues Herz geben und einen neuen Geist in euer Inneres legen. Das Herz aus Stein will ich aus eurer Brust entfernen und euch ein Herz von Fleisch geben« (Ez 36,26). Was die Bibel »Herz« nennt, meint den ganzen inneren Menschen. Unter den Bedingungen des ewigen Bundes, der zwischen dem Vater und dem Sohn existiert, ist Christus zum vermittelnden Herrscher über die ganze Welt erhöht, damit er das sich entfaltende Königreich leitet. Das ist eine der Belohnungen für seinen Gehorsam und sein Leiden. Seine leitende Macht übt er durch den Heiligen Geist aus, durch den er die Erlösung erkauft hat und durch den sie auf alle kommt, die zu dem dafür bestimmten Ort, zu den bestimmten Bedingungen, zur bestimmten Zeit nach jenem Bund dafür vorgesehen sind. Nicht durch die für Gott »alltägliche« Vorhersicht Gottes kommt der Mensch zum Glauben, sondern durch die gleiche mächtige Kraft, die Gott anwendete, als er Jesus Christus von den Toten auferweckte (Eph 1,19f). So sicher diese Kraft Jesus Christus von den Toten auferweckt hat, so sicher wirkt sie auch im Menschen, egal, ob es sich um eine physische oder eine geistliche Auferstehung handelt. Die physische und die geistliche Welt sind beides Schöpfungen Gottes. In der physischen Welt hat Jesus Wasser souverän in Wein verwandelt und hat den Aussätzigen geheilt. Der Arminianismus gibt die Wunder in der physischen Welt gerne zu; warum aber verleugnet er sie in der geistlichen Welt, als ob die Geister der Menschen außerhalb Seiner Kontrolle stünden? Wir glauben, dass Gott einen schlechten Menschen in einen guten verwandeln kann, wenn er das will. Dies ist ja nur eine einzige Art der Autorität, die der Schöpfer über seine Kreatur ausübt. Diese Art Autorität ist es auch, mit der er die Welt regiert, und wenn Gott sieht, dass jene Kraft ausreicht, sein Reich zu regieren, wieso sollte er das dann nicht auch tun? Was Gott will, das geschieht auch, ganz wie damals, als er sagte: »Es werde Licht«. So sagt Mozley: »Die göttliche Erlösungstat ist die Verleihung der unwiderstehlichen Gnade. Der aufgrund göttlicher Prädestination erwählte Mensch wird durch einen Akt absoluter Macht von der Herrschaft der Sünde befreit, ihr entrissen, bekehrt, mit der Liebe Gottes erfüllt und unfehlbar für den Zustand letztgültiger Belohnung qualifiziert.« [147] So wie das einmal erblindete Auge durch keine noch so hohe Intensität des Lichtes wieder geheilt werden kann, so kann auch die (in Sünden) tote Seele nicht mit noch soviel Licht der Wahrheit des Evangeliums zum Leben erweckt werden, wenn sie damit in Berührung kommt. Das Augenlicht wieder herzustellen bedarf entweder eines operativen Eingriffs oder eines Wunders; ohne den Eingriff oder das Wunder der Erneuerung kann der geistlich Tote kein Evangelium aufnehmen oder verstehen. In der Erneuerung schenkt Gott dem Sünder das Leben, das geistliche Leben. Lydia, die Purpurverkäuferin aus Thyatira schenkte der Botschaft des Paulus Aufmerksamkeit, nachdem Gott ihr zuerst das Herz aufgeschlossen hatte (Apg 16,14). Christus lehrte genau dasselbe in seinem hohepriesterlichem Gebet, als er von sich sagte, Gott habe »ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er allen Menschen das Leben gebe, die Gott ihm gegeben hat« (Joh 17,2). Und wiederum: »Denn wie der Vater die Toten auferweckt und wieder lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, welche er will« (Joh 5,21). Unter dem Bund, den Gott mit Adam gemacht hatte, beruhte das Schicksal des Menschen auf seinen Werken. Wir wissen, wie diese Prüfung ausgegangen ist. Wenn der Mensch schon damals in unschuldigem Zustand sein Heil nicht erringen konnte, um wie viel weniger dann der gefallene Mensch? Aber welch Glück für uns! Gott hat die Sache selbst in die Hand genommen. Gäbe Gott dem Menschen nochmals jenen freien Willen, was täte er anderes, als die ganze fehlgeschlagene Prüfung zu wiederholen? Da Gott eine »Heilszeit« nicht wiederholt, ist klar, dass er die Erlangung des Heils von anderen Dingen abhängig macht. Wenn wieder etwas geschehen muss, den Menschen zu erretten, dann diesmal von Gott aus, nicht vom Menschen aus. Die neue »Heilszeit« ist wie die alte an den Zustand angepasst, in dem sie den Menschen vorfindet. Wir sind absolut sicher, dass der Mensch nichts tun kann, was ihn der absoluten Kontrolle Gottes entziehen könnte, und zwar egal, ob er sich nun in seinem gefallenen Zustand befindet oder nicht. Saulus wurde am Gipfel eifrigster Verfolgungswut berufen und in den heiligen Paulus umgewandelt. Der arme Dieb am Kreuz wurde in der letzten Lebensstunde zu ewigem Leben berufen. Paulus predigte in Antiochia, und »alle, die zum ewigen Leben bestimmt waren, nahmen den Glauben an« (Apg 13,48). Hätte Gott vor, alle Menschen zu erretten, dann könnte er das ohne Zweifel tun. Aber aus Gründen, die uns nur teilweise genannt werden, belässt er viele in ihrer Unbußfertigkeit. Nichts jedoch, was Gott am Menschen vollbringt, widerstreitet dem natürlichen Menschen als vernünftigem und verantwortlichem Geschöpf. Einer der größten Mängel des Arminianismus ist die fehlende Einsicht bezüglich der notwendigen und übernatürlichen Einwirkung des Heiligen Geistes auf das Herz des Menschen. Die Wiedergeburt wird im Arminianismus zu einem graduellen Wachstum des geistlichen Menschen, der sich je länger, desto mehr nach dem richtigen Ziel ausstreckt -- ein Ergebnis moralischer Überzeugung und der allgemeinen Kraft der Wahrheit. Er besteht auf seinem »freien Willen« [148] , der »Kraft des Widerstandes (gegen das Evangelium)« etc. und lehrt, dass es letztlich der Mensch ist, der sein Schicksal bestimmt. In seiner gemäßigteren und stimmigeren Version macht er den Menschen noch zum Co-Autor Christi, doch damit teilt er de facto die Ehre der Errettung zwischen Christus und dem Menschen auf. Wenn der Arminianismus recht hätte, dann versucht Gott ernsthaft, jeden Menschen zu bekehren, muss aber letztlich an dieser großen Aufgabe scheitern, denn unter den Erwachsenen gehen -- jedenfalls bis jetzt gesehen -- doch etwa 24 von 25 verloren -- eine wahrlich fragwürdige Ehrenbezeugung gegenüber Gott. Über die arminianische Lehre, dass nämlich der Mensch Gottes Gnade ablehnen könne, sagt Toplady, dies sei »eine Lehre, die Gottes Allmacht zu einem bloßen Wünschen und Probieren reduziert, das sein Ziel nicht erreichen kann. Nach dieser Lehre ist Gottes Bestreben (denn mehr als ein Bestreben kann es ja nicht sein), Sünder zu bekehren, oft zum Scheitern verurteilt; er muss den Menschen belagern und sich auf die Lauer legen, sieht sich aber eindeutig in der Position des Verlierers angesichts des >freien Willens<, der hoch oben in der Zitadelle menschlichen Ermessens steht. Der Mensch kann (!) Gott die Flagge des Trotzes entgegenstrecken und seine Hartnäckigkeit und seinen Starrsinn beibehalten; mit ein paar energischen Ausfällen aus der Burg seines >freien Willens< zwingt er Gott höchstens, seine Anstrengungen zu erhöhen. Mit einem Wort: Nachdem der Heilige Geist nach Jahren wiederholter Versuche, den freien Willen des Menschen zu überzeugen, unverrichteter Dinge unehrenvoll abziehen muss wie ein besiegter General; er ähnelt damit einem erfolglosen Politiker, der unehrenvoll entlassen wird, wenn er das Ziel nicht erreicht hat, zu dem er ernannt worden war.« [149] Es ist unvernünftig, anzunehmen, dass der Sünder der schöpferischen Kraft des allmächtigen Gottes widerstehen könne. »Mir ist gegeben alle Macht im Himmel und auf Erden«, sagt der auferstandene Herr. Diese Macht ist absolut. »Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?« »Nach seinem Wohlgefallen verfährt er mit dem Heer des Himmels und mit den Bewohnern der Erde. Niemand gibt es, der seiner Hand wehren und ihn fragen dürfte: Was machst du da?« (Dan 4,32). Angesichts solcher und ähnlicher Passagen erscheint es uns mehr als fragwürdig, sich Gott als jemanden vorzustellen, der mit dem Menschen nach besten Kräften kämpft: [150] Er versucht zu überreden, zu überzeugen, zu ermahnen, zu bitten, aber er erreicht sein Ziel nicht, wenn sein Geschöpf nicht will. Wenn Gott nicht wirksam beruft, dann müssen wir uns ihn als jemanden vorstellen, der sagt: »Ich will, dass alle Menschen gerettet werden, aber leider muss ich letztlich sagen: nicht wie ich will, sondern wie sie wollen.« Damit rückt er in die gleiche Extremposition wie Darius, der Daniel gerne erretten wollte, aber nicht konnte (Dan 6,15). Kein Christ, der mit den biblischen Aussagen über die Souveränität Gottes vertraut ist, kann glauben, dass Gott von seinen Geschöpfen dermaßen in die Schranken verwiesen werden könnte. Es ist gar nicht notwendig, dass der Mensch solche Macht besitzen muss, dem Plan Gottes trotzen oder entgegenwirken zu können, um dafür belohnt oder bestraft werden zu können. Wenn Gott der Majestät des menschlichen Willens wirklich derart unbeholfen gegenüberstünde, dann hätte es wohl wenig Sinn, für jemanden zu bitten, dass Gott ihn bekehren soll! Es wäre uns in jenem Fall besser, unsere Bemühungen auf den Menschen selber zu richten. __________________________________________________________________ [143] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2, S. 688. [144] Ebd., S. 35. [145] Sinngetreu formuliert: »Was rühmst du dich, als sei es kein Geschenk, sondern etwas, was du dir selbst erarbeitet hast?« (A. d. Ü.). [146] Johannes Calvin, Unterricht in der christlichen Religion, Übersetzung: Otto Weber (nach der letzten Ausgabe von 1559); Neukirchen-Vluyn: foedus-verlag, 2008, 3.22.10. [147] Mozley, The Augustinian Doctrine of Predestination, S. 8. [148] Dass der Wille "frei" ist, bestreitet auch der Calvinismus nicht; es wäre aber für die ganze Diskussion besser gewesen, hätte man nicht vom "freien Willen", sondern vom "neutralen Willen" gesprochen, und dass der menschliche Wille alles andere als neutral ist, geht nicht nur klipp und klar aus der Schrift hervor, sondern das ist tägliche Erfahrung für jedermann, der auch nur ein wenig Selbstschau hat (A. d. Ü.). [149] Boettner gibt die Quelle des Zitats nicht an (A. d. Ü.). [150] Die heutige Evangeliumsverkündigung (freilich mit Ausnahmen) tut so, als unternähme Gott mit der Verbreitung des Evangeliums eine Art Wahlkampf oder einen Werbefeldzug. Wer immer möchte, kann ihn wählen, doch das ist kein Muss, denn »wer da will, der komme« (Offb. 22,17). Jesus wird zum bloßen Angebot, das man nach Belieben wählen oder ablehnen kann. Diese Art der Verkündigung übersieht aber, dass erst kommt, wen Gott durstig gemacht hat und dass erst will, wen Gott dazu bereitet und dass der Aufruf zum Glauben kein Angebot, sondern eine Aufforderung ist (Apg 17,30!; A. d. Ü.). __________________________________________________________________ 4) Die Veränderung der Seele Die sofortige und überaus wichtige Auswirkung auf das Innere des Menschen verändert seine Natur: Nun liebt er die Gerechtigkeit und weiß seine Errettung in den sicheren Händen Jesu Christi. Sein Element war bis jetzt die Sünde; nun ist es Heiligkeit; die Sünde erscheint ihm nun abstoßend, dagegen liebt er das Gute. Diese vollwirksame und unwiderstehbare Gnade verändert den Willen selbst und stiftet der Person einen neuen Charakter ein. Sie beseitigt des Menschen Wunsch nach der Sünde, so dass er sie nun lassen kann; nicht wie der Magenkranke die Leckerbissen verweigert, nach denen ihn sonst gelüstet, damit sein Verlangen nicht mit Schmerzen bestraft wird, sondern weil er die Sünde um ihrer selbst willen hasst. Der Bekehrte liebt nun die vollständige Unterwerfung unter den Willen Gottes und nimmt sie bereitwillig an, sie, die er vorher gehasst und vermieden hat. Gehorsam ist nicht länger Pflicht, sondern ein vorzügliches Gut. So lange der Mensch jedoch auf Erden lebt, bleibt er Opfer der Versuchung, die sich immer wieder auf die Reste der alten Natur stürzt. Oft verfällt er ihr und sündigt, aber diese Sünden sind nur mehr der Todeskampf und die letzten Zuckungen der alten Natur, die sich krümmt und windet, bevor sie ihren letzten Atemzug tut. Der Wiedergeborene erleidet noch Schmerz, Krankheit, Entmutigung und auch den Tod, obgleich er ständig auf seine Vollendung zugeht. An diesem Punkt bringen viele Christen die Wiedergeburt mit der Heiligung durcheinander. Die Wiedergeburt ist einzig Gottes Werk, und es ist ein Werk seiner freien Gnade, die er als neues Prinzip geistlichen Lebens der Seele einpflanzt. Sie wird durch übernatürliche Kraft erwirkt und geschieht in einem Augenblick. Auf der anderen Seite ist da die Heiligung -- ein Prozess, in dem die Reste der Sünde nach und nach beseitigt werden, so dass wir, wie der kleinere Katechismus lehrt, mehr und mehr dieser Sünde sterben und der Gerechtigkeit entgegenleben. Hier wirkt der Mensch mit Gott zusammen. Es besteht im graduellen Triumph der neu eingepflanzten Natur durch Wiedergeburt über das Böse, das immer noch bleibt, auch nachdem das Herz erneuert worden ist. Mit anderen Worten: Die vollkommene Heiligung bleibt noch dem Zeitpunkt vorbehalten, an dem wir Gottes sehen werden. Es ist nichts weniger als die vollendete Gerechtigkeit, die das Ziel ist, das vor uns liegt -- und jeder Christ sollte sich sein ganzes Leben lang nach diesem Ziel ausstrecken. Die Heiligung ist bis zum Tod noch nicht vollendet; erst am Ende reinigt der Heilige Geist die Seele von jeder Spur der Sünde so, dass er sie an sich heilig macht und sie jeder Möglichkeit des Sündigens überhaupt beraubt. Streng genommen können wir sagen: Die Erlösung ist erst dann abgeschlossen, wenn der Gerettete seinen Auferstehungsleib erhalten hat. In gewissem Sinn ist ist sie freilich vollkommen errungen: am Kreuz von Golgatha. Bislang ist sie dem Wiedergeborenen erst einmal nur graduell eingepflanzt. Da der Heilige Geist den Erwählten das Verdienst Christi wirksam einpflanzt, ist ihre Erlösung vollkommen sicher und kann durch nichts verhindert werden. Daraus resultiert auch jene Sicherheit, dass der Wille Gottes in Bezug auf die Erlösung seines Volkes in keiner Weise enttäuscht werden kann oder gar durch seine Geschöpfe vereitelt werden kann. __________________________________________________________________ 5) Christi Werk ist völlig ausreichend -- die evangelische Botschaft Ich will nun zeigen, dass das Werk Christi zur Erlangung der Erlösung völlig ausreichend ist. Ich glaube, dass sein stellvertretendes Leiden und sein Tod die Schuld seines Volkes vollkommen bezahlt hat, die es der göttlichen Gerechtigkeit geschuldet hat. Damit erlöst er sein Volk davon, die Konsequenzen ihrer Sünden zu tragen. Dadurch, dass er das Gesetz vollkommen eingehalten hat und ein Leben völliger Sündlosigkeit gelebt hat, hat er stellvertretend ewiges Leben für sein Volk erkämpft. Sein Werk reicht völlig aus, die Errettung von den Sünden und das ewige Leben sicherzustellen. Diese zwei Phasen seines Werks werden manchmal sein aktiver und sein passiver Gehorsam genannt. Die Lehre von der Zulänglichkeit seines Heilshandelns formuliert das Westminster-Bekenntnis an der Stelle, wo sie über seinen vollkommenen Gehorsam und sein Opfer sagt: »Der Herr Jesus hat der Gerechtigkeit seines Vaters vollständig entsprochen, indem er sich selbst in völligem Gehorsam durch den ewigen Geist ein für allemal Gott geopfert hat. Damit hat er nicht nur die Versöhnung erworben, sondern auch ein ewiges Erbe im Himmelreich für alle diejenigen, welche ihm der Vater gegeben hat.« [151] Wenn er nur die Schuld bezahlt hätte, ohne damit auch ewiges Leben für sein Volk zu erhalten, dann wäre sein Volk »nur« von Minus auf Null gebracht. Es wäre dort, wo Adam vor dem Fall war und hätte immer noch darum kämpfen müssen, ewiges Leben zu erhalten. Zu Paulus' Bemerkung in Kol. 3,11, dass Christus alles und in allen sei, können wir hinzufügen, dass der Mensch zu diesem Werk nicht nur nichts hinzufügt, sondern auch sonst keinerlei Verdienst daran hat. An dieser Stelle kann ich nichts besseres tun, als Dr. Warfield zu Wort kommen zu lassen, der 1 Tim 1,15 folgendermaßen kommentiert: »Jesus hat alles getan, was zur Errettung dazugehört. Er ist nicht gekommen, um uns zu veranlassen, uns selbst zu retten oder um Hilfe zur Selbsthilfe zu geben oder um uns fähig zu machen, uns selbst zu retten. Er ist gekommen, um uns tatsächlich zu retten. Genau deshalb heißt Er ja auch JESUS -- denn Er wird Sein Volk retten von ihren Sünden. ... Nichts, was wir tun könnten oder sind, ist der Rede auch nur wert angesichts unseres Grundes, der uns vor Gott akzeptabel macht. Jesus hat alles getan. Durch dieses Werk ist Er im vollsten, weitesten und tiefsten Sinn des Wortes unser Retter. Es war Sein Ziel; deshalb ist Er in die Welt gekommen: um Sünder zu retten! Nichts weniger als die vollkommene Errettung von Sündern wird Ihn zufrieden stellen über das Werk, über das er selbst geredet hat und das seine Apostel in die Welt hinaus getragen haben. Dies ist das Evangelium, das ganze Evangelium! Wir dürfen niemals vergessen, dass das Evangelium kein ,Rat ist, sondern eine gute Nachricht. Das Evangelium sagt uns nicht, was wir tun müssen, um errettet zu werden, sondern es erklärt, was Jesus getan hat, um uns zu retten. Da wird uns die Errettung, und zwar die vollkommene Errettung mitgeteilt; der Schwerpunkt der Nachricht ist nichts anderes als das, was wir sagen -- dass Jesus Christus in die Welt gekommen ist, um Sünder zu retten.« [152] Daran zu zweifeln, dass irgend jemand verlorengeht, für den Christus gestorben ist oder dass die Gerechtigkeit endlich siegen wird, heißt, an der Zulänglichkeit des Opfers Christi zu zweifeln, das er unsertwegen gebracht hat. Am Kreuz erklärte Jesus die Vollendung des Erlösungsopfers, das der Vater ihm aufgetragen hatte. Aber wie Toplady gesagt hat: »Derjenige, der die Macht hat, anzunehmen oder abzulehnen, wie es ihm gefällt, sollte der sagen müssen: Nein, du hast das Werk der Erlösung nicht vollendet, das dir aufgetragen worden ist; du hast tatsächlich einen Teil davon vollbracht, aber ich selbst muss immer noch etwas dazu tun, denn sonst war alles, was du getan hast, völlig umsonst?« [153] Nur die, die der Ansicht sind, dass man alle Macht der Sündenerlösung Gott zuschreiben muss, sind konsequente, unwidersprüchliche Evangelische, denn das Wort »evangelisch« bedeutet, dass Gott allein es ist, wer rettet. Wenn erst noch Glaube und Gehorsam zu dieser Errettung notwendig sind, die noch dazu auf der unabhängigen Entscheidung des Menschen beruhen, dann sind wir nicht mehr evangelisch. Der Evangelikalismus, der die Erlösung aller Menschen predigt, führt in die Allversöhnung; und insofern der Arminianismus behauptet, dass Christus für alle Menschen gestorben sei und dass der Geist Gottes darum kämpft, allen Menschen diese Erlösung zuteil werden zu lassen, allerdings oft genug scheitert, ist er nicht mehr evangelisch. Wir können das Prinzip des Evangelikalismus noch anders illustrieren. Stellen wir uns eine Anzahl von Menschen vor, die von einer unheilbaren Krankheit heimgesucht werden. Bekommen sie nun die rettende Medizin, werden sie geheilt. Genauso mit dem Werk Christi: ist es vollwirksam und wird es jedem Menschen gegeben, so werden auch alle errettet werden. Wenn der Arminianismus evangelisch sein will, muss er letztlich an die Allversöhnung glauben. Nur der Calvinismus, der echt evangelisch an eine begrenzte Sühne glaubt und versichert, dass das Werk Christi auch erreicht, was es sich vorgenommen hat, darf auf innerem logischen Zusammenhang in Übereinstimmung mit der Schrift und mit der Erfahrung pochen. __________________________________________________________________ [151] WB, Art. 8.5. [152] B. B. Warfield, The Power of God Unto Salvation, S. 48-50. [153] Boettner gibt die Quelle nicht an. __________________________________________________________________ 6) Das arminianische Gnadenverständnis Allgemeinheit -- dieses Wort wird im Arminianismus groß geschrieben. Ein typisches Beispiel dafür findet man in der Behauptung Prof. Henry C. Sheldons, der einige Jahre an der Universität in Boston gelehrt hat. Er sagt: »Wir kämpfen für die Allgemeinheit des Erlösungsangebotes und gegen irgend eine exklusive und unbedingte Wahl einiger Menschen zum ewigen Leben.« [154] Hieran erkennen wir nicht nur erstens die charakteristische, arminianische Betonung des allgemeinen Angebotes, sondern zweitens auch die Bestätigung, dass letztlich gesehen alles, was Gott tut, keinen einzigen Menschen wirklich rettet, sondern nur einen Weg eröffnet, den der Mensch zu seiner Errettung gehen kann -- damit befinden wir uns praktisch gesehen auf der gleichen Ebene wie der Naturalismus! Das vielleicht stärkste Argument der arminianischen Konstruktion kann man im Glaubensbekenntnis der Evangelischen Union finden, den so genannten Morisonianismus, dessen Hauptzweck es war, gegen die unbedingte Erwählung zu streiten. Eine Zusammenfassung seiner »Drei Allgemeinheiten« lautet etwa so: »Die Liebe Gottes, des Vaters, die sich in dem Geschenk und Opfer Jesus Christi zeigt, die allen Menschen ohne Ansehen der Person und ohne Ausnahme zuteil wird; die Liebe des Gott-Sohnes im Opfer seiner selbst durch die Versöhnung der ganzen Welt; die Liebe des Gott-Geistes in seinem persönlichen und stetigen Wirken sucht die Vorsehung der göttlichen Gnade auf alle Menschen anzuwenden.« [155] Wenn Gott alle Menschen gleich liebte und Christus für alle Menschen gestorben wäre, wenn der Heilige Geist die Nutzanwendung dieser Erlösung allen Menschen schenken wollte, dann gäbe es nur zwei Auswege: Erstens: alle Menschen werden gerettet (doch dies steht im Widerspruch zur Heiligen Schrift), oder zweitens: Alles, was Gott für den Menschen tut, errettet ihn nicht, sondern überlässt es ihm selbst! Was aber macht das aus unserem Evangelium, das doch im Grunde sagt, Gott alleine rettet Sünder? Wenn wir behaupten, dass Gott dieses Werk von der »Akzeptanz« oder der Ablehnung des Menschen abhängen lässt, so hat der Mensch ein Vetorecht gegen das Werk des allmächtigen Gottes, und die Errettung liegt letztlich in der Hand des Menschen. In diesem System ist es dann egal, wie groß der Anteil Gottes am Erlösungswerk ist, da der Mensch die Entscheidung trifft! Der Mensch, der die Errettung auf diese Weise erlangte, hätte auch ein gewisses Verdienst, ein gewisses Recht, sich gegenüber denen zu rühmen, die verlorengehen. Er dürfte verächtlich seinen Finger heben und sagen: »Du hast die gleiche Chance gehabt wie ich. Ich habe angenommen, du hast abgelehnt, und darum verdienst du deine Strafe.« Wie anders klingen da aber die Worte des Paulus in Eph 2,9 und 1 Kor 1,31: » ... nicht aus Werken, damit sich kein Mensch rühme« und »wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn!« Die Tendenz aller Systeme, die auf Allgemeinheit drängen und in denen der Mensch es ist, wer das Ruder ergreift und sich selbst zum Meister seines Schicksals aufschwingt, erniedrigt das Christentum zu einer Werkreligion. Genau dies hatte Luther im Blick, als er den Moralisten seiner Zeit satirisch vorwarf: »An dieser Stelle möchten wir den Spieß umdrehen und dem armen Mann, unseren Herrn Gott, Gutes tun wollen, gerade Ihm, von dem wir es vielmehr bekommen.« [156] Zanchius hat gesagt, der Arminianismus flüstere dem Menschen sanft ins Ohr, dass er auch in seinem gefallenen Zustand noch beides besitze: den Willen und die Kraft, zu tun, was vor Gott gut und annehmbar ist. Gott habe Christi Tod als Sühne für alle Menschen angenommen, damit jeder, wenn er will, sich selbst durch seinen eigenen freien Willen und durch gute Werke erlösen könne; mit der natürlichen Kraft könnten wir dann sogar bis hin zur Sündlosigkeit schon hier auf Erden gelangen. Dr. Warfield sagt dazu: »Das ist in der Tat ein fundamentales Thema, und es steht uns klar vor Augen. Ist Gott der Herr, der uns errettet, oder tun wir das selbst? Rettet uns Gott, der Herr, oder eröffnet er uns nur einen Weg dahin und überlässt den Rest unserer Wahl? Die Trennung dieser beiden Wege ist die alte Wegscheide zwischen Christentum und Selbsterlösung. Es kann sich nur derjenige >evangelisch< nenne, der sich in dieser Sache mit vollem Bewusstsein einzig und allein und völlig auf Gott als seinen Retter verlässt.« [157] »Not the labors of my hands Can fulfill Thy law's commands; Could my zeal no respite know, Could my tears forever flow, All for sin could not atone -- Thou must save, and Thou alone. Nothing in my hands I bring -- Simply to Thy cross I cling; Naked come to Thee for dress-- Foul, I to thy fountain fly-- Wash me, Saviour, or I die!« [158] __________________________________________________________________ [154] Henry Clay Sheldon, System of Christian Doctrine, S. 417. [155] Henry F. Henderson, The Religious Controversies of Scotland, S. 187. [156] Quelle nicht angegeben. [157] B. B. Warfield, The Plan of Salvation, S. 108. [158] Augustus Toplady, "Rock of Ages". __________________________________________________________________ 7) Die Freiheit des Menschen wird nicht verletzt Gwöhnlich argumentieren Gegner dieser Lehre mit dem Einwand, sie überrumple den Menschen in seiner Freiheit: der Mensch werde gegen seinen Willen zum Glauben an Gott gebracht oder bezüglich seiner Errettung auf die Ebene von Maschinen reduziert. Doch das ist ein Missverständnis. Der Calvinismus selbst hält eine solche Ansicht für falsch; die ganze Lehraussage schließt sie aus, ja, sie widerspricht ihr sogar. Das Westminster-Bekenntnis hat im Anschluss an die Lehraussage, dass die wirksame Gnade, die in jedem Fall zu Bekehrung führt, als Werk des Allmächtigen unhintergehbar ist, den Zusatz stehen: »Alle diejenigen, die Gott zum Leben vorherbestimmt hat, diese allein beruft er nach seinem Wohlgefallen zu seiner bestimmten und willkommenen Zeit wirksam durch sein Wort und seinen Geist aus dem Stand von Sünde und Tod, worin sie von Natur sind, zur Gnade und Erlösung durch Jesus Christus, indem er ihren Verstand erleuchtet, die göttlichen Dinge geistlich und zum Heil zu verstehen, ihr steinernes Herz wegnimmt und ihnen ein fleischernes Herz gibt, ihre Willensregungen erneuert und sie durch seine allmächtige Kraft zum Guten bestimmt und sie wirksam zu Jesus Christus zieht, doch so, dass sie ganz freiwillig kommen, im Willen geweckt durch seine Gnade.« [159] Die Kraft der Erneuerung ist nicht äußerlich zwingend. Wiedergeburt tut der Seele nicht mehr Zwang an als etwa die Demonstration einer Idee oder die Überredung dem Intellekt antut. Der Mensch wird nicht behandelt, als wäre er ein Stein oder ein Holzklotz. Genauso wenig wird er als Sklave behandelt, der gegen seinen Willen dazu gebracht wird, nach Erlösung zu suchen. Vielmehr wird sein Verstand erleuchtet, werden alle Gedanken über Gott, Selbst und Sünde angepasst. Gott sendet seinen Geist -- diese Tatsache bleibt für ewig der Grund zum Preise seiner Barmherzigkeit und Gnade -- der den Menschen sanft dazu bringt, sich ihm auszuliefern. Der Wiedergeborene spürt, dass er von anderen Motiven und Wünschen geleitet wird, dass er Dinge, die er einmal gehasst hat, jetzt liebt und sucht. Diese Veränderung wird durch keinerlei äußerlichen Zwang herbeigeführt, sondern durch ein neues Lebensprinzip, das seiner Seele eingestiftet wird und das nach einer neuen Art von Nahrung sucht, die dieses Prinzip befriedigt. Das geistliche Gesetz ist ganz wie das Zivilgesetz »nicht ein Schrecken für gute, sondern für schlimme Taten« (Röm 13,3); wir finden sogar ein gutes Beispiel in menschlichen Angelegenheiten. Man vergleiche einmal die Haltung eines unsträflichen Bürgers und die eines Kriminellen zum Gesetz: Der Unbescholtene geht einfach seinem Tagesgeschäft nach, ohne dass er sich der meisten der Gesetze seines Landes überhaupt bewusst ist oder sie auch nur kennt. Er betrachtet weder Regierung noch Polizei als Feind. Für ihn repräsentieren diese Institutionen Autorität, die er respektiert und akzeptiert. Er ist ein freier Mensch. Das Gesetz schützt sein und seiner Lieben Leben und auch sein Eigentum. Im Fall des Kriminellen ändern sich die Dinge: er kennt das Gesetz vielleicht schon etwas besser als der Unbescholtene. Er studiert es, um es umgehen zu können oder für sich unwirksam machen zu können. Er lebt ein Leben in Furcht. Er stattet seine »Residenz« vielleicht mit kugelsicheren Türen aus und trägt womöglich eine Waffe bei sich, um Polizei oder Gegner ausschalten zu können. Er befindet sich ständig unter einem gewissen Zwang. Seine Idee der Freiheit heißt, die Polizei ausschalten zu können, den Richter zu bestechen und die Gesetze in Misskredit zu bringen. Die Gebräuche der Gesellschaft zieht er in den Schmutz, denn er will die Gesellschaft berauben. Alltäglich lehnen wir vieles für uns ab, aber die Eingliederung neuer Fakten in unser Denken geschieht völlig freiwillig -- wir haben nun Freude an Dingen, die wir vorher nicht mochten. Nichts im Calvinismus weist darauf hin, dass der Mensch gegen seinen Willen bekehrt wird und gegen seinen Willen zum Glauben gebracht wird. Man könnte einwenden, die Bibel sage an vielen Stellen eindeutig: Wenn du dies oder das einhältst oder tust, wenn du zum Herrn zurückkehrst, wenn du tust, was böse ist usw -- all das setze den freien Willen und damit die Möglichkeit voraus, das eine oder andere wählen zu können. Darauf ist zu antworten: Aus einem Befehl Gottes folgt nicht, dass der Mensch diesem Befehl auch Folge leisten kann. Wie oft spielen nicht Eltern mit ihren Kindern und befehlen ihnen Dinge, die sie noch gar nicht können, nur um ihnen zu zeigen, dass sie die Hilfe ihrer Eltern brauchen und sie darum auch bitten sollen? Weltmenschen lesen die biblischen Texte freilich unter der Annahme, sie verfügten über die Möglichkeit, die Aufforderungen zu befolgen, wenn sie wollten, doch damit betrügen sie sich selbst, ganz genau so wie der Schriftgelehrte, dem Jesus sagte: »Tu das, dann wirst du leben«. Die Schriftgelehrten gingen weg und glaubten, nun könnten sie sich ihre Erlösung durch gute Werke erkaufen. Wenn der geistlich gesinnte Mensch solche Sprache hört, dann führt ihn das immer zur Erkenntnis: Das kann ich nicht einhalten! Es führt ihn dazu, den Vater zu bitten, es für ihn zu tun. Jene Schriftstellen sagen dem Menschen nicht, was er tun kann, sondern was er tun soll, und wehe dem, der so blind ist, diese Wahrheit nicht zu erkennen, denn bevor er diese Wahrheit nicht sehen kann, kann er das Heilshandeln Christi nie angemessen würdigen. Der verzweifelte Sünder schreit auf zu Gott, und was ihm nun offenbart wird, ist nichts als reinste Gnade, ein reines Geschenk der Liebe Gottes und der Barmherzigkeit, die Er durch Christus erzeigt. Jeder, der sich auf diese Weise gerettet sieht, schreit mit David heraus: »Wer bin ich, allmächtiger Herr? Was ist mein Haus, dass du mich bis hierher gebracht hast?« (2. Sam. 7,18). Die spezielle Gnade, die wir hier als vollwirksam verstehen, wird manchmal »unwiderstehliche Gnade« genannt. Diese Formulierung ist unglücklich gewählt, weil sie auszusagen scheint, dass sie jemanden gegen seinen Willen zu etwas zwinge; gemeint ist aber, wie ich vorhin gesagt habe, dass die Erwählten so von der göttlichen Macht beeinflusst werden, dass sie sich völlig freiwillig Gott zuwenden. __________________________________________________________________ [159] WB, Art. 10.1. __________________________________________________________________ 8) Allgemeine Gnade Neben der rettenden Gnade existiert noch eine andere, eine allgemeinere, die dem Einfluss des Heiligen Geistes zuzuschreiben ist und mehr oder weniger allen Menschen gewährt wird. Gott lässt die Sonne über Gute und Böse scheinen und gibt den Regen den Gerechten und den Ungerechten. Fruchtbarkeit und andere Segnungen sind es, was den Menschen gegeben wird. Unter den größten Segnungen ist die Gesundheit zu nennen, aber auch materieller Ertrag, Intelligenz, Begabungen der Kunst, Musik, Rednergabe, Literatur, Architektur, Wirtschaft, Erfindung etc. sind Teil jener allgemeinen Gnade. In vielen Fällen bekommen die Nichterwählten noch mehr von jenen Gaben als die Erwählten, denn oft ist es so, dass die »Söhne der Welt« geschickter und klüger sind als die »Söhne des Lichts«. Auch die Ordnung ist der allgemeinen Gnade zuzuschreiben, die Entwicklung und Veredelungskunst von Gegenständen, die Kultur, die Sitten usw., die weltweit vorherrschen; die moralische Kraft der Wahrheit stärkt das allgemeine Denken und Gewissen, so dass die bösen Neigungen der Menschen eingeschränkt werden. Diese Gnade führt nicht zur Erlösung, ist aber der Grund, weshalb diese Erde noch nicht zur Hölle geworden ist. Sie ist der Grund, weshalb die Sünde nicht zu vollem Ausbruch gelangt, genauso wie der Mensch gelernt hat, wilde Tiere zu zähmen. Sie verhindert die Sünde, sich in all ihrer Bosheit zu entfalten; sie verhindert, dass die Flammen noch aus dem Rauch herausschlagen. Gleich wie der Druck der Atmosphäre waltet diese Gnade überall, ohne dass man sie spüren kann. Diese allgemeine Gnade zerstört aber nicht den Kern der Sünde, und daher ist sie nicht dazu angetan, alle Menschen zu bekehren. Der Menschenverstand, jenes große Licht, aber auch das Gewissen und nicht zuletzt die äußerliche Verkündigung des Evangeliums zeigt dem Menschen, was er tun soll, wenn er allein auch die Kraft dazu noch nicht hat, all dies zu tun. Diesen Gnadenwirkungen des Heiligen Geistes kann man sehr wohl widerstehen. Die Schrift lehrt wiederholt, dass das Evangelium nur wirksam wird, wenn es durch den erhellenden Geist einen Menschen erleuchtet; ohne diese Kraft ist es »den Juden ein Stolperstein und den Heiden ein Ärgernis«. Der natürliche Mensch kann Gott daher nur in einer sehr begrenzten, äußerlichen Art und Weise kennen. Daher wird auch die äußerliche Gerechtigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten als völliges Fehlen der Gerechtigkeit genannt. Jesus sagte zu seinen Jüngern, dass die Welt den Geist der Wahrheit nicht empfangen kann, »denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht«, doch er fährt in einem Atemzug fort: »Ihr kennt ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein« (Joh 14,17). Die Lehre des Arminianismus verwischt die Grenzen zwischen der vollwirksamen Gnade zur Errettung und der allgemeinen Gnade oder macht die wirksame Gnade zur Errettung zu einer Hilfe, ohne die die Errettung nicht möglich ist, während der Calvinismus sie zu einer Hilfe macht, die die Erlösung sicher bewirkt. Was die Erneuerungen betrifft, die die allgemeine Gnade auslöst, sagt Dr. Charles Hodge: »Es geschieht nicht selten, dass unmoralische Menschen ihr ganzes Leben ändern. Sie legen ein korrektes Benehmen an den Tag, scheinen maßvoll, ehrbar, rein und wohlwollend zu sein. Und das ist auch eine begrüßenswerte Sache. Der Betreffende profitiert am meisten selbst davon, danach auch all jene, die mit ihm leben. Eine solche Veränderung kann von verschiedenen Ursachen ausgehen, etwa von der Macht des Gewissens oder auch von Gott selbst und aus der Angst vor Seiner Missbilligung -- oder auch, weil man vor Menschen gut dastehen will. Vielleicht ist sie auch nur darauf zurückzuführen, dass man eingesehen hat, dass ein guter Lebenswandel an sich gut für einen selbst ist. Was aber auch immer die Besserung sein mag -- Heiligung ist das noch lange nicht. Diese beiden Dinge sind ihrer Natur nach nämlich so verschieden wie ein reines Herz und ein sauberes Kleid. Solche selbst gemachten Veränderungen lassen das Herz so, wie es war: in Gottes Augen ungenügend. Es bleibt kalt gegenüber Gott, gegenüber dem Glauben an Christus und gegenüber allen heiligen Dingen.« [160] Ähnliches sagt Dr. Hewlitt: »Kann auch der Leichnam mit der verlockendsten Musik, die je erfunden wurde, aus dem Grabe gespielt werden oder auch vom lautesten Donner, den man sich denken kann, geweckt werden? Genauso wenig kann ein Sünder -- tot in Übertretung und Sünde -- vom Donner des Gesetzes oder von der Melodie des Evangeliums geweckt werden. Kann ein Mohr seine Haut verwandeln, ein Leopard seine Flecken? Dann könntet auch ihr Gutes tun, die ihr an Bösestun gewöhnt seid! (Jer 13,23)« [161] Nachfolgende Aussage von Dr. S. G. Craig zeigt die Grenzen der allgemeinen Gnade sehr gut auf: »Das Christentum zeigt, dass jede Entwicklung und jede Kultivierung des Charakters, die Jesus Christus aus ihren Überlegungen ausschließt, zwar durchaus zu Klugheit, Perfektion und Brillanz führen mag, jedoch eines nicht kann: den Charakter ändern. Die Veränderung ist nur äußerlich. Wer sein Vertrauen in Erziehung und Kultivierung setzt, gleicht dem, der einen wilden Olivenbaum durch Beschneidung und die Verwendung von Pestiziden in einen guten Olivenbaum verwandeln will, anstatt einen Ableger des wilden in den guten Baum einzupfropfen. Bevor das geschehen ist, ist alle andere Arbeit umsonst. Wir unterschätzen keineswegs den Wert von Erziehung und Kultivierung, aber man soll nicht meinen, dass man einem Fluss durch Verschönerung seiner Ufer zur Trinkwasserqualität verhelfen könne, und nichts anderes auch wäre der Versuch, den Charakter durch Erziehung und Kultivierung ändern zu wollen ... Es ist, wie ein alter jüdischer Spruch sagt: >Nimm eine Bittermandel und pflanze sie in den Garten Eden. Soll sie immerhin dort Wasser ziehen, ja soll selbst der Engel Gabriel der Gärtner sein -- ihre Früchte bleiben bitter.<« [162] __________________________________________________________________ [160] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 3, S. 214. [161] Hewlitt, Sound Doctrine, S. 21. [162] Samuel G. Craig, Jesus as He Was and Is, S. 191, 199. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XIV __________________________________________________________________ Das Beharren der Heiligen __________________________________________________________________ 1) Die Lehraussage Die Lehraussage über das Beharren der Heiligen formuliert das Westminster-Bekenntnis so: »Diejenigen, welche Gott in seinem geliebten Sohn angenommen hat und die durch seinen Geist wirksam berufen und geheiligt sind, können weder völlig noch endgültig aus dem Stand der Gnade fallen; vielmehr werden sie mit Sicherheit darin beharren und auf ewig gerettet werden.« [163] Diese Lehre steht nicht für sich allein, sondern ist notwendiger Teil der calvinistischen Theologie. Die Lehre von der Erwählung und der wirksamen Gnade bedeuten logischerweise auch die Sicherheit des Heils für jene, die dieses Heils teilhaftig geworden sind. Wenn Gott seine Erwählten absolut und unbedingt zum ewigen Leben bestimmt und wenn sein Geist diesen Segen der Erlösung den Erwählten zuerkennt, dann ist die unausweichliche Schlussfolgerung: sie werden nicht verlorengehen. Historisch gesehen haben diese Lehre alle Calvinisten geglaubt, während sie praktisch von allen Arminianern abgelehnt wird. Jene, die ihren Schutz bei Jesus suchen, bauen auf ein starkes Fundament. Mag auch das Land von Irrlehre überflutet sein, mag Satan alle Kräfte der Erde aufbieten und den Gläubigen ihre Herzensbosheit vorhalten, so werden sie dennoch nicht fallen, sondern bis zum Ende bewahrt bleiben. Sie werden erben, was ihnen von Beginn der Welt an bereitet ist. Der wahre Gläubige mag hier auf Erden im Vergleich zum Himmel unglücklich sein; seine Heilssicherheit ist aber im Himmel nicht gewisser als im Diesseits! Der Glaube und die Bekehrung sind als Geschenke Gottes Gaben, mit denen Gott sein Ziel erreicht. Es ist klar: Gott hat die Empfänger dieser Gaben vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleich zu werden, d. h. in Charakter, Schicksal und Herrlichkeit zu werden wie er, und er wird sein Ziel auch erreichen. Niemand kann sie aus seiner Hand reißen. Die echten Christen haben das Prinzip des ewigen Lebens in sich, den Heiligen Geist nämlich, und da der Heilige Geist in ihnen wohnt, haben sie auch im Prinzip die letzte Heiligkeit schon jetzt. Freilich werden sie noch von vielen Versuchungen geplagt und sehen nicht, was sie einst sein werden, aber sie sollten wissen, dass das, was in ihnen begonnen ist, zu Ende gebracht wird: Der Kampf mit der Sünde ist der Beweis und das Zeichen jenes Lebens und gleichzeitig das Versprechen des Sieges. Wir bitten unsere Gegner, uns zu sagen, weshalb Gott jene, die im Begriff stehen, abzufallen, nicht noch vor diesem Abfall zu sich nimmt? Kein Mensch wird so dumm sein zu sagen, dass er das nicht könne oder ihren Abfall nicht vorhersehen könne. Wieso lässt er es denn überhaupt zu, dass sie abfallen und dann verlorengehen? Die Gabe ewigen Lebens würde so zum bleibenden Fluch! Wer glaubt denn wirklich, dass der himmlische Vater nicht besser auf seine Kinder aufpasst? Diese dumme Häresie des Arminianismus lehrt, dass ein Mensch heute ein Kind Gottes, morgen ein Kind des Teufels sein könne, ja, dass er zwischen diesen beiden Zuständen so schnell wechseln könne, wie er seine Meinung ändern kann! Das bedeutete also, dass der aus dem Geist Geborene, Gerechtfertigte und Geheiligte, dem nur noch die faktische Verherrlichung bevorsteht, immer noch zum Verworfenen werden könne, der ewig bestraft wird, weil er letztlich von seinem eigenen Willen so geführt worden ist! Das ist eine Lehre der Verzweiflung! Was könnte absurder sein, als dass der souveräne Gott seinen Kindern erlauben sollte, seine Liebe zu verhindern und verloren zu gehen? Wenn wir einen Freund hätten, von dem wir wüssten, dass er schon morgen dazu verführt werden wird, unser Feind zu werden und uns zu betrügen, dann könnten wir ihm doch heute nicht mit jener Herzlichkeit und dem Vertrauen begegnen, mit welcher wir ihm sonst ganz natürlich begegneten! Unser Wissen um seine morgige Tat würde unsere Freundschaft schon heute zerstören. Kein Mensch bezweifelt, dass die Erlösten im Himmel davor bewahrt werden, jemals wieder zu sündigen. Wenn Gott seine Heiligen im Himmel sündlos erhalten kann, ohne ihre Freiheit zu beeinträchtigen, weshalb sollte er dies auf Erden nicht können, ebenfalls ohne ihren Willen zu beinträchtigen? Die Art der Veränderung, wie sie mit der Wiedergeburt einhergeht, garantiert, dass das neue Leben unsterblich ist. Wiedergeburt ist eine radikale und übernatürliche Veränderung der inneren Natur, wodurch die Seele geistlich zum Leben gelangt, und dieses neue und geistliche Leben ist unsterblich. Da diese Veränderung die innere Natur betrifft, liegt sie in einer Sphäre, die der Mensch nicht unter Kontrolle hat. Kein Geschöpf kann die inneren Prinzipien seiner Natur umschaffen; dies bleibt einzig dem Schöpfer selbst vorbehalten. Daher kann auch nichts anderes als ein neuerliches Einwirken von übernatürlicher Seite her diese Veränderung rückgängig machen und das neue Leben zerstören. Der wiedergeborene Christ kann seine Beziehung als Kind seines himmlischen Vaters genauso wenig verlieren, wie man die irdische Beziehung zu seinen Eltern zunichte machen kann. Die Ansicht, dass ein Christ wieder abfallen und verlorengehen kann, resultiert auf dem falschen Verständnis des geistlichen Lebensprinzips, das der Seele bei der Wiedergeburt eingepflanzt wird. __________________________________________________________________ [163] WB, Art. 17.1. __________________________________________________________________ 2) Das Beharren beruht nicht auf guten Werken, sondern auf Gottes Gnade Paulus lehrt, dass die Gläubigen nicht mehr unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind, und da sie nicht mehr unter dem Gesetz leben, können sie auch nicht für die Verletzung des Gesetzes verurteilt werden. »Ihr steht ja nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade« (Röm 6,14). Sünde, die erst noch begangen wird, kann diesen angeblichen Abfall nicht bewirken, denn der Christ befindet sich in den Armen der Gnade und wird nicht aufgrund seiner Fehler beurteilt. »Ist es aber aus Gnade geschehen, so nicht mehr infolge von Werken. Sonst wäre ja die Gnade nicht mehr Gnade« (Röm 11,6). »Das Gesetz führt zur Strafe; ohne Gesetz gibt es keine Übertretung« (Röm 4,15). »Wo kein Gesetz ist, da ist die Sünde tot« (Gemeint ist: Wo das Gesetz aufgehoben ist, da wird der Person die begangene Sünde nicht angerechnet, Röm 7,8). »So seid auch ihr, meine Brüder, durch Christi Leib tot für das Gesetz« (Röm 7,4). Jeder, der versucht, auch nur den kleinsten Teil zu seiner Errettung selbst beizutragen, wird sofort schuldig, »das ganze Gesetz einzuhalten« (Gal. 5,3; gemeint ist: aus eigener Kraft vollkommenen Gehorsam aufzubringen und die Erlösung auf diesem Wege zu erlangen). Wir sprechen hier von zwei radikal verschiedenen Erlösungswegen, die einander sogar widersprechen. Die unendliche, geheimnisvolle und ewige Liebe Gottes seinem Volk gegenüber garantiert, dass es nie wieder verlorengehen kann. Diese Liebe ist keinen Veränderungen ausgesetzt. Sie erreicht den Menschen unverdientermaßen und hält uns fester, als wir sie halten könnten. Sie beruht nicht auf der Attraktivität dessen, der geliebt wird. »Darin zeigt sich die Liebe, nicht dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt und seinen Sohn als Versöhnung für unsere Sünden gesandt hat« (1. Joh 4,10). »Gott aber erweist seine Liebe zu uns dadurch, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren. Um so mehr werden wir jetzt, da wir durch sein Blut gerechtfertigt sind, durch ihn vor dem Zorngericht bewahrt bleiben. Denn wurden wir, als wir noch seine Feinde waren, durch den Tod seines Sohnes mit Gott versöhnt, um so mehr werden wir als Versöhnte durch sein Leben gerettet werden« (Röm 5,8--10). Hier wird die Sache auf den Punkt gebracht: Unser Beharren beruht gerade nicht auf unserem Verdienst. Das geistliche Leben wurde uns eingepflanzt, »als wir noch Feinde waren«, und das aus souveräner Gnade. Wenn Gott das Größere schon getan hat, wird er dann nicht das Kleinere auch noch tun? Der Autor des Hebräerbriefes lehrt ebenso, dass Gottes Auserwählte unmöglich verlorengehen können, wenn er sagt, dass Christus beides ist: Urheber und Vollender unseres Glaubens. Hier lernen wir, dass der ganze Heilsweg göttlich ist -- er ist göttlich geplant und wird göttlich ausgeführt. Weder die Gnade Gottes noch ihre Dauer haben etwas mit unseren Verdiensten zu tun. Wenn ein Christ also abfallen sollte, so deswegen, weil Gott ihm seine Gnade entzieht und die Art und Weise seines Heilshandelns ändert, oder in anderen Worten: weil er den Menschen wieder unter das Gesetz stellt. Robert L . Dabney hat diese Wahrheit sehr treffend ausgedrückt: »Die souveräne und unverdiente Liebe ist die Ursache der Berufung des Glaubenden. Jeremia 33,3; Röm 8,30. Ist die Ursache unveränderlich, so kann auch die Wirkung nicht anders ausfallen. Der Glaubende, in dem Gott das gute Werk begonnen hat, empfängt diese Gnade unausgesetzt. Gottes Gnade ist nicht vom bereuenden Menschen motiviert, daher stellt die etwaige künftige Abwesenheit des Guten im Begnadeten ebenso kein Motiv dar, das Gott dazu bewegen könnte, dem Begnadeten seine Gnade wieder zu entziehen. Als er dem Menschen seine Gnade zuwandte, wusste Er, dass er seine Gnade einem Verderbten zuwendet, einem Verderbten, der aber auch gar nichts Liebenswertes an sich hat, das Seiner Heiligkeit genügte, und daher kann auch keine künftige Undankbarkeit oder Unglauben, dessen sich der Sünder nach seiner Bekehrung etwa schuldig macht, Gott provozieren, seine Gnade wieder zurückzuziehen. Gott hat doch längst jede Undankbarkeit vorhergesehen. Er wird sie dadurch strafen, dass er seinen Heiligen Geist oder die allgemeinen Gnadenerweise eine Zeitlang entzieht, aber wenn er nicht schon von Anfang an gewillt gewesen wäre, diese Undankbarkeit zu ertragen und sie in Christus zu vergeben, hätte er einen solchen Sünder doch gar nicht erst begnadigt. Mit einem Wort: Der Grund für Gottes Gnade und liebende Erwählung liegt in Gott allein. Der Glaubende hat keinen Einfluss darauf, und daher können weder Herz noch Verhalten des Gläubigen Gottes Vorsatz der Liebe ändern (Jes 54,10; Röm 11,29). Man vergleiche Römer 5,8-10 und Röm 8,32 sorgfältig mit dem ganzen Abschnitt von Römer 8,28 bis zum Ende des Kapitels. All dies beweist unsere Position ganz und gar; >was kann uns von der Liebe Christi scheiden?<« [164] »Gottes Liebe wird in dieser Hinsicht mit der elterlichen Liebe verglichen. Eine Mutter liebt ihr Kind nicht, weil es an sich liebenswert ist. Ihre Liebe wird sie aber dazu bringen, alles zu tun, um es liebenswert zu machen und es so zu bewahren. So wird auch die geheimnisvolle Liebe Gottes, die nicht durch irgendeine Eigenschaft der geliebten Menschen beeinflussen lässt, ihre Kinder weiterhin mit der Gabe des Heiligen Geistes zieren und sie nach und nach in die Schönheit der Heiligkeit verwandeln. Nur der beklagenswerte Irrtum, Gott liebe uns wegen irgend eines Guten in uns, kann jemanden zu der Ansicht verleiten, Gottes Liebe sei davon abhängig, was ihr der Mensch entgegenbringt.« [165] Zur Erlösung der Erwählten vermerkt Luther: »Im neunten, zehnten und elften Kapitel lehret er [d.i. Paulus] von der ewigen Vorherbestimmung Gottes, woher es ursprünglich fließt, wer glauben oder nicht glauben soll, wer von Sünden los oder nicht los werden kann, womit es ja ganz aus unsern Händen genommen und allein in Gottes Hand gegeben sei, dass wir fromm werden. Und das ist auch aufs allerhöchste not. Denn wir sind so schwach und ungewiss, dass, wenns bei uns stünde, freilich nicht ein Mensch selig würde, der Teufel würde sie gewisslich alle überwältigen. Aber nun Gott gewiss ist, dass ihm das, was er vorherbestimmt, nicht fehlgehet, noch jemand ihm wehren kann, haben wir noch Hoffnung wider die Sünde.« [166] Je mehr wir über diesen Sachverhalt nachdenken, desto dankbarer sind wir, dass unser Beharren in Heiligkeit und Sicherheit der Errettung nicht von unserer schwachen Natur abhängt, sondern von Gottes unveränderlicher Macht. Wir können mit Jesaja sagen: »Wenn Jahwe der Heerscharen uns nicht einen gar kleinen Überrest gelassen hätte, wie Sodom wären wir, Gomorra gleich geworden.« Der Arminianismus leugnet dieses Beharren, weil er kein reines Gnadensystem ist, sondern ein System aus Gnade und Werken, und in all solchen Systemen muss der Mensch wenigstens einen kleinen Teil selbst zu seinem Heil beitragen. __________________________________________________________________ [164] Robert L. Dabney, Systematic Theology, S. 690. [165] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 3, S. 112. [166] Martin Luther, Vorrede zum Brief des Paulus an die Römer. __________________________________________________________________ 3) Auch Gerettete können zeitweise rückfällig werden und in Sünde leben Die Lehre vom Beharren der Heiligen bedeutet nicht, dass Christen nicht zeitweise dennoch Opfer der Sünde werden können; dies ist sogar leider sehr oft der Fall. Auch die Besten können zeitweise in Sünde sein. Doch völlig abgelehnt werden sie niemals, denn Gott bewahrt noch den schwächsten Heiligen durch die Macht seiner Gnade davor, endgültig zu fallen. Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überreiche Fülle der Kraft nicht uns, sondern Gott zugeschrieben wird (2 Kor 4,7). Aus eigener Erfahrung konnte sogar der große Apostel Paulus schreiben: »Ich tue eben nicht das Gute, das ich will, sondern führe das Böse aus, das ich nicht will. Wenn ich aber tue, was ich nicht will, dann vollbringe nicht mehr ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt. Und so finde ich das Gesetz vor: Dass bei mir, der ich das Gute tun will, das Böse vorhanden ist. Der innere Mensch in mir stimmt freudig dem Gesetz Gottes zu, ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das im Streit liegt mit dem Gesetz meines Geistes. Es macht mich zum Gefangenen unter dem Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern herrscht. Ich unglückseliger Mensch! Wer wird mich retten aus dem Leib dieses Todes? Dank sei Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Somit diene ich selbst zwar mit dem Geist dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde« (Röm 7,19--25). Jeder wahre Christ wird sich in diesen Zeilen finden. Zum Christenwesen passt freilich das Sündigen nicht; der Autor des Hebräerbriefes sagt, dass der, der die Sünde tut, »noch einmal für sich selbst den Sohn Gottes ans Kreuz schlägt und ihn dem Gespött preisgibt ... « (Hebr. 6,6). David bereute seine Sünde, und Nathan, der Prophet, sprach ihm die Vergebung Gottes zu, aber nichtsdestotrotz hatte er »den Feinden Israels Anlass zur Lästerung gegeben« (2. Sam. 12,14). David und Petrus -- beide fielen sie, doch das in ihnen wohnende Lebensprinzip ließ sie umkehren. Judas fiel ebenfalls, doch weil dies Prinzip nicht in ihm wohnte, war sein Fall endgültig. Solange der Glaubende in dieser Welt ist, befindet er sich in einem Zustand des Kampfes. Er erleidet zeitweise manche Sündenanfechtung, der er erliegen mag, ja, er mag sogar zu manchen Zeiten allen Glauben verlieren, doch er ist ein für allemal gerettet, daher kann er niemals ganz von der Gnade fallen. Wenn er einmal diese Veränderung in sich gespürt hat, die die Wiedergeburt in ihm bewirkt hat, dann wird er früher oder später zur Herde zurückkehren und gerettet werden. Wenn er in sich geht und Gott um Vergebung bittet, nachdem er seine Sünde bekannt hat, dann wird er nicht mehr zweifeln, dass er gerettet ist. Sein »Sündenfall« wird ihm ernsten Schaden zugefügt haben und andere verletzt haben, aber soweit es ihn selbst betrifft, ist ein solche »Sündenfall« nur temporär. Paulus lehrte, dass das ganze Lebenswerk einiger verbrennen wird, wenn es aus dem falschen Material gemacht worden ist, aber sie selbst werden gerettet werden, wenn auch »wie durchs Feuer« hindurch (1 Kor 3,12--12). Das gleiche lehrt Jesus im Gleichnis mit dem verlorenen Schaf, das er sucht und zur Herde zurückbringt. Wenn wahre Gläubige abfallen, dann werden ihre Körper, die auch »Tempel des Heiligen Geistes« genannt werden, zur Wohnung des Teufels, und selbstverständlich freut sich der Teufel darüber und beleidigt Gott damit (1 Kor 6,19). »Der Christ gleicht einem Menschen, der einen steilen Weg hinaufgeht, zeitweise ausrutscht, aber seinen Blick immer fest auf das Ziel gerichtet hat. Der nicht wiedergeborene Mensch blickt nach unten und rutscht ständig aus.« [167] »Der Gläubige kann wie ein Matrose auf den Schiffsplanken ausrutschen und fallen; über Bord geht er nicht.« [168] In dieser Hinsicht gleicht jeder Erwählte dem verlorenen Sohn, der eine Zeitlang von seinen eigenen Gelüsten und von den Verführungen der Welt fehlgeleitet wird. Er versucht, sich von den Trebern zu ernähren, aber dies kann ihn nicht zufriedenstellen. Früher oder später muss er sagen: »Ich will mich aufmachen, zu meinem Vater gehen und zu ihm sagen: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.« Er wird auf den gleichen liebevollen Empfang treffen; des Vaters willkommen heißende Stimme wird seine Seele durchdringen und das Herz des armen und abgefallenen Rückkehrers zum Schmelzen bringen: »Dieser mein Sohn war tot und lebt wieder; er war verloren und ist gefunden worden.« Man bedenke, dass dies ein durch und durch calvinistisches Gleichnis ist, da der verlorene Sohn immer ein Sohn war und diese Beziehung nicht verloren hatte. Jene, die niemals Söhne waren, haben auch nie das Verlangen, zu ihrem Vater zu kommen. Wir mögen uns in unseren Urteilen manchmal irren, genauso wie es mit den »verzauberten« Galatern der Fall war (3,1); wir mögen kalt sein wie die Gemeinde in Ephesus (Offb. 2,4). Die Gemeinde mag schläfrig werden, doch ihr Herz wird erwachen (Hld. 5,3) Es mag manchmal so aussehen, als habe Gott einem seiner Kinder seine Gnade entzogen, doch das ist nur scheinbar so. Die Sonne mag verfinstert sein, doch sie gewinnt ihren Schein wieder zurück. Der Baum mag im Winter alle seine Blätter und seine Früchte verlieren; im Frühjahr bekommt er neue Knospen. Israel floh ein-, auch zweimal vor seinen Feinden, und dennoch hat es das versprochene Land eingenommen. Auch der Christ mag zuweilen fallen, doch letzten Endes ist seine Errettung sicher. Es ist undenkbar, dass Gott einen Erwählten verlorengehen lässt. »Es ist unmöglich, der Allmacht Gottes zu entfliehen. Auch Jona hat das erfahren, als er vor Gottes Befehl davonlief, statt Niniveh vor seinem Untergang zu warnen. Doch Gottes Macht verfolgte ihn bis in den Bauch des Fisches, bis er endlich gewillt war, Gottes Befehl auszuführen. Auch der gefallene Christ wird zu seinem Retter zurückfinden, und nachdem er seine Sünde bekannt hat, wird ihm vergeben werden und er wird gerettet werden.« [169] __________________________________________________________________ [167] A. H. Strong [168] Charles H. Spurgeon [169] F. E. Hamilton, (Artikel) The Reformed Faith and the Presbyterian Church. __________________________________________________________________ 4) Äußerliches Bekenntnis allein ist keine Garantie für echtes Christentum Wir haben kein großes Problem, diejenigen Fälle abzuwimmeln, in denen wahre Gläubige ganz offensichtlich und endgültig abgefallen sind. Beides, sowohl die Bibel als auch die Erfahrung, zeigen uns, dass wir uns in unseren Mitmenschen sehr oft täuschen, ja, dass es uns manchmal faktisch unmöglich erscheinen muss, festzustellen, ob jemand ein echter Christ ist oder nicht. Das Unkraut war niemals zuerst Weizen, und der ungenießbare Fisch war niemals zuerst genießbar, ungeachtet der Tatsache, ob deren wahre Natur auf Anhieb erkannt werden könnte. Satan kann sich das Aussehen eines Engel des Lichts geben (2 Kor 11,14), und es sollte uns infolgedessen nicht verwundern, wenn auch seine Diener sich als solche geben und als Gerechte auftreten, den verführerischsten Anschein von Heiligkeit an den Tag legen, ja, sich demütig, pietätsvoll und voll Eifer präsentieren. Man kann nicht von Äußerlichkeiten auf das Heil eines Menschen schließen. Jemand könnte blenden wie die Pharisäer einst -- und trotzdem viele betrügen. Jesus hat seine Jünger gewarnt: »Es werden falsche Messiasse und falsche Propheten auftreten und große Zeichen und Wunder wirken, um -- wenn möglich -- selbst die Auserwählten irrezuführen« (Mt 24,24). Er zitierte den Propheten Jesaja: »Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz jedoch ist fern von mir. Umsonst verehrt es mich; denn Menschensatzungen stellt es als Lehre hin« (Mk 7,6f). Paulus warnte vor diesen falschen Leuten: »Denn diese Leute sind Lügenapostel, hinterlistige Arbeiter, die sich als Apostel Christi ausgeben« (2 Kor 11,13). Den Römern schrieb er: »Nicht alle, die von Israel abstammen, sind Israeliten. Und nicht alle sind schon deshalb Kinder Abrahams, weil sie seine Nachkommen sind. Es heißt vielmehr: Nach Isaak sollen deine Nachkommen benannt werden« (Röm 9,6f). Johannes erwähnt »jene, die sich Apostel nennen, aber es nicht sind« (Offb. 2,2), und ein wenig später fügt er hinzu: »Ich kenne deine Werke: du hast den Namen, dass du lebst, und bist tot« (Offb. 3,1). Doch Obgleich diese falschen Propheten die Menschen betrügen, ist dies Gott wohl bekannt: »Ich weiß, dass du von denen geschmäht wirst, die sich Juden nennen, es aber nicht sind, sondern die Synagoge Satans« (Offb. 2,9). Heutzutage nennen sich viele »Christen«, die vom Christentum keine Ahnung haben; sie haben weder Erfahrung darin noch einen solchen Charakter. Heutzutage ist vielenorts der Unterschied von Kirche und Welt ausgelöscht. Wir werden wie Samuel oft vom äußeren Anschein getäuscht und sagen: »Gewiss, das ist ein vom Herrn Gesalbter« (1 Sam 16,6); könnten wir jedoch erkennen, von welchen Motiven jener Mensch geleitet ist, dem wir dieses Urteil ansinnen, so würden wir unsere Auffassung schnell korrigieren. Wir werden trotz bester Vorkehrungen in unserem Urteil oft fehlgreifen. Johannes hat die Auflösung dieses Problems geschildert: »Von uns sind sie ausgegangen, aber sie waren nicht von uns; denn wären sie von uns, wären sie bei uns geblieben. Dies aber ist geschehen, damit offenbar werde, dass sie alle nicht von uns sind« (1. Joh 2,19). Alle, die endgültig abfallen, gehören letztlich in diese Kategorie. Manche Menschen bekennen sich groß zu Jesus, obgleich sie nichts von der Sicherheit und der Wahrheit Christi wissen. Diese Personen können viele ehrliche Nachfolger weit übertreffen, was ihr Kopfwissen anlangt, und eine Zeitlang können sie auch Erwählte verführen, doch die Herzen der Erwählten werden sie nicht bekommen. Am Tag des Gerichts werden viele, die sich äußerlich zur Kirche gezählt haben, sagen: »Herr, Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt, in deinem Namen Dämonen ausgetrieben und in deinem Namen Wunder getan?« Aber Jesus wird ihnen antworten: »Ich habe euch nie gekannt: weicht von mir, ihr Übeltäter« (Mt 22f). Das kann aber nicht die Erwählten treffen, denn sie hat er sehr wohl einmal als Christen gekannt. Wenn jeder Mensch einst als das erscheint, was er wirklich ist, wenn die Geheimnisse der Herzen offenbart werden, dann werden viele, die als Christen aufgetreten sind, als solche offenbar werden, die niemals zu Gottes Volk gehört haben. Andere mögen ihren Glauben verleugnet haben -- von der rettenden Gnade Gottes werden sie niemals fallen. Diejenigen, die tatsächlich abfallen, waren zu keiner Zeit gerettet. Sie sind jene, bei denen auf Felsen gesät war, die keine Wurzeln in sich selbst haben. Eine Zeitlang nehmen sie alles mit Freuden auf, doch wenn Bedrängnisse oder Verfolgung aufkommen, fallen sie ab. Man sagt, sie haben aufgegeben. Man sagt auch, sie haben am Glauben Schiffbruch erlitten, doch sie haben an einem Glauben Schiffbruch erlitten, den sie nie wirklich geteilt haben, außer eben äußerlich. Manche von ihnen mögen ausreichend Licht gehabt haben, die Lehren des Evangeliums zu verstehen, so dass sie sie sogar korrekt an andere weitergeben konnten, und dennoch sind sie alles andere als gerettet. Aus dem Abfall solcher Menschen darf man nicht auf die Verlierbarkeit des Heils schließen! Bloße Kirchenzugehörigkeit ist freilich überhaupt keine Garantie für echtes Christentum. Nicht jedes Mitglied der kämpfenden Kirche wird auch zur triumphierenden Kirche gehören. Um gewisse Ziele zu erreichen, kann man sich etwa zum Evangelium bekennen; auch wird äußerliche Moral vonnöten sein, um den Anschein zu erwecken, dass man zum Volk Gottes gehört. Man gehört eine Zeit lang dazu und scheint echten Glauben zu haben. Doch letztlich wird einem solchen Schaf entweder sein Kleid ausgezogen oder es wirft es selbst von sich und geht zurück in die Welt. Könnten wir ihre wahren Motive erkennen, so erkennten wir auch, dass sie niemals von wahrer Liebe zu Gott in Gang gebracht worden waren. Sie waren zeitlebens Böcke, keine Schafe, räuberische Wölfe, keine Lämmer. Daher sagt Petrus auch von ihnen: »Bei ihnen trifft das wahre Sprichwort zu: >Der Hund kehrt zu seinem Auswurf zurück< und: >Ein Schwein badet und wälzt sich wieder im Schlamm .<.« Damit zeigen sie, dass sie niemals zu den Erwählten gehört haben. Viele Unbekehrte hören mit großem Interesse die Verkündigung des Evangeliums, wie einst Herodes Johannes dem Täufer gelauscht hat. Es heißt: »Denn Herodes hatte Scheu vor Johannes; er kannte ihn als einen gerechten und heiligen Mann und ließ ihn bewachen. Wenn er ihn hörte, war er sehr beunruhigt, trotzdem hörte er ihn aber gern« (Mk 6,20). Niemand aber, der das Leben des Herodes kannte und bedenkt, dass er den Tod des Johannes befohlen hatte, wird je auch die Idee kommen, einen Christen in ihm zu sehen. Man wird anmerken dürfen: Selbst das Licht der Erleuchtung schon, das der Heilige Geist dem Menschen schenkt, reicht aus, um auch im Leben eines Nichtchristen Veränderungen des äußerlichen, religiösen Lebens hervorzubringen. Solche Menschen legen oft ein sehr striktes Verhalten an den Tag und beobachten die religiöse Tradition mit großem Ernst. Der erweckte Sünder liest die Verheißungen des Evangeliums und die Offenbarung des Heilsplans nicht nur als Wahrheit, sondern als seiner Situation durchaus angemessen. Er hat Freude am Evangelium und glaubt einen Glauben, der in der moralischen Wahrheit der evangelischen Aussagen gründet. Solange seine Meinung nicht in andere Richtungen gelenkt wird, wird er diesen Glauben auch bewahren. Wird seine Meinung verändert, so lässt er diesen Glauben zugunsten der früheren Insensibilität der Wahrheit gegenüber wieder fallen. Genau diese Menschen hatte Christus im Blick, wenn er vom Samen sprach, der unter die Dornen und Disteln oder auf das Felsige fällt. Die Bibel selbst enthält zahllose Beispiele dieses unbeständigen Glaubens, und der Alltag kennt sie ebenso sattsam. Solche Erfahrungen gehen echter Bekehrung oft voraus oder begleiten sie, aber in vielen Fällen bleiben sie auch aus. Sie mögen zwar immer wieder einmal auftreten, doch meist gehen jene, die solche temporären Erfahrungen teilen, bald wieder in die Sorglosigkeit und Weltlichkeit zurück. Es kann einem Beobachter, ja, sogar der Person selbst manchmal scheinen, als seien diese Phänomene von echten Früchten gar nicht zu unterscheiden. »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen«, sagt unser Herr. Nur wenn diese Erfahrungen in ein heiliges Leben münden, kann man ihren Charakter erkennen. __________________________________________________________________ 5) Arminianische Unsicherheit Ein echter Arminianer mit seiner Lehre vom "freien Willen" und der Verlierbarkeit des Heils kann sich seines eigenen Heils in diesem Leben niemals sicher sein. Er mag zum gegenwärtigen Zeitpunkt wohl Heilsgewissheit haben, aber ob er dann letztlich auch wirklich gerettet sein wird, das kann er jetzt nicht wissen. Er kann annehmen, seine endgültige Errettung sei sehr wahrscheinlich, aber sicher kann er sich niemals sein. Er hat viele seiner Mitchristen fallen sehen, nachdem sie so gut angefangen hatten. Wie kann er sicher sein, dass ihm dies nicht auch einmal passiert? Solange der Mensch in dieser Welt lebt und die Reste der Sündhaftigkeit ihn immer noch quälen, werden sie auch noch von den verlockendsten und verführerischsten Versuchungen von Welt und Teufel gezogen und betört. In vielen so genannten christlichen Gemeinden hört man falsche Lehren modernistischer und daher unchristlicher Prediger. Wenn der Arminianismus wahr wäre, dann stünden die Christen jederzeit in Gefahr; ihre ewige Sicherheit wäre stets davon abhängig, dass ihr natürlicher, schwacher Wille das Richtige wählt. Darüberhinaus wird der Arminianismus jede Zusicherung von Heiligkeit ablehnen, ja, sie nicht einmal im Himmel anerkennen, denn auch dort habe der Mensch ja immer noch seinen freien Willen und könne theoretisch jederzeit sündigen. Ein Vergleich soll die Situation veranschaulichen. Ein Arminianer hat 100.000 Dollar geerbt. Er weiß, dass es schon vielen, die eine solche Summe geerbt haben, damit übel ergangen ist: einigen ist das Geld geraubt worden, andere haben es verschwendet oder es ist ihnen durch sonst einen Unglücksfall abhanden gekommen. Er selbst meint, das Geld wesentlich klüger und weiser zu verwalten zu können. Seine Sicherheit beruht weitgehend auf Selbstvertrauen. Andere waren dumm, doch er ist zuversichtlich, dass er klüger sein wird. Was für ein Wahn ist das aber, wenn es um geistliche Dinge geht? Wie schade ist das, dass jeder, der über seine Tendenz zu sündigen genau Bescheid weiß, seine Sicherheit aber auf sich selber baut! Er legt seine Sicherheit nicht in die Hände des allmächtigen und unveränderlichen Gottes, sondern baut auf den Willen eines sündigen Menschen! Ist es für das arminianische System nicht logisch, dass es für den Christen am besten wäre, er stürbe in einem »sicheren Augenblick«, da der Schatz, den er sonst verlöre, ja von unendlichem Wert ist? Angesichts der Tatsache, dass so viele abgefallen sind, ist es da klug, leben zu bleiben und die ewige Erlösung zu riskieren, nur um ein wenig länger zu leben? Was dächte man etwa über einen Geschäftsmann, der sein ganzes Vermögen riskiert, nur um ein paar zusätzliche Dollar zu verdienen, noch dazu in einem besonders risikoreichem Geschäft? Folgt daraus nicht, dass der Herr einen Fehler um den anderen macht, wenn er nicht jeden Christen so bald wie möglich zu sich holt, solange er noch wahrer Christ ist? Ich jedenfalls bin sicher: Wäre ich ein Arminianer, so wollte ich so schnell wie möglich sterben, damit meine Erlösung zweifelsfrei fest steht. In geistlichen Dingen ist ein Zustand des Zweifels ein Zustand des Elends. Die Versicherung, dass ein Kind Gottes niemals von der Liebe Gottes getrennt werden kann ist einer der größten Trostgründe des christlichen Lebens überhaupt. Diese Lehre zu leugnen, heißt den Grund zur Freude leugnen, den Christen auf Erden haben. An was soll sich freuen, wer ständig befürchten muss, verführt und betrogen werden zu können? Wenn unser Sicherheitsgefühl nur auf unserer veränderlichen und schwankenden Natur beruht, dann werden wir den inneren Frieden, die innere Ruhe, die den echten Christen charakterisiert, niemals kennen lernen. McFetridge sagt in seinem großartigen Buch Der Calvinismus in der Geschichte: »Ich kann mir den Schrecken gut ausmalen, den eine sensible Seele erleiden muss, wenn sie über ihre Sicherheit so in Zweifel bleiben muss, wenn sie sich ständig ihrer Fehlbarkeit samt der furchtbaren Tatsache bewusst sein muss, von der Gnade fallen zu können, selbst nachdem sie ein langes und entbehrungsvolles Leben hinter sich hat, wie der Arminianismus lehrt. Eine solche Lehre ist für mich voll Schrecken. Ich würde auf immer vor ihr zurückschrecken, da sie mich mit unausgesetzter und unaussprechlicher Ratlosigkeit quälte. Wenn ich auf der Reise über die stürmische und tückische See meines Lebens meine sichere Landung von meiner betrügerischen Natur abhängig machen müsste, erfüllte mich dies mit ständiger Sorge. Ich möchte mich -- wenn möglich -- vergewissern, dass das Schiff, auf dem ich zu reisen gedenke, auch seetauglich ist und mich an mein sicheres Ziel bringen wird« (S. 112). Unsere Sicherheit hängt freilich auch nicht von unserer Ansicht oder von unserer schwachen und schwankenden Liebe Gott gegenüber ab, sondern vielmehr von seiner ewigen und unveränderlichen Liebe zu uns. Darum darf unser Leben als Christ von Frieden und Sicherheit erfüllt sein. Nur der Calvinist, der sich absolut sicher in den Händen Gottes weiß, kann dieses innere Gefühl des Friedens und der Sicherheit überhaupt haben, denn er weiß: Er ist auserwählt von Ewigkeit her; Gott hat entschieden, ihn zu reinigen und ihn zu verherrlichen, und nichts und niemand kann daran etwas ändern. Seine Gerechtigkeit beruht auf einer geistlichen Macht, unerschöpflich und unveränderlich wie die Schwerkraft. Sie ist seiner geistlichen Entwicklung so notwendig wie die Strahlen der Sonne für den Körper. __________________________________________________________________ 6) Der Zweck der biblischen Warnungen gegen Abtrünnigkeit Der Arminianismus führt gerne Stellen an, die vor Abfall warnen, die sich aber eindeutig an Gläubige richten und die daher, so argumentiert er, die Möglichkeit des Abfalls voraussetzen. Selbstverständlich hat er darin recht, dass es einen gewissen Abfall geben kann -- wenn der Mensch im Hinblick auf seine eigenen Kräfte und abseits vom göttlichen Plan betrachtet wird. Es wird auch allgemein zugegeben, dass der Gläubige zeitweise in Sünde fallen kann. Der Hauptzweck dieser Stellen dient aber dazu, den Menschen aufzurufen, den Plan Gottes zu erfüllen. Diese Stellen sollen Anreiz zu beständiger Demut, Wachsamkeit und Sorgfalt sein. Gleicherweise warnen Eltern ihre Kinder davor, auf die Straße zu laufen, weil sie ein Auto überfahren könne; sie wollen ihr Kind schließlich keiner Gefahr aussetzen und sie vor Verletzungen bewahren. Wenn Gott eine Seele mit Furcht vor dem Abfall erfüllt, dann ist das doch kein Beweis, dass Gott in seinem geheimen Plan die Absicht haben könnte, diese Seele tatsächlich abfallen zu lassen! Gerade diese Furcht kann das Mittel sein, das Gott verwendet, um seine Kinder vor dem Straucheln zu bewahren! Auch stehen Gottes Ermahnungen, dies zu tun und jenes zu lassen, in völliger Übereinstimmung mit seiner Absicht, Gnade zu gewähren, um jene Ermahnungen ernst genug nehmen zu können und seine Pflicht erfüllen zu können. Wir werden aufgefordert, Gott mit ganzem Herzen zu lieben. Gott sagt: »Ich werde meinen Geist in euer Inneres legen und bewirken, dass ihr nach meinen Geboten lebt und meine Satzungen gewissenhaft beobachtet« (Ez 36,27). Entweder stimmen diese beiden Aussagen zusammen, oder der Heilige Geist widerspricht sich selbst. Das Letztere ist ausgeschlossen. Drittens sollen diese Warnungen den Christen zu mehr Glauben und Gebet führen. Viertens sind diese Warnungen weniger um des Menschen Fähigkeit wegen geschrieben als vielmehr, ihm seine Pflicht vor Augen zu führen; weniger seine Stärke soll da sichtbar werden, sondern seine Schwäche. Fünftens sollen diese Stellen dem Menschen zeigen, wie sehr ihm an Heiligkeit mangelt und wie sehr er von Gott abhängt. Und sechstens sind sie ein Hemmschuh für Ungläubige: sie lassen sie unentschuldigt. Mehr wird auch nicht durch die Stelle »Bringe mit deiner Speise nicht den ins Verderben, für den Christus gestorben ist!« ausgesagt. Auch 1 Kor 8,11 ist in diesem Licht zu sehen: »So wird der Schwache durch deine Erkenntnis ins Verderben gerissen, der Bruder, für den Christus gestorben ist.« Der Einfluss einer bestimmten Person kann für sich genommen eine Kultur zerstören, wenn es da nicht viele andere und stärkere Einflüsse gäbe, die diese Kultur weiterbestehen lassen. In diesen Bibelstellen wird die Verantwortlichkeit eines Bruders gegenüber seinem Mitchristen hervorgehoben. Er darf ihm kein Stolperstein sein! All dies bezieht sich jedoch nicht auf das ewige Heil des anderen, wenn auch derjenige, der seinem Bruder eben jenen Stolperstein hinwirft, alles tut, um seinen Bruder zu Fall zu bringen. __________________________________________________________________ 7) Schriftbelege Der Schriftbelege für diese Lehre sind viele, und sie sind sehr klar. Ich zitiere einige dieser Stellen: Röm 8,35--39: Wer wird uns trennen von der Liebe Christi? Bedrängnis oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Es steht ja geschrieben: »Deinetwegen werden wir täglich hingemordet, werden Opferschafen gleichgeachtet.« Aber in all dem bleiben wir siegreich in dem, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch Kräfte, weder Hohes noch Niederes noch sonst etwas Erschaffenes vermag uns von der Liebe Gottes zu scheiden, die da ist in Christus Jesus, unserem Herrn. Röm 6,14: Denn die Sünde hat keine Macht mehr über euch. Ihr steht ja nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade. Joh 6,47: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, hat ewiges Leben. Joh 5,24: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat ewiges Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist schon vom Tod zum Leben hinübergegangen. In dem Moment, in dem jemand zum Glauben kommt, wird dieses ewige Leben Realität für ihn, ein gegenwärtiger Besitz, keine Bedingung, die ihre Gabe erst in der Zukunft erhält. Joh 6,51: Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird leben in Ewigkeit. Und das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch für das Leben der Welt. Hier wird nicht gesagt, dass wir oft essen müssen, sondern dass wir ewiges Leben haben, wenn wir es essen. Joh 4,14: Wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, den wird in Ewigkeit nicht mehr dürsten. Vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zu einer Quelle Wassers, das fortströmt ins ewige Leben. Phil. 1,6: Ich vertraue darauf, dass der, der das gute Werk in euch begonnen hat, es auch vollenden wird bis zum Tag Christi Jesu. Ps 138,8: Mir zum Heil vollführt es der Herr. -- Herr, ewig währt dein Erbarmen. Röm 11,29: Denn Gottes Gnadengaben und Berufung sind unwiderruflich. 1. Joh 5,11: Und darin besteht das Zeugnis, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben in seinem Sohn ist. 1. Joh 5,13: Das habe ich euch geschrieben, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt. Hebr. 10,14: Mit dem einmaligen Opfer hat er ein für allemal die zur Vollendung geführt, die geheiligt werden. 2 Tim 4,18: Bewahren wird mich der Herr vor allem Bösen und mich in sein himmlisches Reich retten. Ihm sei Ehre in alle Ewigkeit! Amen. Röm 8,29f: Denn die er vorher erkannt [170] hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden. Er sollte der Erstgeborene unter vielen Brüdern sein. Die er aber vorherbestimmt hat, die hat er auch berufen, und die er berufen hat, die hat er auch gerechtfertigt, und die er gerechtfertigt hat, die hat er auch verherrlicht. Eph 1,5: Er hat uns nach seinem freien Willensentschluss durch Jesus Christus zu seinen Kindern vorherbestimmt. Jesus hat gesagt: Joh 10,28f: Ich schenke ihnen (den wahren Nachfolgern oder »Schafen«) ewiges Leben; sie werden in Ewigkeit nicht verlorengehen, und niemand wird sie meiner Hand entreißen. Mein Vater, der sie mir gegeben hat, ist mächtiger als alle; niemand kann sie der Hand meines Vaters entreißen. Hier sehen wir: Unser Heil und Gottes Allmacht sind von gleicher Gewissheit. Gott ist mächtiger als diese Welt; weder Menschen noch Teufel können ihm auch nur einen seiner kostbaren Juwelen rauben. Genauso gut könnte man einen Stern vom Himmel herunterreißen. Das Heil seiner Kinder steht in Seiner unbezwingbaren Macht; seine Kinder stehen jenseits der Gefahr endgültiger Zerstörung. Wir haben das Versprechen Christi, dass die Tore der Hölle seine Gemeinde nicht überwinden werden, doch wenn der Teufel vielenorts Beute machte, ja manchenorts gar ganze Gemeinden verschlingen könnte, dann hätten die Tore der Hölle die Gemeinde Christi zu großen Teilen verschlungen! Kann einer fallen, so können alle fallen -- dann aber wären die Aussagen Jesu Christi nichts als leere Worte. Wenn gesagt worden ist: »Es werden falsche Messiasse und falsche Propheten auftreten und große Zeichen und Wunder tun, um -- wenn möglich -- selbst die Auserwählten irrezuführen« (Mt . 24,24), so wird der vorurteilsfreie Verstand eines Gläubigen daraus schließen, dass es unmöglich ist, die Auserwählten zu deren Verderben irrezuführen. Die unio mystica zwischen Christus und dem Gläubigen garantiert dessen Beharren: »... weil ich lebe, und auch ihr leben werdet« (Joh 14,19). Die Auswirkung dieser Vereinigung ist die Teilnahme des Gläubigen am ewigen Leben. Christus ist in uns (Röm 8,10). Nicht wir leben, sondern Christus lebt in uns (Gal. 2,20). Der Gläubige hat sein Leben mit Christus, genauso wie die Reben ihr Leben am Weinstock haben. Der Heilige Geist wohnt den Erlösten so ein, dass jeder Christ aus einem unerschöpflichen Reservoir an Kraft schöpfen kann. Paulus warnte die Epheser: »Betrübt nicht Gottes Heiligen Geist, mit dem ihr für den Tag der Erlösung versiegelt seid« (Eph 4,30). Nicht Abfall vom Glauben befürchtete er, denn er sagte ganz zuversichtlich: »Aber Dank sei Gott! Er lässt uns allezeit in Christus triumphieren und durch uns den Duft seiner Erkenntnis allerorts verbreiten« (2 Kor 2,14). Der Herr sagte durch den Propheten Jeremia: »Mit ewiger Liebe liebe ich dich!« (Jer 31,1) -- dies ist einer der besten Beweise, dass Gottes Liebe weder Anfang noch Ende hat, sondern ewig ist. Im Gleichnis mit den zwei Häusern liegt die Betonung auf dem sicheren Stand des Hauses auf dem Felsen (= Christus), auch wenn die Stürme des Lebens darüber hinwegbrausen. Der Arminianismus stellt nun ein ganz anderes System auf, denn seine Häuser können auch dann einstürzen, wenn sie auf dem Felsen gebaut sind. Im 23. Psalm lesen wir: »Und ich werde bleiben im Hause des Herrn für immer.« Der wahre Christ ist kein Zaungast, sondern ein Bewohner des Hauses des Herrn. Wie berauben jene diesen Psalm seiner tieferen und reicheren Bedeutung, die da lehren, dass Gottes Gnade nur eine kurzfristige Leihgabe sei! Christus selbst setzt sich für sein Volk ein (Röm 8,34; Heb. 7,25), und wir wissen, dass Gott ihn immer erhört (Joh 11,42). Der Arminianismus behauptet, ein Christ könne auch wieder endgültig abfallen. Er muss eine von beiden Stellen leugnen: entweder muss er leugnen, dass sich Christus für seine Leute einsetzt oder er muss leugnen, dass Er von seinem Vater erhört wird. Wir wollen an dieser Stelle bedenken, welche Sicherheit wir haben: Christus sitzt zur Rechten Gottes und setzt sich für uns ein; zusätzlich stützt uns auch der Heilige Geist, der uns mit unaussprechlichem Seufzen vertritt (Röm 8,26). In Jer 32,40 verspricht Gott mit herrlichen Worten, wie sehr er seine Gläubigen vor dem Abfallen bewahren will: »Ich werde einen ewigen Bund mit ihnen schließen und nie von ihnen ablassen, ihnen Gutes zu tun. Ich will ihnen Ehrfurcht vor mir ins Herz legen, dass sie nicht von mir weichen.« Hesekiel verspricht, ihnen ihr »steinernes Herz« gegen ein »Herz aus Fleisch« einzutauschen, so dass sie nach seinen Geboten leben und seine Gebote halten: auf diese Weise sind sie sein Volk und er ihr Gott (Ez 11,19f). Petrus sagt uns genau, dass die Kinder Gottes nicht abfallen können: » ... die ihr in der Kraft Gottes durch den Glauben für das Heil bewahrt werdet, das am Ende der Zeit offenbar werden soll« (1 Petr 1,5). Und Paulus sagt: »Gott hat die Macht, euch jegliche Gabe in Fülle zukommen zu lassen, dass ihr an allem allzeit genug und noch Überfluss habt, um gute Werke aller Art zu tun« (2 Kor 9,8). Er erklärt, dass der Diener des Herrn stehen bleiben wird, denn »der Herr ist mächtig genug, ihn aufrecht zu halten« (Röm 14,4). Christen haben darüber hinaus das Versprechen: »Gott ist treu. Er lässt euch nicht über eure Kräfte versuchen, sondern schafft mit der Versuchung auch den guten Ausgang, dass ihr sie bestehen könnt« (1 Kor 10,13). Gott hält viele Versuchungen aus reiner Gnade zurück, Versuchungen, die für seine Kinder zu stark wären. Die Versuchungen, die sie erdulden müssen, sind Teil seiner Vorsehung; er allein bestimmt das Maß. »Treu ist aber der Herr; er wird euch stärken und vor dem Bösen bewahren« (2 Thess 3,3). »Die ihn fürchten, umschirmt der Engel des Herrn und schafft ihnen Rettung« (Ps 34,8). Inmitten all seiner Prüfungen und Trübsale konnte Paulus sagen: »Allenthalben werden wir bedrängt, doch nicht erdrückt; zweifelnd, aber nicht verzweifelnd, verfolgt, aber nicht im Stich gelassen, niedergeworfen, aber nicht vernichtet. Wir wissen ja: Der den Herrn Jesus auferweckt hat, wird auch uns mit Jesus auferwecken und mit euch vor sich stellen« (2 Kor 4,8.9.14). Die Heiligen werden selbst in dieser Welt als Bäume bezeichnet, die nicht verwelken (Ps 1, 3); sie werden mit den Zedern am Libanon verglichen (Ps 92,13). Sie sind wie der Berg Zion, der nicht versetzt werden kann, sondern für immer bestehen bleibt (Ps 125,1) und wie ein Haus, das auf einem Felsen errichtet worden ist (Mt 7,24). Der Herr ist bei ihnen auch im Alter (Jes 46,4) und begleitet sie bis in den Tod (Ps 48,15). Auf diese Weise können sie nimmermehr verlorengehen. Da ist aber noch ein anderes, starkes Argument: das Buch des Lebens des »Lammes«. Die Jünger sollten sich nicht so sehr darüber freuen, dass ihnen die Dämonen gehorchten, sondern dass ihre Namen im Buch des Lebens geschrieben stehen, über welches das Lamm verfügt. Dieses Buch enthält eine Liste der Erwählten, vorherbestimmt vom unveränderlichen Rat Gottes: Kein Name kann ausgelöscht, und kein Name kann hinzugefügt werden. Hier finden sich die Namen der Gerechten, aber die Namen derer, die verlorengehen, haben von Grundlegung der Welt an niemals darin gestanden! Gott macht doch nicht den Fehler und schreibt Namen hinein, die er dann wieder ausradieren muss! Daher wird niemand, der dem Herrn gehört, je wieder ausgelöscht werden. Jesus sagte seinen Jüngern, dass der Hauptgrund ihrer Freude genau darin bestehen soll, dass ihre Namen im Himmel angeschrieben seien (Lk 10,20); es wäre wahrlich wenig Grund zur Freude gewesen, wenn sie anderntags wieder hätten ausgelöscht werden können. Paulus schrieb den Philippern: »Unsere Bürgerschaft ist im Himmel!« (Phil. 3,20). Dem Timotheus schrieb er: »Der Herr kennt die Seinen« (2 Tim 2,19). Was die Schrift über das Buch des Lebens sagt, kann an folgenden Stellen nachgeschlagen werden: Lk 10,20; Phil. 4,3; Offb. 3,5; 14,18; 17,8; 20,12--15; 21, 27. Das alles sind einfache und klare Aussagen darüber, dass der Christ unter der Gnade bleibt. Der Grund dafür ist Gott allein; Gott allein wird ihn im Stand dieser Gnade bewahren. Mit diesen Versprechen sind die Erwählten von beiden Seiten abgesichert. Nicht nur wird Gott sie nicht verlassen, sondern er wird ihnen jene Furcht ins Herz geben, dass sie auch nicht von Ihm weichen. Kein wirklich geistlicher Christ kann an dieser biblischen Lehre zweifeln. Es scheint, dass der Mensch in seiner Armut, in seiner Zerschlagenheit und Ohnmacht eine Lehre sehr willkommen heißen muss, die ihm die Sicherheit der ewigen Seligkeit trotz aller Angriffe von außen und auch trotz aller teuflischen Tendenzen seines eigenen Herzens zusichert. Doch so ist es gerade nicht: Er lehnt sie ab, ja, bestreitet sie gar noch! Der Grund für dieses Verhalten ist nicht schwer einzusehen. Erstens vertraut er am liebsten sich selbst, und das ganz zuunrecht. Zweitens ist dieser Plan so konträr zu dem, was er von der Natur her kennt, dass er davon überzeugt ist: er kann nicht stimmen. Und drittens fühlt er genau: wenn diese Lehre stimmt, so stimmen die anderen logischerweise auch. So räsoniert und erklärt er die Bedeutung dieser Schriftstellen hinweg, die all dies lehren und wählt ein paar andere, die -- oberflächlich gesehen -- seine vorgefasste Meinung zu stützen scheinen. Tatsächlich ist ein Lehrgebäude, das reine Gnaden-Erlösung vorsieht, seiner Erfahrung im Alltag zuwider; täglich sieht er ja, wie alles und jedes nach Werk und Verdienst geschieht, so dass er große Schwierigkeiten hat, eine solche Lehre für wahr zu halten. Er wünscht, an seiner eigenen Errettung irgendwie teilzuhaben zu können und jedes seiner mickrigen Werke hoch belohnt zu sehen. __________________________________________________________________ [170] Man wird sich daran erinnern, dass dieses "Erkennen" kein simples "In-die-Zukunft-blicken" bedeutet, sondern erwählen bedeutet (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XV __________________________________________________________________ Bekannte Einwände gegen die Lehre von der Vorherbestimmung __________________________________________________________________ Einwand 1: Sie sei nichts als Fatalismus Die christliche Lehre von der Vorherbestimmung wird oft mit dem Fatalismus gleichgesetzt. Dadurch entsteht kein geringes Missverständnis. Zwischen diesen beiden Anschauungen gibt es tatsächlich nur einen einzigen Punkt der Ähnlichkeit: beide Ansichten sind davon überzeugt, dass alles, was die Zukunft betrifft, völlig feststeht. Der wesentliche Unterschied zwischen den beiden Sichten ist aber, dass der Fatalismus keinen Platz für einen persönlichen Gott hat. Die Lehre von der Vorherbestimmung besagt, dass das Künftige geschieht, weil es ein unendlich weiser, mächtiger und heiliger Gott so gefügt und bestimmt hat. Der Fatalismus dagegen sieht als Verursacher nichts als eine blinde, dumpfe, unpersönliche und amoralische Kraft, die von physikalischer Notwendigkeit nicht unterschieden werden kann. Diese Kraft reißt uns mit wie ein mächtiger Strom ein Stückchen Holz mitreißt. Die Prädestinationslehre besagt, dass Gott von Ewigkeit her einen Plan verfolgt und dass er dafür sorgt, dass dieser Plan in allen Einzelheiten ausgeführt wird -- das ist unsere Weltgeschichte. Sie besagt auch, dass alle seine Beschlüsse vernünftig festgelegt und völlig klar durchdacht sind. Er hat ein Ziel festgesetzt, auf das sich die ganze Schöpfung zubewegt. Sie besagt weiter, dass das große Ziel dieses Plans in erster Linie die Herrlichkeit Gottes ist. Das zweite ist das Heil seines Volkes. Der Fatalismus kennt so etwas wie ein letztes Ziel dagegen nicht. Er reißt die Zügel der Herrschaft aus den Händen der unendlichen Weisheit und Liebe und legt sie in die Hände der blinden Notwendigkeit. Der Lauf der Natur und die Erfahrung des Menschen sind nichts als Phänomene einer unwiderstehlichen Macht, gegen die zu kämpfen aussichtslos ist und gegen die zu klagen einen Akt der Infantilität darstellt. Die Prädestinationslehre tastet weder die Freiheit noch die Verantwortlichkeit des Menschen an. Gott hat die menschliche Freiheit mitten in die Gewissheit hinein gestellt. Der Fatalismus kennt keine Wahlmöglichkeit, keine Selbstbestimmung. Im Fatalismus entziehen sich alle Handlungen der Menschen ihrer Kontrolle, sie sind nichts als von Naturgesetzen bestimmt. Der Fatalismus kennt demzufolge auch keinerlei Moral, während die Prädestinationslehre die Ethik geradezu zum Regelwerk Gottes und des Menschen macht. Der Fatalismus hat keinen Platz für religiöse Anreize; Liebe, Gnade, Heiligkeit, Gerechtigkeit oder Weisheit müssen ihm notwendig fremd bleiben. Die Prädestinationslehre dagegen liefert die stärkste denkbare Basis dafür. Der Fatalismus muss letztlich zu Skepsis und Verzweiflung führen. Nicht so die Prädestination: aus ihr heraus entwickelt sich die Herrlichkeit Gottes und seines Königreiches in all seiner Schönheit erst; sie erst gibt jene unerschütterliche Sicherheit. Die Prädestination unterscheidet sich vom Fatalismus, wie sich die Handlungen eines Menschen von den »Handlungen« einer Maschine unterscheiden oder wie die Liebe des himmlischen Vaters sich von der Schwerkraft unterscheidet. »Sie offenbart uns die herrliche Wahrheit, dass sich unser Leben und all unser Fühlen nicht in den riesigen Zahnrädern eines unbarmherzigen Schicksals oder in blindem Zufall befinden, sondern in den Händen eines unendlich guten, weisen und allmächtigen Gottes.« [171] Calvin hat sich heftig gegen einen Vergleich der Prädestinationslehre mit dem Fatalismus gewehrt: »Das Schicksal ist ein Begriff, der von den Stoikern für ihre Lehre von der Notwendigkeit eingeführt worden ist. Sie haben diese Lehre aus einem Labyrinth widersprüchlicher Vernünfteleien ersonnen; (es ist dies) eine Lehre, die selbst Gott dem Schicksal unterordnet und ihm die Gesetze vorschreibt, nach denen er sich richten muss. Prädestination dagegen definiere ich so, wie ich sie aus den Heiligen Schriften sehe: hier betrifft der freie und ungehinderte Ratschluss Gottes, mit dem er die Menschheit regiert, Menschen und Dinge gleichermaßen; alle Teile dieser Welt unterstehen seiner unendlichen Weisheit und unausforschlichen Gerechtigkeit. ... Hättet ihr meine Bücher genauer gelesen, dann wäret ihr sofort überzeugt gewesen, wie sehr ich den profanen Ausdruck >Schicksal< ablehne: vielmehr hättet ihr gesehen, dass dieser horrende Ausdruck dem Augustin von seinen Feinden in den Mund gelegt worden war.« [172] Luther sagt, die Tatsache, dass der Fatalismus den Heiden bekannt ist, sei ein Beweis dafür, »dass im einfachen Volk nicht minder das Wissen um die Vorherbestimmung und das Vorherwissen Gottes als die Gottesvorstellung selbst geblieben ist.« [173] Der Fatalismus ist in sich unlogisch. Man müsste denken: »Wenn ich heute sterben müsste, dann brauche ich nichts zu essen, denn ich sterbe sowieso. Wenn ich aber noch viele Jahre leben werde, dann brauche ich ab jetzt auch nicht mehr zu essen, da ich ja ohnehin leben werde.« Es braucht nicht erwähnt zu werden, dass Gottes Vorherbestimmung, dass der Mensch leben wird, einschließt, dass er sich nicht zu Tode hungert. Hamilton sagt: »Die Prädestinationslehre gleicht dem heidnischen Schicksal nur oberflächlich. Der Christ ist nicht in den Händen eines kalten, unveränderlichen Determinismus, sondern in den Händen eines freundlichen, liebenden, himmlischen Vaters, der ihn so sehr geliebt hat, dass er seinen Sohn für ihn nach Golgatha geschickt hat! Der Christ weiß, dass >alle Dinge zum Besten dienen denen, die Gott lieben; denen, die nach seinem Vorsatz berufen sind.< Der Christ kann auf Gott vertrauen, weil er weiß, dass Er weise, liebend, gerecht und heilig ist. Er sieht das Ende von Beginn an, so dass er nicht in Panik geraten muss, wenn die Dinge aus dem Ruder zu laufen scheinen.« [174] Nur jemand, der die Prädestinationslehre nicht genau studiert hat oder jemand, der ihr von vornherein negativ gegenübersteht, kann sie mit dem Fatalismus verwechseln! Jemand, der den Unterschied aber kennt, hat keine Entschuldigung mehr, wenn er sie dennoch durcheinander bringt! Das Universum ist eine Einheit mit System -- das geht nicht ineins mit dem Fatalismus, der mit Geist, Verstand, Ziel und Zweck nichts am Hut hat. Die biblische Lehre der Prädestination sagt klar: Gott hat alle Dinge geschaffen, seine Vorsehung umfasst alle seine Werke und er hat uns als freies Wesen selbst zu freien Wesen gemacht -- innerhalb unserer natürlichen Grenzen. Unsere Lehre von der Prädestination ist nicht nur nicht mit dem Fatalismus zu verwechseln, sondern ist sogar ihr absolutes Gegenteil und einzige Alternative. __________________________________________________________________ [171] E. W. Smith, The Creed of Presbyterians, S. 167. [172] Calvins Calvinism, The Secret Providence of God, Calvins Calvinism, S. 261, 262. Das Dokument kann unter [4]http://www.the-highway.com/calvin's_calvinism_index.html geladen werden (A. d. Ü.). [173] Martin Luther, Vom unfreien Willen (1525). [174] Boettner gibt die Quelle nicht an. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XVI __________________________________________________________________ Einwand 2: Sie widerspreche der Freiheit und der Verantwortlichkeit des Menschen __________________________________________________________________ 1) Das Problem der menschlichen Freiheit Das Problem, dem wir uns nun widmen, lässt sich so darstellen: Wie kann ein Mensch gleichzeitig in seinen Handlungen frei sein und dennoch dafür verantwortlich sein, wenn alles, was er tut, von Ewigkeit her vorbestimmt ist? Wenn ich sage »frei« und »verantwortlich«, dann meine ich damit eine intelligente Person, die aus vernünftiger Selbstbestimmung handelt. Unter Vorherbestimmung verstehe ich, dass Gott von Ewigkeit her den Lauf der Geschehnisse festgelegt hat; dies betrifft nicht nur jedes einzelne Leben, sondern genauso jeden Akt in der Natur. Gleich zu Beginn muss eingeräumt werden, dass ich damit nicht meine, menschliche Handlungen unterlägen irgendeinem Zwang. Der Mensch handelt ganz in Übereinstimmung mit seinen Neigungen und seinem Willen, sonst könnte er dafür ja nicht verantwortlich gemacht werden. Wenn die Handlung an sich ein zufälliger und ungewisser Akt wäre, dann wäre damit klar, dass die Freiheit des Menschen mit der Prädestination unvereinbar wäre. Der denkende Mensch, der davon überzeugt ist, dass die Existenz alles Seins und alles Seienden von einer gigantischen Macht gesteuert wird, muss sich freilich fragen: Inwiefern kann der endliche Wille des Menschen Teil der souveränen Herrschaft Gottes sein? Die einzige Lösung dieser überaus schwierigen Frage: Wie kann die Souveränität Gottes mit der menschlichen Freiheit koexistieren? kann nicht darin bestehen, eines dieser beiden Dinge zu leugnen, sondern diese beiden Sachverhalte so konvergieren zu lassen, dass keinem etwas von seinem Wert oder seinem Gewicht geraubt wird. Die Überlegenheit hat freilich die göttliche Souveränität in ihrer unendlichen Überlegenheit über das sündige Geschöpf Mensch. Der gleiche Gott, der alle Dinge vorherbestimmt hat, hat der menschlichen Freiheit einen Platz mitten unter all diesen Dingen eingeräumt; sie existiert wie alles andere auch. Der Mensch ist weder Marionette noch Maschine. Der göttliche Plan birgt in seiner Unendlichkeit Variation und Komplexität, die von Ewigkeit zu Ewigkeit sind; er um- fasst Abermillionen Individuen, deren Handlungen zueinander in Beziehung stehen. Gott hat vorherbestimmt, dass seine Geschöpfe die Handlungsfreiheit unter seiner souveränen Herrschaft behalten sollen. Er hat nicht versucht, uns das zu erklären, und unser begrenzter Verstand wäre auch gar nicht in der Lage, jene Komplexität zu erfassen. Die Schreiber der Bibel zögerten nicht, die absolute Herrschaft und den unumschränkten Einfluss Gottes auch über die Gedanken und Absichten der Menschen zu bekräftigen; es brachte sie in keinerlei Verlegenheit, die Handlungsfreiheit des Menschen mit dem allumfassenden Plan Gottes zusammenzudenken. Die Autoren des Westminster-Bekenntnisses anerkannten ganz klar die Handlungsfreiheit des Menschen, denn sofort, nachdem sie erklärt hatten: »Gott hat von aller Ewigkeit her nach dem vollkommen weisen und heiligen Ratschluss seines eigenen Willens uneingeschränkt frei und unveränderlich alles angeordnet, was auch immer geschieht,« haben sie sofort hinzugefügt: »doch so, dass Gott dadurch weder Urheber der Sünde ist noch dem Willen der Geschöpfe Gewalt angetan, noch die Freiheit oder Möglichkeit der Zweitursachen aufgehoben, sondern vielmehr in Kraft gesetzt werden.« [175] Obwohl der Mensch der Urheber seiner Taten bleibt, sind diese doch in gewissem Maß vom Wirken und Handeln der göttlichen Macht und deren Gesetzmäßigkeiten abhängig. Man kann diesen Sachverhalt einem Mann vergleichen, der sich vornimmt, ein Haus zu bauen. Nachdem er einen Plan erstellt hat, bestellt er die Maurer, Maler, den Installateur usw., die die Arbeit ausführen. Diese Männer werden nicht dazu gedrängt, das Haus zu bauen. Es wird keinerlei Zwang auf sie ausgeübt. Der Eigentümer sorgt quasi nur für den geeigneten finanziellen Anreiz, die Arbeitsbedingungen und sonstige Umstände. Sind sie festgelegt, so wer- den die Handwerker frei und ungezwungen an ihr Handwerk gehen. Sie werden genau nach Plan vorgehen. Der Bauherr ist die »erste Ursache« des Hauses, die Handwerker stellen die »Zweitursachen« dar, indem sie dem Plan folgen und das Haus tatsächlich bauen. Wie oft beeinflussen wir nicht auch die Handlungen unserer Mitmenschen, ohne sie irgend in ihrer Freiheit oder ihrer Verantwortlichkeit zu beschränken? Ähnlich, nur in unendlich größerem Maß kann auch Gott unser Handeln dirigieren. Sein Wille zum Geschichtsverlauf ist die Erstursache, der menschliche Wille die Zweitursache: beide harmonieren perfekt. In einem gewissen Sinn könnten wir sagen, das Reich Gottes sei demokratisch, so paradox das auch klingen mag. Das wesentliche Prinzip einer Demokratie besteht im »Konsens der Regierenden«. Selbstverständlich ist der Himmel ein Königreich, und Gott ist der unumschränkte Herrscher, und dennoch wird auf der Basis von Übereinkunft regiert: Der Himmel zwingt seine Kinder nicht zum Glauben, sondern beeinflusst sie derart, dass sie von selbst dahin wollen und das Evangelium willig akzeptieren. Die Gläubigen haben Freude daran, den Willen Gottes auszuführen. __________________________________________________________________ [175] WB, Art. 3.1. __________________________________________________________________ 2) Dieser Einwand betrifft auch das Vorherwissen Wir müssen bedenken, dass der Einwand, der freie Wille widerspreche der Vorherbestimmung, ganz gleichermaßen auch einen Einwand gegen das Vorherwissen Gottes darstellt. Wenn Gott ein Ereignis als zukünftig vorhersieht, dann muss es ja so gewiss geschehen, als ob es vorherbestimmt wäre; wenn das eine mit der Handlungsfreiheit des Menschen nicht vereinbar ist, dann ist es das andere auch nicht. Das wird sogar oft freimütig zugegeben; die Unitarier etwa sind da in ihrer Logik wesentlich stimmiger als der Arminianismus, obgleich man die Unitarier nicht >evangelisch< wird nennen dürfen. Sie sagen, Gott wisse alles, was wissbar sei, aber die Handlungen freier Menschen seien ungewiss; es entehre Gott nicht, wenn man behauptet, diese Handlungen könne selbst er nicht vorherwissen. Wir sehen aber, dass die Bibel viele Geschehnisse genau vorhersagt, große wie kleine. Diese Geschehnisse sind aber gerade durch die Handlungen freier Menschen eingetroffen! Normalerweise wissen die Menschen gar nicht, dass sie Teil der jeweiligen Prophezeiung sind, die sie zu erfüllen im Begriff stehen. Sie haben aus freien Stücken gehandelt, obwohl ihre Handlungen exakt vorausgesagt worden waren. Ein paar Beispiele: die Ablehnung Jesu seitens der Juden, das Zerteilen des Gewandes Jesu und der Loswurf der römischen Soldaten; die Verleugnung des Petrus, das Krähen des Hahnes, der Speerstich in die Seite Jesu, die Gefangennahme und Wegführung der Bürger Jerusalems, die Zerstörung Babylons usw. usf. Die Schreiber der Bibel jedenfalls zweifelten nicht an der Fähigkeit Gottes, jene freien menschlichen Akte vorherzusehen; im Gegenteil: sie waren sicher, dass sich alles wie vorausgesagt ereignen wird. Dass Gott im Voraus wusste, was Judas und Petrus tun würden, tat deren Freiheit keinen Eintrag -- sie selbst wären keinesfalls dieser Meinung gewesen, denn Judas sagt sogar später: »Ich habe gesündigt, in dem ich unschuldiges Blut verraten habe«, und als Petrus den Hahn krähen hörte, erinnerte er sich an das, was Jesus gesagt hatte, ging hinaus und weinte bitterlich. Was Jesu triumphalen Einzug in Jerusalem betrifft, heißt es: »Das verstanden seine Jünger anfangs nicht. Als aber Jesus verherrlicht war, da kam es ihnen zum Bewusstsein, dass dies von ihm geschrieben stand und dass sie dabei mitgewirkt hatten« (Joh 12,16). Nur weil wir im Voraus wissen, dass ein gerechter Richter jede Bestechung ablehnen wird und dass ein Geizhals den Klumpen Gold wohl kaum aus der Hand geben wird, heißt das noch lange nicht, dass dieses Wissen irgendeinen Einfluss auf die Natur des Handelnden oder auf seine Freiheit hat. Wenn schon wir mit unserem begrenzten Wissen oft aufgrund der vorhergesehenen Einflüsse und aufgrund der Kenntnis eines Charakters ziemlich genau voraussagen können, was eine Person unter gegebenen Umständen tun wird, wie sollte dann Gott, der alle Menschen auf das Genaueste kennt, dazu auch alle Einflüsse und Umstände, wie sollte dann Gott nicht genau vorhersehen, was auch immer geschehen wird? Das Vorauswissen einer Handlung widerstreitet also keineswegs der inneren Logik menschlichen und freien Handelns. Wäre das anders, so könnte auch Gott nicht wissen, was geschehen wird. Das Vorherwissen verursacht die zukünftigen Ereignisse ja nicht, sondern weiß sie im Voraus; zu behaupten, Gott wisse ein ungewisses Ereignis zum Voraus, ist unlogisch. Entweder sind die zukünftigen Ereignisse gewiss, und dann weiß sie Gott auch voraus, oder sie sind es nicht, und dann kann sie auch Gott nicht vorhersehen. Vorherwissen und Vorherbestimmung stehen und fallen miteinander. __________________________________________________________________ 3) Gewissheit ist mit menschlicher Freiheit völlig vereinbar Aus dem bisher gesagten folgt nicht, dass der Mensch nicht auch hätte anders handeln können. Er hätte anders handeln können, wenn er sich anders entschieden hätte. Oft kann der Mensch so handeln, wie er gewiss nicht handeln wird; genauso kann er Abstand nehmen von einer sonst vorhersagbar sicheren Handlungsweise. Das heißt nichts anderes, als dass kein äußerer Zwang auf ihn ausgeübt wird. Unsere Handlungen harmonieren mit dem göttlichen Beschluss nicht auf die Weise, dass wir nicht auch anders handeln könnten, ja dies manchmal sogar sollten! Die Vorsehung »erlaubte« Judas und seinen Komplizen, nach ihren Absichten zu handeln -- und sie handelten gemäß ihrer bösen Neigung. So konnte sie Petrus des Verbrechens schuldig sprechen bei gleichzeitiger Erklärung, dass sie nach dem vorherbestimmten Rat und Wissen Gottes gehandelt hatten: »Den habt ihr nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorherwissen ausgeliefert und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet« (Apg 2,23). Es kann noch auf andere Art und Weise gezeigt werden, inwiefern die Vorherbestimmung mit der Freiheit menschlichen Handelns übereinstimmt. Wir wissen genau, wie wir unter gegebenen Umständen handeln werden, wenn wir die Freiheit dazu haben werden. Eine Mutter weiß ganz gewiss: Wenn ihr Kind in Bedrängnis kommt, so wird sie ihm zur Hilfe eilen, und zwar ganz und gar aus freiem Willen! Gott ist >frei<, doch wird er ganz gewiss immer gerecht handeln. Auch die heiligen Engel und die Erlösten im Himmel handeln völlig frei [176] , Obgleich eines gewiss ist: sündigen werden sie nimmermehr, da für sie sonst keines Bleibens mehr im Himmel wäre. Genauso sicher ist, dass der Teufel und seine Engel genauso wie die Verlorenen sündigen werden, und zwar ganz aus freiem Willen. Ein Vater mag wissen, wie sich sein Sohn unter gegebenen Umständen verhalten wird. Er nimmt gezielt Einfluss auf diese Umstände und »determiniert« damit gewissermaßen das Handeln seines Sohnes; der Sohn wird dennoch ganz aus freien Stücken handeln. Wenn er seinen Sohn dazu bringen will, Medizin zu studieren, dann wird er ihn schon früh dazu ermutigen; er wird ihm entsprechende Bücher empfehlen und ihn davon zu überzeugen suchen, solche Literatur zu lesen; er wird ihn auf die entsprechende Schule schicken und so die Umstände arrangieren, um zu seinem Ziel zu gelangen. In derselben Weise, nur freilich von keinerlei Umstand beschränkt, steuert auch Gott unsere Handlungen, und doch bleiben wir ganz und gar frei. Sein Beschluss bringt die menschlichen Handlungen nicht hervor, sondern stellt nur sicher, dass sie sich so ereignen; derselbe Beschluss, der die Gewissheit des menschlichen Handelns sicherstellt, sichert auch die Freiheit menschlichen Handelns. __________________________________________________________________ [176] Die Redensart "aus freiem Antrieb handeln" verrät schon viel darüber, dass auch der freie Wille seine Beweggründe hat. Die Neigungen des Menschen sind die Determinanten seines Handelns (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ 4) Der menschliche Wille ist unter die Sünde versklavt Genau gesagt besteht die Freiheit des menschlichen Willens darin, dass sie keinem Zwang unterliegt, sich also nicht mit seinem Willen überschneidet und damit auch seine Entscheidungsfreiheit nicht antastetet. Damit bleibt er auch für sein Handeln verantwortlich. Er kann als gefallenes Wesen nur eine Freiheit haben: die »Freiheit der Sklaverei.« Er ist der Sünde versklavt und folgt ganz automatisch und natürlicherweise den Zielen Satans. Er hat keinerlei Fähigkeit oder inneren Antrieb, Gott zu folgen. Kann man dies denn »frei« nennen? Die Antwort darauf lautet: Nein. Der Ausdruck »freier Wille« sollte besser durch den Begriff »Selbstwille« [177] ersetzt werden: Dieser Ausdruck beschreibt den Zustand des gefallenen Menschen besser. Es muss daran erinnert werden, dass der Mensch nicht so geschaffen worden ist, sondern dass er aus eigener Schuld in jenen Zustand geraten ist; mit dem Verlust dieser ursprünglichen Freiheit aber ist die Verantwortlichkeit nicht auch verloren gegangen! Wenn die Erlösung des Menschen einst völlig abgeschlossen sein wird, wird er ganz spontan und ständig dem Willen Gottes entsprechen, genau wie die Engel; er wird aber zu keiner Zeit sein eigener Herr sein. Es kann nicht geleugnet werden, dass genau dies die Lehre Luthers war. In seinem Buch Vom unfreien Willen verfolgt er das Ziel, zu zeigen, dass der Wille des Menschen in seinem natürlichen Zustand ganz unter die Sünde versklavt ist; dass er sich trotz dieser Vernarrtheit in seinen Zustand frei wähnt, erklärt Luther so: »Was der Mensch auch tut, tut er notwendig, doch ohne dass er dabei Zwang empfindet; er kann nur tun, was Gott von Ewigkeit her gewollt und von dem er gewusst und bestimmt hat, und dieser Wille Gottes ist wirksam, sein Vorherwissen ist gewiss. ... Weder der Wille Gottes noch der Wille des Menschen steht unter Zwang; alles was der Mensch tut, sei es Gutes oder Böses, tut er ganz nach seiner Neigung und seinem Willen, als wäre dieser frei. Aber letztlich bleibt der Wille Gottes gewiss und unveränderlich; er regiert den menschlichen Willen.« [178] An einer anderen Stelle sagt er: »Nachdem nämlich zugestanden und begriffen ist, dass der freie Wille, nachdem er die Freiheit verloren hat, unter die Knechtschaft der Sünde gezwungen worden ist und gar nichts Gutes wollen könne, so kann ich aus diesen Worten nichts anderes entnehmen, als dass der freie Wille ein leeres Wörtchen ist, dessen Inhalt verloren ist. Eine verlorene Freiheit nennt meine Sprachlehre keine Freiheit.« [179] Er nennt den »freien Willen« nichts als »eine reine Lüge« [180] und fügt etwas später hinzu: »Es ist also auch dies vor allen Dingen notwendig und heilsam für den Christen zu wissen, dass Gott nichts zufällig vorherweiß, sondern dass er alles mit unwandelbarem, ewigem und unfehlbarem Willen sowohl vorhersieht, sich vornimmt und ausführt. Durch diesen Donnerschlag wird der freie Wille zu Boden gestreckt und ganz und gar zermalmt. Deshalb müssen die, welche den freien Willen behauptet haben wollen, diese schlagende Erkenntnis entweder verneinen oder verleugnen oder auf irgendeine andere Weise von sich schaffen.« [181] Es wird manchmal eingewendet: Wenn der Wille des Menschen nicht völlig frei wäre, dann beföhle Gott ihm ja Dinge, die er gar nicht tun kann. An vielen Stellen der Schrift wird der Mensch aber aufgefordert, Dinge zu tun, die er aus eigener Kraft niemals tun könnte! Der Mann mit der verdorrten Hand sollte diese Hand ausstrecken. Der Gelähmte ist aufgefordert worden, aufzustehen und zu gehen; der Kranke, aufzustehen, sein Bett zu nehmen und zu gehen. Der tote Lazarus bekam den Befehl: Komm heraus! Den Menschen wird der Glaube befohlen, und dennoch ist dieser Glaube eine »Gabe Gottes«. »Wach auf, du Schläfer, stehe auf von den Toten, und Christus wird dich erleuchten!« (Eph 5,14). »Seid also vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.« (Mt 5,48). Des Menschen selbstverschuldete Unfähigkeit zum richtigen Handeln entbindet ihn noch lange nicht von der Pflicht, so zu handeln! __________________________________________________________________ [177] Ich schlage die Bezeichnung "ethisch neutraler Wille" vor (A. d. Ü.). [178] Martin Luther, Vom unfreien Willen. [179] Ebd. [180] Luther schreibt: »Denn das ist offensichtlich ein Beweis dafür, dass der freie Wille eine reine Lüge ist, dass es mit ihm geht wie mit jenem Weibe im Evangelium (Luk. 8,43); je mehr die Ärzte sich mit der Heilung befassen, desto schlimmer steht es« (A. d. Ü.). [181] Ebd. __________________________________________________________________ 5) Gott steuert menschliches Denken und Wollen: die Seinen kommen freiwillig Gott beeinflusst des Menschen Gefühle, seine Umgebung, seine Gewohnheiten, seine Wünsche, Motive usw. so, dass sie ganz frei das tun, was Er beabsichtigt. Wie er das tut, ist zwar undurchschaubar, doch nichtsdestoweniger real, und nur weil wir mit unserem begrenzten Verstand nicht durchschauen können, wie sein Einfluss dabei die menschliche Freiheit bestehen lässt, heißt das noch lange nicht, dass er diesen Einfluss nicht auf die von uns geschilderte Weise ausüben kann. Wir wissen allerdings, dass Gott souverän ist, genauso wie wir auch wissen, dass der Mensch frei ist. Beides wirkt in Harmonie zusammen. Paulus pflanzte, Apollo begoss, doch es war Gott, wer das Gedeihen schenkte. Paulus befahl den Philippern: »Bewirkt eure Seligkeit mit Furcht und Zittern«, fügte aber sofort hinzu: »denn Gott ist es, der beides wirkt: das Wollen und das Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen« (Phil. 2,13f.). Der Psalmist sagt: »Dein Volk wird voller Willigkeit sein am Tage deiner Macht« (Ps 110,3). Die Handlung der Geschöpfe ist zum großen Teil schon durch die gottgegebene »Natur« vorherbestimmt. Wenn er einem Geschöpf menschliche Natur verleiht, wird es handeln wie ein Mensch, erschafft er ein Pferd, dann handelt auch dieses Geschöpf seiner Natur gemäß. Das gilt freilich auch für die Pflanzenwelt. Es ist ja klar, dass der Mensch nicht dazu geschaffen worden ist, auf allen Vieren zu gehen oder zu wiehern wie ein Pferd. Eine Handlung ist dann unfrei, wenn sie von außen bestimmt wird, sie aber ist frei, wenn sie von innen bestimmt wird, und das ist ganz genau die Art, wie Gott den Menschen vorherbestimmt hat. Der umfassende Beschluss Gottes sichert die menschliche Freiheit. Er bestimmt den Charakter des Menschen; er hat bestimmt, dass seine Umgebung Auswirkungen auf ihn hat, dass die Einflüsse, denen er ausgesetzt ist, ihn bedingen, dass er von inneren Affektionen angetrieben wird, von Wünschen, Gewohnheiten usw. In all dieser ihn umgebenden und durchdringenden Welt trifft er seine Entscheidungen aus freier Vernunft heraus. Es ist gewiss, dass seine Entscheidung immer zugunsten einer Sache und zuungunsten einer anderen fallen wird. Gott, der die Ursachen aller Dinge kennt und steuert, weiß genau, welche Wahl ein Mensch unter gegebenen Umständen treffen wird und bestimmt so diese Wahl im Voraus. Zanchius hat diesen Gedanken sehr klar ausgedrückt, wenn er zur Freiheit des Menschen bemerkt: »Der Mensch handelt vom ersten bis zum letzten Augenblick seines Lebens (ob er das nun weiß oder nicht, ob er das plant oder nicht) ganz nach der Absicht und den Beschlüssen Gottes; dennoch fühlt er keinerlei Zwang, sondern handelt frei und freiwillig, so als ob er sein eigener Herr wäre.« [182] Luther hat gesagt: »Sowohl gerechte als auch böse Menschen handeln ganz nach dem Beschluss Gottes; sie werden nicht von außen dazu gezwungen, sondern handeln ganz freiwillig.« [183] In Übereinstimmung mit dem Gesagten glauben wir, dass Gott eine bis in die kleinste Einzelheit wirkende Vorsehung über sie walten lassen kann, ohne ihre Handlungsfreiheit in irgendeiner Weise zu zerstören oder zu beeinträchtigen. Er kann durch seinen Heiligen Geist auf dieser Basis erreichen, dass sich seine Erwählten Christus zuwenden werden und in seinen Diensten bleiben werden. Wir glauben allerdings, dass niemand dieses Verlangen nach Christus hat, außer jene, denen Gott dieses Verlangen schon vorher eingestiftet hat und dass er es einzig seinen Erwählten einstiftet. Obgleich seine Erwählten auf diese Art geneigt gemacht werden, handeln sie so freiwillig wie irgend jemand, den man zu einem Spaziergang überredet oder zur Investition seines Geldes in Staatsanleihen. Eine gute Illustration, wie Gott auf diese Weise sowohl mit seinen Erwählten als auch mit den Verlorenen handelt, gibt H . Johnson: »Angenommen, zweihundert Menschen sind wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz eingesperrt. Angenommen, ich träfe Vorsorge zu ihrer Begnadigung, sodass der Gerechtigkeit und dem Gesetz Genüge getan werden kann. Die Gefangenen sind frei. Die Gefängnistore werden aufgeschlossen und jedem wird versprochen, dass ihm Amnestie gewährt wird samt der Versicherung, dass er das Gefängnis verlassen kann und ein freier Mann ist, wenn er will. Nehmen wir weiter an, kein einziger Mann verließe das Gefängnis. Nun nehmen wir an, dass ich sichergehen will, dass die Amnestie auch wirksam wird und meine Bemühungen um Begnadigung nicht umsonst sind. Ich suche also einhundertfünfzig dieser schuldigen und verurteilten Männer persönlich auf und überrede sie mit sanfter Gewalt, das Gefängnis zu verlassen. Das ist Erwählung. Habe ich dann die übrigen fünfzig etwa eingesperrt lassen? Die Amnestie reichte ja aus, auch sie in Freiheit zu bringen; das Gefängnis bleibt offen, ihre Zellen ebenso; jedem einzelnen, der nach draußen geht, wird die Freiheit garantiert. Jeder im Gefängnis weiß, dass er seine Freiheit nutzen kann, wenn er will. Habe ich die fünfzig anderen eingesperrt lassen?« [184] Die alte, pelagianische Lehre, die der Arminianismus zeitweise vertreten hat, dass Lob und Tadel in Bezug auf Tugend und Laster davon abhängen, was eine Person aus eigener Kraft wählen und tun wird, führt logischerweise dazu, dass den Engeln im Himmel und auch den vollendeten Heiligen, ja selbst Gott die Löblichkeit abgesprochen werden muss, da es für Engel, vollendete Heilige und Gott ja unmöglich sei, zu sündigen.11) Damit höre die Tugend im Himmel auf, verdienstvoll zu sein, da sie keine Wahlmöglichkeit mehr voraussetzt. Der Gedanke, dass die Kraft, zwischen gut und böse zu unterscheiden, selbst es ist, die den Willen lobenswert oder tadelnswert macht, ist ein Missverständnis. [185] Zwar: diese Beschaffenheit erhöht den Menschen über das Tier. Doch macht sie seinen Willen noch nicht vollkommen. So sagt auch Mozley: »Der höchste und vollkommenste Zustand eines Willens ist der der Notwendigkeit: eine Entscheidungsmacht, die nicht auf wahrem und genuinem Willen beruht, ist schwach und unvollkommen. Es ist doch ein größeres Zeichen für einen unvollkommenen und unreifen Zustand des Willens, dass er überhaupt eine Wahl zwischen Gut und Böse treffen muss und sein Wille somit ständig in der Schwebe gehalten wird!« [186] Die gewährte Gnade, der die guten Werke mit Notwendigkeit folgen, geht in diesem Leben noch nicht mit vollkommener Umgestaltung einher, denn der wiedergeborene Mensch sündigt manchmal immer noch, doch im Jenseits greift diese Gnade voll und ganz oder eben gar nicht -- die Bestimmtheit des Willens wird dann verabsolutiert, entweder zum Guten oder zum Bösen. Vielleicht kann man das Zusammenwirken des göttlichen Handelns mit dem menschlichen mit der Inspiration der Heiligen Schrift vergleichen: Im höchsten Sinn von Gott inspiriert, haben doch Menschen ihre eigenen Worte benützt. Es werden nicht Teile davon Gott oder den Autoren der einzelnen Bücher zugeschrieben, sondern die Schrift ist in all ihrer Ausprägung und Lehre ganz Gotteswort und Menschenwort. Obgleich die Schreiber derart vom Heiligen Geist beeinflusst waren, dass sie alles aufgeschrieben haben, was Gott wollte und sie vor jeder Fehlerhaftigkeit vollkommen bewahrt worden sind, haben sie ihre Freiheit behalten, und daher müssen wir immer beide Seiten sehen: die göttliche Seite der Schrift und die menschliche Seite. So genannte »zufällige Handlungen« oder Handlungen aus »freiem Willen« können nicht Teil eines definitiven Vorherwissens sein oder gar Teil vorherbestimmter Pläne. Es liegt in der Natur der Sache, dass derlei Handlungen vollkommen ungewiss bleiben müssen, »so dass jeder, der an Selbstbestimmung glaubt -- ob ihm das nun bewusst ist oder nicht -- in Wahrheit die heidnische Göttin Fortuna anbetet und dafür die Vorsehung vom Thron stößt.« [187] Wenn Gott die Geister der Menschen nicht auf diese Art lenken dürfte, müsste er ja ständig damit beschäftigt sein, neue Mittel zu ersinnen, wie er all die Milliarden Einflüsse seiner Geschöpfe, die seinen Plänen zuwiderliefen, ausgleichen könne. Wenn der Mensch tatsächlich diesen freien Willen hätte, müsste Gott ja so vorgehen wie ein Mensch, der einen anderen überreden will und dabei einen bestimmten Plan befolgt. Er bräuchte aber, Falls Plan A nicht funktionierte, einen Plan B, und falls dieser auch nicht funktionierte, einen Plan C usw. Wenn die Handlungen freier Menschen unbestimmt wären, dann könnte sie Gott wahrlich nicht vorhersehen. Wie überrascht wäre er wohl über all die vielen unvorhergesehenen menschlichen Entscheidungen, und wie viel müsste er dann täglich dazulernen! Aber eine solche Ansicht entehrt Gott und ist nicht nur unvernünftig, sondern obendrein unbiblisch. Wenn Gottes Allwissenheit nicht verleugnet werden soll, dann muss zugegeben werden: Gott kennt in Wahrheit Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Ereignisse mögen aus unserer Sicht immerhin ungewiss scheinen; aus Seiner Sicht können sie das nicht. Dieses Argument ist dermaßen schlüssig, dass es auch allgemein zugegeben wird. Der schwächere Einwand, dass Gott nämlich manche Dinge absichtlich nicht vorherweiß, nur um die Freiheit des menschlichen Willens nicht anzutasten, findet überhaupt keinen Anhaltspunkt in der Bibel und ist auch sonst sehr unvernünftig. Ein solcher Gedanke macht Gott zum Vater einiger ziemlich schlimmer Buben, vor denen er sich aber versteckt, weil er Angst hat, er könnte sie bei einem Tun erwischen, das ihm ganz und gar nicht gefiele. Wenn Gott durch eine äußere Kraft oder auch durch eigenes Handeln begrenzt werden könnte, dann sprechen wir nicht mehr von einem unendlichen Gott. Die arminianische Theorie, derzufolge Gott ängstlich darauf bedacht sei, so viele Sünder wie möglich zu bekehren, dazu aber nicht mehr als ein gewisses Maß an Überzeugungsarbeit leisten könne, ohne die Natur seiner Geschöpfe zu verletzen, gleicht allzu sehr jener persischen Religion der zwei Prinzipien von Gut und Böse, die miteinander im Kampf liegen und von denen keine die andere überwinden kann. Der »freie Wille« entreißt Ihm die Herrschaft und beraubt Ihn seiner Macht. Er stellt die Kreatur jenseits ihres Schöpfers und gibt ihr in gewissen Dingen ein Vetorecht gegen den ewigen Plan und Willen des Allmächtigen. Dieser »freie Wille« muss es demzufolge möglich machen, dass die Heiligen selbst im Himmel noch sündigen können und damit möglicherweise noch einmal einen solchen Aufstand im Himmel verursachen können wie schon damals, als Satan und die Engel, die mit ihm konspirierten, aus dem Himmel geworfen worden waren. Das Böse könnte damit in letzter Konsequenz irgendwann die absolute Herrschaft erlangen. __________________________________________________________________ [182] Quelle nicht angegeben. [183] Quelle nicht angegeben. [184] Gelegenheitsschrift, The Love of God for Every Man. [185] Diese Sicht teilt schon der Philosoph Leibniz: »Wir können von Natur aus gute und schlechte Beschaffenheiten noch loben und tadeln, wenn der Wille nicht den geringsten Anteil an ihnen hat, bei einem Pferde, beim Diamanten, beim Menschen: und wenn man von Cato aus Utica sagte, er handelte tugendhaft aus natürlicher Güte und ihm wäre es ganz unmöglich gewesen, anders zu handeln, so wollte man ihn damit nur um so mehr loben.« Theodizee, Teil 1, Felix Meiner Verlag, S. 137 (A. d. Ü.) [186] Mozley, The Augustinian Doctrine of Predestination, S. 73. [187] Mozley; Boettner gibt die genaue Quelle nicht an. __________________________________________________________________ 6) Art und Weise der Willensbestimmung Als vernünftiges Wesen braucht der Mensch für sein Handeln in gewissem Sinn immer einen Grund. Der Wille entscheidet sich immer zugunsten der stärkeren Motive. Hätte er keinerlei Motive, könnte er überhaupt keine Entscheidung treffen. Das Gewissen macht uns sicher, für alles und jedes, was wir getan haben, einen ausreichenden Grund gehabt zu haben; wir wissen, dass wir anders hätten handeln können, wenn wir zum Zeitpunkt der Handlung bzw. kurz vorher andere Ansichten und Gefühle gehabt hätten. Manchmal leiten uns schwache Gründe zur Tat; wir entscheiden vielleicht aufgrund von Fehlurteilen, aber wie dem auch sei: der Grund reicht jedenfalls aus, um uns zum Handeln zu bewegen. Das Zünglein an der Waage ändert seine Richtung nur, wenn ein ausreichender Grund dazu vorhanden ist. Mag sein, ein Mensch entscheidet sich für etwas Unangenehmes, doch jeder Entscheidung liegen Motive zugrunde, ohne welche sie gar nicht getroffen würde. Jemand kann sich beispielsweise dazu entschließen, seine Zähne reißen zu lassen, und eine solche Entscheidung muss wahrlich gute Gründe haben. Wie sucht man sonst den Schmerz zu vermeiden! Wie schon angedeutet: man neigt nicht dazu, Dinge zu wählen, die der eigenen Neigung entgegenstehen; genauso wenig wählt man gegen seinen Geschmack. Jemand, der es vorzieht, in Kalifornien zu leben, kann nicht gleichzeitig in New York leben wollen. Die menschlichen Willensakte werden von seiner eigenen Natur gesteuert und stehen in Übereinstimmung mit seinen Wünschen, mit seiner Disposition, seinen Neigungen, seiner Erkenntnis und seinem Charakter. Der Mensch ist nicht von Gott unabhängig, genauso wenig wie von Denkgesetzen oder auch Naturgesetzen. All diese Dinge beeinflussen sein gesamtes Wollen und Wählen. Er handelt immer gemäß seinen stärksten Motiven und Neigungen. Wenn wir darüber nachdenken, wissen wir genau: was uns zu einem gegebenen Zeitpunkt am meisten anzieht, das wird unseren Willen unausbleiblich festlegen. Dr. Hodge sagt dazu: »Der Wille wird durch kein Gesetz der Notwendigkeit gezwungen; er ist nicht unabhängig, nicht indifferent oder gar selbstbestimmend, sondern er wird immer von dem bestimmt, was eine Person vorher gedacht hat. Ein Mensch ist genau dann frei, wenn seine Willensakte mit den Bewusstseinsinhalten übereinstimmen; er ist frei, wenn sein Handeln von seinen Gründen und Gefühlen gelenkt und bestimmt wird.« [188] Wenn die Willensakte nicht von unserem Charakter bestimmt wären oder darauf basierten, dann wäre es gar nicht unser Wille, von dem wir da sprächen, auch könnten wir nicht dafür verantwortlich gemacht werden. [189] In unserer täglichen Beziehung zu anderen Menschen beziehen wir ihr Handeln instinktiv auf ihren Charakter und beurteilen sie danach. »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Liest man etwa von Dornen eine Traube, oder von Disteln Feigen? Also bringt jeder gute Baum gute Früchte, aber der faule Baum bringt schlechte Früchte. Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen, noch ein fauler Baum gute Früchte bringen. Jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. Deshalb, an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen« (Mt 7,16--20). Und wiederum: »Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über« (Mt 12,34). Kein Baum bringt seine Früchte nach dem Zufallsprinzip hervor, sondern nach seiner Natur. Nicht die gute Frucht macht den Baum gut. Es ist gerade umgekehrt. Nach dem Gleichnis Jesus ist es beim Menschen nicht anders. Wenn das Verhalten eines Menschen keine Rückschlüsse auf dessen Charakter zuließe, wären gute Handlungen kein Erweis für einen guten Menschen. Auch könnte man nicht sagen, nur weil er böse handle, sei er auch böse. Man mag immerhin auf seinem Argument vom »freien Willen« beharren; im Alltag sind sich die Menschen einig, dass der Wille das Ergebnis und die Offenbarung jemandes Wesens, jemandes Natur ist. Wenn jemandes Willen ihn zu Raub und Mord führt, dann schließen wir aus diesen Taten auf seinen Charakter und behandeln ihn entsprechend. Es entspricht dem Wesen der Vernunft, dass der Wille auf Verstand, Prinzipien, Gefühlen etc. beruht. Wer anders handelt, den nennen wir verrückt. Angenommen, nach jeder Entscheidung fiele der Wille wieder in den Zustand der Unentschiedenheit zurück, unberührt von gut und böse; fiele damit nicht auch jegliche Möglichkeit des Vertrauens in unsere Mitmenschen flach? Tatsächlich wäre ein Mensch, dessen Wille wirklich »frei« wäre, ein sehr gefährlicher Zeitgenosse: seine Handlungen wären irrational; wir würden zu keiner Zeit wissen, was er als nächstes anstellen wird. Genau auf dieser Tatsache (dass der Wille Ausdruck der Natur einer Person ist) beruht das Beharren sowohl der Geretteten als auch der Verlorenen im Diesseits und im Jenseits. Wenn es zur Wahrung der Willensfreiheit notwendig sein sollte, dass er auch der Möglichkeit zum Sündigen ausgesetzt würde, so gäbe es keinerlei Sicherheit, dass selbst die vollendeten Heiligen im Himmel nicht mehr sündigen könnten und den Weg der gefallenen Engel gehen müssten. Im Gegenteil: Die Heiligen werden nur mehr das Gute tun können und damit im wahrsten Sinn des Wortes frei sein. Es gibt dann keine Zerrissenheit mehr; die vervollkommneten Willen der Heiligen werden mit der Sicherheit eines Naturgesetzes nichts anderes als gute Werke hervorbringen. Der Zustand der Verdammten stimmt mit dem der Heiligen überein: nachdem ihnen jeglicher Einfluss des Heiligen Geistes entzogen ist, geraten sie in ihren letzten, unabänderlichen und endgültigen Trotz; sie verbleiben in alle Ewigkeit in ihren Aufsässigkeiten, Lästerungen und Sünden. Sie werden in einen Zustand unaufhörlicher Neigung zum Bösen und zum Hass versetzt. Sie sind dann im Land der Sünde keine Gäste und Fremde mehr, sondern Bürger und Einwohner. Wäre die Theorie vom freien Willen wahr, so müsste es ja auch nach dem Tode noch möglich sein, zu bereuen, denn es ist mehr als nur vorstellbar, dass nach dem bösen Erwachen im Jenseits einige ihren Fehler einsehen werden und zu Gott umzukehren suchen. Milde Strafen können einen Menschen in dieser Welt zum Umdenken bringen; Menschen können dadurch von Sünden ablas- sen: Wie sollte da ein wesentlich härteres Strafgericht nicht auch wesentlich effektiver sein? Nur das calvinistische Prinzip, dass nämlich der Wille von der Natur einer Person und von den Anreizen, denen sie ausgesetzt ist, determiniert wird, stimmt mit jener Schriftstelle überein, in der es heißt, dass zwischen den beiden Zuständen in der Ewigkeit »eine große Kluft befestigt (ist), damit die, welche von hier zu euch hinübergehen wollen, nicht können, noch die, welche von dort zu uns herüberkommen wollen« (Mt 16,26). Wer über diese Dinge noch nicht nachgedacht hat, wird sich selbst große Freiheit zusprechen. Wer sich aber auf ein Studium dieser Dinge einlässt, sieht sehr schnell, dass er weniger Freiheit besitzt, als er dachte. Die Naturgesetze begrenzen seine Freiheit, dann auch seine bestimmte Umgebung, seine Gewohnheiten, jede unerlernte Fähigkeit, soziale Umstände, die Furcht vor Strafe und Missbilligung, seine Wünsche, Ambitionen usw. Er ist weit davon entfernt, der Herr seiner Handlungen zu sein. Zu jeder Zeit ist er beinahe das Produkt seiner Vergangenheit. So lange er seiner eigenen Natur gemäß handeln kann, hat er alle Freiheit, die ein Geschöpf haben kann. Jede andere Freiheit wäre nichts als Anarchie. Man kann einen Goldfisch im Glas herumtragen; der Goldfisch wird sich ungehemmt bewegen können und sich ungezwungen fühlen. Aus der Physik wissen wir, dass es Bewegung in der Ruhe gibt: wenn wir einen Stein, ein Stück Holz oder ein Stück Metall ansehen, dann scheinen diese Dinge völlig ruhig zu sein, aber wenn wir sie unter einem geeigneten Mikroskop betrachten könnten, das in der Lage wäre, die Molekularbewegung zu zeigen, dann sähen wir, mit welch gewaltigen Geschwindigkeiten die Elektronen um die Atomkerne kreisten. Prädestination und Handlungsfreiheit sind die zwei Säulen am Eingang eines gigantischen Tempels: sie treffen einander hoch oben in den Wolken, wohin der Blick des Menschen nicht mehr reicht. Man könnte sie auch als zwei parallele Linien beschreiben: Genauso, wie der Calvinismus sie nicht zusammenbringt, kann der Arminianismus sie nicht sich kreuzen lassen. [190] Wenn »freier Wille« bedeuten soll, dass die absolute Determiniertheit aller Handlungen dem Menschen selbst zuzuschreiben sei, dann stimmen wir gerne zu. Einen solchen Willen würden wir wahrlich als »freien Willen« bezeichnen, denn dann wäre der Mensch wie Gott geworden -- eine erste Ursache aller Handlungen -- und wir hätten so viele Halbgötter, wie es »freie Willen« gibt. __________________________________________________________________ [188] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2., S. 288. [189] Der Schweizer Philosoph Peter Bieri sagt: »Nehmen wir an, Sie hätten einen unbedingt freien Willen. Es wäre ein Wille, der von nichts abhinge: ein vollständig losgelöster, von allen ursächlichen Zusammenhängen freier Wille. Ein solcher Wille wäre ein aberwitziger, abstruser Wille. Seine Losgelöstheit nämlich würde bedeuten, dass er unabhängig wäre von Ihrem Körper, Ihrem Charakter, Ihren Gedanken und Empfindungen, Ihren Phantasien und Erinnerungen. Es wäre, mit anderen Worten, ein Wille ohne Zusammenhang mit all dem, was sie zu einer bestimmten Person macht. In einem substantiellen Sinne des Worts wäre er deshalb gar nicht Ihr Wille.« Peter Bieri: Das Handwerk der Freiheit, Fischer Taschenbuch Verlag, 8. Auflage 2007, S. 230 (A. d. Ü.). [190] C. H. Spurgeon sagt über diese beiden Linien: »Ich glaube nicht, dass sie je auf irgendeinem irdischen Amboss zu einer einzigen Wahrheit zusammengeschmiedet werden können, aber sie werden sicher in der Ewigkeit eins sein. Sie sind zwei Linien, die so parallel sind, dass der menschliche Verstand ihnen so weit, wie es geht, folgen kann, ohne zu sehen, dass sie sich jemals treffen. Aber sie treffen sich und werden eins, irgendwo in der Ewigkeit, nahe bei dem Thron Gottes, wo alle Wahrheit entspringt.« Die Predigt ist im Internet unter [5]www.Calvinismus.de zu finden. (A. d. Ü.) __________________________________________________________________ 7) Schriftbelege Die Schrift lehrt, dass Gottes Souveränität und menschliche Freiheit vollkommen miteinander harmonieren; während Gott der unumschränkte Herrscher und die erste Ursache allen Handelns ist, ist der Mensch doch innerhalb der Grenzen seiner Natur frei und damit Zweitursache; Gott steuert die Gedanken und Willen der Menschen so, dass sie willig sind, alles zu tun, was er geplant hat. Ein klassisches Beispiel für das Harmonieren göttlicher Grenzenlosigkeit und menschlicher Freiheit kann in der Geschichte Josephs gesehen werden. Joseph wurde nach Ägypten verkauft, wo er später in ehrenvollen Stand erhoben worden ist und in die Lage versetzt wurde, durch weise Voraussicht einer großen Hungersnot vorzubeugen. Es war eine überaus sündige Handlung der Brüder Josephs, ihren jüngeren Bruder in die Sklaverei eines heidnischen Landes zu verkaufen. Die Brüder Josephs handelten völlig freiwillig, das war ihnen bewusst, und Jahre später gaben sie ihre Schuld zu (1 Mo 42,21; 45,3). Joseph konnte ihnen antworten: »Und nun betrübet euch nicht, und es entbrenne nicht in euren Augen, dass ihr mich hierher verkauft habt; denn zur Erhaltung des Lebens hat Gott mich vor euch hergesandt. Und nun, nicht ihr habt mich hierher gesandt, sondern Gott; und er hat mich zum Vater des Pharao gemacht und zum Herrn seines ganzen Hauses und zum Herrscher über das ganze Land Ägypten« (1 Mo 45,5.8). Und wiederum: »Ihr zwar, ihr hattet Böses wider mich im Sinne; Gott aber hatte im Sinne, es gut zu machen, auf dass er täte, wie es an diesem Tage ist, um ein großes Volk am Leben zu erhalten« (1 Mo 50,20). Die Brüder Josephs folgten ihren bösen Neigungen; doch ihre Handlung war ein Glied an der großen Ereigniskette, durch die Gott seinen Plan verfolgt. Ihre Schuld wurde dadurch nicht kleiner, dass diese Handlung Teil eines größeren Guten war. Der Pharao unterdrückte seine Gäste, die Kinder Israel, und dennoch erfüllte er damit den Plan Gottes, denn Paulus schreibt: »Denn die Schrift sagt zum Pharao: Eben hierzu habe ich dich erweckt, damit ich meine Macht an dir erzeige, und damit mein Name verkündigt werde auf der ganzen Erde« (Röm 9,17; 2 Mo 9,16; 10,1--2). Manche Aspekte des Plans Gottes werden dadurch erfüllt, dass er das sündige Handeln der Menschen verhindert. Als die Kinder Israel später dreimal jährlich nach Jerusalem zogen, um dort ihre Feste zu feiern, unterdrückte Gott die Raubgier der Nachbarstämme, so dass sie das Land nicht belästigen konnten (2 Mo 34,24). Er gab es Kores, dem heidnischen Perserkönig, ins Herz, den Tempel in Jerusalem wieder aufbauen zu lassen (Esra 1,1ff). Es heißt: »Gleich Wasserbächen ist eines Königs Herz in der Hand des Herrn; wohin immer Er will, neigt er es« (Spr 21,1). Wenn er die Gedanken eines Königs steuern kann, was heißt das anderes, als dass er die Gedanken jedes Menschen steuern kann? In Jesaja haben wir eine bemerkenswerte Illustration davon, wie perfekt die göttliche Souveränität mit der menschlichen Freiheit harmoniert: Jesaja 10,5--15: He! Assyrer, Rute meines Zornes! Und der Stock in seiner Hand ist mein Grimm. Wider eine ruchlose Nation werde ich ihn senden und gegen das Volk meines Grimmes ihn entbieten, um Raub zu rauben und Beute zu erbeuten, und es der Zertretung hinzugeben gleich Straßenkot. Er aber meint es nicht also, und sein Herz denkt nicht also; sondern zu vertilgen hat er im Sinne und auszurotten nicht wenige Nationen. Denn er spricht: Sind nicht meine Fürsten allesamt Könige? Ist nicht Kalno wie Karchemis? Nicht Hamath wie Arpad? Nicht Samaria wie Damaskus? So wie meine Hand die Königreiche der Götzen erreicht hat -- und ihre geschnitzten Bilder waren mehr als die von Jerusalem und von Samaria -- werde ich nicht, wie ich Samaria und seinen Götzen getan habe, ebenso Jerusalem und seinen Götzen tun? Und es wird geschehen, wenn der Herr sein ganzes Werk an dem Berge Zion und an Jerusalem vollbracht hat, so werde ich heimsuchen die Frucht der Überhebung des Herzens des Königs von Assyrien und den Stolz der Hoffart seiner Augen. Denn er hat gesagt: Durch die Kraft meiner Hand und durch meine Weisheit habe ich es getan, denn ich bin verständig; und ich verrückte die Grenzen der Völker und plünderte ihre Schätze und stieß, als ein Gewaltiger, Thronende hinab; und meine Hand hat den Reichtum der Völker erreicht wie ein Nest, und wie man verlassene Eier zusammenrafft, so habe ich die ganze Erde zusammengerafft: da war keiner, der den Flügel regte, oder den Schnabel aufsperrte und zirpte. Darf die Axt sich rühmen wider den, der damit haut? Oder die Säge sich brüsten wider den, der sie zieht? Als schwänge ein Stock die, welche ihn emporheben, als höbe ein Stab den empor, der kein Holz ist! Über diese Stelle sagt Rice: »Was ist die offensichtliche Bedeutung dieser Stelle? Sie sagt ganz eindeutig, dass der König der Assyrer, obgleich ein stolzer und gottloser Mann, nichts als ein Instrument in den Händen Gottes war, genau wie eine Axt oder eine Säge in den Händen eines Mannes. Er hatte vor, Israel einzunehmen, doch Gott hatte ihn vollkommen unter Kontrolle. Diese Stelle lehrt aber auch, dass die Freiheit des Königs durch die- se Kontrolle nicht beeinträchtigt wurde, denn der assyrische König schmiedet ja seine eigenen Pläne: >Aber er meint es nicht so, und sein Herz denkt anders, nein, nur Vernichtung hat er im Sinn, auszurotten nicht wenige Völker.< Drittens folgt daraus, dass der König für seinen Stolz und für seine Bosheit verantwortlich gemacht wird, obwohl Gott ihn dazu benützt hat, seine Pläne auszuführen. Gott hat beschlossen, die Juden für ihre Sünden zu züchtigen. Er wählte dazu den König von Assur aus und lenkte ihn gegen Israel. Trotzdem bestraft er ihn dann aber wegen seiner bösartigen Pläne. Geht daraus gegen jede Nörgelei und Beschwerde nicht ganz klar hervor, dass Gott auch böse Menschen ganz so lenken kann, dass sie seine Zwecke erfüllen, ohne dass er dazu ihre Handlungsfreiheit beeinträchtigen muss? [191] Für jedermann, der die Bibel für Gottes Wort hält, ist es absolut sicher, dass die Kreuzigung Christi -- die größte Sünde in der Geschichte der Menschheit -- vorherbestimmt war: Apg 4,27f.: Ja, wahrlich, versammelt haben sich in dieser Stadt Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels gegen deinen heiligen Knecht Jesus, deinen Gesalbten. Doch sollten sie nur ausführen, was deine Hand und dein Ratschluss im voraus bestimmt hatten. Apg 2,23: Den habt ihr nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorherwissen ausgeliefert und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet. Apg 3,18: Gott aber hat auf diese Weise in Erfüllung gehen lassen, was er durch den Mund aller Propheten vorausverkündet hat, dass sein Messias leiden müsse. Apg 13,27ff.: Denn die Bewohner von Jerusalem und ihre Vorsteher haben ihn nicht erkannt und so durch ihren Richterspruch die Worte der Propheten erfüllt, die an jedem Sabbat vorgelesen werden. Obwohl sie keine Todesschuld an ihm fanden, forderten sie doch von Pilatus seinen Tod. Nachdem sie alles vollbracht hatten, was über ihn geschrieben steht, nahm man ihn vom Holz ab und legte ihn ins Grab. Nicht nur die Kreuzigung selbst war vorherbestimmt, sondern auch viele Begleitumstände: die Verteilung der Kleider Christi und das Loswerfen über seinem Gewand (Ps 22,19; Joh 19,24); die Galle und der Essig als Getränk (Ps 69,22; Mt 27,34; Joh 19,29); der ganze Spott der Menschen (Ps 22,7ff.; Mt 27,39); dass man ihn den Sündern zugezählt hatte (Jes 53,12; Mt 27,38); dass keines seiner Gebeine zerbrochen werden wird (Ps 34,21; Johannes 19,36); der Speerstich (Sach 12,10; Joh 19,34--37) und noch viele andere prophezeite Geschehnisse. Man höre doch diese Ausgeburten der Hölle rund um das Kreuz und behaupte noch einmal, sie seien nicht frei gewesen in ihrem Handeln! Doch man lese all die Vorhersagen und Prophezeiungen dieser schrecklichen Begebenheit und behaupte noch einmal, all diese schrecklichen Geschehnisse habe Gott nicht vorherbestimmt! Vielmehr hätten all diese Einzelheiten nicht viele Jahrhunderte vorher schon vorausgesagt werden können, wenn ihre Erfüllung nicht absolut sicher und gewiss dem Plan Gottes entsprochen hätten! Und doch sind sie von Menschen erfüllt worden, die nicht einmal gewusst haben, wer Jesus wirklich war und die völlig in Unkenntnis davon waren, dass sie jahrhundertealte Prophezeiungen erfüllen (Apg 13,27.29; 3,17). Wenn wir also schon den Elefanten schlucken müssen, dass Gottes Plan die schlimmste Sünde der menschlichen Geschichte vorherbestimmt hatte, um sie dazu zu benützen, die Welt zu retten, was sollte uns dann noch daran hindern, die Mücken unserer alltäglichen Handlungen genauso zu schlucken, die Gott allesamt dazu benützt, seinen guten Plan in Erfüllung gehen zu lassen? Weitere Belege aus der Schrift Spr 16,9: Des Menschen Herz legt sich seinen Weg zurecht, doch der Herr lenkt seine Schritte. Jer 10,23: Ich weiß, o Herr: Des Menschen Schicksal liegt nicht in seiner Hand. Keinem ist es gegeben, auf dem Lebensweg seinen Schritt zu bestimmen. 2 Mo 12,36: Der Herr aber hatte die Ägypter gegen das Volk freundlich gestimmt, so dass sie ihre Bitte erfüllten. So nahmen sie Beute von den Ägyptern. Esra 6,22: Dann feierten sie sieben Tage lang voller Freude das Fest der ungesäuerten Brote. Denn der Herr hatte ihnen Freude bereitet, indem er ihnen die Gunst des Königs von Assur zuwandte, so dass er sie bei den Arbeiten am Tempel des Gottes Israels unterstützte. Esra 7,6: Dieser Esra zog von Babel herauf. Er war ein Schriftgelehrter, wohlbewandert im Gesetz des Mose, das der Herr, der Gott Israels, gegeben hatte. Da die Hand des Herrn, seines Gottes, über ihm waltete, bewilligte ihm der König alles, was er begehrte. Jes 44,28: der von Kyrus sagt: »Er ist mein Hirt«. -- All mein Wollen wird er vollführen und von Jerusalem sagen: Es werde wieder aufgebaut! und vom Tempel: Er werde aufs neue gegründet! Offb. 17,17: (Hier wird von den Gottlosen gesagt): Denn Gott hat ihnen den Gedanken eingegeben, seinen Willen auszuführen und einmütig ihre Herrschaft so lange dem Tier zu übertragen, bis Gottes Worte durchgeführt sind. 1 Sam 2,25: Wenn sich ein Mensch gegen einen Menschen vergeht, so entscheidet Gott als Richter über ihn. Vergeht sich aber ein Mensch gegen den Herrn, wer kann dann als Richter für ihn auftreten?« Indes hörten sie nicht auf ihres Vaters Worte; denn der Herr hatte beschlossen, sie sterben zu lassen. 1 Kön 12,11.15: Nun denn, mein Vater hat euch ein schweres Joch aufgezwungen. Ich will euer Joch noch schwerer machen. Mein Vater hat euch mit Peitschen gezüchtigt. Ich will euch mit Skorpionen zähmen. So schenkte der König dem Volk kein Gehör. Denn vom Herrn war es so gefügt worden, damit er seine Verheißung erfülle, die der Herr durch Ahija von Schilo Jerobeam, dem Sohn Nebats, gegeben hatte. 1. Sam. 17,14: Und Absalom und alle Männer von Israel sprachen: Der Rat Husais, des Arkiters, ist besser als der Rat Ahitophels. Aber Jahwe hatte es so angeordnet, um den guten Rat Ahitophels zunichte zu machen, damit Jahwe das Unglück über Absalom brächte. __________________________________________________________________ [191] N. L. Rice, God Sovereign and Man Free, S. 70, 71. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XVIII __________________________________________________________________ Einwand 4: Diese Lehre entkräfte jede Motivation zu persönlichem Einsatz oder Anstrengung Nicht nur das Ziel, auch der Weg dorthin ist vorherbestimmt! Der Einwand, dass die Lehre von der Prädestination allen eigenen Einsatz unsinnig mache, beruht auf dem Irrtum, dass man glaubt, das vorherbestimmte Ziel werde ohne die Mittel erreicht. Es ist ja nicht so, dass nur das Ziel vorherbestimmt ist, sondern jede Einzelheit, jedes Geschehnis, jede Art und Weise, wie etwas erreicht wird, einfach alle Ereignisketten mit all ihren Zwischenbeziehungen und Verbindungen sind Teil der Vorherbestimmung. Im göttlichen Plan hängen alle Dinge zusammen. Sollten die Mittel ausbleiben, dann auch das Ergebnis. Wenn Gott vorherbestimmt hat, dass der Mensch ernten wird, dann auch, dass er sät. Wenn er vorherbestimmt hat, dass jemand errettet wird, dann auch, dass er das Evangelium hört, dass er glaubt und dass er umkehrt. Der Bauer sagt ja auch nicht: Nun, wenn Gott vorherbestimmt hat, dass ich eine reiche Ernte einfahren soll, dann brauche ich ja nicht zu säen, sondern er weiß: Die reiche Ernte ist gerade darauf zurückzuführen, dass er das Land vorher bebaut. Wir sehen es ja: Der erfolgreichen Ernte geht immer die vorbereitende und vertrauensvolle Arbeit voraus. Wenn wir in den Dienst unseres Herrn treten und dabei sorgfältigen Gebrauch all der Mittel machen, die er dafür vorgesehen hat, dann können wir darauf vertrauen, dass er diese Mittel dazu gebraucht, um Sein Werk zu vollenden. Gerade jene, die die Schriftstelle, dass Gott »alle Dinge wirkt nach dem Rat seines Willens« und ähnliche Beweise für die Vorsehung akzeptieren und dass sich Gottes kontrollierende Macht über alle Bereiche ihres Lebens erstreckt, wissen, dass das nicht im Geringsten ihrer persönlichen Freiheit widerspricht. Werden jene, die widersprechen, ihren Glauben an die göttliche Souveränität ihr persönliches Leben beeinflussen lassen? Würden sie etwa Nahrung und Medizin im Notfall ablehnen, weil doch Gott den Zeitpunkt ihres Todes bestimmt? Würden sie etwa die anerkannten Mittel zur Hebung des Wohlstands deshalb ablehnen, weil Gott Reichtum und Ehre nach Seinem Willen verleiht? Wer Gottes Souveränität in äußerlichen Dingen anerkennt und sich dabei seines freien Willens bewusst ist, dem wäre es Sünde und Torheit, wenn er als Entschuldigung für die Ablehnung geistlichen und ewigen Wohlergehens seine Unfreiheit nebst dem Umstand anführt, dass er ja nicht verantwortlich gemacht werden könne. Sagt ihm sein Gewissen nicht, dass der einzige Grund, weshalb er kein Nachfolger Christi ist, der ist, dass er ihm nicht nachfolgen will? Wenn der Gelähmte auf Jesu Aufforderung: »Steh auf und geh umher!« gesagt hätte: »Ich kann nicht, ich bin gelähmt« -- er wäre als Gelähmter gestorben. Da er aber seine eigene Hilflosigkeit erkannt hatte und auf das Wort des Einen hin vertraut hatte, gehorchte er und wurde ganz gesund. Es ist aber der gleiche, allmächtige Erlöser, der den Sünder ruft, der in seinen Sünden tot ist. Er ruft, und wir wissen: Wer kommt, der wird nicht zurückgewiesen werden. Fakt ist: Solange wir nicht glauben, dass Gott der souveräne Lenker aller Geschicke ist, der Gott, der inmitten aller Bestimmtheit der Geschichte die menschliche Freiheit aufgerichtet hat, werden wir wenig Mut zum Handeln finden. Wenn wir glauben, unser Erfolg und unser Schicksal hänge hauptsächlich vom Wohlgefallen schwacher und sündiger Geschöpfe ab, haben wir wahrlich wenig Anreiz, uns Mühe zu geben. »Auf seinen Knien lässt der Arminianismus die logischen Puzzleteile in seinen Gedanken fallen, die zu seiner verzerrten Sicht der Prädestinationslehre geführt haben und erkennt dankbar, dass seine Bekehrung allein der Gnade Gottes zuzuschreiben ist, ohne die er in Bezug auf seine Neuschöpfung verloren gewesen wäre. Er bittet darum, dass Gott seinen Geist ausgießen möchte, um Menschen zu bändigen, zu überzeugen, zu erneuern und zu heiligen und dass er die Ratschläge der Gottlosen stürzen möge. Er preist Gott dafür, was er in seinem Leben schon getan hat, was vorraussetzt, dass Gott regiert und der souveräne Lenker der Geschicke ist und dass alles Gute und all die Macht, Böses zu verhindern, bei ihm stehen, obgleich doch alles Böse auf die Geschöpfe zurückzuführen ist. Er weiß um das vollkommene Vorherwissen Gottes, das von seiner Weisheit und seinem ewigen Plan nicht zu trennen ist. Seine Gebete um Hoffnung und um Erfüllung seiner Hoffnungen setzen den Glauben voraus, dass Gott seine Füße vorm Straucheln bewahren kann und wird und dass der Himmel ihn nicht abweisen wird. Er setzt damit gerade voraus, dass seine Pläne zwischen der gegenwärtigen Gnade und der ewigen Herrlichkeit eine unfehlbare Verbindung geknüpft haben, so dass ihn niemand von der Liebe Gottes scheiden kann, die in Jesus Christus ist.« [192] Da uns die Zukunft verhüllt bleibt, sollten wir allen Fleiß und Ernst an unsere Arbeit wenden, als hätte es einen ewigen Beschluss nie gegeben. Oft ist uns gesagt worden, wir sollten so beten, als ob alles von Gott abhinge und so arbeiten, als ob alles an uns selber läge. Luther bemerkt zu dieser Thematik: »Gerade deswegen müssen wir das Unsere tun, weil uns alles Zukünftige ungewiss ist, wie der Prediger (II, 6) sagt: >Frühe säe deinen Samen und lass deine Hand des Abends nicht ab: denn du weißt nicht, ob dies oder das geraten wird.< Uns ist es -- sage ich --der Erkenntnis nach ungewiss, aber der Ausgang trifft mit Notwendigkeit ein. Diese Notwendigkeit erregt in uns Furcht vor Gott, damit wir nicht übermütig und selbstsicher werden. Aus der Ungewissheit aber entsteht das Vertrauen zu Gott, auf dass wir nicht in Verzweiflung geraten. [193] »Der Bauer, der nach dem an Anhören einer Predigt über die göttlichen Dekrete statt des sicheren Weges den Weg von seinem Feld über den Bruchpfad zur Abkürzung nach Hause nimmt und seinen Wagen zu Schrott fährt, wird sich vor seiner Haustür überlegen müssen, ob er nicht zum Idioten prädestiniert ist und mit seiner Handlung diese seine Bestimmung bestätigt hat. [194] Es könnte jemand einwenden: Wenn alle erneuernde Kraft zur Bekehrung und zum Glauben allein von Gott ausgeht, dann ist alles, was wir tun können, warten. Es könnte auch gefragt werden, weshalb man denn überhaupt irgendetwas tun solle, wenn wir nichts zu unserer Erlösung beitragen können? Wenn wir aber ein wenig nachdenken, dann entdecken wir, dass in allem, was der Mensch tut, der Erfolg vielfach von Faktoren abhängt, die er nicht unter Kontrolle hat. Wir wählen einfach die passenden Mittel und vertrauen darauf, dass die Faktoren stimmen. Wir haben das ausdrückliche Versprechen Gottes, dass die, die ihn suchen, ihn auch finden werden, dass die, die bitten, erhört werden sollen und dass denen, die anklopfen, aufgetan werden soll. Das ist mehr als die Disposition der Weltmenschen auf ihrer Suche nach Wohlstand, Wissen oder Status. Und mehr kann auch vernünftigerweise gar nicht verlangt werden. Der Leser des Wortes Gottes wird beim Nachdenken darüber vom Heiligen Geist erneuert werden, vielleicht schon während des Lesens selbst. »Während Petrus noch so redete, kam der Heilige Geist auf alle herab, die das Wort hörten« (Apg 10,44). Shakespeare lässt einmal einen seiner Figuren sagen: »Nicht durch die Schuld der Sterne, lieber Brutus, durch eigne Schuld nur sind wir Schwächlinge.« [195] Des Sünders völlige Unfähigkeit, sich selbst zu retten, sollte ihn nicht weniger sorgfältig oder fleißig nach dem Weg seiner Erlösung suchen lassen, den Gott bestimmt hat. Vielleicht hat mancher Leprakranke zur Zeit Jesu gedacht: Da ich mich nicht selber heilen könne, warte ich eben, bis Jesus zu mir kommt (anstatt selbst zu ihm zu gehen). Normalerweise wird jemand, der seine eigene Hilflosigkeit erkennt, ganz anders reagieren: Er wird alle Anstrengung aufwenden, um dort Hilfe zu finden, wo sie zu finden ist. Der Mensch ist ein gefallenes, hilfloses und verderbtes Geschöpf, und solange er das nicht erkennt, lebt er ohne Hoffnung und ohne Gott. __________________________________________________________________ [192] Lyman H. Atwater, Calvinism in Doctrine and Life, The Presbyterian Quarterly and Princeton Review, Januar 1875, S. 84. [193] Martin Luther, Vom Unfreien Willen. [194] Augustus Hopkins Strong, Systematic Theology, S. 371. [195] Shakespeare, Julius Caesar, 1.2. __________________________________________________________________ Auswirkungen Diese Wahrheiten machen den Menschen nicht faul und sorglos, sondern stimulieren und motivieren ihn, seine Anstrengungen zu verdoppeln. Helden und Eroberer wie Cäsar und Napoleon sind oft von der Gewissheit einer Schicksalsnotwendigkeit erfüllt gewesen, als sie suchten, ihre Ziele zu erreichen. Ein solcher Sinn stählt einem den Mut, verdoppelt die Tapferkeit und lässt einen sein Ziel mit eisernem Willen anpeilen. Große und schwierige Ziele erreicht nur, wer beherzt ist und keinen Hindernissen erlaubt, ihn zu entmutigen. »Wenn man diese Idee des Schicksals einmal verstanden hat, dann tut dieses Verständnis sein Eigenes dazu, die Kräfte zu beflügeln. Wenn jemand erkennt, dass er zu Großem berufen ist, dann arbeitet er mit doppeltem Eifer darauf hin und bringt alle Kraft auf, sein Ziel zu erreichen. Er lässt sich von seinen Zweifeln nicht abbringen oder von Ängsten schwächen; er glaubt, dass er sein Ziel erreichen wird, und genau dieser Glaube ist auch die größte Kraft zur Erreichung dieses Zieles. Das Wissen um sein Schicksal ist wie eine selbsterfüllende Prophezeiung ... Dies betrifft nicht nur den moralischen und geistlich orientierten, sondern auch den natürlichen Menschen. Es betrifft religiöse Ziele und Zwecke genauso wie solche, die mit nichts als menschlicher Ehre zu tun haben.« [196] E. W. Smith sagt in seinem wertvollen Büchlein "The Creed of Presbyterians": »Was dem Glauben den größten Trost und Adel verleiht, verleiht dem Glauben auch die größte Kraft. Es ist ein Gemeinplatz, dass die trostlos-düstere Karikatur der Prädestinationslehre, nämlich der Fatalismus, den Herzen seiner Gläubigen eine Kraft verliehen hat, die zu den unglaublichsten und schrecklichsten Taten geführt hat. Der frühe und überwältigende Aufmarsch des Islam, der den Osten überschwemmt und beinahe auch den Westen überrannt hat, ist gerade auf die Überzeugung seiner Anhänger zurückzuführen; sie führten nichts als die Beschlüsse Allahs aus. Attila der Hunne war auf seinem brutalen Kurs der Zerstörung überzeugt davon, eine >Geißel Gottes< zu sein. Die Energie und die Verwegenheit, die einen Napoleon scheinbar unüberwindliche Hindernisse nehmen ließ, wurde von seiner Überzeugung genährt, ein >Mann des Schicksals< zu sein. Der Fatalismus hat wahre Titanen hervorgebracht, deren Energie nur deshalb so übermenschlich war, weil sie selbst davon überzeugt waren, die Instrumente einer übernatürlichen Macht zu sein. Wenn schon die grauenvolle Karikatur der Prädestinationslehre solche Energien mobilisieren kann, zu wie viel mehr Erhabenheit sollte da die Prädestinationslehre inspirieren; wo der Fatalismus, diese blinde Schicksalsgottheit, nichts als eine unpersönliche Macht vermutet, ersetzen wir diese Macht durch einen weisen, beschließenden Gott. Wenn ich fühlen kann, dass ich bei jeder Pflicht, bei jeder nötigen Verbesserung nichts als den ewigen Beschluss Gottes befolge, wenn ich in jedem Kampf um das Recht die unendlichen Heere hinter mir weiß, dann bin ich über jede Menschenfurcht oder über die Angst schließlichen Versagens erhaben.« [197] Die englische Zeitung »The Daily Express« vom 18. April 1929 bringt über den Truppenkommandant Earl Haig (einem schottischen Calvinisten der presbyterianischen Kirche) der britischen Arme im Ersten Weltkrieg folgenden Bericht: »Bemerkenswert an der Persönlichkeit Haigs ist, dass dieser kühle, reservierte und formelle Mann sich zu einem profunden Glauben bekennt: Mitten in der schlimmsten Krise erwartet er Hilfe von oben; er sieht sich selbst als von Gott auserwählter Cromwell, der allein seine Feinde besiegen kann. Er zeigt sich davon überzeugt, das er und nur er allein diesen Platz in der britischen Armee ausfüllen kann -- er sollte sich nicht getäuscht haben: Wer sonst hätte sowenig Neigung zur Selbstüberschätzung seines Wertes oder seiner Kräfte? Seine Entscheidungen basieren allein auf der Kenntnis aller Faktoren. Er betrachtet sich selbst mit beinahe calvinistischem Glauben als das vorherbestimmte Werkzeug der Vorsehung, der britischen Armee den Sieg zu erringen. Sein reichliches Selbstvertrauen gründet in seiner Überzeugung, ein Kind des Schicksals zu sein.« Wie gesagt: Diese Wahrheit führt nicht zu Faulheit und Sorglosigkeit; sie soll den Menschen nicht schläfrig machen noch ihn in den Schoß der Einbildung oder diesseitiger Sicherheit wiegen, sondern ihm Kraft verleihen und sein Vertrauen stärken. Beide, Vernunft und Erfahrung, lehren uns, dass mit der Hoffnung auch der Antrieb steigt. Jemand, der sich anhand der Wahl seiner mittel seines Erfolges sicher ist, hat die stärksten Anreize, sein Ziel zu verfolgen; wo wenig Hoffnung vorhanden ist, da strengt man sich auch wenig an, wo keine Hoffnung ist, bleibt jede Anstrengung aus. Der Christ, der die eindeutigen Gebote Gottes kennt, der sich auf das Versprechen verlässt, dass Gott denjenigen segnet, der in Ehrfurcht und Gehorsam die ihm zugeteilten Möglichkeiten ergreift, der hat auch die höchstmöglichen Beweggründe für seine Anstrengungen. Darüber hinaus wird er von der festen Überzeugung gestützt und inspiriert, dass ihn eine himmlische Krone erwartet. Wer hat je die Lehre von der Erwählung deutlicher und in kräftigerer Sprache formuliert als der Apostel Paulus? Wer wandte mehr Eifer und Unermüdlichkeit darauf als er? Diese Lehre erst hat ihn zum Missionar gemacht und ihn dazu getrieben, die Verbreitung des Christentums zu seinem höchsten und triumphierenden Ziel zu machen. Welche Aufmunterung und Ermutigung müssen ihm die Worte über Korinth gewesen sein: »Denn ich bin mit dir, und niemand wird dich antasten, um dir ein Leid zuzufügen; denn ich habe viel Volk in dieser Stadt!« (Apg 18,10). Welch größeren Anreiz hätte er haben können als die Versicherung, dass seine Predigt das vorherbestimmte Mittel für die Bekehrung vieler Menschen sein würde? Man bedenke: Gott hat ihm nicht gesagt, wie viele Menschen es sein werden oder wer dazu gehören wird. Der Diener des Evangeliums kann voller Zuversicht und frohen Mutes seinen Dienst versehen, da er weiß, dass Gott genau durch das Mittel der Predigt eine riesige Schar aus der Familie der Menschheit für sich beansprucht, und das in jedem Zeitalter. Tatsächlich ist einer der stärksten Gründe für die Mission derjenige, dass Gott die Evangelisation der ganzen Welt will. Nur wer die Souveränität Gottes in allen Bereichen des Lebens anerkennt, kann die tiefste Leidenschaft für Gottes Ehre teilen. Es ist die Erfahrung aller Zeitalter der Gemeinde, dass diese Lehre weder zu Pflichtvergessenheit noch zu phlegmatischer Unbekümmertheit noch zu rebellischem Verhalten gegenüber Gott geführt hat, sondern direkt ins Vertrauen in die göttliche Macht. Das Versprechen, das Jakob bezüglich seiner riesigen Nachkommenschaft erhalten hatte, hatte ihn keineswegs davon abgehalten, nicht mit allen erdenklichen Mitteln gegen den anrückenden Esau Vorsorge zu treffen. Daniel begann ernsthaft zu beten, als er erkannte, dass die von Jeremia vorhergesagte Zeit der Wiederherstellung Israels im Anbrechen war (Dan 9,2f). Sofort nachdem David offenbart worden war, dass Gott ihm ein Haus bauen wolle, betete er ernsthaft dafür (2. Sam. 7,27--29). Obgleich Christus gewusst hat, was auf sein Volk zukommt, hat er für es um Bewahrung gebetet (Joh 17). Und Obgleich Paulus erfahren hatte, dass er nach Rom gehen würde, um dort Zeugnis zu geben, nahm er das nicht zum Anlass, seinen Lebensstil der Sorglosigkeit hinzugeben. Er unternahm jede Vorsichtsmaßnahme, um sich selbst gegen den Anschlag zu sichern, der vom Jerusalemer Mob ausging. Auch warnte er vor Fehlern auf der Schiffsreise (Apg 23,11; 25,10f.; 27,9f.). Zwar: Der Beschluss Gottes dekretierte die Rettung aller Schiffbrüchigen, doch ganz klar unter Einbeziehung aller Kräfte der Matrosen und Schiffsleute. Deren Freiheit und Verantwortlichkeit waren nicht im Mindesten außer Kraft gesetzt! Die praktische Auswirkung dieser Lehre hat die Menschen immer zu anhaltendem und inbrünstigem Gebet geführt, da sie wussten: Ihre Zeit steht ganz in Gottes Hand; jedes Detail ihres Lebens ist Teil seiner Anordnungen. Man wird sagen dürfen: Solange der Sünder seines Verlorenseins und seiner Hilflosigkeit nicht eingedenk wird, lebt er in einer gewissen Fahrlässigkeit. Vielleicht gibt es keinen einzigen sorglosen Sünder in der Welt, der nicht glaubt, aus eigener Kraft sich Gott zuwenden zu können, wenn er denn will. Genau das könnte auch der Grund sein, weshalb er es ablehnt, zu bereuen -- mit der vollen Absicht, es zu einer passenderen Zeit noch einmal zu bedenken. Mit dem Ausmaß des Vertrauens in seine eigene Fähigkeit steigt auch seine Sorglosigkeit, und diese lullt ihn am schrecklichen Abgrund ewigen Verderbens in den Schlaf. [198] Nur dann, wenn er seine eigene Hilflosigkeit erkennt und versteht, dass er einzig von der souveränen Gnade Gottes abhängt, sucht er die Hilfe dort, wo sie allein gefunden werden kann. __________________________________________________________________ [196] James Bowling Mozley, A Treatise On The Augustinian Doctrine Of Predestination, S. 41. [197] Ethelbert W. Smith, The Creed of Presbyterians, S. 180. [198] Diese Worte werden von Jonathan Edwards bestätigt, der einmal sagte: »Je länger ich lebe und je mehr ich in meinem Dienst mit den Seelen der Menschen zu tun habe, desto mehr bekomme ich davon zu sehen: Vorstellungen dieser Art gehören zu den Haupthindernissen zum Erfolg in der Verkündigung des Wortes ... Was die Selbstbeschwichtigungen und die Anmaßungen des Sünders betrifft, lässt sich nichts denken, dass solches stärker förderte, als die Vorstellung einer jederzeit verfügbaren Freiheit, kraft der ein jeder es in seiner eigenen Hand habe, zu entscheiden, wann und ob er sich zu Gott bekehren wolle. Was könnte den Sünder wirksamer in seiner Gleichgültigkeit belassen und bestärken, in der Sünde fortzufahren, als die Anmaßung, jederzeit über die eigene Errettung verfügen zu können?« (Werke, Bd. I, clxxii). zitiert aus: Benedikt Peters, George Whitefield, S.475f. (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XIX __________________________________________________________________ Einwand 5: nach dieser Lehre wäre Gott parteiisch und »achte die Person« __________________________________________________________________ 1) Gemeinsame Schwierigkeiten der einzelnen Lehrgebäude Wenn alle Menschen in Sünden tot sind und der Kraft ermangeln, die sie zu geistlichem Leben erneuern kann: Weshalb -- so fragt man -- gebraucht Gott seine Allmacht dann dazu, so wählerisch zu sein? Er schenkt dem einen das Leben und lässt den anderen verderben? Gerechtigkeit, so sagt man, verlangt, dass alle die gleiche Chance bekommen, entweder durch natürliche Möglichkeit oder durch gleicherweise Gnade, sich ihr Heil zu sichern. An dieser Stelle muss eines klar sein: Diese Frage trifft keineswegs nur den Calvinismus. Genau diese Frage pflegt der Atheismus dem Theismus im Allgemeinen zu stellen. Man argumentiert: Wie kann der unendlich mächtige und heilige Gott so viel Sünde und Elend auf dieser Welt zulassen? Wieso kann und darf es sein, dass die Bösen so lange Perioden des Erfolgs erleben, während der Gerechtigkeit so oft nur Armut und Elend bleibt? Eines ist klar: Anticalvinistische Systeme haben hier wenig Antworten anzubieten. Einmal zugegeben, dass die Hinwendung zu Gott des Menschen eigene Handlung sei, dass er mit dem Wissen um das dafür Nötige ausgestattet sei, dass er fähig sei, sich sein eigenes Heil zu sichern, [199] muss man doch eines sagen: Gegenwärtig sind es nur wenige, die Errettung finden; Gott scheint wenig dagegen zu tun, die Mehrheit der Erwachsen vor ihrem Untergang zu bewahren. Der Calvinismus bestreitet die damit verbundenen Schwierigkeiten keineswegs; er sagt aber, dass ihm solche Probleme vom Lehrgebäude her nicht fremd sind. Er gibt sich allerdings mit den Teiloffenbarungen der Heiligen Schrift zufrieden. Die Bibel lehrt, der Mensch wurde als heiliges Geschöpf geschaffen. Er hat das göttliche Gesetz freiwillig übertreten und ist in Sünde gefallen, was dazu geführt hat, dass Adams Nachkommenschaft -- die ganze Menschheit also -- schon in einem Zustand des geistlichen Todes zur Welt kommt. Gott stürzt den Menschen nicht in weitere Sünde hinein, sondern übt gegenteilige Einflüsse aus, die darauf abzielen, das vernünftige Geschöpf zu Buße und Umkehr zu bewegen und die heiligende Gnade zu suchen. Jeder, der ernsthaft bereut und sich nach dieser Gnade ausstreckt, erlangt auch Errettung; eine große Zahl derer, die sonst in ihren Sünden geblieben wären, sind so schon errettet worden. __________________________________________________________________ [199] Damit ist nicht gemeint, der Mensch könne sich sein eigenes Heil erringen oder erarbeiten, sondern könne die Initiative von sich ausgehen lassen (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ 2) Gott achtet nicht auf den Stand einer Person Jemand der »die Person ansieht«, gleicht einem Richter, der seine Klienten nicht nach deren Charakter beurteilt, sondern dem einen zuteilt, was ihm nicht gehört und dem anderen nimmt, was rechtens seines ist. Es ist jemand, der sich von Vorurteilen und unheilvollen Motiven lenken lässt, statt von Gesetz und Gerechtigkeit. Die Schrift verneint, dass Gott so ist. Behauptete die Prädestinationslehre einen solchen Gott, dann, ja dann gäben wir auch zu, dass ihm damit auch Ungerechtigkeit zugeschrieben würde, deren Leugnung zwecklos wäre. Die Schrift sagt aber, Gott achte den Stand einer Person nicht. Bei seiner Wahl lässt er sich weder von äußerlichen Umständen leiten noch von Rasse, Nationalität, Wohlstand, Kraft, Adel oder sonstigem. Petrus schildert uns einen unparteiischen Gott, der schon keinen Unterschied zwischen Juden und Heiden macht. Nachdem er zu dem römischen Hauptmann Cornelius geschickt worden war, schloss er: »Vielmehr ist ihm in jedem Volk wohlgefällig, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist« (Apg 10,35). Ihre ganze Geschichte lang glaubten die Juden ernsthaft, sie seien als auserwähltes Volk Gottes Günstlinge. Doch die sorgfältige Lektüre der Apostelgeschichte Kap. 10, 1 -- 11,18 zeigt den revolutionären Charakter der Idee, dass das Evangelium auch für die Heiden bestimmt war. Paulus sagt ganz ähnlich: »Hingegen wird Herrlichkeit, Ehre und Friede jedem zuteil, der Gutes tut, zunächst dem Juden, dann auch dem Griechen. Denn bei Gott gibt es kein Ansehen der Person« (Röm 2,10f). An einer anderen Stelle sagt er: »Da gilt nicht mehr Jude oder Heide, nicht mehr Knecht oder Freier, nicht mehr Mann oder Frau. Ihr seid alle einer in Christus Jesus. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr auch Abrahams Nachkommen und gemäß der Verheißung Erben« (Gal. 3,28f.). In Eph 6,5--9 werden Herren und Sklaven gleicherweise aufgefordert, gerecht zu handeln, denn Gott, der beider Herr ist, sieht den Stand des Menschen nicht an. Auch in Kol. 3,25 sehen wir einen ähnlichen Gedanken: Die Beziehungen zwischen Vater und Kindern und zwischen Frauen und deren Ehemännern sind darin eingeschlossen. Jakobus zeigt den unparteiischen Gott im Hinblick auf Reiche und Arme. Der Gutgekleidete sollte dem Armen gegenüber keinen Vorzug bekommen (Jak. 2,1-9). Der Begriff »Person« meint in diesen Versen nicht das Individuum selbst, die Seele, sondern eben die äußerliche Erscheinung, von der sich die Menschen gewöhnlich beeinflussen lassen. Wenn die Schrift also sagt, Gott achte die Person nicht, dann bedeutet das nicht, dass Gott alle Menschen gleich behandelt, sondern ganz einfach, dass der Grund, weshalb Gott den einen rettet und den anderen ablehnt, nicht in Nationalität und anderen Äußerlichkeiten zu suchen ist. __________________________________________________________________ 3) Gott gibt den einen, was er anderen vorenthält Dass Gottes Vorsehung den Menschen nicht gleich behandelt, ist nun wirklich nicht abzuleugnen, sondern triviale Tatsache der Erfahrung. Die Ungleichheit in dieser Welt tritt ja aufs Schreiendste zutage. Nicht nur die Bibel sagt uns das, sondern es zeigt uns auch die tägliche Erfahrung: Die Verteilung der Güter ist höchst unterschiedlich, und dies ganz zurecht, da die Güter ausnahmslos nicht verdient sind, sondern Gnadengeschenke sind. Der Calvinismus hält sich hier ganz an die Faktizität der Ungleichverteilung. Es kann nicht bezweifelt werden, dass sich der Mensch in dieser Welt ungleich behandelt sieht, sowohl was die äußeren Umstände anlangt als auch in Bezug auf seine inneren Neigungen. Das eine Kind wird gesund in eine Familie hineingeboren, kann sich des Wohlstands erfreuen und noch dazu weiser und gütiger Eltern, die es von Kindheit auf lehren, Gott zu fürchten und die jede Gelegenheit nützen, ihm die Wahrheit der Heiligen Schrift zu zeigen. Ein zweites Kind wird in bittere Armut hinein geboren, erleidet Schande, Krankheit und unterliegt dem Fluch ausschweifender und verderbter Eltern, die das Evangelium ablehnen und dem Christentum spotten und alles dazu tun, das Kind vor jeglichem Einfluss des Evangeliums fernzuhalten. Manche Menschen werden mit empfindsamem Gewissen geboren, das sie ein Leben der Unbescholtenheit führen lässt. Andere kommen schon mit der Neigung zu Gewalt auf die Welt, ja sogar mit ganz bestimmter Tendenz zum Bösen, einer vererbten und scheinbar unbesiegbaren Tendenz zum Bösen. Manche sind von Natur aus Frohnaturen, manche Miesmacher. Manche werden in christliche und zivilisierte Länder hinein geboren, wo sie gut behütet und sorgsam erzogen aufwachsen. Andere werden in völlig heidnische Dunkelheit hinein geboren. Generell kann man sagen: Ein Kind, das unter angemessenem christlichen Einfluss aufwächst, lebt ein aufrichtiges Leben des Dienstes am Mitmenschen, während ein anderes, dessen Charakter unter der defekten »Obhut« verdrehter Eltern als Vorbilder aufwächst, ein Leben der Ungerechtigkeit und Unbußfertigkeit führen wird. Das eine wird gerettet, das andere geht verloren. Wer will denn bestreiten, dass der göttliche Einfluss rettender Gnade auf ein Individuum hier ungleich wirkt? Wer wird denn nicht zugeben, dass wenn die beiden Individuen die Plätze tauschen könnten, sich wahrscheinlich auch ihre Charaktere ganz unterschiedlich entwickeln würden? Müsste der Sohn gottesfürchtiger Eltern im Hause von Ungläubigen aufwachsen und würde all jenem schlechten Einfluss ausgesetzt, würde er denn nicht sehr wahrscheinlich auch in seinen Sünden sterben? Die unverstehbare Vorsehung Gottes hat die Menschen unter höchst verschiedene Einflüsse gestellt, und so weichen auch die Ergebnisse sehr voneinander ab. Gott hat diese verschiedenen Ergebnisse selbstverständlich vorhergesehen, noch bevor die einzelnen Menschen geboren worden waren. Das alles sind Fakten, die kein Mensch leugnen kann. Wenn wir glauben, das Universum wird von einem persönlichen und intelligenten Wesen regiert, dann müssen wir auch glauben, dass diese Ungleichheit nicht dem Zufall überlassen bleibt, sondern Teil des Plans ist. Das Los jedes einzelnen Menschen ist auf die Souveränität und das Wohlgefallen Gottes allein zurückzuführen. N. L. Rice sagt: »Sogar Arminianer werden zugeben müssen, dass Gott große Unterschiede in der Familie der Menschheit macht. Nicht nur wird zeitlicher Segen unterschiedlich verteilt, sondern auch geistliche Gaben -- ein Unterschied, der sie eigentlich dazu zwingen sollte, die Lehre von der Erwählung anzuerkennen, wenn sie logisch konsequent blieben ... Wenn das vom göttlichen Einfluss begleitete und an ein Volk gesandte Evangelium nicht zur persönlichen Erwählung zählen darf, dann wird die Zurückhaltung dieser Gnaden von einem Volk jedenfalls zu genereller Verwerfung führen.« [200] Der Calvinismus geht davon aus, dass Gott seine Gnade ähnlich gewährt wie die anderen Gaben. Wäre die Verteilung der geistlichen Gaben ungerecht, so ist es die Verteilung zeitlicher Güter nicht minder. Tatsache ist aber einmal, dass Gottes Souveränität schon von Geburt an die größten Unterschiede zwischen Menschen macht, ganz unabhängig von persönlichen Verdiensten. Sowohl zeitliche Güter als die notwendigen Umstände, überhaupt zum Heil zu gelangen, werden ungeachtet menschlicher Verdienste gewährt. Daher heißt es auch, der Heilige Geist teilt jedem zu, wie er will (1 Kor 12,11). Nirgendwo in der Schrift heißt es, dass Gott seine Gnade »unvoreingenommen« oder »vorurteilslos« gewähre. Schon alleine was die Nationen anlangt, sehen wir, dass Gott ganz offensichtlich einige davon bevorzugt hat: In ältester Zeit Israel, heute etwa Europa und Amerika, während der Orient und Afrika in Dunkelheit liegen und dem Fluch falscher Religionen unterworfen ist. All diese Tatsachen muss jedermann zugeben. Obgleich die Juden ein kleines und ungehorsames Volk waren, hat Gott ihnen Vorteile gewährt, die er anderen Nationen vorenthalten hatte. »Euch allein habe ich aus allen Völkern der Erde erkannt« (Am. 3,2). »So hat keinem anderen Volk er getan, noch sie gelehrt seine Rechte« (Ps 147,20). »Was haben dann die Juden noch voraus? Was nützt die Beschneidung? In jeder Hinsicht viel. Vor allem sind ihnen die Verheißungen Gottes anvertraut worden« (Röm 3,1f). Keine dieser Gunstbezeugungen haben die Juden je verdient, denn immer wieder wird ihnen gesagt, dass sie ein »halsstarriges und rebellisches Volk sind.« In Mt 11,25f. sagt Jesus: »Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies vor Weisen und Klugen verborgen, Kleinen aber geoffenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen.« Hier dankt Jesus seinem Vater für genau das, was der Arminianismus als ungerecht und parteiisch bezeichnet. Auf die Frage, weshalb Gott nicht allen Menschen den gleichen Segen gewährt, können wir nur antworten, dass uns das nicht offenbart worden ist. Wir sehen, dass schon das jetzige Leben gravierende Unterschiede macht: Nicht alle werden gleich behandelt. Aus Gründen, die Ihm allein bekannt sind, hat er einigen Menschen Segnungen zuteil werden lassen, auf die sie keinerlei Recht haben; dagegen besteht große Verpflichtung zur Dankbarkeit, da sie große Schuldner der göttlichen Gnade geworden sind. Anderen hat er diesen Segen nicht erteilt; er unterliegt allerdings auch keiner Verpflichtung, dies je zu tun. Tatsächlich wird kein einziges Glied der Menschheit von seinem Schöpfer schlechter behandelt, als es das verdient hätte. Die Gnade, die Gott einzelnen Menschen gewährt, gewährt er aus keinerlei Verpflichtung heraus, daher kann er nach seiner Wahl so viel Gnade gewähren, wie immer ihm beliebt, dem einen mehr, dem anderen weniger. W. G. T. Shedd merkt an: »Wenn Gott den Nichterwählten dennoch eine allgemeine Gnade gewährt, dann bedeutet das, dass er sie generell vom Königreich des Himmels ausschließt, denn diese allgemeine Gnade ist nicht nur eine Einladung zu glauben und zu bereuen, sondern will auch die Hilfestellung dazu geben. Diese Hilfe wird nur durch den Widerstand der Nichterwählten zunichte gemacht, nicht durch eine Eigenschaft jener allgemeinen Gnade oder gar durch Gottes Handeln. Die Erfolglosigkeit der allgemeinen Gnade, den Sünder zu erlösen, ist einzig dem Sünder selbst zuzuschreiben; er hat kein Recht, sich zu beschweren, dass er ja nichts dafür könne, er hat nicht das Recht, zu argumentieren, dass Gott ihm gerade wegen dieser seiner Ablehnung die Gnade gewähren müsse. [201] Wird eingewendet, dass Gott doch jedem Menschen die Möglichkeit geben müsse, errettet zu werden, dann antworten wir, dass schon das Vernehmen des Evangeliums für den, der hören kann, eine solche Möglichkeit darstellt. Die Botschaft lautet ganz einfach: »Glaube an den Herrn Jesus und du wirst errettet.« Das ist eine Möglichkeit, errettet zu werden, und nichts hindert den Menschen, daran zu glauben, außer er sich selbst. Shedd hat diesen Gedanken sehr schön in den folgenden Worten ausgedrückt: »Ein Bettler, der fünf Dollar aus den Händen eines wohlwollenden Menschen ablehnt, kann ihn dafür nicht des Geizes anklagen, nur weil er ihm nach der Ablehnung der fünf Dollar nicht sofort zehn Dollar anbietet. Jeder Sünder, der Gott anklagt, ihm nicht jene wesensverändernde Gnade gewährt zu haben, die zu ewigem Leben führt, trotzdem er die allgemeine Gnade missbraucht hat, der sagt im Prinzip zum Höchsten und Heiligen: >Du hast einmal versucht, mich zu bekehren, versuche es noch einmal, gibt dir allerdings etwas mehr Mühe!<« [202] Ein starkes Argument gegen den arminianischen Einwand, diese unsere Lehre mache Gott zum ungerechten Parteigänger, besteht in dem Hinweis, dass Gott seine rettende Gnade nur für gefallene Menschen, nicht aber für den Teufel und seine Engel bestimmt hat. Wenn es sich also mit der unendlichen Güte und Gerechtigkeit Gottes verträgt, die ganze Schar der gefallenen Engel in Bezug auf das Heil außer Acht zu lassen und sie ihrem Schicksal der Strafe für ihre Sünden zu überlassen, dann gilt das auch für Teile der gefallenen Menschheit. Wenn der Arminianismus zugibt, dass Christus nicht für die gefallenen Engel gestorben ist, dann glaubt er selbst schon im Prinzip an die »begrenzte Sühne« und bildet einen ähnlichen Unterschied zum Calvinismus, der sagt, dass Christus nur für die Auserwählten gestorben ist. [203] Wie darf der Mensch mit seinem fehlerhaften Wissen und seinen Missverständnissen sich anmaßen, Gottes Gnadenwahl zu kritisieren? Das wäre so, als bezichtigte er Gott der Ungerechtigkeit, weil er die Menschen nicht gleich als Engel erschaffen hat -- die Macht dazu hat er ja gehabt; so sei er also ungerecht, weil er auf diese Weise doch alle Menschen errettet haben könnte. Das Verhältnis von irdischer Sünde und ewiger Strafe ist für uns genauso schwer zu verstehen wie der Umstand, dass Gott einige Menschen errettet, andere dagegen nicht. Ganz offensichtlich errettet er manche Menschen nicht, obgleich er es könnte. Wenn jene, die an Gottes Vorsehung glauben, einwenden, er habe weise Gründe dafür, weshalb er so viele Menschen verlorengehen lässt, dann antworten wir darauf: Diejenigen, die an Gottes Souveränität glauben, können sagen, er hat weise Gründe, weshalb er einige errettet, andere dagegen nicht. Mit gutem Grund könnte man sagen, da Gott einige Menschen bestraft, sollte er eigentlich alle Menschen bestrafen, aber niemand wird soweit gehen. Vom menschlichen Standpunkt aus gesehen scheint es wesentlich plausibler und Gott wesentlich angemessener, wenn er der Sünde erst gar nicht erlaubt hätte, in unser Universum einzudringen, oder dass er zumindest nach dem Eindringen der Sünde Vorkehrungen getroffen haben sollte, die Sünde wieder zu eliminieren, damit letztlich alle Geschöpfe das ewige Heil erlangen. Aber der Pläne wäre kein Ende, wenn sich jedes Geschöpf anmaßte, die göttlichen Handlungen mit seiner eigenen Sichtweise zu versöhnen. Wir haben uns in Bezug auf die Vorsehung mit den offenbarten Fakten aus der Bibel zu begnügen, und es scheint, als sei allein der Calvinismus in der Lage, diese Frage richtig zu beantworten. __________________________________________________________________ [200] N. L. Rice, God Souvereign and Man Free, S. 136, 139. [201] William G. T. Shedd, Calvinism, Pure and Mixed, S. 59. [202] Ebd., S. 51. [203] In einem Brief an John Wesley auf dessen Predigt über die "freie Gnade" schreibt George Whitfield, der große Erweckungsprediger des achtzehnten Jahrhunderts: "Ferner will ich darauf verweisen, dass Ihr die Lehre der Verwerfung zu Unrecht gotteslästerlich nennt. Umgekehrt ist die Lehre der universalen Erlösung, wie Ihr sie darlegt, der größte Anwurf auf die Würde des Sohnes Gottes und auf den Wert seines Blutes. Bedenkt daher, ob es nicht viel eher Gotteslästerung sei, zu sagen, wie Ihr in Paragraph 20 tut: ,Christus starb nicht allein für jene, die gerettet werden, sondern auch für jene, die verlorengehen." Das Absurde einer solchen Behauptung tritt hier ganz klar zutage (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ 4) Gottes »Parteilichkeit« im Lichte seiner Souveränität und seiner Gnadengaben Es wäre falsch, zu sagen, Gott sei denen gegenüber ungerecht, die sein Plan nicht zum Heil vorsieht. Dieser Einwand sollte bedenken, dass Gott es nicht einfach mit Geschöpfen zu tun hat, sondern mit sündigen Kreaturen, die jeden »Anspruch« auf seine Gnade verloren haben. Augustin hat sehr schön gesagt: »Die Verdammnis ereilt die Sünder gerechterweise wegen ihrer Schuld und ihrer Verfehlungen; die Gnade wird den Begnadigten aber völlig unverdient gewährt, so dass der verdammte Sünder nicht sagen kann, er habe seine Strafe nicht verdient, wie ebenso auch der Heilige keineswegs in irgendeiner Weise stolz darauf sein dürfte, als habe er die Gnade verdient. All dies zeigt: Es gibt kein Ansehen der Person. Die Verdammten und die Erlösten sind ursprünglich aus dem selben Klumpen; beide sind sündig und der Vergeltung verfallen. Die Gerechtfertigten sollen im Hinblick auf die Gefallenen lernen: Auch sie gehörten eigentlich zu ihnen, wenn die göttliche Gnade nicht für sie eingetreten wäre.« [204] Calvin kommt zum gleichen Schluss, wenn er sagt: »Der Herr gewährt Gnade, wem er will, weil er barmherzig ist; er gewährt sie jedoch nicht jedermann, eben weil er ein gerechter Richter ist. Er gewährt denen Gnade, die sie niemals verdienen, während er mit der Verweigerung der Gnade nur erklärt, dass man sie eben nicht verdient.« [205] Parteilichkeit, wie unsere Gegner das Wort verstehen und verwenden, ist freilich im Reich der Gnade ausgeschlossen. Parteilichkeit gibt es nur im Bereich der Gerechtigkeit, eben dort, wo die Betroffenen gewisse Ansprüche und Rechte haben. Wir mögen dem einen Bettler etwas geben, was wir dem anderen vorenthalten, denn wir schulden weder dem einen etwas noch dem anderen. Das Gleichnis mit den Talenten illustriert die Lehre der göttlichen Souveränität sehr klar: Die verteilten Gaben sind völlig unverdient -- und die Erneuerung des Menschen ist wohl eines der größten unverdienten Geschenke überhaupt. Die zentrale Aussage des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg ist Gottes Souveränität in der Verteilung seiner Gaben. Er kann zum Geretteten wie zum Verlorenen sagen: »Freund, ich tue dir kein Unrecht; ... Oder darf ich mit meinem Eigentum nicht machen, was ich will? Bist du etwa neidisch, wenn ich (zu anderen) gütig bin?« (Mt 20,15-15). In Bezug auf Mose heißt es: »Ich erbarme mich, wessen ich mich erbarmen will, und ich habe Mitleid, mit dem ich Mitleid haben will. Somit kommt es nicht auf das eigene Wollen oder Laufen an, sondern auf Gottes Erbarmen. So sagt die Schrift zu Pharao: >Gerade dazu habe ich dich erweckt, um an dir meine Macht zu zeigen, damit mein Name auf der ganzen Erde verkündet werde.< So erbarmt er sich, wessen er will, und er lässt verstockt sein, wen er will« (Röm 9,15ff). Einigen gegenüber ist er gnädig, den anderen gegenüber gerecht -- alle werden sie zu Seiner Herrlichkeit beitragen. Es ist, wie wenn ein Mensch seine Almosen verteilt: Dem einen gibt er etwas, dem anderen nicht. Genauso kann Gott seine Gnade, dieses himmlische Geschenk, gewähren, wem er will. Es liegt im Wesen der Gnade, immer Geschenk zu sein. Dass sie so ungleich gewährt wird, zeigt gerade, wie unverdient sie ist. Wenn auch nur einer ein Recht auf sie hätte, wäre sie schon keine Gnade mehr, sondern wäre etwas Geschuldetes. Wenn man Gott seiner Souveränität in dieser Sache beraubt, dann wird die Erlösung für jedermann zu einer Sache des Anspruchs. Zehn Mann schulden einem bestimmten Geldgeber tausend Dollar. Der Geldgeber erlässt nun aus uneinsichtigen Gründen sieben Männern ihre Schuld, nicht aber den drei anderen. Haben denn diese drei Männer ein Recht, sich zu beklagen? Wenn drei Mörder zum Tod durch den Strang verurteilt werden, zweien von ihnen jedoch Gnade gewährt wird -- vielleicht stellt sich heraus, dass sie zu Kriegszeiten ihrem Land einen besondern Dienst erwiesen hatten -- macht dies die Vollstreckung der Todesstrafe am Dritten deswegen ungerecht? Selbstverständlich nicht: In seinem Fall mag es keinerlei Gründe geben, ihn nicht der Todesstrafe zu überantworten. Wenn es schon nicht ungerecht ist, wenn ein irdischer König so verfährt, wie sollte es dann ungerecht sein, wenn der souveräne Herr gegenüber seinen rebellischen Geschöpfen nicht anders verfährt? Wenn alle Menschen die Strafe verdienen, wie kann man Gott dann ungerecht nennen, wenn er eben nur einen Teil davon bestraft -- noch dazu einen vergleichsweise kleinen Teil? Warburton hat ein anschauliches Beispiel gebracht: Eine Dame geht in ein Waisenhaus und adoptiert ein ganz bestimmtes Kind. »Sie könnte auch andere Kinder ausgewählt haben -- die Mittel dazu hat sie -- aber sie wählte eben dieses eine Kind. Ist sie etwa ungerecht? Ist sie ungerecht, weil sie einem Kind die Sicherheit und den Komfort ihres eigenen Heims bietet? Ist denn das nicht ihr unbestrittenes Recht? Wenn die anderen Kinder nun zu Gossenkindern werden, weil sie nur dieses eine Kind ausgewählt hat, wo ist da ihre Schuld? ... Hat man je davon gehört, dass ein Gericht jemanden wegen einer solchen Tat verurteilt hätte? Wird ein solcher Mensch nicht vielmehr geachtet und gelobt? Spricht man nicht in höchsten Tönen von seiner Liebe und seinem Mitleid? Und weshalb? Warum verurteilt man ihn nicht, weil er sich ein Kind aus einem Waisenhaus geholt hat und die anderen zurückgelassen hat? Warum beschwert man sich nicht darüber, welch Ungerechtigkeit es sei, all die anderen Kinder zurückgelassen zu haben? ... Der Grund dafür ist einfach: Alle Kinder befinden sich in der gleichen Notlage; keines hat auch nur die geringsten Ansprüche darauf, Gefallen zu finden bei dem, der es nach seinem Wohlgefallen adoptieren könnte ... Wo ist da der Unterschied, wenn auch Gott sich erwählt, wen Er will? Hat etwa ein Findlingskind Anspruch darauf, dass man es adoptiert? Genauso wenig hat der gefallene Mensch Anspruch darauf, dass Gott ihn erlöst; Gottes Wahl ist daher völlig frei, unverdient und gerecht. Gottes Vorauswahl ist unverdient und frei, und sie ist es angesichts der Selbstverschuldung des Menschen. Nicht mehr und nicht weniger ist es, was die calvinistische Lehre der Prädestination aussagt.« [206] Da das Opfer Christi von unendlichem Wert ist, mögen wir zunächst annehmen, Gott hätte doch alle Menschen erretten sollen. Doch wollte er offenbar ein ewiges Beispiel nicht nur seiner Gnade, sondern auch seiner Gerechtigkeit aufrichten. Wenn jeder gerettet worden wäre, dann hätte man nie gesehen, wie schlimm die Sünde ist und welche Strafe sie eigentlich verdient. Wenn niemand gerettet worden wäre, dann hätte man auch niemals gesehen, was Gottes Gnade bedeutet. Darüber hinaus wird die Kostbarkeit der Gnade gerade erst in ihrer Exklusivität sichtbar, freilich nur jenen, denen sie gewährt wird. Letztlich wird man sagen dürfen: Die Größe des Plans zeigt sich vielleicht gerade darin, dass Gott einige Menschen ihrer Wege in das Verderben gehen lässt, damit generell sichtbar wird, welch schrecklich Ding es ist, der Feind Gottes zu sein. Man könnte nun fragen: Was ist das Schicksal des Nicht-Erwählten, der in seinen Sünden belassen wird und ewige Strafe erleiden muss, ja, der nicht einmal die Möglichkeit hat, das Königreich Gottes zu sehen? Wir antworten darauf mit der Lehre von der Erbsünde. Adam hätte als Stellvertreter der ganzen Menschheit die Möglichkeit gehabt, errettet zu werden, doch er hat diese Möglichkeit verspielt. Die Rechtfertigung der Erwählten wie das Übergehen der Verlorenen muss im Lichte der Tatsache gesehen werden, dass »alle gesündigt haben und der Herrlichkeit Gottes ermangeln.« Zweifellos gibt es die allerbesten Gründe für Gottes Wahl, doch sind uns diese Gründe nicht offenbart. Wir wissen nur, dass kein einziger Verlorener seine Strafe unverdient verbüßen wird. In dieser Welt genießen sie der Güter Gottes oft in noch größerem Maße als die Auserwählten. Sowohl Gewissen wie auch Erfahrung sagen uns, dass wir Angehörige einer gefallenen Menschheit sind. Jeder, der verlorengeht, weiß, dass er selbst daran schuld ist. Darüber hinaus: Wenn alle Menschen aufgrund einer gerechten Handlung Gottes in ihre gegenwärtige Verlorenheit und in ihren ruinösen Zustand gelangt sind -- und wer wollte dies bestreiten? --, dann könnten sie völlig gerechterweise ihrem Schicksal überlassen bleiben. Es wäre ja absurd zu sagen, sie haben zwar nichts anderes verdient als ewiges Elend, doch sei es ungerecht, wenn sie dieses Elend nun auch erleiden müssten, denn das wäre nichts anderes, als wolle man sagen, die Ausführung einer gerechten Verurteilung sei ungerecht. Man mag noch hinzufügen, dass der Mensch in seinem gefallenen Zustand keinerlei Verlangen nach Erlösung [207] hat, und an genau dieser Masse »übt Gott Barmherzigkeit, an wem er will und verhärtet auch, wen er will.« Das ist die durchgängige Lehraussage der Schrift. Wer dies leugnet, der leugnet das Christentum selbst und stellt Gottes Herrschaft der Welt in Frage. Niemand wird bestreiten, dass wir selbst höchst »parteiisch« zu sein pflegen: Wir behandeln unsere Familienmitglieder und Freunde ganz besonders, obgleich sie es nicht mehr oder weniger verdient haben als alle anderen Menschen. Es folgt aber daraus keineswegs, dass wir alle Menschen so behandeln müssten. Genau dies aber verlangt der Arminianismus vom Allerhöchsten: Er muss seine Freigiebigkeit wie aus einer Staatskasse an alle verteilen. »Sollte ich das zehntausend Pfund schwere Geschenk eines Freundes zurückweisen und ihn damit beleidigen, nur weil er dieses Geschenk nicht auch meinem Nachbarn macht?«, fragt Toplady. Wenn uns jemand sagt, die Prädestinationslehre habe mit »Parteilichkeit« zu tun, dann stimme ich gerne zu. Aber ich leugne, dass diese »Parteilichkeit« ungerecht sei. __________________________________________________________________ [204] Boettner gibt die Quelle nicht an. [205] Boettner gibt die Quelle nicht an. [206] Boettner gibt die Quelle nicht an. [207] Boettner meint die Erlösung durch Jesus Christus, denn dass der Mensch seit jeher Verlangen nach Erlösung hat, wird niemand bestreiten wollen, da das Phänomen Religion ohne diesen Gedanken unsinnig wäre (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XX __________________________________________________________________ Einwand 6: Diese Lehre zerstöre die gute Moral, weil sie zur Passivität anleite __________________________________________________________________ 1) Ziel und Mittel sind vorherbestimmt Es wird manchmal der Einwand erhoben, dass dieses Gedankengebäude die Menschen zu Sorglosigkeit und Indifferenz bezüglich ihres moralischen Verhaltens und ihres Wachstums in der Gnade verleite, da ja ihre ewige Erlösung quasi schon feststehe. Dieser Einwand wird meist gegen die Lehre der Erwählung und gegen das Beharren der Heiligen eingewandt. Diesem Einwand (genauso wie jenem, dass unser System angeblich zu Faulheit führe) kann aber mit dem Hinweis begegnet werden, dass nicht nur das Ziel vorherbestimmt ist, sondern auch die Handlungen. Gottes Befehl, die Erde solle fruchtbar sein, meint den Sonnenschein genauso wie Regen und Ackerbau etc. Wenn Gott dem Menschen Ernte vorherbestimmt hat, dann auch die Saat und die Pflege des Saatgutes. Das Ziel, etwas zu bauen, schließt die Herstellung der Baumaterialien mit ein, genauso wie eine Kriegserklärung die Waffen, Munitionen, Schiffe und all die sonst nötige Ausstattung miteinschließt. Zur Auswahl der Erwählten gehört nicht nur ihr ewiges Ziel, sondern auch die Erwählung zur Heiligkeit im Hier und Jetzt. Es wird nicht einfach der Mensch als solcher, sondern der Mensch als heiliger und tugendhafter Mensch zum ewigen Leben vorherbestimmt. Paulus sagt in deutlichster Sprache vom Ziel der Erwählung: »In ihm hat er uns schon vor Erschaffung der Welt auserwählt, dass wir heilig und untadelig vor ihm seien« (Eph 1,4). »Denn die er vorher erkannt hat, die hat er auch vorherbestimmt, dem Bild seines Sohnes gleichförmig zu werden«, heißt es in Römer 8,29. In 2 . Thess. 2,13 heißt es, »dass Gott euch am Anfang zum Heil erwählt hat in der Heiligung des Geistes und durch den Glauben an die Wahrheit.« »Soviele ihrer zum ewigen Leben bestimmt waren«, heißt es in Apg 13,48. Die Vorherbstimmten sind die Berufenen, sind die Gerechtfertigten und sind die Verherrlichten (Röm 8,29f.), und daher steht der freie Ratschluss Gottes gegenüber den Erwählten auch fest (Röm 9,11). Dieser Glaubenssatz des Calvinismus ist im Westminster-Bekenntnis sehr gut ausgedrückt: »Wie Gott die Erwählten zur Herrlichkeit berufen hat, so hat er nach dem ewigen und völlig freien Entschluss seines Willens alle Mittel dazu im voraus bestimmt. Deswegen sind die Erwählten, die in Adam gefallen sind, erlöst durch Christus; wirksam berufen zum Glauben an Christus durch seinen Geist, der zu seiner Zeit wirkt; sind gerecht- fertigt, zur Kindschaft angenommen, geheiligt und bewahrt aus seiner Kraft durch den Glauben zum ewigen Heil. So sind auch keine anderen durch Christus erlöst, wirksam berufen, gerechtfertigt, angenommen, geheiligt und bewahrt als allein die Erwählten. [208] »Gott hat Hiskia fünfzehn Jahre des Lebens dazugeschenkt. Dies hat Hiskia aber nicht dazu verleitet, mit seiner Gesundheit sorglos umzugehen oder sein Essen zu verweigern. Er hat nicht gesagt: Obgleich ich durch das Feuer gehe oder mich ins Wasser stürze, egal ob ich auch Gift trinke -- ich werde jedenfalls genauso lange leben. Die Vorherbestimmung schließt das verursachende Handeln des Menschen immer mit ein.« [209] Da alle Ereignisse mehr oder weniger zusammenhängen und da Gottes Handeln immer ein vermitteltes Handeln ist, wäre die Gewissheit der Ereignisse ohne ein vorherbestimmtes Vermitteltsein dieser Ereignisse selbst freilich unhaltbar. Die Vorherbestimmung umfasst nicht nur das Werk Christi und das Wirken des Heiligen Geistes, sondern auch den Glauben, die Umkehr und das Beharren seines Volkes. Als Paulus die gleiche Lehre zu einer anderen Gelegenheit gebracht hat, musste er dem gleichen Einwand begegnen, nämlich, dass er das Gesetz durch diesen Glauben zugrunde richte, oder in anderen Worten: Da wir ja aus Glauben gerecht gesprochen sind, müssen wir uns nicht mehr an das Moralgesetz halten. Darauf antwortet er aber energisch: »Keineswegs! Vielmehr richten wir das Gesetz auf«. Zwischen der ewigen Erlösung als Ziel und dem Glauben und der Heiligkeit als Mittel besteht unauflösliche Verbindung. Der »ideale« Christ würde freilich keine Sünde begehen. Obgleich er gerettet ist, ist er doch gerettet, um gute Werke zu tun; er steht unter der Verpflichtung, niemandem Anstoß zu geben, damit sein Dienst nicht verspottet wird (2 Kor 6,3). Die Schrift kennt kein Beharren im Glauben, das nicht gleichzeitig auch ein Beharren in Heiligkeit wäre; sie gibt auch keinen Anlass, seine ewige Sicherheit ohne stetiges Streben nach Heiligkeit und Heiligung zu erwarten! Tugend und Heiligkeit sind Auswirkungen, nicht Ursachen der Erwählung, denn für die Erwählung kann es keine anderen Gründe geben als Gottes Wohlgefallen allein. Es stimmt zwar: Einige Menschen erreichen in diesem Leben ein Mehr an Heiligung, ein Mehr an stetigem Ausharren als andere, und niemand, der nicht im Hier und Jetzt an dieser Heiligkeit und Heiligung teilnimmt, soll wähnen, er werde die ewige Glückseligkeit im Jenseits sehen. Alle, die Gott für die ewige Glückseligkeit bestimmt hat, die hat er auch dazu bestimmt, in diesem Leben schon einen Vorgeschmack dieser Glückseligkeit zu bekommen, und gleichwie die Heiligkeit Grundvoraussetzung ist für ewige Seligkeit, so nimmt diese Heiligkeit in ihnen schon in diesem Leben ihren Anfang, denn ohne Heiligung wird niemand den Herrn sehen. __________________________________________________________________ [208] WB, Art. 3.6 [209] Ness, Antidote Against Arminianism, S. 41. __________________________________________________________________ 2) Liebe und Hingabe ist die stärkste Basis für ethisches Handeln Es wird eingewandt, dass auch die Gläubigen insgesamt unfähig sind, sich um ihrer feststehenden Sicherheit und ihres ewigen Heiles anderer Motive als der Selbstsucht bedienen zu können. Es handelt sich bei den Gläubigen immer noch um solche, die durch die Allmacht Gottes vom Tod zum Leben, von Sünde zu Heiligkeit gebracht worden sind und die die Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist, schon geschmeckt haben. Aber dieser Einwand sagt eigentlich nichts anderes -- und Cuninngham hat das sehr gut ausgedrückt -- als dies: »Erstens, dass jeder erste Anschein von Sittlichkeit, den ihr Verhalten zeigt, immer nur auf die Angst vor der Hölle zurückzuführen ist und dass sie um der ewigen Sicherung vor Strafen immer noch viel lieber tun möchten, was des Teufels ist, und nicht das, was Gottes ist. Das Wissen um das im Diesseits schon gewährte ewige Heil, auf das sie sich solcherart verlassen, kann daher niemals dazu führen, dass sie Gott irgendwelche Dankbarkeit entgegenbringen. [210] McFetridge hat den Kontrast sehr gut herausgearbeitet, der zwischen der moralischen Basis calvinistischer und arminianischer Theologie besteht: »Die zwei großen Quellen, die die Menschen bewegen, sind auf der einen Seite Überzeugung und Idee, auf der anderen Gefühl und Empfindung; der Charakter des Menschen wird geprägt von der Beeinflussung durch diese Art von Quellen. Derjenige, der sich von Überzeugung und Idee lenken lässt, gewinnt an Stabilität; um ihn umzustimmen, müsste sein Gewissen verändert werden. Derjenige dagegen, der sich von Gefühl und Empfindung lenken lässt, geht dem Wankelmut entgegen. Der Ansatz des Arminianismus basiert hauptsächlich auf Empfindungen. Er hält den Menschen für fähig, moralisch freiwillig tätig werden zu können und damit jederzeit sein ewiges Schicksal umstimmen zu können. Damit ist er seinen Empfindungen verpflichtet. Was immer seine Gefühle auf rechtmäßigem Wege anspornt, hält er für angebracht. Daher ist es vor allem vonnöten, dass Verstand und Gefühl angeregt werden. Der Arminianer ist aus diesen Gründen ein einfühlsamer Mensch, der konsequenterweise je von dem angesprochen wird, was er sieht und hört. Seine Moral hängt hauptsächlich von dem ab, was er fühlt und bleibt daher stets dem Wellenkamm der Veränderung ausgesetzt, der ihn nach oben oder auch nach unten trägt. Der Calvinismus dagegen ist ein Gedankengebäude, das sich nicht nach dem Gefühl, sondern nach dem Denken, nicht nach Empfinden, sondern am Gewissen orientiert. Aus seiner Sicht liegen alle Dinge geordnet in einem vollkommenen System göttlicher Gesetze, die unabhängig von dem gelten, was wir empfinden und denen auch bei Gefahr der Seele gehorcht werden muss. ... Sein Denken beruht nicht auf Empfindungen, sondern auf Überzeugungen. ... Die Stimme Gottes im Gewissen wird zum Führer eigenen Verhaltens. Sie versucht den Menschen zu überzeugen, nicht ihn mit vorübergehenden Gefühlen aufzuwirbeln. Ein tiefes Pflichtbewusstsein ist dem Calvinisten daher das Größte in Fragen der Moral. Seine erste und letzte Frage ist: Handle ich richtig? Dies muss er vor allem erkennen. Das Gewissen geht seinen Handlungen daher stets voraus. ... Aus calvinistischer Sicht hat Gott den Weg bereits abgesteckt, den der Mensch gehen soll -- es ist ein Weg, den Er nicht verändern wird. Der Mensch hat die Pflicht, auf diesem Wege zu gehen, und zwar unabhängig von Freudigkeit oder Sorge und unabhängig von seinem Wohlgefallen. Der Calvinist zeichnet sich nicht durch Beweisgier aus, sondern durch Gedankenfülle; seine Moral -- mag sie sonst sein, was sie will -- ist stets charakterisiert von Stabilität und Stärke, die allerdings einige gerne als Starrsinn und Härte hinstellen.« [211] Unsere Liebe zu Gott wäre im besten Fall lauwarm, wenn wir glaubten, seine Liebe zu uns hänge von unserem richtigen und guten Verhalten ab. Seine Liebe ist eine gigantische Sonne, die ohne Anfang und Ende scheint, während unsere Liebe zu Ihm bestenfalls als kleines Flämmchen gelten darf. Erst daraus resultiert die Sicherheit, dass Gott jene, die er liebt, niemals abfallen lässt. Liebe, die in Eigeninteresse gründet, wird allgemein nicht als besonders moralisch gesehen; der Calvinismus ist allerdings das einzige Glaubenssystem, das ein völlig selbstloses Motiv anführen kann, nämlich die Überzeugung, dass es einzig die freie Gnade und unverdiente Liebe Gottes unter Ausschluss jeglichen menschlichen Handelns ist, was den Menschen errettet. Wenn der Christ sich erinnert, dass er einzig durch das stellvertretende Leiden und Sterben Christi erlöst ist, dann überströmen Liebe und Dankbarkeit sein Herz und er fühlt wie Paulus: Alles, was er anbieten kann, ist: sein Leben in den liebenden Dienst zu stellen. Er sieht sich allein aus Gottes Gnade gerettet, daher lernt er, Gott um Seinetwillen zu lieben -- es wird ihm zur Freude des Lebens, ihm von ganzem Herzen zu dienen. Aus Gehorsamspflicht wird ihm ein höchstes Gut. Was die Heiligen hier auf Erden antreibt, ist das selbe Prinzip, das auch die vervollkommneten Heiligen im Himmel antreibt: Sie haben ihre Freude daran, Gott unausgesetzt mit ganzem Herzen zu dienen und ihn allerorts zu verherrlichen und ihr Leben ganz zu seiner Ehre zu leben. »Ein Entzücken an Seiner Güte treibt sie dazu, ihre vervollkommneten Geister das Lob und die Ehre beschreiben zu lassen, das dem gebührt, der sie aus tiefstem Verderben erlöst hat und der ihnen eine himmlische Behausung geschenkt hat, in der sie Ruhe, Entzücken, Wohlbehagen und völlig unverdiente Ehre genießen dürfen.« [212] Reine Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott, nicht selbstische Furcht ist der Treibstoff annehmbaren Gehorsams, und aus diesen beiden allein fließt alles, was sich etwa Reinheit der Moral nennen darf. Jesus befürchtete nicht, dass die Aussicht auf das Himmelreich Liederlichkeit in seinen Jüngern bewirken könnte, denn er sagte zu ihnen: »Freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.« Die Erwählten haben also die gewichtigsten Gründe, die ein Geschöpf nur haben kann, Gott zu lieben und ihn zu ehren, und es ist nichts als schiere Verleumdung, wenn man sagt, die Prädestinationslehre führe zu Nachlässigkeit und sei für die Moral nur wenig tauglich. __________________________________________________________________ [210] Cunningham, Historical Theology, Bd. 2., S. 279. [211] Nathanael S. McFetridge, Calvinism in History, S. 107f. [212] William Walmsley, Gelegenheitsschrift Nr. 173 der Souvereign Grace Union, S. 67. __________________________________________________________________ 3) Die Früchte des Calvinismus in der Geschichte sind seine beste Verteidigung Der Calvinismus reagiert auf den Vorwurf, die Moral nur wenig befördern zu können, nicht nur mit Vernunftgründen, sondern auch mit Fakten; er setzt den unhaltbaren Behauptungen seinen weltweiten Ruf entgegen. Was für Früchte, so fragt er, können andere Lehrgebäude dem Calvinismus entgegenhalten, wenn er auf die Errungenschaften der Reformatoren verweist oder auch auf den hohen moralischen Ernst der Puritaner? Luther, Calvin, Zwingli und deren unmittelbare Helfer waren durchgängig »Calvinisten«; unter ihnen fand die größte Erweckung aller Zeiten ihren Anfang. Der Calvinismus Englands etwa hielt sich so streng an die Reinheit der Lehre, der Anbetung und des täglichen Lebens, dass seine Anhänger gerade von ihren Feinden, die mitunter ihre besten Zeugen gewesen waren, den Namen »Puritaner« verliehen bekamen. In England waren es die Puritaner, in Schottland die Covenanters und in Frankreich die Hugenotten, die am selben Glauben und am gleichen Ethos festhielten. Es wird dem Calvinismus als Beweis für seine charakterformende Macht angesehen werden müssen, dass sein System in all diesen Ländern die gleiche Art Mensch hervorgebracht hat. Über die Puritaner in diesem Land sagt McFetridge: »Unter allen Völkern der amerikanischen Kolonien waren sie (die Puritaner, die Calvinisten Neuenglands) einzigartig, was die Moral betrifft. In ihren Überzeugungen gediegen, waren sie Männer und Frauen von Gewissen. Sie haben sich wahrlich keiner Gefühlsduselei hingegeben. Für die bloße Beachtung von Vorschriften hatten sie nichts übrig. Das Leben war zu erhaben für sie, zu ernst und zu feierlich, als dass sie sich in frommen Ergüssen oder emotionalen Rhapsodien ergingen. Von ganzem Herzen glaubten sie an einen gerechten Gott, an einen Himmel und an eine Hölle. Aus tiefstem Herzen fühlten sie, dass das Leben kurz ist und die Verantwortlichkeiten groß. Ihre Religion war ihr Leben. All ihre Gedanken und Beziehungen waren davon durchdrungen. Nicht nur ihre Mitmenschen, sondern auch ihre Tiere bekamen diesen guten Einfluss zu spüren. Tieren Gewalt anzutun galt ihnen als offenes Ärgernis. In dieser Hinsicht waren sie der Menschheit um zwei Jahrhunderte voraus. Sie waren fleißig, genügsam und tatendurstig -- was ihnen und ihren Nachkommen zu großem Wohlstand verhalf. Trunkenheit, Lästerung und Bettelei waren ihnen verhältnismäßig unbekannt. Sie brauchten weder Schloß noch Alarmanlage, um ihr ehrbar errungenes Gut zu schützen. Ein einfacher Holzriegel genügte, um sie und ihr Hab und Gut in einer Umgebung zu sichern, wo die Ehrbarkeit tägliche Regel war. Aus dieser Lebensart resultierte Gesundheit und Kraft. Sie lebten lange und glücklich, hinterließen große und hingebungsvolle Familien und sanken >wie reifes Korn, das geerntet wird<, ins Grab, hatten ihren Frieden mit Gott und ihren Mitmenschen geschlossen, alles in der Hoffnung einer gesegneten Auferstehung.« [213] Als Krone der calvinistischen Moral darf gelten, dass die ganze Geschichte des Puritanismus keinen einzigen Fall von Ehescheidung kennt. Was haben wir doch heute nicht für einen schreienden Bedarf an solchen Einflüssen! Gesetzlosigkeit, wenn sie denn vorgekommen ist, war die Ausnahme; die Puritaner kannten sie kaum. Wenn der Calvinismus der Moral tatsächlich so wenig förderlich ist, dann ist es in der Tat ein sehr eigenartiger Zufall, dass dort, wo es am meisten davon gegeben hat, die Kriminalität äußerst gering war. So sagt Froude: »Das Problem ist eben: Weinbeeren liest man nicht von Dornhecken. Erhabenere Naturen lassen sich nicht von engstirnigen und herzlosen Theorien leiten. Das geistliche Leben ist voll von offensichtlichen Paradoxien. ... Die praktische Auswirkung eines Glaubens ist der beste Beweis für seine Stichhaltigkeit. Bringt eine gewisse Anschauung ein heldenhaftes Leben hervor, dann wäre es infantil, angesichts dieser Tatsachen zu meinen, alles hätte auch anders kommen können.« [214] Henry Ward Beecher bemerkt: »Es gibt kein Lehrgebäude, das an Intensität dem Calvinismus das Wasser reichen könnte, was zumindest die hervorragende Moralität und die Reinheit des Charakters betrifft. Seit Weltbeginn hat wohl kein einziges System dem Menschen mehr Beweggründe zu heiligem Leben liefern können, oder auch nur eines, das wie der Calvinismus ganze Batterien an Waffensystemen gebaut hat, den Sündengrund zu attackieren. Man sagt uns, der Calvinismus hantiere mit Hammer und Meißel. Ja, das stimmt, doch das Ergebnis ist ein ansehnlicher Marmorblock. Andere Systeme lassen den Menschen schmutzig und verweichlicht; der Calvinismus macht sie zu Marmorblöcken, geschaffen für die Ewigkeit.« [215] Weit davon entfernt, als Lehrgebäude zu Unmoral und Verzweiflung zu führen, hat es sich gezeigt, dass im Alltag das Gegenteil der Fall ist. Kein anderes Lehrgebäude hat Menschen von solch brennendem Geiste an religiösen Idealen und ziviler Freiheit hervorgebracht oder solch hochtrabende Ideen von Moral und Bestrebungen in allen Phasen menschlichen Lebens gezeitigt. Wo immer die Reformation hingekommen ist, blühte das Land auf wie eine Rose, auch wenn es sich dabei um arme Länder wie Holland, Schottland oder auch Neuengland handelte. Selbst Macaulay und viele andere haben das zugegeben, und das ist immerhin beruhigend. __________________________________________________________________ [213] McFetridge, Calvinism in History, S. 128. [214] James Froude, Calvinism, S. 8. [215] Zitiert nach McFetridge, Calvinism in History, S. 121. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXI __________________________________________________________________ Einwand 7: Diese Lehre schließt ein ernst gemeintes Angebot des Evangeliums gegenüber den Nicht-Erwählten von vornherein aus. __________________________________________________________________ 1) Dieser Einwand trifft auch Gottes Vorherwissen Obgleich das Evangelium vielen Menschen angeboten wird, die es niemals annehmen werden und dies aus ganz subjektiven Gründen auch gar nicht können, betrifft das Angebot alle Menschen mit allem Ernst. Der oft gehörte Einwand des Arminianismus, die Prädestinationslehre mache ein ernsthaftes Angebot des Evangeliums an die Nicht-Erwählten von vornherein hinfällig, trifft mit gleicher Härte die Lehraussage vom Vorherwissen Gottes. Wir können fragen: Wie kann das Evangelium jenen ernsthaft angeboten werden, von denen Gott schon weiß, dass sie es verachten und ablehnen werden, ja speziell dann, wenn ihre Schuld und ihre Verdammnis dadurch nur noch um so schlimmer werden? Der Arminianismus gibt schließlich zu, dass Gott im Voraus weiß, wer das Evangelium annehmen und wer es ablehnen wird; er weiß sich unter dem göttlichen Befehl, das Evangelium allen Menschen zu predigen, und dennoch haben Vertreter dieser Ansicht ganz und gar nicht den Eindruck, dass sie damit etwas Unaufrichtiges tun. Die Schwierigkeit ist in beiden Fällen bloß subjektiv und ist einzig auf unser geringes Wissen und auf unsere Unfähigkeit, Gottes Wege zu verstehen, zurückzuführen. Wir wissen: Der Richter der Erde richtet gerecht, auch wenn unser schwacher Verstand Seinen Wegen oft nicht folgen kann. Wir wissen definitiv: Es ist ausreichend dafür vorgesorgt, dass kommen kann, wer will, und dass jedermann, der gerettet werden will, auch gerettet werden wird. Aus Christi Mund haben wir ein Gleichnis, das die Liebe Gottes zu seinen Kindern veranschaulicht: Der Vater sah den verlorenen Sohn, als dieser noch sehr weit entfernt war; er rannte ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn. Diesen Willkommensgruß Gottes erfährt jeder Verlorene, der zu ihm flieht. __________________________________________________________________ 2) Das Angebot ist durchaus aufrichtig Gott befahl Mose, die Ältesten aus Israel zu versammeln, zum Pharao zu gehen und von ihm zu verlangen, dass er das Volk eine Dreitagesreise in die Wüste ziehen lasse, um dort ein großes Fest zu feiern und zu opfern. Doch schon der nächste Vers sagt: »Ich weiß aber, dass der König von Ägypten euch nicht ziehen lässt, wenn er nicht mit Gewalt dazu gezwungen wird« (2 Mo 3,19). Wenn es stimmig ist, dass Gott von allen Menschen verlangt, Ihn zu lieben oder auch vollkommen zu sein (Lk 10,27; Mt 5,48), dann ist auch sein Befehl stimmig, umzukehren und an das Evangelium zu glauben. Eine Einladung kann auch dann ernst gemeint sein, wenn man vorher weiß, dass sie ausgeschlagen wird. Ein Vater, der seine Söhne falsche Wege gehen sieht, fühlt sich gezwungen, sie zurechtzuweisen. Seine Warnungen und Appelle sind sehr ernst gemeint; das Problem liegt bei den Söhnen. Will denn jemand behaupten, Gott könne sein Erlösungsangebot an freie Menschen nicht ernst meinen, wenn er damit nicht gleichzeitig den Menschen dazu bringt, das Evangelium auch zu akzeptieren? Es ereignet sich oft nach einem Bürgerkrieg, dass der siegreiche General den Soldaten der feindlichen Arme Amnesie gewährt, vorausgesetzt, die Soldaten strecken die Waffen, gehen nach Hause und leben ein friedsames Leben. Er tut dies ungeachtet der Tatsache, dass er weiß, dass dies viele Soldaten aus Stolz ablehnen werden. Dennoch macht er dieses Angebot guten Glaubens und zwingt niemanden zur Zustimmung, wenn er auch über die Macht dazu verfügte. Stellen wir uns ein Schiff mit vielen Passagieren vor, das etwas abseits der Küste zu sinken beginnt. Ein Mann schnappt sich ein Boot, um seine Familie zu retten. Zufällig ist das Boot groß genug, um alle Passagiere aufnehmen zu können, und so lädt er alle Sinkenden ein, an Bord zu kommen, obgleich er weiß, dass einige ablehnen werden, weil sie die Gefahr nicht erkennen oder weil etwa die Besatzung auf ihn spuckt oder auch weil Menschen aus anderen Gründen nicht umsteigen wollen. Wäre ein solches Angebot etwa unseriös? »Gesetzt den Fall, die Familie eines Mannes gerät in Gefangenschaft. Da tut sich eine Möglichkeit auf: ein Lösegeld, das nicht nur ausreicht, die Familie dieses Mannes loszukaufen, sondern für alle Gefangenen reichte. Obgleich das Lösegeld zunächst vielleicht nur für die Familie des Mannes beabsichtigt gewesen sein mag, würde es doch für alle ausreichen. Oder stellen wir uns jemanden vor, der ein Fest für seine Freunde vorbereitet, dabei allerdings so viel aufgetragen hat, dass er seine Türen öffnet und jedermann einlädt, der kommen will. Genau das hat Gott dem Calvinismus nach tatsächlich getan. Aus Liebe zu seinem Volk und zum Plan, seine Erlösung sicherzustellen, hat er seinen Sohn gesandt, um all jene zu erlösen, die das auch wollen.« [216] Immer wenn das Evangelium auf Menschen trifft, dann ist es der Unwille einiger, der sie daran hindert, es zu anzunehmen. Es wird ihnen nichts in den Weg gestellt, das sie daran hindern könnte. Alles, was der Ruf des Evangeliums umfasst, ist wahr; das Evangelium ist dem menschlichen Verständnis angepasst. Jeder, der will, kann umkehren und glauben. Kein äußerlicher Zwang hindert sie daran, das Evangelium anzunehmen. Die Erwählten nehmen es an, die Nicht-Erwählten dürfen es ebenfalls annehmen, wenn sie wollen, denn nichts als sie selbst bestimmt sie dazu, es abzulehnen. »Dem calvinistischen Schema zufolge haben die Nicht-Erwählten alle Vorteile und Möglichkeiten, die Erlösung zu erlangen, welche auch anderen Glaubenssystemen zufolge allen Menschen unterschiedslos angeboten werden. Der Calvinismus besagt, dass der Plan zur Errettung für alle Menschen passt und auch alle erretten könnte -- er wird auch allen gleichermaßen angeboten, obgleich er nach Gottes geheimem Ratschluss nur genau jene Auswirkungen zeitigt, die die Erfahrung eben zeigt. Letztlich wird nur Sein Volk positiv auf dieses Angebot reagieren, obgleich Nutzen und Vorteil dieses Angebots allen offenstehen, die gewillt sind, es anzunehmen. Mehr als das kann kein Gegner des Calvinismus verlangen.« [217] Der Arminianismus wendet ein, dass Gott seine frohe Botschaft doch denen nicht anbieten könne, die er seinem geheimen Ratschluss zufolge gar nicht auf der Liste seiner Erwählten hat, doch die Heilige Schrift zeigt, dass er genau das tut. Wir haben schon gezeigt, wie er mit dem Pharao verfahren ist. Jesaja sollte den Juden predigen, und wir finden auch in Jesaja 1,18f. ein sehr ausgeweitetes Angebot gnädiger Vergebung und Reinigung. [218] Aber in Kap. 6,9--13, gerade nach der herrlichen Vision der Berufung Jesajas muss dieser vernehmen, dass seine Predigt dazu bestimmt ist, seine Landsleute zu verhärten, und zwar bis zu ihrer generellen Zerstörung! Hesekiel war zum Haus Israel gesandt worden, um zu ihm zu sprechen, doch es wurde ihm gesagt, dass man nicht auf ihn hören werde (Ez 3,4--11). Mt 23,33--37 hat die gleiche Aussage. An dieser Stelle erklärt Gott, dass er genau das tut, was er dem Arminianismus zufolge nicht tun dürfte. Aufgrund dieser Betrachtungen kann der Einwand des Arminianismus nicht auf eine fehlerhafte Darstellung des Calvinismus zurückgeführt werden, sondern auf fehlerhafte Annahmen des Arminianismus selbst. Der Beschluss der Erwählung ist geheim. Der Verkünder des Evangeliums hat keine Kenntnis davon bekommen, wer unter seinen Hörern zu den Erwählten gehört und wer nicht, und deshalb ist es ihm auch nicht möglich, seine Botschaft nur den Erwählten zu bringen. Es ist seine Pflicht, voller Hoffnung auf alle zu blicken, denen er predigt und auch für alle zu bitten, dass sie zu den Erwählten zählen mögen. Er muss die Predigt allen bringen, um die Erwählten zu erreichen, und die Schrift sagt auch ganz klar, dass das Evangelium allen Menschen angeboten werden soll. Auch die Erwählten müssen die Botschaft zuerst einmal hören, bevor sie sie glauben und annehmen können (Röm 10,13--17). Der aufmerksame Leser wird bemerken, dass die Einladung genau genommen gar nicht einfach jedem gilt, sondern an die »Müden« adressiert ist, an die »Durstigen«, die »Hungrigen«, die »Willigen«, an jene, die »mühselig und beladen sind«, nicht aber an jene, die ihrer Ansicht nach nichts brauchen und nicht gewillt sind, sich erneuern zu lassen. Die Botschaft geht an alle, doch es ist Gott, wer aus seiner Zuhörerschaft die Seinen sich erwählt und ihnen durch seinen Geist diese seine Wahl auch mitteilt. Was den Erwählten Versicherung ihrer Erlösung bedeutet, ist den Nicht-Erwählten Torheit, oder, wenn das Gewissen erleuchtet wird, ein Richterspruch zur Verdammnis. Generell kann man sagen, dass die Nichterwählten um ihr ewiges Heil nicht besorgt sind; sie neiden den Erwählten ihre Hoffnung auf Errettung nicht, sondern lachen und spotten darüber. Da dem Verkünder die Wahl Gottes zunächst unbekannt ist, muss er auch im Ungewissen darüber bleiben, wer seine Botschaft zum Heil, wer sie zum Gericht empfängt. Soviel Schwachheit findet sich unter den Erwählten und soviel Fähigkeit des Bösen, sich als Engel des Lichts zu geben und den Anschein guter Taten und Worte zu geben, dass es dem Verkünder nicht möglich ist, zu wissen, was letztlich dabei herauskommen wird. Die Wirkung der Predigt steht nicht in der Hand des Verkünders, sondern in der Hand Gottes, und wie oft hat nicht schon eine Predigt, die aussichtslos geschienen, durch die Kraft des Heiligen Geistes ihr Ziel wohl erreicht. Doch nur weil es sicher ist, dass die Nichterwählten sich nicht zu Gott kehren werden, um ihre Sünden zu bereuen und ein moralisches Leben zu führen, ist es dennoch die Pflicht der Verkünders, das Evangelium allen zu bringen. Obgleich sie Mitglieder einer gefallenen Menschheit sind, sind sie nichtsdestoweniger freie Menschen, die für ihren Charakter und für ihr Verhalten verantwortlich sind. Gottes Befehl zur Umkehr trifft sie daher völlig zurecht. Anders zu handeln, gälte ihm als Preisgabe seines Gesetzes. Ständig wird gesagt, der Mensch habe keinerlei Verpflichtung, etwas zu tun, zu dem er gar nicht fähig ist. Diese Ansicht ist total daneben, denn der Mensch handelt aus selbstverschuldeter Unfähigkeit. Er wurde aufrecht geschaffen, ist aber aus freiem Willen in Sünde gefallen. Seine Verantwortlichkeit gleicht der eines Wehrdienstverweigerers, der sich zu diesem Zweck ein Auge oder eine Hand verstümmelt. Wenn Unfähigkeit die Verpflichtung aufhebt, dann ist Satan vollkommen von jeder Verpflichtung, recht zu tun, freigesprochen; seine teuflische Feindschaft wäre ganz und gar nicht mehr Sünde. Die Sünder stünden damit noch über dem Moralgesetz! Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Predigt die Nichterwählten nicht umsonst und nutzlos erreicht, denn auch so werden sie Zielscheibe genereller Hemmnisse und lenkender Einflüsse, die sie von Sünden abhalten, die sie sonst begingen. __________________________________________________________________ [216] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2., S. 556. [217] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 2., p. 644. [218] Jes 1, 18f.: Wohlan, lasst uns rechten!, spricht der Herr. Wenn eure Sünden auch rot sind wie Scharlach, weiß sollen sie werden wie Schnee. Wenn sie auch rot sind wie Purpur, weiß sollen sie werden wie Wolle! Seid ihr willig und hört, sollt ihr die Güter des Landes verzehren. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXII __________________________________________________________________ Einwand 8: Die Prädestinationslehre widerspreche der Heiligen Schrift __________________________________________________________________ 1) Die Ausdrücke »Wille« und »alle« Steht die Prädestinationslehre nicht in direktem Widerspruch zur Schrift, die doch erklärt, dass Christus für »alle Menschen« gestorben ist, für »die ganze Welt«? Heißt es nicht, dass Gott die Errettung aller Menschen will? In 1 Tim 2,3f. bezieht sich Paulus auf »Gott, unseren Retter, der will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen.« (Das Wort »alle«, so wird uns in dogmatischer Manier von unseren Gegnern versichert, muss jeden Menschen meinen.) In Hesekiel 33,11 lesen wir: »So wahr ich lebe, -- Spruch des allmächtigen Herrn -- ich habe kein Wohlgefallen am Tod des Gottlosen, sondern daran, dass sich der Gottlose von seinem Weg bekehre und lebe«; und in 2 Petr 3,9 lesen wir, dass Gott nicht will, »dass jemand verlorengeht, sondern dass alle zur Sinnesänderung gelangen.« Die King James Version hat: »Not willing that any should perish...« (will nicht, dass jemand verlorengeht). Diese Verse sagen aber schlicht, dass Gott ein wohlwollender Gott ist und keine Freude am Leid seiner Kreaturen hat, genauso wenig wie ein Vater sich daran erfreut, dass er seinen Sohn manchmal züchtigen muss. Gott will nicht per Dekret die Errettung aller Menschen, ganz abgesehen davon, wie er sie sonst wünschen mag; wenn auch nur ein Vers lehrte, er wolle die Erlösung aller Menschen per Beschluss, dann erst stünden sie in Widerspruch zu denjenigen Stellen, die aussagen, dass Gott souverän herrscht und dass es sein ausdrückliches Ziel ist, einige der Strafe zu überlassen. Das Wort »Wille« wird nicht nur in der Heiligen Schrift, sondern auch in unserem täglichen Sprachgebrauch verschieden verwendet. Manchmal meint es »Beschluss« oder »Ziel/Zweck«, manchmal bedeutet es aber auch nur den »Wunsch« oder das »Verlangen« nach etwas. Ein gerechter Richter will (wünscht) nicht, dass jemand die Todesstrafe erleidet oder ins Gefängnis muss, doch gleichzeitig will (beschließt) er die Strafe des Schuldigen. Gleicherweise kann ein Mensch aus zureichendem Grund wollen, dass man ihm eins seiner Gliedmaßen entfernt, obgleich er sich dies nicht geradezu wünschen kann. Die griechischen Wörter »thelo« und »boulomai«, die manchmal mit »Wollen« übersetzt werden, werden ebenso im Sinne von »Wünschen« oder »Verlangen« gebraucht, z. B. wenn Jesus zur Mutter des Jakobus und des Johannes sagt: »Was willst du?« (Mt 20,21), oder wenn von den Pharisäern die Rede ist, »die in langen Gewändern einhergehen wollen« (Lk 20,46). Einige der Schriftgelehrte und Pharisäer sagten zu Jesus: »Lehrer, wir möchten ein Zeichen von dir sehen« (Mt 12,38). Paulus sagte: »Aber in der Versammlung will ich lieber fünf Worte reden mit meinem Verstande als zehntausend Worte in einer Sprache« (1 Kor 14,19). In gleicher Weise wird das Wort »alle« in verschiedenem Sinne gebraucht. In manchen Fällen ist ganz klar, dass nicht damit nicht »jeder Mensch« bezeichnet wird, zum Beispiel wird von Johannes dem Täufer gesagt: »Und es ging zu ihm hinaus das ganze jüdische Land und alle Bewohner von Jerusalem« (Mk 1,5). Nachdem Petrus und Johannes den lahmen Mann geheilt hatten, der an der Tempeltür saß, heißt es: »denn alle verherrlichten Gott über das, was geschehen war« (Apg 4,21). Jesus sagte seinen Jüngern, dass sie von »allen Menschen gehasst werden würden« um seines Namens willen (Lk 21,17) Paulus wurde angeklagt, dass er »überall vor aller Welt gegen das Volk, das Gesetz und diese Stätte seine Lehren verbreitet.« Als Jesus sagte: »Und ich, wenn ich von der Erde erhöht bin, will alle zu mir ziehen« (Joh 12,32), da meinte er ja ganz klar nicht jeden einzelnen Menschen, denn die Geschichte zeigt, dass nicht jeder Mensch zu ihm gezogen worden ist. Es ist sicher, dass er die Millionen Heiden, die in völliger Unwissenheit gegenüber dem wahren Gott gestorben sind, gerade nicht zu sich gezogen hat. Was er gemeint hat, war, dass er eine unzählbare Schar aus allen Nationen und Klassen retten wird, und dies sehen wir täglich sich erfüllen. In Hebr. 2,9 lesen wir, dass Jesus den Tod »für jedermann« geschmeckt hat. Das griechische Wort jedoch sagt nur »für alle«, nicht »jeden Menschen«. Wenn dem Prinzip nach die Meinung nicht auf die tatsächlich Geretteten limitiert werden darf, weshalb bezieht sich das dann nur auf den Menschen? Weshalb nicht auch auf die gefallenen Engel, ja, den Teufel selbst und die Tiere? Wenn gesagt ist: »So wie sie in Adam alle sterben, so sollen sie in Christus alle lebendig gemacht werden« (1 Kor 15,22), dann können nicht alle Menschen unterschiedslos gemeint sein, sondern dies bezieht sich auf alle, die wohl in Adam gestorben sind, aber in Christus sind, sonst lehrte der Vers die Allversöhnung. Nach paulinischer Rede bedeutet »in Christus sein« immer Christsein, Gerettetsein, und ganz klar trifft das nicht auf alle Menschen zu. Auch der Kontext zeigt dies, da das ganze Kapitel nur von Erlösten spricht. Wäre diese Stelle tatsächlich so zu verstehen, dass das Werk Christi sich in der Weise erstreckt wie das Werk Adams, dann wäre eines von zwei Resultaten unvermeidbar: Entweder bedeutet es, dass alle Menschen gerettet werden, oder dass alle Menschen in jenen Stand versetzt werden, in dem Adam vor dem Fall war. Beide Bedeutungen widersprechen nicht nur der Heiligen Schrift, sondern auch der Erfahrung. Der einzig mögliche Schluss ist, dass das Werk Christi hinsichtlich der Ausdehnung nicht dem Werk Adams gleicht; Adam repräsentiert die ganze menschliche Rasse, Christus repräsentiert dagegen jene, die ihm vom Vater gegeben sind. Die Aussage in 2 Kor 5,15, dass Christus »für alle gestorben« ist, kann vielleicht darauf zurückgeführt werden, dass dieser Brief an die »Gemeinde Gottes in Korinth samt allen Heiligen in ganz Achaia« gerichtet ist, und dann würde sich das »alle« auf alle angesprochenen Heiligen beziehen. Es ist nicht die ganze Menschheit, die ohne Unterschied von Gott geliebt und unterschiedslos durch Christus erlöst ist. Johannes Preislied: »Du bist würdig, zu nehmen das Buch und aufzutun seine Siegel; denn du bist erwürget und hast uns Gott erkauft mit deinem Blut aus allerlei Geschlecht und Zungen und Volk und Heiden und hast uns unserm Gott zu Königen und Priestern gemacht...« basiert ganz offensichtlich auf der Annahme einer bestimmten Erwählung und einer begrenzten Sühne, da Gottes Liebe der Grund und das Blut Christi das wirksame Mittel zu ihrer Erlösung ist. Die Erklärung, dass Christus für »alle« gestorben ist, erhellt erst aus dem Lied, das die Erlösten vor dem Thron des Lammes singen: »Denn du bist geschlachtet worden und hast durch dein Blut Menschen losgekauft für Gott aus allen Stämmen und Sprachen, Völkern und Nationen« (Offb. 5,9; 1,5). Das Wort "alle" meint alle Erwählten, seine ganze Gemeinde, alle, die der Vater dem Sohn gegeben hat, nicht generell jeden einzelnen Menschen. Die Schar der Erlösten rekrutiert sich aus allen Klassen und Lebensbedingungen, aus Königen und Bauern, Reichen und Armen, Gefangenen und Freien, Männern und Frauen, Jungen und Alten, Juden und Heiden, Menschen aus allen Nationen, Rassen, vom Norden bis zum Süden und vom Osten zum Westen. __________________________________________________________________ 2) Das Evangelium gilt Juden und Nichtjuden gleichermaßen Manchmal bedeutet das Wort »alle«, dass nicht nur Juden, sondern auch allen Heiden das Evangelium verkündet werden soll. Viele Jahrhunderte der Geschichte waren die Juden die einzigen, die die exklusive Gabe der rettenden Gnade Gottes genießen durften. Es gab nur wenige Ausnahmen. Die Juden aber haben ihre Privilegien als auserwähltes Volk gründlich missbraucht. Sie sind davon ausgegangen, dass sich dieser Unterschied bis in die messianische Ära fortsetzen werde. Sie neigten dazu, anzunehmen, der Messias gelte ihnen allein. Diese pharisäische Exklusivität ging so weit, dass die Heiden Fremdlinge genannt wurden, ja Hunde, Gemeine, Unreine; es war dem Juden per Gesetz nicht erlaubt, Umgang mit Heiden zu haben oder auch nur mit ihnen Geschäfte zu machen (Joh 4,9; Apg 10,28; 11,3). Die Errettung der Heiden war ein Geheimnis, das früheren Zeitaltern verborgen geblieben war (Eph 3,4--6; Kol. 1,27). Deshalb wurde auch Petrus von der Jerusalemer Gemeinde zur Rede gestellt, nachdem er dem Cornelius das Evangelium gepredigt hatte. Man kann sich die Verwunderung der Gemeindeleiter nach der Verteidigungsrede Petrus' nur allzu gut vorstellen, wenn sie sagten: »Also hat Gott auch den Heiden die Umkehr verliehen, die zum Leben führt« (Apg 11,18). Um zu verstehen, welch revolutionären Charakter dieser Umstand hatte, muss man Apg 10,1 -- 11,18 lesen. Selbstverständlich war es nötig, diese Lehre zu bekräftigen, und sie wurde auch in den stärksten Worten und Ausdrücken kundgetan. Paulus sollte Zeugnis für alle Menschen sein, das heißt, er sollte sowohl für Juden als auch den Heiden alles verkünden, was er gesehen und gehört hatte (Apg 22,15). An dieser Stelle bezieht sich das »alle« nicht auf jeden einzelnen Menschen, sondern auf die Menschheit im Allgemeinen. __________________________________________________________________ 3) Der Ausdruck »Welt« wird in verschiedenem Sinne gebraucht Wenn es heißt: »Er ist die Versöhnung für unsere Sünden, doch nicht nur für unsere, sondern auch für die der ganzen Welt« (1. Joh 2,2) oder dass er gekommen sei, die Welt zu retten (Joh 12, 47), dann bedeutet das: nicht nur Juden sind das Ziel der Erlösung, sondern auch Heiden, das Heil betrifft nicht nur die Juden, sondern die ganze Welt, die ganze Menschheit. Die Aussage Johannes des Täufers: »Sieh, das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegnimmt!« ist kein theologischer Diskurs für Heilige, sondern eine Predigt an Sünder; es wäre ja wahrhaft unnatürlich gewesen, hätte Johannes an dieser Stelle über die begrenzte Sühne oder über eine andere Lehraussage gesprochen, die nur von Heiligen hätte verstanden werden können. Johannes kam, »Zeugnis abzulegen, Zeugnis für das Licht, damit alle durch ihn zu Glauben kommen« (Joh 1,7). Es ist unverständig zu sagen, der Dienst des Johannes habe eine Möglichkeit für alle geboten, für jeden einzelnen Menschen auf dieser Welt, zum Glauben an Christus zu kommen. Johannes predigte nicht den Heiden. Seine Mission war eine andere: »Aber damit er (Jesus Christus) in Israel offenbar werde, bin ich gekommen« heißt es (Joh 1,31). Der Natur der Sache nach konnte nur ein Teil der Juden dazu gebracht werden, ihm zuzuhören. Manchmal bedeutet der Begriff »Welt« nicht die ganze Welt, sondern nur einen großen Teil, zum Beispiel wenn es heißt, der Teufel sei der Verführer der ganzen Welt oder dass die ganze Welt dem Tier aus Bewunderung folgte (Offb. 13,3). Wenn Johannes (1. Joh 5,19) sagt, die ganze Welt liege im Machtbereicht des Bösen, dann kann nicht jeder einzelne Mensch damit gemeint sein, sondern dann sind die, die aus Gott sind, davon ausgenommen, sonst widerspräche er sich ja. Manchmal bedeutet »Welt« auch nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Welt, etwa wenn Paulus vom Glauben der Christen in Rom spricht, der »in der ganzen Welt gerühmt wird« (Röm 1,8). Nur Gläubige würden diesen Glauben der Christen in Rom ja rühmen, während der Großteil der Welt ja nicht einmal gewusst hat, dass es überhaupt eine Gemeinde Jesu Christi in Rom gab! Paulus meinte die glaubende Welt der christlichen Gemeinde, und die machte zum damaligen Zeitpunkt wahrlich erst einen kleinen Teil von der Welt aus. Kurz vor der Geburt Christi »erging vom Kaiser Augustus der Befehl, die ganze Welt aufzuschreiben ... Da gingen alle hin, ein jeder in seine Vaterstadt, um sich eintragen zu lassen« (Lk 2,1.3). Wir wissen, dass der Schreiber hier nur jenen vergleichsweise kleinen Teil der Welt im Sinn hatte, den Rom damals beherrschte. Wenn es zu Pfingsten heißt: »In Jerusalem wohnten fromme Juden aus allen Völkern unter dem Himmel« (Apg 2,5), dann betraf das freilich nur jene Nationen, die den Juden bekannt waren, denn die Verse 9--11 listen diese Völker dann auch auf. Paulus sagte einmal, das Evangelium werde schon »der ganzen Schöpfung unter dem Himmel verkündet« (Kol. 1,23). Von der Göttin Diana aus Ephesus heißt es, »ganz Asien und der Erdkreis« verehre sie (Apg 19,27). Die Hungersnot, die zu Josephs Zeiten über Ägypten kam, erstreckte sich nach der Schrift auf »die ganze Erde« und die ganze Welt kaufte bei Josef ein (1 Mo 41,57). Wir sprechen im Alltag auch oft von der Geschäftswelt, der Bildungswelt, der politischen Welt usw. und meinen damit auch nicht, dass jeder Mensch auf dieser Welt ein Geschäftsmann, ein Gebildeter oder ein Politiker ist. Wenn wir sagen, ein bestimmter Autohersteller verkaufe seine Erzeugnisse jedermann, dann meinen wir dies nicht in buchstäblichem Sinn, sondern wir meinen, er verkaufe seine Erzeugnisse jedermann, der sie kaufen will und den Preis dafür bezahlt. Wir können einem einsamen Literaturgelehrten nachsagen, er unterrichte alle Studenten. Damit meinen wir nicht, dass jeder Mensch Literatur bei ihm studiert, sondern dass alle, die Literatur studieren, dies bei ihm tun. Die Bibel ist in der geraden Sprache einfacher Menschen geschrieben und muss auch auf diese Weise gelesen werden. Verse wie Joh 3,16: »Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengeht, sondern ewiges Leben hat« beweisen, dass das Heil nicht nur für die Juden da war, sondern auch den Heiden zugedacht war. Gott hat die ganze Welt geliebt und nicht nur einen kleinen Teil von ihr. Er liebte die Welt als Ganzes, und für sie gab er seinen einzigen Sohn zur Erlösung. Das kleine Adverb »so« zeigt aber nicht nur die Ausdehnung der Liebe Gottes, sondern ebenso ihre Intensität -- Gott liebte diese Welt so sehr, dass er ihr trotz ihrer Bosheit seinen einzigen Sohn gegeben hat, um für diese Welt zu sterben. Wo ist hier der oft gerühmte Beweis der Universalität, derzufolge sich diese Liebe auf jedes einzelne Individuum erstrecken soll? Dieser Vers wird manchmal derart überstrapaziert, dass man gemeint hat, Gott werde letztlich über all das Böse in der Welt hinwegsehen und die Menschen nicht nach ihren Sünden behandeln. Der aufmerksame Leser wird beim Vergleichen dieses Verses mit anderen Schriftstellen aber schnell merken, welche Einschränkungen dem Begriff »Welt« auferlegt werden müssen. Jemand hat einmal gefragt: liebte Gott auch den Pharao? [219] Liebte er die Amalekiter? [220] Liebte er auch die Kanaaniter, die er gnadenlos zu vertilgen befahl? [221] Liebte er etwa die Ammoniter und die Moabiter, von denen es heißt, dass sie von der Gemeinde für ewig ausgeschlossen bleiben? [222] Liebt er etwa die Frevler? [223] Liebt er die Gefäße des Zorns, die er mit großer Ausdauer erträgt? [224] Liebte er Esau? [225] __________________________________________________________________ [219] Röm 9, 17: So sagt die Schrift zu Pharao: »Gerade dazu habe ich dich erweckt, um an dir meine Macht zu zeigen, damit mein Name auf der ganzen Erde verkündet werde.« [220] 2 Mo 17, 14: Hierauf befahl der Herr dem Mose: »Schreibe dies zur Erinnerung in das Buch und verkünde Josua, dass ich das Andenken an die Amalekiter unter dem Himmel völlig austilgen werde!« [221] 5 Mo 20, 16: Doch in den Städten dieser Völker, die der Herr, dein Gott, dir zum Eigentum geben will, darfst du niemand am Leben lassen. [222] 5 Mo 23, 3: Kein Bastard darf in die Gemeinde des Herrn aufgenommen werden. Nicht einmal im zehnten Glied darf er in die Gemeinde des Herrn Aufnahme finden. [223] Psalm 5, 5: Kein Frevler hat bei dir Gastrecht. [224] Röm 9, 22: Was, wenn also Gott die Gefäße des Zornes, die dem Verderben geweiht sind, mit viel Langmut ertragen hat, um nun an ihnen seinen Zorn zu zeigen und seine Macht zu offenbaren? [225] Röm 9, 13: So steht auch geschrieben: »Jakob habe ich geliebt, Esau gehasst.« __________________________________________________________________ 4) Allgemeine Überlegungen Die prophetische Einladung: »Auf, all ihr Dürstenden, kommt zum Wasser!« (Jes 55,1) und andere ähnliche Parallelstellen widersprechen dieser Sicht nicht, denn der Großteil der Menschen ist nicht durstig, sondern tot, tot in Sünden, hoffnungslos willige Diener Satans, die in keiner Weise nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten. Die gnadenvolle Einladung, zu Christus zu kommen, wird nicht deshalb abgelehnt, weil äußere Umstände jemanden dazu bringen, sondern weil der Annahme des Evangeliums immer schon die vom Heiligen Geist gewirkte Neugeburt vorangehen muss, ohne welche niemals Verlangen danach bestünde. Gott ist es, der den Willen gibt und denen das Verlangen weckt, die zum ewigen Leben vorherbestimmt sind (Röm 11,7f; 9,18). Wer will, darf kommen, doch ein in tiefstes Heidentum getauchter Mensch hat erst gar nicht einmal eine Chance, das Evangelium überhaupt zu hören und kann daher gar nicht kommen. »Der Glaube kommt aus der Predigt«, und wo der Glaube fehlt, gibt es auch keine Erlösung. Genauso wenig aber kann derjenige zum Glauben kommen, der das Evangelium zwar hört, der aber immer noch von Prinzipien beherrscht wird, das Evangelium zu hassen. Er ist Sklave der Sünde und handelt dementsprechend. Wer will, kann ein brennendes Gebäude über die Stiege verlassen, solange die Stiege noch hält, doch der Schlafende oder der, der die Gefahr nicht sieht, hat gar nicht den Willen zu fliehen und muss in den Flammen sterben. Clark sagt einmal: »Arminianer zitieren gerne Stellen wie >wer da will, der komme< oder >Wer da glaubt ...< und glauben, dass Glaube und Entscheidung ganz vom Menschen ausgehende Handlungen seien und das Gegenstück zur Erwählung darstellten. So wahr diese Stellen auch sind, so behandeln sie gar nicht diese Thematik. Der springende Punkt liegt ja viel tiefer: Woher bekommt denn der Mensch diesen Willen? Der Wollende kann freilich wählen, doch die sündige Natur, die gegen Gott rebelliert, muss erst willens gemacht werden -- durch Gottes Wort, durch Gottes Gnade, durch Gottes Geist -- oder durch göttliche Intervention.« [226] Genau gesprochen sind diese göttlichen Angebote keineswegs jedermann zugänglich, sondern nur dem auserwählten (geistlichen) Volk; dass auch andere diese Botschaft hören, ist ein Nebeneffekt. Für Arminianer sagt 1 Tim 2,4, dass Gottes Wille entweder enttäuscht wird oder letztlich alle Menschen doch gerettet werden. Eine Lehre, die Gott aber enttäuscht sein lassen kann, widerspricht jenen Schriftstellen, die seine Allherrschaft bestätigen. Sein Wille bleibt sich durch die Jahrhunderte in dieser Hinsicht gleich. Hätte Gott auch die Heiden der Antike retten wollen, weshalb hat er den Weg zur Erlösung dann nur einem so vergleichsweise kleinem Volk wie den Juden bekannt gemacht? Es wird ja wohl niemand bestreiten wollen, dass Gott sein Evangelium mit Leichtigkeit den Heiden ebenso bekannt gemacht haben könnte. Die Antwort Augustins, die er seinen Gegnern gab, als sie ihn mit diesem Einwand konfrontierten, ist bemerkenswert: »Wenn unser Herr sich beklagt, dass er Jerusalem zu sich sammeln wollte wie eine Henne ihre Küken unter ihre Flügel versammelt, Jerusalem [227] aber nicht gewollt habe, sollen wir dann daraus schließen, dass der Wille Gottes von ein paar schwachen Menschen hat überwunden werden können, so dass Er, der Allmächtige, nicht zu seinem Ziel gelangen konnte? Was ist dann aus seiner Allmacht geworden, mit der er bisher alles bewirkt hat, was ihm im Himmel und auf Erden gefallen hatte? Wer wird darüber hinaus so unvernünftig sein zu behaupten, Gott könne die bösen Willen der Menschen nicht zum Guten kehren: welche er will, wann er will und wie er will? Wenn er es aber tut, dann tut er es aus lauter Gnade, und wenn er es nicht tut, überlässt er die Menschen dem Gericht.« Verse wie 1 Tim 2,4 versteht man besser nicht dahingehend, dass sie jedes einzelne Individuum auf unserem Planeten betreffen, sondern im Lichte der Tatsache, dass Gott wohlwollend ist und keine Freude am Leid und Verderben seiner Geschöpfe empfindet. Wenn die Schriftstellen, die sich angeblich auf alle Menschen beziehen sollen, noch frohe Botschaft genannt werden sollen und nach arminianischer Tradition auf alle Menschen Anwendung finden sollen, dann wären sie auch ein Beweis für die Allversöhnung -- der die Schrift aber dezidiert widerspricht und die nicht einmal vom Arminianismus zugegeben wird. Wie im Kapitel über die begrenzte Sühne dargelegt worden ist, war der Tod Christi sehr wohl für alle Menschen von Bedeutung. Die Erlösung macht keinen Unterschied des Landes, des Alters, des Charakters oder sonstiger Bedingungen. Die menschliche Familie ist in Adam gefallen und wird in kollektivem Sinn von Christus erlöst. Das Werk Christi hielt das menschlich verschuldete, sofortige Inkrafttreten der Strafe zurück. Sein Werk bringt der Menschheit auch viele zeitliche und natürliche Segnungen und legt all denen den Grund zur Verkündigung des Evangeliums, die es hören wollen. Dass das Werk Christi derlei Resultate zeitigt, wird gerne zugegeben. Doch das bedeutet nicht, dass Jesus für jeden einzelnen Menschen im gleichen Sinn gestorben ist. Es ist wahr: einige Verse ergeben für sich betrachtet die arminianische Sichtweise, doch die führt dazu, dass sich die Bibel an vielen Stellen widerspricht, denn viele andere Stellen, die die Prädestination, die Unfähigkeit des Menschen, die Erwählung, das Beharren usw. behandeln, können mit dieser arminianischen Sichtweise nicht versöhnt werden, daher müssen diese Stellen immer im Licht der ganzen Schrift interpretiert werden. Da die Bibel das Wort Gottes ist, kann sie sich nicht widersprechen. Wenn wir also eine Stelle haben, die auf zwei verschiedene Arten interpretiert werden kann, so ist es unsere Pflicht, derjenigen Interpretation recht zu geben, die der gesamten Lehre der Heiligen Schrift entspricht. Es ist ein anerkanntes Auslegungsprinzip, schwierigere Passagen immer im Licht einfacherer, klarerer Stellen zu interpretieren, nicht umgekehrt. Wir haben gezeigt, dass die Beweise, die wir gegen den Arminianismus vorgebracht haben und die auf den ersten Blick schon plausibel sind, zurecht so ausgelegt werden können, dass sie mit der calvinistischen Ansicht harmonieren. Im Blick auf die vielen calvinistischen Stellen und die Abwesenheit echt arminianischer Schriftstellen zögern wir nicht zu sagen, dass das calvinistische Lehrgebäude die Wahrheit trifft. Dies ist der Universalismus der Schrift: die generelle Christianisierung der Welt und die totale Vernichtung der Kräfte, die von geistlichem Übel ausgehen. Das bedeutet freilich nicht, dass jeder Mensch gerettet wird, denn fraglos werden viele verlorengehen. Wie auch der einzelne Errettete in seinem Dienst für Christus Mängel hat und wie es auch immer noch zugelassen wird, dass Sünde geschieht, solange er noch nicht vervollkommnet ist, so verhält es sich auch mit der ganzen Welt. Eine beträchtliche Anzahl wird verlorengehen, doch der Fortschritt der Errettung wird in einem großen Triumph enden, und unsere Augen werden das herrliche Schauspiel einer geretteten Welt sehen. Es passt genau hierher, was Dr. Warfield sagt: »Die Menschheit wird das Ziel erreichen, für das sie geschaffen worden ist; die Sünde wird sie nicht aus Gottes Hand entführen. Gottes erste Absicht ist erfüllt. Die Menschheit wird einst, obgleich sie in Sünde gefallen ist, Gott wieder >ent-fremdet< werden, um ihre ursprüngliche Bestimmung zu erfüllen.« [228] Während der Arminianismus also einen fadenscheinigen Universalismus predigt, der bestenfalls eine Möglichkeit darstellt, verspricht der Calvinismus den wahren Universalismus der Erlösung der ganzen Menschheit. Nur der Calvinismus mit seinen Lehren von der souveränen Erwählung und der vollwirksamen Gnade kann der Zukunft vertrauensvoll entgegensehen, denn er erwartet eine erlöste Welt. __________________________________________________________________ [226] Syllabus of Systematic Theology, S. 208. [227] Anm. d. Übers.: Bei genauerer Lektüre der Stelle Mt 23 zeigt sich, dass Jesus hier nicht mit Jerusalem (also dem Volk) spricht, sondern mit den Pharisäern; sie waren es ja, die das Volk daran gehindert hat, Jesus anzunehmen. [228] B. B. Warfield, The Plan of Salvation, S. 131. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXIII __________________________________________________________________ Gnadenrettung __________________________________________________________________ 1) Was verdient der Mensch? Die Bibel erklärt die Erlösung sündiger Menschen zur Gnadensache. Aus Eph 1,7--10 wissen wir, dass die erste Absicht Gottes war, die Größe und Herrlichkeit seiner Gnade durch das Werk der Erlösung herauszustellen. In den nachfolgenden Zeitaltern sollten alle intelligenten Geschöpfe des Universums diese Gnade bewundern, die einzig aus seiner unverdienten Liebe und seiner grenzen- losen Güte gegenüber schuldigen, wert und hilflosen Geschöpfen erwächst. Alle Menschen werden als in einen Zustand von Sünde und Elend geschildert, der es ihnen nicht erlaubt, sich selbst zu erlösen. Obgleich sie nichts als Gottes Zorn und Fluch verdient haben, hat er doch vorherbestimmt, dass er eine Gnadenerlösung schaffen wird, indem er seinen eigenen, ewigen Sohn sendet, der deren Natur und Schuld auf sich nimmt und an ihrer Statt die Strafe auf sich nimmt. Er wird seinen Heiligen Geist senden, um den Menschen zu erneuern und ihm die Erlösung durch Christus einzustiften. Nach dem gleichen Prinzip, nach dem Adams Sünde zur unseren geworden ist, (das heißt, auf eine Weise uns zugerechnet wird, dass wir hier für diese Sünde voll verantwortlich sind und die Konsequenzen daraus ziehen müssen) ist sie auch Christus zugerechnet worden, ist uns aber auch Seine Gerechtigkeit angerechnet worden. Die wird kurz, aber prägnant im Kleineren Katechismus beschrieben: »Die Rechtfertigung ist ein Akt der freien Gnade Gottes, worin er uns alle Sünden vergibt und uns ansieht, als seien wir gerecht, weil uns die Gerechtigkeit Christi angerechnet wird. Diese Gerechtigkeit kann nur durch den Glauben erlangt werden« (Frage 88). Wir dürfen hier nicht den Unterschied zwischen den beiden Bündnissen aus dem Blick verlieren: den Bund der Werke, der Adam aufgegeben war und der mit dem Sündenfall endete, und den Bund der Gnade, unter welchem Christus als Erlöser gesandt war. Wie schon in anderem Zusammenhang gesagt worden ist, macht der Arminianismus im Prinzip keinen wesentlichen Unterschied zwischen dem Werkbund und dem Gnadenbund, außer dass Gott die Erlösung nun zu leichteren Bedingungen anbietet und statt vollkommenen Gehorsam zu verlangen; er fordert jetzt nur mehr jenen Glauben und Gehorsam, den der verkrüppelte Sünder zu geben in der Lage ist. In diesem System bleibt die Last des Gehorsams auf dem Menschen liegen, und seine Erlösung ist in erster Linie eine Frage seiner eigenen Werke. Das Wort »Gnade« meint aber in seinem eigentlichen Sinn die freie und unverdiente Liebe oder das Vorrecht, die Gott denen zuwendet, die dies nicht verdient haben, nämlich sündigen Menschen. Die Gnade wird ungefragt eines Wertes verliehen, der etwa im Menschen steckt; hier menschliches Handeln oder Verdienst hineinzumischen verdürbe die Natur der Gnade und machte den Entwurf derselben zunichte. Gerade weil sie Gnade ist, wird sie nicht auf voraufgehendes Verdienst hin verliehen. Der Name bedeutet notwendigerweise Unentgeltlichkeit, und da sich der Mensch in einem sündigen Totalzustand befindet, bis sie ihm gewährt wird, ist alles, was er verdient, Strafe, nicht Gaben oder Vorrechte. Was immer im Menschen gut ist, ist schon Gottes Gabe, und wenn das Gute fehlt, dann deshalb, weil Gott es vorenthält. Da die Gnade keinerlei voraufgehendes Verdienst berücksichtigt, ist sie souverän und wird nur denen gewährt, die Gott eigens dafür ausgewählt hat. Es ist die unumschränkte Gnade allein, nicht das Vorauswissen menschlicher Entscheidungen, was den Menschen in Gottes Hände spielt und was die Erlösung aus unbegrenzter Barmherzigkeit gewährt. Nur darin kann die Basis für Erwählung und Verwerfung Einzelner gefunden werden. Wegen seiner Vollkommenheit verlangt Gott solche Heiligkeit auch von seinen Geschöpfen: absoluten Gehorsam sollen sie ihm entgegenbringen. Diese Vollkommenheit hat Christus in seiner unbefleckten Gerechtigkeit errungen, und diese Vollkommenheit wird den Erwählten zugerechnet. Wenn Gott seine Erwählten ansieht, sieht er sie mit dem makellosen Gewand der Gerechtigkeit Christi bekleidet, nicht mit ihrem eigenen. Es wird ausdrücklich gesagt, Christus habe ein stell- vertretendes Leiden gelitten, »der Gerechte für die Ungerechten«; wenn der Mensch ermutigt wird zu denken, dass er bis zu einem gewissen Grad aus eigener Kraft oder aus eigener Kunst zu dieser Gnade beitragen könne, dann wird Gott eines Teiles seiner Herrlichkeit beraubt! Alle Einbildungskraft reicht nicht aus, sich irgend ein Gutes im Menschen zu denken, das auch nur hinlänglich das ewige Leben verdiente. Benjamin Franklin, obgleich selbst alles andere als ein Calvinist, hat dies sehr gut ausgedrückt, wenn er sagt: »Jemand, der einem Durstigen ein Glas Wasser reicht und dafür eine ganze Plantage erwartet, bliebe in seiner Erwartung noch bescheiden verglichen mit denen, die meinen, für das wenige Gute, das sie in ihrem Leben tun, den Himmel zu verdienen.« Wir sind in der Tat nichts als Beschenkte; wir können Gott niemals zurückzahlen, sondern bekommen immer nur von ihm, und das wird sich in alle Ewigkeit nicht ändern. __________________________________________________________________ 2) Gott gewährt seine Gnade oder hält sie nach seinem Wohlgefallen zurück Da Gott diese Erlösung auf eigene Kosten erwirkt hat, ist sie Sein Eigentum, und er verwaltet dieses Eigentum absolut souverän; er allein wählt, wer gerettet wird. Nichts wird in der Bibel klarer gelehrt als dass die Erlösung vollkommen aus Gnaden ist. Daher, durch die Separation von der ursprünglichen Masse, und dies nicht durch eigene Werke, sondern einzig durch die freie Gnade Gottes, sehen die »Gefäße der Barmherzigkeit«, welch ungeheure Gabe ihnen da geschenkt worden ist. Es wird sich zeigen, dass viele der Erlösten noch viel größere Sünder gewesen waren als viele der Verlorenen. Die Prädestinationslehre schlägt jede selbstgerechte Einbildung zu Boden, die Gott seiner Herrlichkeit berauben will. Sie überzeugt den Geretteten, dass alles, was er Gott in alle Ewigkeit für seine Errettung bringen kann, immer nur Dankbarkeit sein kann. Der Calvinismus lässt daher keinerlei Rühmen über Selbstgewirktes zu; er bewahrt die Ehre und Herrlichkeit allein dem, dem sie allein gebührt. »Der größte Heilige kann sich nicht gegenüber dem größten Sünder rühmen, sondern muss den gesamten Ruhm über seine Erlösung von Sünde und Hölle einzig dem Wohlwollen und der Absicht Gottes überlassen, der ihn in aller Gnade verändert hat und ihn aus der Welt gerissen hat, die im Argen liegt.« [229] __________________________________________________________________ [229] Zanchius, Absolute Predestination, S. 140. __________________________________________________________________ 3) Errettung kann nicht vom Menschen erlangt werden Der Mensch drängt von Natur dazu, sich selbst zu erlösen, und jedes System, das ihm diese Möglichkeit bietet, nimmt er freudig auf. Diesem Denken legt Paulus die Axt an, wenn er sagt: »Wenn ein Gesetz gegeben wäre mit der Kraft, das Leben zu spenden, dann käme in der Tat die Gerechtigkeit aus dem Gesetz« (Gal. 3,21). Jesus sagte zu seinen Jüngern: »So sollt auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was man euch aufgetragen hat, sagen: >Unnütze Knechte sind wir, wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.<« (Lk 17,10) Unsere eigene Gerechtigkeit ist aus der Sicht Gottes nichts als ein verschmutztes Kleid, sagt Jesaja -- oder wie die King James Version es ausdrückt, ein verdreckter Fetzen. (Jes 64,4) Und wenn er sagt: »Auf, all ihr Dürstenden, kommt zum Wasser! Die ihr kein Geld habt, kommt, kauft Getreide und esst! Kommt, kauft ohne Geld und Bezahlung Wein und Milch!« -- dann meint er die Mittellosen, die Hungrigen, die Durstigen. Sie sollen kommen und ohne alle Bezahlung, ohne Kosten das genießen, was vorbereitet ist, so, als ob sie dafür bezahlt hätten. Ohne Geld zu kaufen muss bedeuten, dass schon jemand anders dafür bezahlt hat. Je reifer unser Christenleben wird, desto weniger sind wir geneigt, uns irgendein Verdienst selbst zuzuschreiben; wir blicken vielmehr zurück in die vorweltliche Ewigkeit und sehen die ewige Absicht der göttlichen Liebe: sie allein ist der starke Anker unserer Errettung. Ist die Erlösung aus Gnade, wie die Schrift so klar lehrt, dann kann sie nicht aus Werken sein, weder gegenwärtiger, noch vorhergesehener. Der Glaube selbst ist kein Verdienst, denn er ist eine Gabe Gottes. Gott bringt im Menschen das Licht des Geistes zum Leuchten, damit er glaubt: der Glaube ist nur der Akt des Nehmens dessen, was angeboten ist. Der Glaube bleibt so instrumentelle, nicht verdienstliche Ursache der Erlösung. Was Gott in uns liebt, ist nicht unser Verdienst, sondern seine eigene Gabe; diese seine unverdiente Gnade geht jedem lobenswerten Werk voraus. Die Gnade wird nicht nur zuerst erfleht, sondern sie ist es schon selbst, die uns beten macht -- dass die Gnade andauere und vermehrt werde. In der Apostelgeschichte finden wir den Anfang jeden Glaubens direkt an die Gnade geknüpft (Apg 18,27); nur diejenigen aber, die zum ewigen Leben bestimmt waren, glaubten (Apg 13,48), und es ist das Vorrecht Gottes allein ist es, das den Menschen zum Hören auf das Evangelium bringt (Apg 16,14). Der Glaube wurzelt in den Ratschlüssen der Ewigkeit -- die (dem Glauben zugehörigen) Ereignisse in der Zeit sind nur deren Auswirkungen. Paul schreibt es der Gnade Gottes zu, wenn er sagt: »Wir sind sein Gebilde, in Christus Jesus zu guten Werken geschaffen, die Gott im voraus bereitet hat, dass wir sie erfüllen« (Eph 2,10). Die guten Werke sind also keineswegs der verdienstliche Grund, sondern immer die Früchte und Beweise der Erlösung. Luther hatte das Gleiche im Sinn, wenn er sagt: »Sie schreiben dem Willen zwar wenig zu, doch lehren sie uns, dass dieses Wenige ausreiche, um zur Gerechtigkeit und zur Gnade beizutragen. Auch beantworten sie die Frage: Warum rechtfertigt Gott den einen, überlässt den anderen dagegen seinem Schicksal? in keiner anderen Weise als mit dem freien Willen. Sie sagen: Weil der eine sich bemüht, der andere dagegen nicht; Gott belohnt das Streben und weist den anderen zurück, weil er sich nicht bemüht; wäre es nicht so, so wäre er ungerecht.« [230] Es heißt, Jeremy Taylor sei einmal mit einem Begleiter die Straßen Londons entlang spaziert, als er auf einen betrunkenen Mann stieß, der in der Gosse lag. Sein Begleiter machte eine abschätzige Bemerkung über den Betrunkenen. Jeremy Talyor blieb stehen und betrachtete ihn eine Zeitlang, dann sagte er: »Um Gottes Willen -- da liegt Jeremy Taylor!« Ein solcher Geist, der Jeremy Taylor eignete, sollte jedem Christen eignen, der von seinen Sünden erlöst worden ist. Wiederholt wird hervorgehoben, dass Israels Exklusivität nicht auf sein Verdienst zurückzuführen ist, sondern einzig auf die gnädige Liebe Gottes, die sich auch von wiederholtem Abfall des Volkes nicht von Sünde und Rebellion aufhalten lässt. Paulus sagt über jene, die ihre Errettung auf eigene Werke zurückführen wollen, sie »richten ihre eigene Gerechtigkeit auf und sind der Gerechtigkeit Gottes nicht untertan«; sie gehören demnach nicht zur Gemeinde Christi. Er macht ganz klar, dass die »Gerechtigkeit Gottes« aus dem Glauben kommt: Der Eingang in den Himmel ist an das Verdienst Christi geknüpft. Der Grund dieses ganzen Systems ist, dass jene, die sich rühmen, sich einzig des Herrn rühmen sollen; niemand kann je Grund haben, in dieser Hinsicht gegenüber irgend jemand anders stolz zu sein. Die Erlösung ist zu einem unendlichen Preis erkauft worden, auch für Gott, und daher darf sie auch ganz nach Seinem Wohlgefallen und nach purer Gnade statthaben. Der Dichter sagt: »None of the ransomed ever knew, How deep were the waters crossed, Nor how dark was the night that the Lord passed through, To find the sheep that was lost.« [231] __________________________________________________________________ [230] Martin Luther, Vom Unfreien Willen. [231] Nie hat ein Erlöster je erfasst, wie tief die Wasser gewesen noch wie dunkel die Nacht, die der Herr durchschritten, um das verlorene Schaf zu finden. __________________________________________________________________ 4) Schriftbelege Betrachten wir nun einige Schriftstellen, die zeigen, inwiefern unsere Sünden Christus angerechnet sind; danach andere, die zeigen, wie uns Seine Gerechtigkeit angerechnet wird. Jes 53,4ff.: Er aber hat unsere Leiden getragen, unsere Schmerzen auf sich geladen. Wir hielten ihn für geschlagen, geplagt und von Gott getroffen. Doch ob unserer Sünden ward er verwundet, ob unserer Frevel zerschlagen. Zu unserem Heil lag Strafe auf ihm -- durch seine Striemen wurden wir geheilt. Wie Schafe irrten wir alle umher; jeder ging seinen eigenen Weg. Der Herr aber legte auf ihn die Sündenschuld von uns allen. Jes 53,11f.: Für die Qual seiner Seele wird er Licht schauen. Gesättigt mit Erkenntnis wird als Gerechter Gerechtigkeit bringen den Vielen mein Knecht. Er lädt auf sich ihre Frevel. Darum will ich die Vielen als Anteil ihm geben, Zahlreiche ihm dafür zu eigen, weil er in den Tod sein Leben dahingab, unter die Frevler gerechnet ward -- obwohl er die Sünden der Vielen trug, für die Frevler fürbittend eintrat. 2 Kor 5,21: Er hat den, der die Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden. In diesem Vers treten beide Sachverhalte klar zutage -- unsere Sünden werden Ihm in Rechnung gestellt, während Seine Gerechtigkeit uns angerechnet wird. Dies kann keinerlei anderen Sinn haben als den, den ich erklärt habe. 1 Petr 2,24: Er trug unsere Sünden an seinem Leib hinauf auf das Holz, damit wir, der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben. -- Durch seine Striemen wurdet ihr geheilt. Ganz ähnlich werden auch hier wieder beide Wahrheiten nebeneinander gestellt. 1 Petr 3,18: Denn auch Christus ist einmal für die Sünden gestorben, der Gerechte für die Ungerechten, um euch den Zugang zu Gott zu verschaffen; getötet dem Fleisch nach, dem Geist nach aber lebendig gemacht. Diese Verse und viele andere noch beweisen unzweifelhaft die Lehre der Stellvertretung: Er Seine Stellvertretung für uns. Wenn diese Stellen nicht den Tod Christi als einwandfreies Opfer für die Sünde beweisen, dann bleibt der Gedanke überhaupt unausdrückbar. Röm 3,20--28: Durch Gesetzeswerke wird kein Mensch vor ihm gerechtfertigt, denn durch das Gesetz kommt nur die Erkenntnis der Sünde. Jetzt aber ist ohne das Gesetz die Gerechtigkeit Gottes offenbar geworden, auf die schon das Gesetz und die Propheten hingewiesen haben: nämlich auf die Gerechtigkeit Gottes auf Grund des Glaubens an Jesus Christus, und zwar für alle Glaubenden, - ohne Unterschied. Alle sind der Sünde verfallen und entbehren der Herrlichkeit Gottes. Durch seine Gnade werden sie aber ohne Verdienst dank der Erlösung in Christus Jesus gerechtfertigt. Um seine Gerechtigkeit zu erweisen, hat ihn Gott in seinem Blut als Sühnopfer durch den Glauben vor alle Welt hingestellt. Die vorher geschehenen Sünden waren ungestraft gelassen, weil Gott langmütig ist; nun aber lässt er seine Gerechtigkeit offenbar werden und zeigt (im Sühnopfer Christi), dass er gerecht ist und den gerecht macht, der an Jesus glaubt. Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das der Werke? Nein, durch das Gesetz des Glaubens. Wir sind nämlich überzeugt, dass der Mensch durch den Glauben gerechtfertigt wird, ohne Werke des Gesetzes. Röm 5,18f.: Wie also durch die Übertretung eines einzigen Menschen über alle die Verurteilung gekommen ist, so kommt auch durch des einen gerechte Tat, für alle Menschen die Rechtfertigung, die zum Leben führt. Denn wie durch den Ungehorsam des einen Menschen die vielen zu Sündern geworden sind, so werden durch den Gehorsam des einen die vielen zu Gerechten gemacht. Paulus sagte über sich selbst: Phil. 3,8f.: Ja, in der Tat, ich erachte alles als Verlust angesichts der alles übertreffenden Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen ich das alles aufgegeben habe und es geradezu für Kehricht halte, damit ich Christus gewinne und in ihm bleibe, - nicht ausgestattet mit meiner eigenen Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz, sondern mit der Gerechtigkeit aus Gott, die aus dem Glauben an Christus kommt. Ist es nicht seltsam, dass jemand, der Anspruch erhebt, sich an der Bibel zu orientieren, bei dieser klaren Sprache noch auf die Idee kommen kann, die Erlösung irgendwie auf Werke zu beziehen, egal in welchem Ausmaß? Paulus schrieb den Römern: »Denn die Sünde hat keine Macht mehr über euch. Ihr steht ja nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade« (Röm 6,14). Das bedeutet: Gott hat sie aus dem Gesetz herausgenommen und sie in die Gnade versetzt, mit dem souveränen Zweck, dass sie nicht wieder unter der Herrschaft der Sünde leben sollten. Könnten sie tatsächlich wieder abfallen, dann nur, wenn Gott sie aus der Gnade wieder herausnähme und sie wieder unter das Gesetz brächte, wo ihr Schicksal wieder von ihren Werken abhängig wäre. Es liegt in der Natur der Gnade: Solange jemand darunter ist, hat das Gesetz keinen Anspruch. Durch Gnade gerettet zu sein heißt: Gott behandelt mich nicht länger nach dem, was ich verdient habe, sondern er hat das Gesetz beiseite gesetzt und rettet mich trotz meiner Sündhaftigkeit und Verlorenheit -- er reinigt mich von meinen Sünden, bevor ich in die göttliche Gegenwart eintreten werde. Es hat Paulus viele Schmerzen gekostet, uns klarzumachen: Gottes Gnade können wir nicht selbst erlangen; nicht wir selbst sind es, die sie erringen, sie wird uns vielmehr entgegengebracht. Könnte sie von Menschen errungen werden, dann wäre sie nicht mehr Gnade (Röm 11, 6). __________________________________________________________________ 5) Weitere Anmerkungen Im gegenwärtigen Zustand der Menschheit steht der Mensch vor Gott nicht wie ein Bürger vor dem Staat, wo jeder gleich behandelt werden muss und jedem die gleiche »Chance« eingeräumt werden muss, sondern hier steht der Mensch als schuldiger und verurteilter Verbrecher vor einem gerechten Richter. Niemand hat Anspruch auf Errettung. Das Wunder ist nicht, dass Gott nicht alle errettet, sondern dass er so viele aus dieser schuldbeladenen Masse begnadigt. Die Antwort auf die Frage, weshalb Gott nicht alle errettet, wird nicht in der arminianischen Antwort gefunden, derzufolge von Allmacht der Gnade keine Rede sein kann, sondern in der Tatsache, dass »Gottes Liebe so viele Menschen aus dieser schuldigen Rasse begnadigt, wie es seiner ganzen Natur zu retten entspricht.« [232] Aus Gründen, die nur Ihm einsichtig sind, sieht er, dass es das Beste ist, nicht alle zu begnadigen, sondern einigen zu erlauben, ihrer eigenen Wege zu gehen und sie ihrem ewigen Schicksal der Strafe zu überlassen, damit offenbar werden, welch abscheuliches Gräuel die Sünde und die Rebellion gegen Gott ist. Wieder und wieder versichert die Schrift, dass die Errettung allein aus Gnade geschieht, so als erwarte sie schon die Schwierigkeiten, die die Menschen haben werden, wenn zutage tritt, dass sie diese Gnade nicht von sich aus erlangen können. Auf diese Weise soll die weit verbreitete Ansicht zerstört werden, als schulde Gott irgend jemandem die Erlösung. »Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, -- nicht euer Verdienst ist es, sondern Gottes Geschenk --, nicht auf Grund von Werken, damit niemand sich rühmen kann« (Eph 2,8f.). »Ist es aber aus Gnade geschehen, so nicht mehr infolge von Werken. Sonst wäre ja die Gnade nicht mehr Gnade« (Röm 11,6). »Durch Gesetzeswerke wird kein Mensch vor ihm gerechtfertigt« (Röm 3,20). »Wer Werke vollbringt, dem wird der Lohn nicht aus Gnade, sondern nach Verdienst angerechnet« (Röm 4,4). »Denn wer gibt dir einen Vorzug? Was hast du, das du nicht empfangen hättest? Hast du es aber empfangen, was rühmst du dich, als hättest du es nicht empfangen?« (1 Kor 4,7). »Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin« (1 Kor 15,10). »Wer hat ihm vorher gegeben, so dass es ihm wiedervergolten werden müßte?« (Röm 11,35). »Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, das Gnadengeschenk Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn« (Röm 6,23). Gnade und Werke schließen einander aus: Genauso gut könnten wir die beiden Pole unseres Planeten zusammenbringen. Wir könnten genauso gut von einem »bezahlten Geschenk« sprechen, wenn wir von einer »bedingten Gnade« sprächen, denn wenn die Gnade nicht absolut wäre, wäre sie nicht Gnade. Wenn die Schrift daher davon spricht, dass die Erlösung ganz aus Gnaden ist, dann haben wir das so zu verstehen, dass dieser ganze Prozess allein Gottes Wirken zugeschrieben werden muss und dass alle guten Werke des Menschen, die diesen Namen verdienen, schon Resultat der Erneuerung sind, die all diesen Werken vorausgeht. Der Arminianismus macht den vollkommenen Gnadencharakter der Erlösung zunichte und ersetzt ihn durch ein System von Gnade plus Werk. Ganz gleich, wie klein auch der Anteil der Werke sein mag -- er ist notwendig da und noch dazu die Basis, wer letztlich gerettet und verloren wird. Die Geretteten haben hier Grund, sich gegenüber den Verlorenen zu brüsten, denn alle haben hier ja die »gleiche Chance« gehabt. Paulus sagt aber, dass jegliches Rühmen ausgeschlossen sei und der, der sich brüsten will, sich des Herrn rühmen soll (Röm 3,27; 1 Kor 1,31). Aus Gnaden erlöst, erinnert sich der Gerettete des Morastes, aus dem er herausgezogen worden ist, und seine Haltung gegenüber dem Verlorenen ist die von Sympathie und Mitleid. Er weiß: hätte es Gottes Gnade nicht gefallen, befände er sich in genau dem selben Zustand wie der Verlorene, und er wird singen: »Nicht unserm Namen, Herr, gib Ehre, sondern Deinem Namen allein, um Deiner Barmherzigkeit und Wahrheit willen.« __________________________________________________________________ [232] Warfield, The Plan of Salvation, S. 93. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXIV __________________________________________________________________ Von der Gewissheit, sich unter den Erwählen zu befinden __________________________________________________________________ 1) Die Basis für diese Gewissheit Jeder Christ darf und soll wissen: Ich darf mich unter die zählen, die zum ewigen Leben vorherbestimmt sind. Der Glaube an Christus als göttliches Geschenk ist das Mittel der Errettung, und da dieses Geschenk nur den Erwählten zuteil wird, darf der Glaubende wissen, dass er unter den Erwählten ist. Der Glaube, so schwach er auch sein mag -- vorausgesetzt es ist echter Glaube -- ist ein Beweis für die Errettung. »So viele ihrer zum ewigen Leben bestimmt waren (und nur sie)« (Apg 13,48). Glaube ist ein Wunder aus Gnade, der denen eingestiftet wird, die vorher errettet worden sind -- ein geistliches Zeichen dafür, dass ihre Errettung schon am Kreuz vollendet und am Auferstehungsmorgen bestätigt worden ist. Der Errettete weiß, dass die Liebe Gottes in sein Herz gegossen ist und ihm seine Sünde vergeben ist. In John Bunyans »Pilgerschaft zur ewigen Seligkeit« lesen wir, eine schwere Last fiel von Christs Schultern, als seine Sünden vergeben worden waren; er erfuhr unendliche Erleichterung. Jeder Bekehrte sollte wissen, dass er sich unter den Erwählten befindet, denn der Heilige Geist erneuert nur jene, die der Vater ausgewählt hat und die vom Sohn erlöst worden sind. »Es ist Torheit und Unsinn, dass aufrichtige Liebe und vertrauensvolle Hoffnung auf Jesus Christus als Retter und liebender Gehorsam gegenüber dem Herrn sich noch die Frage zu stellen hätten, ob sie sich unter die Erwählten Gottes zählen dürften. Dass jemand an Christus zur Errettung seiner Seele glaubt und sein Verhalten nach ihm aus- richtet, ist immer schon auf Gottes Erwählung zurückzuführen... Es kann nicht sein, dass jemand, der an Christus glaubt, sich nicht unter den Erwählten befindet, denn gerade aufgrund der Erwählung Gottes glaubt überhaupt jemand an Christus... Wir brauchen, ja wir dürfen gar nicht nach einem anderen Beweis für unsere Erwählung suchen. Wenn wir an Christus glauben und ihm gehorchen, dann sind wir auch Seine Kinder.« [233] Jeder, der Gott liebt und wahres Verlangen nach der Erlösung in Christus hat, ist unter den Erwählten, denn die Nichterwählten haben diese Liebe noch dieses Verlangen nicht. Stattdessen lieben sie das Böse und hassen die Gerechtigkeit -- ganz in Übereinstimmung mit ihrer sündigen Natur. »Handelt jemand gegenüber Gott und seinem Nächsten gerecht? Ist er ehrbar, geradlinig, wohltätig, rein? Wenn ja, und wenn er sich dessen bewusst ist, dass er die Kraft hat, dies auch künftig so zu halten und insofern er sich auf dieses Gewissen auch verlassen kann, insofern darf er glauben, dass er zu ewiger Seligkeit bestimmt ist.« [234] »Wir wissen, dass wir aus dem Tod zum Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. -- Wer den Bruder nicht liebt, bleibt im Tod« (1. Joh 3,14). »Jeder, der aus Gott gezeugt ist, tut keine Sünde, weil sein Same in ihm bleibt; er kann nicht sündigen, weil er aus Gott gezeugt ist« (1. Joh 3,9). Dieser Vers bedeutet: Es widerstreitet seinen inneren Prinzipien, zu sündigen. Wenn er in sich geht, sieht er, dass die Sünde gegen sein Wesen streitet und er die Sünde hasst. So wie ein guter Amerikaner nichts tun wird, was direkt gegen sein Land ist, so wird ein echter Gläubiger auch nichts tun, was dem Reich Gottes schadet. Der Sache nach ist freilich niemand ohne Sünde, doch ist es dieses Ideal, was der Gläubige anstrebt. Dr. Warfield sagt einmal: »Petrus ermahnt uns (2 Petr 1,20), unsere >Berufung festzumachen< -- gerade durch die Sorgfalt guter Werke. Er meint damit keineswegs, dass die guten Werke ihrerseits etwa den göttlichen Beschluss der Erwählung sichern. Er beabsichtigt damit vielmehr das Aufkeimen des geistlichen Lebens, welches uns von Gott eingehaucht worden ist, das Aufblühen zur vollen Blüte, indem wir unsere Erlösung >bearbeiten<, und dies nicht ohne Christus, sondern in Christus -- nur in diesem Sinne können wir sicherstellen, dass wir der Erwählung auch teilhaftig sind, die wir für uns beanspruchen. ... Gute Werke werden so zu Mark- und Prüfzeichen der Erwählung, und wenn wir sie in jenem umfassenden Sinn betrachten wollen, wie Petrus es tut, dann sind sie auch die einzigen Mark- und Prüfzeichen der Erwählung. Wir können niemals wissen, dass wir von Gott zu ewigem Leben vorherbestimmt sind, wenn wir in unserem Leben diese Früchte der Erwählung nicht ausleben -- Glaube und Tugend, Erkenntnis und Mäßigkeit, Geduld und Gottesfurcht und die Liebe zu den Geschwistern. ... Es ist vergeblich, die Versicherung eigener Erwählung außerhalb eines heiligen Lebens suchen zu wollen. Gerade zu heiligem Leben hat Gott sein Volk vor Grundlegung der Welt bestimmt. Heiligkeit als notwendiges Ergebnis ist daher das sichere Zeichen der Erwählung.« [235] Toplady sagt: »Ein Mensch, der mit dem geistlichen Leben vertraut ist, wird wissen, ob er sich am Licht des Angesichtes Gottes erfreut oder ob er in Dunkelheit lebt, genauso wie ein Wanderer weiß, ob er bei Sonnenschein oder bei Regen unterwegs ist.« [236] Wie kann ich wissen, dass ich unter den Erwählten bin? Genauso gut könnte jemand fragen: Wie weiß ich, dass ich ein loyaler, amerikanischer Bürger bin? Oder: Wie soll ich zwischen weiß und schwarz unterscheiden? Wie zwischen süß und bitter? Jeder kennt instinktiv seine Haltung gegenüber seinem Land, und so geben auch die Schrift und das Gewissen genauso klare Auskunft darüber, ob wir zu Gottes Volk zählen, wie wir wissen, ob wir schwarz oder weiß sind, ob unser Geschmack süß empfindet oder bitter. Jedes Kind Gottes sollte darüber genau Bescheid wissen. Paulus ermahnt die Korinther: »Seht zu, ob ihr im Glauben lebt. Ja, prüft euch! Merkt ihr nichts davon, dass Jesus Christus in euch ist? Dann hättet ihr euch allerdings nicht bewährt« (2 Kor 13,5). __________________________________________________________________ [233] B. B. Warfield, Gelegenheitsschrift über die Erwählung, S. 18. [234] Mozley, The Augustinian Doctrine of Predestination, S. 45. [235] Ebd., S. 17. [236] Quelle nicht angegeben. __________________________________________________________________ 2) Die Lehre der Schrift Wir haben die Versicherung, dass »dieser Geist unserem Geist bezeugt, dass wir Kinder Gottes sind« (Röm 8,16). »Wer an den Sohn Gottes glaubt, hat das Zeugnis [Gottes] in sich« (1. Joh 5,10). »Und darin besteht das Zeugnis, dass Gott uns ewiges Leben gegeben hat, und dieses Leben in seinem Sohn ist. Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht. Das habe ich euch geschrieben, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt, damit ihr wisst, dass ihr das ewige Leben habt« (1. Joh 5,11--13). Der wiedergeborene Christ freut sich am Evangelium, doch der Ungläubige weist es von sich: »Wir sind aus Gott; wer Gott erkennt, hört auf uns; wer nicht aus Gott ist, hört nicht auf uns. Daraus erkennen wir den Geist der Wahrheit und den Geist des Irrtums« (1. Joh 4,6). »Wer seine Gebote hält, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm. Und dass er in uns bleibt, erkennen wir an dem Geist, den er uns gegeben hat« (1. Joh 3,24). »Weil ihr nun Söhne seid, sandte Gott den Geist seines Sohnes in unsere Herzen, der da ruft: >Abba, Vater!<« (Gal. 4,6). Der Wiedergeborene erkennt in Gott instinktiv seinen Vater. »Wir wissen, dass wir aus dem Tod zum Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben« (1. Joh 3,14). »Jeder, der glaubt, dass Jesus der Christus ist, ist aus Gott gezeugt, und jeder, der den Vater liebt, der liebt auch den aus ihm Gezeugten« (1. Joh 5,1) -- Hier ist jeder gemeint, der Ihn als Herrn anerkennt -- welch preiswürdige Versicherung! »Wenn ihr wisst, dass er gerecht ist, erkennt ihr, dass auch jeder, der das Rechte tut, aus ihm geboren ist« (1. Joh 2,29). Jene, die das Evangelium hören und es willkommen heißen, werden von diesem inneren rettenden Prinzip »in Gang« gebracht. »Wer an den Sohn glaubt, hat ewiges Leben; wer aber dem Sohn nicht glaubt, wird das Leben nicht sehen, sondern Gottes Zorn lastet auf ihm« (Joh 3,36). »Niemand, der im Geist Gottes redet, nennt Jesus verflucht: >Verflucht sei Jesus!< Und niemand kann sagen: >Jesus ist der Herr<, als nur im Heiligen Geist« (1 Kor 12,3). Hieraus sollen wir lernen, dass ein wahrhaft Geretteter Jesus gar nicht fallen lassen oder beschimpfen kann; jeder, der auf Jesus blickt und ihn als seinen Herrn ansieht, ist wiedergeboren und unter die Erwählten zu zählen. Darin besteht auch der Beweis seines Heils. Jeder kann wissen, wie er zu Jesus steht, und daraus kann er auch ablesen, ob er gerettet ist oder nicht. Es möge sich jedermann die Frage stellen: Wie ist meine Haltung gegenüber Christus? Wäre ich glücklich, ihn jetzt zu sehen? Wer mit Freude die Wiederkunft Jesu erwartet, darf wissen, dass er gerettet ist. Da dieser Prüfstein der Erlösung aus der Schrift selbst kommt, kann jemand, der sich aufrichtig selbst prüft, wissen, ob er zu Gottes Volk gehört oder nicht. Und nach der gleichen Regel darf er auch -- mit großer Vorsicht -- eine Beurteilung anderer wagen, denn sehen wir die äußerlichen Früchte der Erwählung anderer und werden durch ihre Aufrichtigkeit überzeugt, dann dürfen wir auch berechtigterweise annehmen, dass auch sie zu den Erwählten zählen. Paulus hatte diese Sicherheit in Bezug auf die Christen in Thessalonich, denn er schrieb »im Wissen, von Gott geliebte Brüder, um eure Erwählung, denn unsere Heilsbotschaft erging an euch nicht nur in Worten, sondern auch in Kraft und im Heiligen Geist und in großer Zuversicht« (1 Thess 1,4). Er wusste auch, dass Gott die Epheser in Christus erwählt hatte, denn er schrieb ihnen: »In ihm hat er uns schon vor Erschaffung der Welt auserwählt, dass wir heilig und untadelig vor ihm seien in der Liebe. Er hat uns nach seinem freien Willensentschluss durch Jesus Christus zu seinen Kindern vorherbestimmt« (Eph 1,4). __________________________________________________________________ 3) Schlussfolgerung Wir müssen uns unbedingt davor hüten, irgend jemanden zu den Nichterwählten zu zählen, ganz egal wie sündig er uns erscheinen mag, denn auch die wertloseste Person kann, wie wir wissen, vom Heiligen Geist zu Glauben und Umkehr gebracht werden. Seine Bekehrung kann noch in der Zukunft liegen. Daher hat niemand das Recht, seinem Mitmenschen jene Erwählung einfach abzusprechen, denn er weiß nicht, was Gott noch mit ihm vorhat. Wir können allerdings sagen, dass jene, die in Unbußfertigkeit sterben, sicher verlorengehen -- die Schrift sagt das ausdrücklich. Wir können nicht behaupten, jeder Christ habe diese Sicherheit, denn sie kann richtigerweise nur aus der Kenntnis eigener Beweggründe und eigener Kraft erwachsen; jemand, der sich selbst unterschätzt, kann unschuldig ohne diese Sicherheit sein. Zu Zeiten kann der Christ wegen seines schwachen Glaubens sehr entmutigt sein, doch das heißt noch lange nicht, dass er nicht erwählt ist. Wenn der Glaube gestärkt wird und die falschen Ansichten über das Heil verschwinden, dann ist es das Privileg und die Pflicht jedes Christen zu wissen, dass er gerettet ist. Er soll jene Furcht fliehen, die jeden konsequenten Arminianer zeitlebens plagt: dass er wieder abfallen könnte. Wenn daher die Heilsgewissheit auch für den leicht zu erlangen ist, der ein gutes Stück Wegs mit Christus gegangen ist, kann ihr Besitz nicht zum Prüfstein der Rechtgläubigkeit gemacht werden. Die ganze Schrift hindurch gibt Gott uns das Versprechen, dass jene, die sich ihm in Christus »nahen«, nicht abgewiesen werden und dass jeder, der das Wasser des Lebens ohne Geld und reinen Herzens erwerben will, es umsonst bekommen wird. Der Grund für unsere Sicherheit liegt zum Teil in uns, zum Teil außerhalb von uns. Wenn daher einem echten Gläubigen diese Heilsgewissheit mangelt, liegt der Fehler in ihm selbst, nicht im Heilsplan oder in der Schrift. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXV __________________________________________________________________ Die Vorherbestimmung in der physischen Welt __________________________________________________________________ 1) Die Konstanz der Naturgesetze Was das materielle Universum jenseits der Gedankenwelt betrifft, haben wir ja kein Problem. Da sehen wir, dass alles vorherbestimmt ist. Der Verlauf der Ereignisse wurde unveränderlich festgelegt, als Gott die Welt erschuf und die Naturgesetze installierte, etwa das Gesetz der Schwerkraft, des Lichtes, den Magnetismus, die chemische Anziehungskraft, die elektromagnetischen Phänomene usw. Jenseits menschlichen Einflusses und jenseits von Wundern bleibt der Lauf der Dinge konstant und vorhersagbar. Dies wird von den bekanntesten Naturwissenschaftlern nicht nur zugegeben, sondern dogmatisch versichert. Die Atome folgen exakt ihrem vorgegeben Lauf. Die materiellen Objekte, mit denen wir zu tun haben, werden von feststehenden Gesetzen regiert. Hätten wir genaue Kenntnis aller Faktoren, so könnten wir die Auswirkungen eines fallenden Steines, einer Explosion oder auch eines Erdbebens exakt bestimmen. Das Teleskop entdeckt uns Millionen heißer Sonnen, und jede dieser Sonnen folgt einem genauen Lauf; ihre Position kann tausende Jahre im Voraus bestimmt werden. Innerhalb des Sonnensystems bleiben die Planeten und ihre Monde auf ihrer genauen Bahn -- und diese Bahn kann genau berechnet werden. Vor der Sonnenfinsternis 1924 haben die Astronomen genau vorausgesagt, welchen Lauf der Schatten des Mondes nehmen wird, der die Erde treffen wird. Man hat für gewisse Städte sekundengenau errechnet, wie lange dieser Schatten auf sie fallen wird und hat sich dabei nur um vier Sekunden verrechnet! Die Astronomen lehren, dass die gleichen Gesetze, die unser Sonnensystem beherrschen, auch jene Millionen an Sternen beherrschen, die Trillionen von Meilen entfernt sind. Physiker analysierten das Licht der Sonne und das der Sterne; sie berichten uns, dass die gleichen Elemente wie Eisen, Karbon oder Sauerstoff genau wie auf unserer Erde auch auf ihnen zu finden sind, und zwar fast im gleichen Verhältnis! Über die Schwerkraft wissen wir: Jeder Körper im Universum zieht den anderen proportional zu seiner eigenen Masse an -- umgekehrt proportional zum Quadrat der Entfernung der Zentren. Damit ist jedes Sandkörnchen in der Wüste oder am Gestade des Meeres mit jeder Sonne im Universum verbunden. Die träge Erde trifft in ihrem Aufstieg die fallende Schneeflocke. Wie das Teleskop enthüllt auch das Mikroskop Wunder über Wunder. Gottes Vorsehung erstreckt sich auf die Atome genauso wie auf die Sterne. Jedes Atom übt einen gewissen Einfluss aus, so klein es im Übrigen auch sein mag. Überall ist vollkommene Ordnung zu finden, nirgends hat Gott schlampig gearbeitet. __________________________________________________________________ 2) Kommentare renommierter Naturwissenschaftler und Theologen Huxley hat einmal gesagt: Wenn der Mensch genaue Kenntnis aller Naturgesetze gehabt hätte, noch bevor die Pflanzen und Tiere auf der Erde erschienen, dann hätte er nicht nur die geografischen Umrisse und das Klima einer bestimmten Umgebung, sondern auch die Flora und Fauna, die darauf erscheinen würde, voraussagen können. Er selbst dachte freilich, dass das Leben spontan aus toter Materie entstand. Während wir seine Ansicht über die Entstehung des Lebens nicht teilen, zeigt uns das doch, dass unser Gedanke vom vorgeordneten Universum, was die Gesetze der Natur anbelangt, auch von einem großen Wissenschaftler geteilt wird. Ich habe einmal an einer Diskussionsrunde von Dr. H. N. Russel teilgenommen. Dr. Russel ist Vorsitzender der astronomischen Fakultät an der Universität Princeton. Er ist einer der ganz großen Astronomen unserer Zeit. Er erklärte, dass ohne den Einfluss denkender Wesen dieses Universum vollkommen durch die Naturgesetze vorherbestimmt wäre. Dr. Charles Hodge: »Die Konstanz der Naturgesetze ist die gleichbleibende Offenbarung der Unveränderlichkeit Gottes. Sie sind, was sie sind, schon von Beginn der Zeit an und sie sind die gleichen im ganzen Universum.« An einer anderen Stelle sagt er: »So wie in diesen niedereren Regionen seines Werks handelt Gott entsprechend eines genau vorbedachten Plans. Man sollte nicht denken, er ließe in den höheren Regionen seiner Schöpfung, etwa beim Schicksal der Menschheit, die Dinge dem Zufall, indem er sie einen nicht festgesetzten Verlauf hin auf ein unbestimmtes Ende nehmen lässt. Ganz dementsprechend sehen wir die Bibel bestätigen, dass Gott nicht nur Anfang der Gnadenzeitalter sieht, sondern auch deren Ende, da er alle Dinge wirkt gemäß dem Ratschluss seines Willens oder nach seiner ewigen Absicht.« [237] Dr . Abraham Kuyper, einer der großen Theologen des vergangenen Jahrhunderts, sagte: »Es ist eine Tatsache, dass die mehr und mehr sich entwickelnde Wissenschaft unserer Zeit fast unisono zu Gunsten des Calvinismus stimmt, wenn es um die Antithese zwischen Einheit und Stabilität von Gottes Beschluss geht, auf den der Calvinismus hinweist, im Gegensatz zu der Oberflächlichkeit und Ungewissheit, die der Arminianismus bevorzugt.« Er sagt weiter, dass diese Systeme »klar zeigen, dass die Entwicklung der Wissenschaft unserer Zeit einen Kosmos voraussetzt, der nirgends Raub des Zufalls wird, sondern aus dem Prinzip einer feststehenden Ordnung heraus sich entwickelt, die einen ganz bestimmten Plan verfolgt. Dieser Anspruch widerspricht dem Arminianismus diametral, steht aber in Harmonie mit dem calvinistischen Glauben, dass der souveräne Gott, die Ursache aller existierenden Dinge, diese Dinge genauen Ordnungen unterworfen hat und sie nach einem vorher gefassten Plan lenkt.« Und noch einmal weist er darauf, dass die Lehre von der Vorherbestimmung nichts anderes bedeutet, als dass »der gesamte Kosmos nicht Spielball des Zufalls ist, sondern nach genauen Gesetzen und Ordnungen funktioniert; dass da ein Wille waltet, der den Lauf nicht nur der Natur, sondern auch der Geschichte lenkt.« [238] __________________________________________________________________ [237] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 1., S. 539; Bd 2., S. 314. [238] Abraham Kuyper, Lectures on Calvinism, S. 149f. __________________________________________________________________ 3) Nur der Calvinismus stimmt mit der modernen Naturwissenschaft und der Philosophie überein Die calvinistische Welt- und Lebensanschauung, die die Betonung auf den feststehenden und gewissen Verlauf der geschichtlichen Ereignisse legt, steht in frappanter Übereinstimmung mit der modernen Wissenschaft und Philosophie. Wie grotesk ist doch die Behauptung, dass die Prädestinationslehre von Erkenntnissen außerhalb der Schrift ganz klar widerlegt werde, unbeschadet der Tatsache, wie klar die Schrift sie lehrt! Dieser Anspruch wird freilich von vielen erhoben, die ein ganz anderes theologischen Lehrgebäude errichten wollen. Aber jeder, der einigermaßen mit der Wissenschaft und der Philosophie mit ihrer Betonung auf universell feststehenden Gesetzen vertraut ist (etwa mit der physiologischen Psychologie), weiß um die Unsinnigkeit einer solchen Behauptung. Man denke nur an die Verhaltensforschung (Behaviorismus), an die Determination und die Vererbungslehre: Was sind die Mendelschen Gesetze anderes als Prädestination im Bereich der Gene? Diese Tendenz läuft Zufall und Kontingenz schwer zuwider. Das Universum wird als ein systematisches Ganzes gedacht, in dem alles voneinander abhängt und das einem sehr festgelegten und vorgefassten Plan folgt. Mit einer etwas anderen Nomenklatur und Vorstellung vom Übernatürlichen stimmt die moderne Wissenschaft und Philosophie mit der calvinistischen Anschauung in Bezug auf die Einheit der Welt großteils überein. Wissenschaft und Philosophie mögen zwar Gottes Freiheit und Personalität leugnen; ihre metaphysische Anschauungsweise mag radikal anders sein als die wahre Lehre von Gottes Vorsehung und Gnade; sie mögen immerhin geistige Prozesse auf physische Gegebenheiten zurückführen: Ihre Ansicht über die Ordnung der Lebenstatsachen in der Natur ist durch und durch »calvinistisch«. Ohne Vertrauen in Einheit, Stabilität und Ordnung der Dinge, wie sie sich uns in der Prädestinationslehre zeigt, wäre es der Wissenschaft völlig unmöglich, mehr als nur Vermutungen anzustellen. Die Wissenschaft basiert auf dem Zusammenhang des Universums. Sie teilt unsere Überzeugung, dass das ganze Leben unter dem Einfluss mächtiger Gesetze oder Prinzipien steht, die eine außerweltliche Kraft oder ein Schöpfer kreiert hat. Je mehr wir aus der Wissenschaft lernen, desto klarer wird, welche Einheit allem zugrunde liegt. Auch beim Übergang zur Geschichtsbetrachtung finden wir diese »Kette von Ereignissen«. So wie jedes Sandkorn mit jedem Stern zusammenhängt, so hat auch jedes Ereignis seinen notwendigen Platz in der sich entfaltenden Geschichte. Wir erinnern uns alle einiger vergleichsweise unbedeutenden Ereignisse unseres Lebens, die aber unseren Lebenslauf entscheidend beeinflusst haben -- hätten sie nicht stattgefunden, wäre unser Leben anders verlaufen. Oft ist es nur etwas Kleines, was den Lauf der Geschichte erschüttern kann. Denken wir zum Beispiel an 1914, als ein serbischer Verschwörer den Erzherzog von Österreich erschoss. Der Erste Weltkrieg war die Folge. Verständlicherweise schrecken viele Menschen davor zurück, die freien Handlungen von Menschen und Engeln -- speziell ihre sündigen Handlungen -- der Vorherbestimmung Gottes zuzuschreiben. Die Konvergenz von Wissenschaft, Philosophie, Geschichte und Heiliger Schrift darf nicht auf die leichte Schulter genommen werden. In der Wissenschaft, der Philosophie und der Geschichte fristet die Prädestinationslehre ein reduziertes Dasein als kalte, unpersönliche Macht. Aber im strahlenden Licht des Evangeliums zeigt sich: Wahl der Rasse, individuelle Erwählung und göttliche Berufung hängen von der souveränen Gnade Gottes ab, nicht von seinem »ethischen Wunsch«. Wir sehen, dass Gottes ewige Absicht dem Menschen entgegenkommt, nicht sich von ihm entfernt -- das Herz findet Ruhe und Trost in der Liebe Gottes und seiner Barmherzigkeit, die so zart sind wie seine Pläne stark sind. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXVI __________________________________________________________________ Ein Vergleich zur muslimischen Lehre der Vorherbestimmung __________________________________________________________________ 1) Gemeinsamkeiten Während der Islam als falsche Religion einer rettenden Kraft gänzlich ermangelt, enthält sein System durchaus einige stimmige Elemente. Wir müssen die Wahrheit neidlos auch dort anerkennen, wo wir mit den Quellen nicht einverstanden sein können. »Die Stärke des Islam bestand in seiner Lehre von der Allmacht und der Allgegenwart eines ewigen Geistes, des Schöpfers und Beherrschers aller Dinge, nach dessen ewigem Plan alles existiert und dessen Willen sich alle beugen müssen.« [239] Die überraschende Ähnlichkeit zwischen der biblischen Lehre von der Prädestination und der Lehre des Koran wurde von vielen Autoren hervorgehoben. Dr. Samuel M. Zwemer, der wahrhaft als »Apostel für den Islam« bezeichnet werden darf, weist auf seltsame Parallelen zwischen der Reformation in Europa unter Calvin und zu der arabischen »Reformation« unter Mohammed hin. Er sagt: »Der Islam ist in einiger Hinsicht der Calvinismus des Orients. Auch er enthält den Aufruf, Gottes souveränen Willen zu beachten. >Es gibt keinen Gott außer Gott.< In der Natur und auch in der Offenbarung hat er die Majestät der Gegenwart Gottes und seiner Macht gesucht -- nach Manifestationen seiner transzendenten und allmächtigen Herrlichkeit. >Gott --<, sagt Mohammed: >es gibt nichts Gutes außer ihm, dem lebenden, dem Selbstseienden, den der Schlaf nicht ergreift und der nicht schlummert -- sein Thron umfasst die Himmel und die Erde und niemand kann etwas ohne seinen Willen tun. Er allein ist erhöht und groß< ... Es ist dieses lebendige theistische Prinzip, was den Sieg des Islam über ein geteiltes und götzendienerisches Christentum des Orients im sechsten Jahrhundert nach Christus erklärt ... Die Botschaft Mohammeds beim ersten Hochhalten des grünen Banners war: >Es gibt keinen Gott außer Gott; Gott ist König, und du musst und sollst seinem Willen gehorchen<. Dieser Anspruch ist in Bezug auf die Natur Gottes und seiner Beziehung zum Menschen wohl einer der einfachsten ... Das war die Schwertspitze des Islam, die auf ein Volk gerichtet war, das die Kraft verloren hatte, komplexere Argumentation zu verstehen.« [240] Neben dem Koran existieren noch andere orthodoxe Traditionen, die der Lehre Mohammeds in dieser Hinsicht zustimmen. Einige von ihnen erzählen in fast gleicher Sprache, wie vor der Geburt jedes Menschen ein Engel herniedersteigt, um das Schicksal des Menschen niederzuschreiben. Es heißt, dass der Engel seine Stimme zu Gott erhebt und sagt: »O mein Herr, elend oder gesegnet?« woraufhin das eine oder andere niedergeschrieben wird, und weiter: »O mein Herr, männlich oder weiblich?« woraufhin auch dies aufgezeichnet wird. Auch das ethische Verhalten der Person wird fixiert, seine Karriere, seine Lebensbedingungen und sein Anteil am Guten. Dann wird zum Engel gesagt: »Rolle die Blätter zusammen, denn es wird nichts mehr hinzugefügt noch weggenommen.« Eine andere Tradition lässt einen Engel Gottes sagen: »Niemand ist unter euch, dessen Platz im Paradies oder in der Hölle nicht schon von Gott vorherbestimmt ist und dessen Schicksal nicht schon im Vornhinein als elend oder gesegnet gesehen wird.« [241] Während der Koran und die Traditionen eine strenge Vorherbestimmung des ethischen Verhaltens und auch des endlichen Schicksals lehren, lehren sie gleichzeitig die Freiheit des Menschen. Es ist vonnöten, die strenge Versicherung göttlicher Prädestination mit dieser Freiheit zu versöhnen. Auch hier wird -- wie in der Heiligen Schrift -- kein Versuch gemacht, diese Schwierigkeit zu erklären. __________________________________________________________________ [239] Froude, Calvinism, S. 38. [240] Zwemer, "Calvinism and the World of Islam" [241] Salisbury, "Mohammedan Doctrine of Predestination and Free Will" __________________________________________________________________ 2) Die fatalistische Tendenz des Islam Der Islam lässt Gott die Ursache aller Ereignisse sein, die quasi alle Zweitursachen ausschließt. Die Ansicht, der Mensch sei der Urheber seiner Willensakte, ist weitgehend eliminiert; der halbzivilisierte Araber vor Mohammed sieht in all seinen Überlegungen und in all seinem Tun die blinde Schicksalsnotwendigkeit. Dr. Zwemer schreibt: »Diesen Traditionen gemäß muss die Vorherbestimmung des Islam mehr als tausend Jahre lang als reiner Fatalismus bezeichnet werden. Der Fatalismus ist die Lehre einer unausweichlichen Notwendigkeit, die allerdings Allmacht und Willkürherrschaft einer souveränen Kraft einschließen.« [242] Die Prädestinationslehre des Islam heißt Fatalismus. Der Fatalismus fixiert wohl das Schicksal, nicht aber den Weg, auf dem es erreicht wird. Den Kontrast zum christlichen Verständnis zeigt folgende Geschichte: Ein Schiff kämpft sich durch die Wellen. Seine Passagiere sind Engländer und Moslems. Plötzlich fällt ein Passagier über Bord. Der Moslem sieht ihm unbewegt hinterher und sagt: »Wenn es im Buch des Schicksals geschrieben steht, dass er gerettet wird, dann wird er auch ohne uns gerettet, und wenn er sterben muss, dann könnten wir nichts daran ändern.« Damit überlässt er den Verunglückten seinem Schicksal. Die Engländer entgegnen darauf: »Vielleicht steht in diesem Buch aber auch, dass wir ihn retten werden.« Sie werfen dem Verunglückten ein Rettungsseil zu und ziehen ihn wieder an Bord. __________________________________________________________________ [242] Zwemer, Moslem Doctrine of God, S. 97. __________________________________________________________________ 3) Die Prädestinationslehre ist keine Erfindung des Islam Was auch immer über die Prädestinationslehre gesagt werden mag: Kein vernünftiger Mensch wird behaupten, sie leite sich vom Islam her. Augustinus, der bei Protestanten und Katholiken gleicherweise als der Mann seiner Zeit anerkannt ist und der dem Protestantismus als größten Lehrer zwischen Paulus und Luther gilt, hat diese Lehre schon mit großer Überzeugungskraft zwei Jahrhunderte vor dem Islam vertreten. Schon Jesus Christus betont sie stark, ebenso die Apostel, und das von Beginn der christlichen Ära an -- vom Alten Testament eimal abgesehen. Ein Studium der Lehrgeschichte des Islam zeigt, dass diese Lehre aus drei Teilen zusammengesetzt ist: Ein Teil ist aus dem Judentum, ein anderer aus dem Christentum, der dritte kommt vom heidnischen Arabertum. Ein Teil des Islam ist nichts als Christentum aus zweiter Hand. Würde aber ein ernsthafter Christ gewisse Glaubensartikel aufgeben, nur weil der Islam sie adaptiert hat? Was für Lücken ein solches Verhalten in unseren Glauben reißen würde, kann am Islam beobachtet werden: Mohammed glaubt an nur einen wahren Gott, rottet jeglichen Götzendienst aus, glaubt an Engel, an eine allgemeine Auferstehung und an ein Gericht, an einen Himmel und eine Hölle. Er anerkennt Altes und Neues Testament und lässt Moses und Christus als gottgesandte Propheten gelten. Es verwundert daher kaum, dass er auch die christliche Lehre von der Vorherbestimmung in sein muslimisches System eingegliedert und mit der heidnischen Fatalismuslehre verschmolzen hat. Die Geschichte zeigt, dass auch der Islam seinen »Arminianismus« hat und dass die Diskussion um den Gegensatz von Vorherbestimmung und freiem Willen auch auf muslimischer Seite von gelehrter Stelle aus diskutiert worden ist -- und sogar noch heißer: Die türkische Sekte Omars schlug sich auf die Seite der Prädestinationslehre, währen die persische Sekte Alis die Prädestination zugunsten eines freien Willens mit größerer Vehemenz leugnete als der Arminianismus. __________________________________________________________________ 4) Die beiden Lehren im Kontrast Die Begriffe zur Beschreibung der reformierten und islamischen Lehre von der Vorherbestimmung mögen ähnlich klingen -- die Ergebnisse dieser Lehren sind so weit voneinander getrennt wie der Osten vom Westen. Tatsächlich tritt bei genauerem Studium nur die oberflächliche Ähnlichkeit zutage. Die größte Ähnlichkeit mag noch darin bestehen, dass beide Systeme die Gesamtheit des Geschehens auf den Willen Gottes zurückführen. Was dieser »Wille Gottes« allerdings ist, darin unterscheiden sich beide Lehren schon sehr stark. Der Islam reduziert Gott zu einer Kategorie des Willens und macht ihn zum Despoten, genauer: zu einem orientalischen Despoten, der abgründig tief über der Menschheit steht. Allah kümmert sich nicht um den Charakter seiner Geschöpfe, sondern einzig darum, dass sie spuren. Die ganze menschliche Angelegenheit erschöpft sich in totaler Unterwerfung unter seine Beschlüsse, so dass, wie Zanchius sagt, ihre Vorherbestimmung eine Art blinder, schleuniger, herrischer Impuls ist, der, egal ob richtig oder falsch, mit oder ohne Mittel alle Dinge gewaltsam und mit nur wenig Respekt -- wenn überhaupt -- auf gegebene Zweitursachen erzwingt.« [243] Zur menschliche Freiheit sagt Dr. Zwemer über die islamistische Lehre: »Allahs Allmacht schließt jegliches menschliches Handeln aus. ... Was immer unter dem Titel Freiheit firmieren darf, nennt man dort Kasb, das bedeutet: die Zuschreibung einer Handlung, die bei genauerem Hinsehen nichts als der Zwang des göttlichen Willens ist.« [244] Weder Koran noch orthodoxe Tradition können Auskunft geben über Sünde und moralische Verantwortlichkeit, denn das moralische System des Islam ist notorisch schadhaft. Die Schlussfolgerung, dass Gott letztlich der Autor der Sünde ist, kann der Islam kaum vermeiden. Ursprung und Wesen der Sünde sind im Islam etwas ganz anderes als im Christentum. Die Vorstellung Gottes als Vater fehlt dem Islam vollständig; er hat kein Konzept zur Erlösung aufzuweisen, das in seine Vorherbestimmungslehre integrierbar wäre. Gott erscheint hier als Willkürherrscher, der von Anfang an eine Gruppe Menschen für das Paradies geschaffen hat, eine andere dagegen für die Hölle; alle Ereignisse im Leben eines Menschen sind dermaßen fixiert, dass wenig Platz bleibt für moralische Verantwortlichkeit oder Schuld. Der Islam leugnet eine Erwählung in Christus aus Gnaden und für die Herrlichkeit; er leugnet auch, dass Christi Tod den Charakter eines stellvertretenden Opfers für sein Volk hat. Zur Wirksamkeit von Gnade und Beharren hat er nichts zu sagen, ja selbst zur Prädestination einzelner zeitlicher Ereignisse steuert er im Wesentlichen abscheuliche und wirre Thesen bei. Liebe ist Allah fremd. Überhaupt ist das Konzept der Liebe dem Islam im Wesentlichen fremd: Hier liebt weder Gott den Menschen noch der Mensch Gott; wovon die Bibel voll ist, darüber muss der Koran schweigen. Schlussfolgernd kann man sagen, dass der Islam für die arminianische Glaubensauffassung am wenigsten übrig hat. Was die Mission betrifft, haben die calvinistischen Gemeinden die Welt des Islam früher und energischer besucht als alle anderen Kirchen, und einhundert lange Jahre waren sie auch die einzigen, die das Mutterland des Islam missionierten. Sie haben die strategischen Zentren besetzt und können heute einen weit größeren Teil der islamischen Welt erreichen. Mit Gott, der souveränen Basis und mit dem Ziel seiner Ehre, der Beweggrund einzig sein Wille -- die Presbyterianischen und reformierten Kirchen sind gut ausgestattet, die Herzen der Moslems zu Christus zu bekehren. Sie sehen mit strahlender Hoffnung dem Erfolg entgegen, die schwierigste Aufgabe der Mission zu bewältigen: die Evangelisation der islamischen Welt. __________________________________________________________________ [243] Quelle nicht angegeben. [244] Quelle nicht angegeben. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXVII __________________________________________________________________ Die praktische Bedeutung der Lehre __________________________________________________________________ 1) Einfluss auf das tägliche Leben Die Lehre von der Vorherbestimmung ist keine kalte, nutz- und fruchtlose oder gar spekulative Theorie, kein unnatürliches Gebäude an fremdartigen Lehren, wie viele Leute glauben, sondern eine warme, lebendige und wichtige Darstellung der Beziehung Gottes zum Menschen. Es ist ein Komplex praktischer Wahrheiten, die dazu gemacht sind, unter dem Einfluss des Heiligen Geistes angenommen zu werden, um die Verstellung des Herzens zu schmelzen und es in das richtige Verhalten zu dirigieren. Calvins eigenes Zeugnis darüber lautet so: »Ich bitte meine Leser in erster Linie, sorgfältig auf meine Ermahnung zu achten und sie stets im Gedächtnis zu behalten: Dieses umfangreiche Thema ist nicht, wie viele meinen, eine dornige und lautstarke Diskussion oder Spekulation, die das Denken der Menschen ohne jeden Gewinn belasten muss, sondern eine ernsthafte Angelegenheit für gottesfürchtige Diener, denn die darin behandelten Gegenstände erbauen den Glauben in Sanftmut, unterweisen uns in Demut und erheben uns in den Zustand der Anbetung der unbegrenzten Güte Gottes gegen uns; sie spornen uns zum Preise dieser Güte an. Es gibt wohl keine stärkeren Beweggründe zur Erbauung des Glaubens als offene Ohren für die göttliche Erwählung, mit der der Heilige Geist unsere Herzen versiegelt, wenn wir auf ihn hören, indem er uns zeigt, wie wohlgesonnen uns der göttliche Wille ist, der durch nichts und niemand, durch keinerlei Stürme oder Versuche Satans, ja, durch keine Veränderungen oder Schwächen des Fleisches umgestimmt werden kann. Unsere Errettung wird uns so zur sicheren Gewissheit, wenn wir den Grund dafür im Herzen Gottes wissen.« [245] Ich glaube, dass solch aufrichtig Worte heute dringend notwendig sind. Der Christ, der diese Lehren in seinem Herzen hegt, weiß, dass er einem gottgelenkten Kurs folgt, einem Kurs, der für ihn persönlich zugeschnitten ist, und er weiß, dass es ein guter Kurs ist. Mag er die Einzelheiten auch noch nicht verstehen, so kann er doch in Anfechtungen getrost in die Zukunft blicken mit der Gewissheit, dass sein ewiges Schicksal feststeht und er ewig gesegnet ist; niemand kann ihm diesen unbezahlbaren Schatz rauben. Wenn er seinen Lauf vollendet hat, wird er zurückblicken und sehen, dass alles von Gott für einen ganz bestimmten Zweck vorherbestimmt war, und er wird dankbar sein, dass er durch all diese Erfahrungen hindurchgeführt worden ist. Einmal von diesen Wahrheiten überzeugt, weiß er, dass der Tag kommen wird, wo er zu denen, die ihn bedrücken und verfolgen, mit Jospeh sagen kann: »Ihr habt es böse mit mir gemeint, doch Gott hat es gut gemeint.« Diese erhabene Auffassung Gottes, der persönlich an den geringsten Ereignissen interessiert ist, lässt dem, was der Mensch sonst Zufall, Glück oder Schicksal nennt, keine Chance. Wenn sich ein Mensch von Gott erwählt erkennt und weiß, dass jede seiner Handlungen ewige Bedeutung hat, dann wird ihm auch der Ernst dieses Lebens viel bewusster; er wird sein Bestreben darauf richten, dass sein Leben Großem dient. __________________________________________________________________ [245] Calvins Calvinism, S. 29. __________________________________________________________________ 2) Quelle der Sicherheit und Ermutigung »Es ist die Lehre der Vorsehung in alle Einzelheiten, die den Gerechten auch in Zeiten der Gefahr ein Gefühl der Sicherheit vermittelt; sie ermutigt einen zu sehen, dass der Pfad der Verpflichtung gleichzeitig auch ein Weg der Sicherheit und des Erfolges ist -- dies ermutigt zu praktiziertem Streben nach tugendhaftem Leben, auch dann, wenn Not und Verfolgung drohen. Wie oft haben schon Wolken und Dunkelheit sich über sie versammelt, doch erinnern sie sich in der Gewissheit, die ihnen ihr Retter verleiht: >Ich will dich nicht verlassen, noch dich versäumen.<« [246] Die Gewissheit, die diese Lehre dem kämpfenden Heiligen schenkt, gründet im Wissen: Er bleibt nicht seiner eigenen Kraft oder Schwachheit überlassen, sondern steht ganz in der Hand des allmächtigen Vaters; über ihm thront das Banner der Liebe, unter ihm sind die ewigen Arme ausgebreitet. Er versteht nun, dass selbst der Teufel und all die Gottlosen, egal welche Stürme sie auch erzeugen mögen, von Gott in ihrem Walten nicht nur gebremst werden, sondern gezwungen sind, nach seinem Willen zu handeln. Elisa, einsam und vergessen, hat mehr auf die gesehen, die mit ihm waren als auf die, die gegen ihn waren, denn er sah die Streitwagen und Reiter Gottes in den Wolken. Die Jünger wussten, dass ihre Namen im Himmel angeschrieben sind; sie haben sich gewappnet, Verfolgung zu erleiden; wir lesen von einer Begebenheit, nach der sie auf Folter und Ablehnung »voll Freude vom Hohen Rat hinweggingen, weil sie würdig befunden waren, um des Namens (Jesu) willen Schmach zu leiden« (Apg 5, 41). »Die göttliche Berücksichtigung der Prädestination samt unserer Erwählung in Christus ist voll von süßem, angenehmem und unaussprechlichem Trost für alle Gottseligen.« [247] Paulus ermahnte seine Leser, sich nicht zu fürchten. Nur das Wissen um einen Gott, der das ganze Universum souverän beherrscht und der uns dazu bestimmt hat, Geliebte zu sein, kann uns diesen großen inneren Frieden verschaffen. Dr . Clarence E . Macartney sagt einmal in einer Predigt über die Prädestination: »Die sogenannten Unglücksfälle und Missgeschicke des Lebens erscheinen in ganz anderem Licht, wenn wir sie durch das Glas der Prädestinationslehre sehen. Es ist traurig, Menschen ihr Leben bedauern zu hören: >Wenn ich doch nur einen anderen Beruf ergriffen hätte<, >Hätte ich doch nur einen anderen Weg gewählt<, >Hätte ich doch nur einen anderen Partner geheiratet<. Das alles ist schwach und unchristlich. Wir haben das Netz des Schicksals gewissermaßen mit eigenen Händen gewoben, doch Gott hat seinen Anteil daran. Es ist dieser Anteil, nicht unserer, was uns Glauben und Hoffnung gibt.« [248] Blaise Pascal, der einen hinterbliebenen Freund in einem wundervollen Brief nicht mit dem üblichen Trostpalaver eindeckt, sondern ihn mit dem Hinweis auf die Prädestination tröstet, sagt: »Wenn wir dieses traurige Geschehnis nicht als Zufall, nicht als Notwendigkeit der Natur, sondern als unausweichliches, weil gerechtes und heiliges Ereignis ansehen, das sich einem Beschluss seiner Vorsehung verdankt, der vor aller Ewigkeit gefasst worden ist und welches in diesem Jahr, diesem Tag und dieser Stunde an diesem Ort und unter diesen Umständen geschehen musste, dann werden wir in demütiger Stille die undurchdringliche Erhabenheit seiner [Gottes] Geheimnisse anbeten; wir müssen die Heiligkeit seiner Dekrete verehren, so dass wir mit ihm, in ihm und für ihn alles das wünschen, was er in uns und für uns in alle Ewigkeit gewollt hat.« [249] Da der echte Calvinist in allem Gottes Hand und seine weise Absicht sieht, versteht er sein Leiden, seine Sorgen, seine Verfolgungen und Niederlagen nicht als Zufallsgeschehen, sondern als Summe vorhergesehener und vorherbestimmter Episoden; er sieht sie als notwendige Erziehung, die zu seinem Besten für ihn entworfen und geplant worden ist. Er weiß, dass Gott sein Volk nicht ohne Notwendigkeit züchtigt, sondern dass seinem göttlichen Plan zufolge alles, was ihm je zustößt, nach Zahl geordnet, gewogen und gemessen ist und dass all das Schwere keine Sekunde länger dauert, als Gott es für notwendig erachtet. In Sorgen neigt sich sein Herz instinktiv diesem Glauben zu, weil er erkennt, dass die Anfechtung aus weisen und gnädigen Gründen geschieht, mögen ihm die Gründe auch verborgen bleiben. Harte Anfechtungen mögen zunächst verletzen, doch ein wenig Überlegung wird ihn wieder zu sich selbst bringen, so dass die Sorgen und Bedrängnisse, wenn sie in großen Maßen drücken, bedeutungslos werden. In Übereinstimmung damit sagt die Schrift: »Wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alles zum Besten gereicht« (Röm 8,28). »Und ihr habt die Mahnung vergessen, die an euch wie an Söhne ergeht: Mein Sohn, achte die Züchtigung des Herrn nicht gering und verzage nicht, wenn du von ihm zurechtgewiesen wirst! Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er und schlägt jeden, den er als Sohn annimmt« (Hebr 12,5f.). [250] »Es ist der Herr. Er tue, was ihm wohlgefällt!« (1 Sam 3,18). »Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass die Leiden dieser Zeit nicht zu vergleichen sind mit der Herrlichkeit, die an uns offenbar wird« (Röm 8,18). »Selig seid ihr, wenn man euch schmäht und verfolgt und alles Schlechte in lügenhafter Weise wider euch aussagt um meinetwillen. Dann freuet euch und jubelt; denn groß ist euer Lohn in den Himmeln! So hat man schon vor euch die Propheten verfolgt« (Mt 5,11f.). »Wenn wir geduldig harren, dann werden wir mit ihm auch herrschen. Wenn wir verleugnen, wird er auch uns verleugnen« (2 Tim 2,12). »Ich habe nackt den Mutterschoß verlassen; ich fahre nackt dorthin zurück. Der Herr hat es gegeben. Der Herr hat es genommen. Gepriesen sei der Name des Herrn!« (Hiob 1,21). Wenn uns jemand beschimpft, sollten wir wenigstens nicht ärgerlich werden, denn wir erinnern uns an David, der gesagt hat: »Mag er fluchen. Denn der Herr heißt es ihn« (2 Sam 16,11). Die Prädestination ist die Garantie unseres Heils! Anderes mag uns trösten, nur diese Lehre jedoch kann uns Sicherheit geben. Erst sie gibt dem Evangelium den Namen »Gute Nachricht«. Jedes Lehrgebäude, das behauptet, Christi Opfer an sich rette noch nicht, sondern bereite nur eine Möglichkeit für alle Menschen, wenn sie gewissen Bedingungen zustimmen [251] , degradiert das Evangelium zu einem Weisheitsbuch. Jedes Lehrsystem, das nur eine »Chance« auf Errettung anbietet, muss logischerweise auch die Möglichkeit enthalten, dass jemand wieder verlorengehen kann. Was für ein Unterschied ist es aber für einen gefallenen Menschen, ob er gute Nachricht bekommt oder nur guten Rat?! Die Welt ist voll von guten Ratschlägen; die Bücher der heidnischen Philosophen sind voll davon, doch allein das Evangelium enthält die gute Nachricht: Gott hat den Menschen erlöst! Der Calvinismus ist logisch, wenngleich streng; er führt aber nicht zu Traurigkeit und Schweigen, sondern macht aktiv und mutig. Es gibt Mut, wenn man weiß, dass man unsterblich ist, bis man seine Arbeit getan hat. Smith sagt über den Calvinisten: »Seine Füße sind dem schrecklichen Abgrund entrissen und auf einen ewigen Felsen gestellt; anbetende Dankbarkeit durchzittert sein Herz, seine Seele weiß um die göttliche Liebe, die ihn nie mehr verlässt; sie weiß um die göttliche Kraft, die sie durchströmt und die in ihm [Gott] und durch ihn die ewige Absicht zum Guten verwirklicht. Dies umgürtet ihn mit unüberwindlicher Kraft. In edleren Sinn, als es Napoleon durchströmte, kann er von sich sagen: Ich bin ein >Mann des Schicksals<. ... Mit einem Wort: Der Calvinismus ist das zufriedenstellendste und anregendste Glaubenssystem.« [252] Diese Gründe zur Ermutigung werden von anderen Beweggründen begleitet, die den Menschen bei Demut und Dankbarkeit halten. Er sieht sich in dieser Welt wie ein Stück Reisig, das dem Feuer entrissen worden ist. Er weiß, dass er sich seine Errettung nicht verdient hat, sondern dass er sie der Gnade und Barmherzigkeit Gottes verdankt, deshalb weiß er sich zutiefst von Gott abhängig; er hat den größten Antrieb, gottesfürchtig zu leben. Alles in allem kann kein sichererer Weg gefunden werden, einen Menschen mit Ehrfurcht, Demut, Geduld und Dankbarkeit zu erfüllen, als wenn seine Gedanken von der Lehre der Prädestination erfüllt sind. __________________________________________________________________ [246] God Sovereign and Man Free, S. 46. [247] Aus dem siebzehnten Artikel des Glaubensbekenntnisses der Kirche Englands. [248] Quelle nicht angegeben [249] Quelle nicht angegeben [250] Diese Stelle versteht der Calvinismus als vorherbestimmte Züchtigung, entworfen zum Besten des Gotteskindes. Auch Nichtchristen widerfährt Leid, und ohne das Wissen um Röm 8, 28 mag es so aussehen, als gebe es keinerlei Unterschiede zu all dem Leiden, das sie durchmachen. Der Arminianismus interpretiert die Stelle vom Ende her: "Zuletzt wird sich herausstellen, dass Gott all das Leiden zum Guten gebraucht hat." Der Calvinismus deutet das Leiden von der ewigen Bestimmung her. Damit bekommt es im Calvinismus eine andere Qualität als im Arminianismus, der im Leiden logischerweise auch (!) etwas Zufälliges sehen muss, was auch ganz anders hätte geschehen können. Für den Calvinismus ist das Leiden genau gemessen, gewogen und für einen gewissen Zweck bestimmt (A. d. Ü.). [251] Hier hinein fällt die »Entscheidung für Jesus«, die der Arminianismus als Dreh- und Angelpunkt der Erlösung ansieht. Diese Entscheidung fällt ihm zufolge nicht Gott, sondern der Mensch. Das Evangelium ist und bleibt bloßes Angebot, ein Angebot »froher Botschaft« zwar, das aber immer erst noch aus freiem Willen akzeptiert werden muss, bevor es greifen kann (A. d. Ü.). [252] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 53, 94 __________________________________________________________________ 3) Der Calvinismus legt die Betonung des Heilsplans auf das Handeln Gottes Er bliebe ein sehr »unvollkommener« Christ, wenn ihm die tieferen Wahrheiten der Prädestinationslehre verborgen bleiben. Weder kann er Gottes Herrlichkeit angemessen würdigen, noch kann er den Reichtum der Gnade, der ihm durch die Erlösung in Christus entgegengebracht worden ist, richtig schätzen, denn nirgendwo sonst als in der Prädestination der Erwählten strahlt die Herrlichkeit Gottes in dieser Größe auf -- ungedämpft und unbefleckt von menschlichem Zutun. Hier erkennen wir, dass wir alles, was wir sind, haben und wünschen mögen, einzig und allein Gottes Gnade verdanken. Diese Lehre ist eine Absage an den menschlichen Stolz. Sie preist die göttliche Barmherzigkeit. Der Mensch wird zu nichts und Gott ist alles; die wahre Beziehung zwischen Geschöpf und unendlichem Schöpfer wird hier bewahrt, der absolute Herrscher geehrt. Alle Herrschaft wird ihm unterstellt; ohne Gottes Gunst sind alle Menschen auf einer Ebene. Diese Lehre hat die Menschenrechte verfochten, wo immer sie hingekommen ist, sei es in Staat oder Kirche. Die Prädestinationslehre betont die göttliche Seite der Erlösung, während rivalisierende Lehren den Menschen betonen. Die Prädestinationslehre streicht den reinen Gnadencharakter des Heilswegs heraus und zeigt, dass wir um nichts besser sind, als jene, die für ihre Sünden leiden werden. Sie leitet uns zu mehr Wohltätigkeit und Toleranz gegenüber den Verlorenen und zu ewiger Dankbarkeit gegen über Gott, unserem Retter. Sie zeigt uns auch, dass alle menschliche Erkenntnis im gefallenen Zustand wertlos ist, dass unsere Kraft in Wahrheit Schwäche ist und unsere Gerechtigkeit keinen Pfifferling wert ist. Sie lehrt uns, unsere Hoffnung ganz allein auf Gott zu setzen; sie lehrt uns, dass Hilfe nur von ihm kommen kann. Sie lehrt uns gerade jene wichtige Lektion, die so viele nicht erkannt haben: Die gesegnete Lektion des Selbstmisstrauens. Luther erzählt, dass diese Lehre ihn oft angegriffen habe, dass er darüber an sich verzweifelt sei, dass aber gerade diese Verzweiflung ihn zur Gnade Gottes getrieben habe. Diese Lehre löst mehr Fragen und vermeidet mehr Schwierigkeiten als jede konträre Lehre; sie gewährt eine solide Grundlage für Glauben und Hoffnung und räumt Gott einen wesentlich höheren Stellenwert ein, als das widersprechende Lehren tun. Ich sage nicht zu viel, wenn ich sage: Sie war die Grundlage für die gottesfürchtigen Auffassungen der biblischen Autoren; die Eliminierung dieser Lehre ließe die ganze Bibel in anderem Licht erscheinen. Dr. J. Gresham Machen hat das sehr schön ausgedrückt: »Der Calvinist sieht in der arminianischen Theologie den gefährlichen Versuch, die biblische Lehre von der göttlichen Gnade zu verarmen, dem Arminianer hingegen müssen die Lehren der Reformierten Kirchen höchst bedenklich erscheinen. [253] Es sollte nun klar geworden sein, dass evangelikale Christen, die diesen Sachverhalt richtig studiert haben und die konsequenten Schlussfolgerungen daraus gezogen haben, diesen Sachverhalt aus nur zwei Perspektiven sehen können: entweder sind sie Calvinisten oder Arminianer. Es gibt keine Zwischenposition. [254] Wer den Opfercharakter des Todes Jesu leugnet, fängt sich in Selbsterlösungssystemen oder im Naturalismus -- man kann sie füglich nicht als »Christen« im historischen und wahren Sinn bezeichnen. Die Lutherische Kirche betont die Erlösung allein aus Glauben, die Baptisten betonen die Wichtigkeit der Sakramente (besonders das Sakrament der Taufe) und das Recht des Einzelnen und der Versammlung, Einzelnen in Glaubensfragen ein Urteil zu sprechen. Die Methodisten betonen die Liebe Gottes zum Menschen und die menschliche Verantwortung gegenüber Gott, die Kongregationalisten das Recht, einen Mitchristen zu richten, daneben noch das Recht auf Selbstbestimmung örtlicher Versammlungen; die römisch-katholische Kirche betont die Einheit der Kirche und weist auf die Wichtigkeit der Verbindung zum apostolischen Zeitalter hin. Das mag an sich alles gut sein, doch müssen diese Bewegungen vor der großen Lehre der göttlichen Souveränität und Majestät erbleichen, wie sie die Presbyterianischen und Reformierten Kirchen hochhalten. Während die anderen Lehrgebäude mehr oder weniger anthropologischen Prinzipien folgen, folgen wir einem theologischen Prinzip: Es präsentiert uns einen großen Gott, der hoch erhaben ist und dessen Thron von universaler Bedeutung ist. Dr. Warfield hat die bildenden Prinzipien des Luthertums und der Reformierten Kirchen analysiert. Nachdem er festgestellt hat, dass der Unterschied zur Reformierten Kirche nicht darin bestehe, dass etwa die Lutheraner die Souveränität Gottes leugnen oder dass die Reformierte Kirche die Errettung allein aus Glauben verneine, fügt er hinzu: »Das Luthertum entsteht aus der Agonie der schuldbeladenen Seele, die ihren Frieden mit Gott sucht. Sie findet diesen Frieden im Glauben und bleibt genau da stehen. ... Wenn dieser Seelenzustand des Friedens hergestellt ist, will es nichts darüber hinaus wissen. Der Calvinist fragt mit demselben Eifer wie das Luthertum: >Was muss ich tun, um gerettet zu werden?< und beantwortet diese Frage auch gleich wie der Lutheraner. Doch dabei kann er nicht stehen bleiben. Eine tiefere Frage drückt ihn: >Woher kommt dieser Glaube, der mich rechtfertigt?< ... Ohne Zweifel eifert der Calvinismus um die Frage der Erlösung, doch sein höchster Eifer gilt der Ehre Gottes; diese Frage ist es, was seinen Puls beschleunigt und seine Bemühungen anspornt. Er beginnt mit der Vi- sion von Gottes Herrlichkeit, sieht darin das Zentrum und auch das Ende und setzt sich das Ziel, sich in allen Dingen Gott auszuliefern.« [255] Woanders sagt er: »Die Vorstellung der Majestät Gottes ist mit einem Wort die Grundlage des calvinistischen Denkens.« [256] Diese Vorstellung im Gedächtnis, weiß sich der Mensch einerseits in seiner Unwürdigkeit vor Gott, sieht sich als Geschöpf, mehr noch, als sündiges Geschöpf -- und bewundert andererseits anbetend, dass Gott den Sünder trotzdem annimmt. Jedes Selbstvertrauen ist geschwunden; der Mensch stellt sich selbst allein der Gnade Gottes anheim. Er sieht, egal ob in der Natur, ob in der Geschichte, ob in der Gnade überall von Ewigkeit zu Ewigkeit das alles durchdringende Handeln Gottes. Wenn Gott einen bestimmten Plan zur Erlösung des Menschen hat, dann ist die Kenntnis dieses Plans unabdingbar. Wer eine komplizierte Maschine betrachtet, aber den Zweck dieser Maschine nicht kennt noch weiß, wie die einzelnen Teile zueinander in Beziehung stehen, kann die Maschine weder verstehen noch verwenden. Wenn wir den Plan zur Erlösung nicht kennen, das Ziel dieses Plans nicht verstehen oder die Verbindung der einzelnen Teile nicht kennen oder missverstehen, bleiben unsere Ansichten ein Durcheinander; wir werden sie nicht nur falsch auf uns selbst anwenden, sondern auch unfähig bleiben, sie anderen zu erklären. Da uns die Prädestinationslehre sehr viel über den Weg der Erlösung verrät und da sie ein großer Trostgrund ist, der dem Christen Sicherheit vermittelt, ist sie eine große und gesegnete Wahrheit. Ich zögere nicht, zu behaupten: Dieses vom Heiligen Geist inspirierte Glaubens- und Lehrgebäude ist das wahre und endgültige philosophische System. Während die Theologie Gott selbst zum Gegenstand hat, beschäftigen sich die Naturwissenschaften und die freien Künste lediglich mit seinen Kleidern. Die Theologie muss der Natur der Sache nach die »Königin der Wissenschaften« heißen. [257] Die Philosophie, wie sie üblicherweise von den verschiedenen Denkschulen herrührt, ist in der Tat der Boden, ja die Magd der bloß anthropozentrischen Wissenschaften; in Verbindung mit dem Studium der Theologie ist sie lediglich Hilfswissenschaft. Die calvinistische Theologie ist das großartigste Gedankengebäude überhaupt, das je den menschlichen Verstand beschäftigt hat. Ihr Ausgangspunkt ist die tiefgreifende Bewusstmachung der Größe und Vollkommenheit Gottes. Mit ihren überragenden Lehren von Gottes Gnade, Macht und Herrlichkeit greift sie weit höher als jedes andere System. Jeder, dem dieses Gedankengebäude gezeigt wird, muss mit dem Psalmisten sagen: »Zu wunderbar ist für mich solch Wissen, zu hoch -- ich begreife es nicht.« Oder er wird es mit den Worten Paulus' ausdrücken: »O Tiefe des Reichtums und der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Ratschlüsse, wie unergründlich seine Wege!« (Ps 139,6; Röm 11,33). Dieses Lehrgebäude hat den Verstand aller großen Denker ernsthaft herausgefordert, und es verwundert nicht, wenn es heißt, dass selbst Engel begehren, Einblick zu tun. Der Übergang aus einem anderen Lehrsystem in den Calvinismus gleicht dem Übergang von der Mündung eines Stromes ins offene Meer. Wir lassen die seichten Gewässer zurück und schwimmen hinaus in die endlose Tiefe. __________________________________________________________________ [253] Gresham Machen, Christianity and Liberalism S. 51. [254] Entwicklungsgeschichtlich gibt es freilich halb beschrittene Wege. In vielen Freikirchen gilt nur mehr der 5. Punkt des Calvinismus als biblisch. Man räumt ein, dass es "eigentlich" Gottes Gnade war, die einen einholt, dass man sich "freiwillig" (man verwechselt dabei konsequent den von Luther bekämpften "freien Wilen" mit seiner Freiwilligkeit, die ja auch der Calvinismus nicht bestreitet) für Gott entscheidet, dass es aber doch "eigentlich" Gott sei, dem die Ehre gebührt. So lautet das persönliches Zeugnis. Der echte Arminianer (etwa das Lehrgebäude der Siebenten Tags Adventisten) denkt da konsequenter: Wenn man sich freiwillig entscheidet, dann kann man sich auch irgendwann -- was Gott freilich verhüten möge -- auch wieder gegen Gott entscheiden und verlorengehen. Sein Heiligungsperfektionismus ist mitunter von dieser Angst motiviert; wie eine Prädestination noch irgendwelche Beweggründe für das Streben nach Heiligung liefern soll, bleibt ihm verborgen. Der Antrieb zu heiligem Leben, wie ihn die durch und durch calvinistischen Puritaner an den Tag legten, muss ihm ein Rätsel bleiben. Der Arminianismus wird daran erkannt, dass er die letzte Entscheidung über sein ewiges Schicksal den Menschen treffen lässt. Gott bleibt derjenige, der diese menschliche Entscheidung akzeptiert, er bleibt Antwortender, nicht Initiator des Heils (A. d. Ü.). [255] B. B. Warfield, Article, Calvin as a Theologian and Calvinism Today, S. 23, 24. [256] Quelle nicht angegeben [257] Die tiefsitzende Bildungsfeindlichkeit mancher Christen hat dazu geführt, dass schon bei der Nennung der Begriffe "Theologie", "Wissenschaft" oder "Philosophie" höchstes Misstrauen und blitzartige innere Abwehr die Reaktionen sind. Wissenschaft und Philosophie seinen per se falsch, kann es da heißen. Da nimmt es nicht Wunder, dass die arminianische Apologetik so wenig überzeugt -- den Nichtchristen nicht und auch so manchen Christen nicht, dem erhobene Zeigefinger und Warnungen vor "ungeistlichem Geschwätz" zu wenig sind, sondern der seine Freude daran hat, über Gott und Welt nachzudenken (A. d. Ü.). __________________________________________________________________ 4) Nur der Calvinismus besteht den Test Die einzelnen Lehraussagen der Heiligen Schrift sind äußerst harmonisch: Fasst man eine Stelle falsch, führt sie beinahe unweigerlich zu irrigen Auffassungen über die übrigen Stellen; fasst man sie richtig, versteht man auch die anderen Stellen. Alle anderen Lehrgebäude irren sich mehr oder weniger -- einzig der Calvinismus hält sich eng an die Heilige Schrift. Das bedeutet freilich nicht, das der Korpus der wichtigsten Lehren wie die Göttlichkeit Christi, sein stellvertretender Tod, seine Auferstehung oder das Wirken des Heiligen Geistes nicht auch andere glauben. Es bedeutet aber: Je weiter man sich vom Calvinismus entfernt, desto weiter entfernt man sich von der gesunden Lehre. In der Regel entkräften Anticalvinisten die Lehre von der Sühne, vom Wirken des Heiligen Geistes, der Schuld und der Unfähigkeit des Menschen, der Erneuerung usw., so dass oft nicht mehr übrig bleibt als leere Worte; am Ende dieser Entwicklung tendiert man dazu, auch den Rest noch zu leugnen. Die Gegner des Calvinismus machen gewöhnlich wenig Unterschied zwischen dem objektiven Werk Christi für uns und dem subjektiven Werk Christi in uns; die Sühne wird auf die unterschiedslose Liebe Gottes zu allen Menschen reduziert, was nur zeigt, dass Gott vergebungsbereit ist. Andere Lehrgebäude tendieren dazu, die Sühne zur Disposition einer »moralischen Überzeugung« zu stellen, während der Calvinismus davon überzeugt ist, dass das Leiden Christi ein ausreichendes Opfer ist, das Gottes Gerechtigkeit genügt -- das Leiden Christi ist der gerechte Lohn, den sonst sein Volk zu bezahlen hätte. Wir leben in einer Zeit, in der sämtliche protestantischen Kirchen von innen her durch Unglauben angegriffen werden. Manche sind dem Unglauben schon erlegen. Die Sukzession des Abstiegs war immer die gleiche: Vom Calvinismus zum Arminianismus und vom Arminianismus zum Modernismus oder zum Unitarismus [258] ; der letztere hat sich immer als selbstzerstörerisch erwiesen. Ich bin überzeugt, dass die Siege des Christentums eng an die Siege des Calvinismus geknüpft sind. Die Geschichte des Modernismus und der Unitarier in diesem Lande hat bewiesen, dass diese Lehrsysteme zu schwach sind, sich zu erhalten. Wenn die Grundsätze des Calvinismus aufgegeben werden, entsteht ein starker Sog abwärts in die Tiefen des Naturalismus. Manche haben -- und ich stimme dem zu -- jede konsistente Mittelstellung zwischen Calvinismus und Atheismus ausgeschlossen. Die besprochenen Unterschiede zwischen Calvinismus und Arminianismus sind nicht unbeträchtlich, und niemand, der jene Wahrheiten nicht genauestens unter die Lupe nimmt, wird erkennen, welch große Anzahl an Irrlehren der Arminianismus seinem Gedankengebäude bereits eingegliedert hat. Wenn nur ein Lehrgebäude richtig ist, müssen die anderen notwendigerweise falsch sein. Als konsequente Calvinisten glauben wir, dass diese Lehren die letzte Wahrheit verkörpern und sich in alle Ewigkeit als solche erweisen werden. Wir halten daran fest, dass der Calvinismus das einzige biblisch-christliche Lehrgebäude ist, dass es auch das einzige ist, das vor der Welt in angemessener und logischer Weise verteidigt werden kann. Es ist klar, dass ein Lehrgebäude, das mit der Schrift und mit der Vernunft konform geht, leichter zu verteidigen ist als alle anderen Lehrsysteme. Wir glauben, dass Calvinismus und konsistenter Theismus nicht nur Anknüpfungspunkte haben, sondern identisch sind und dass die Ablehnung des Calvinismus der Ablehnung eines theistischen Verständnisses des Universums gleichkommt. Im Calvinismus ist der »Theismus zu seinem Recht« gekommen, wie Dr. Warfield sagt; dies sei »Evangelikalität in reinster Form und dauerhaftestem Ausdruck,« oder auch »jene Religion, bei der die Vorstellung zur Höhe gelangt ist.« Wir glauben, dass die Zukunft des Christentums -- ganz wie die Vergangenheit -- in der Hand des Calvinismus liegt und dass mit dem Fortschritt des Christentums das calvinistische Lehrsystem mehr und mehr an Bedeutung gewinnen wird. Wegen der inkonsistenten Position des Arminianismus als einer zwiegespaltenen Religion (einerseits Gnade, andererseits Werke) zeigt der Arminianismus nur wenig Widerstand gegen die naturalistischen Tendenzen der letzten Jahre. Beinahe alle bekennenden arminianischen Kirchen sind vom Liberalismus dieser Tage aufgesogen worden. So sagt Dr. S. G. Craig: »Wenn wir das Christentum nicht nur gegen moderne Angriffe sichern wollen, sondern es mit einiger Hoffnung auf Erfolg in einer modernen Welt empfehlen wollen, dann müssen wir es auch mit logischem und wissenschaftlich fundiertem Leben und Weltanschauungen füllen, die uns nur der Calvinismus geben kann; eine Wiedergeburt des Calvinismus ist notwendig, wenn wir das, was wir allgemeines Christentum nennen, vor dem Podium menschlicher Denkweisheit verteidigen wollen.« [259] Der späte Henry B. Smith hat zumindest im Prinzip recht, wenn er schreibt: »Eine Sache ist sicher: Die ungläubige Wissenschaft wird alles ausrotten, was nicht durch und durch christliche Rechtgläubigkeit heißt. All die schlaffen Theorien, all die aufgeweichten Herausbildungen und das Fegefeuer der Spekulationen werden bald über Bord gehen. Der Kampf wird zwischen zäher, durchgängiger Rechtgläubigkeit und zähem, durchgängigem Unglauben stattfinden. Augustin oder Comte wird es heißen, Athanasius oder Hegel, Luther oder Schopenhauer, John Stuart Mill oder Johannes Calvin.« [260] Die Schlacht wird zwischen dem Naturalismus der Wissenschaft und dem Supranaturalismus des Christentums ausgetragen werden -- da müssen alle kompromittierenden Entwürfe zunichte werden. An dieser Stelle soll gesagt sein, dass wir nichts gegen echte Wissenschaft haben. Wir anerkennen sehr wohl den Wert der Biologie, der Chemie, der Physik, der Astronomie usw., und wir wissen auch, dass der Fortschritt des zwanzigsten Jahrhunderts nur aus diesen Wissenschaften zu erklären ist. Wir begrüßen die Wahrheit, aus welcher Quelle auch immer sie kommen mag, und wir sind davon überzeugt, dass diese Wissenschaften letztendlich das Christentum bekräftigen werden. [261] Der Psalmist erklärt: »Die Himmel rühmen die Herrlichkeit Gottes, vom Werk seiner Hände kündet das Firmament« (Ps 19,2). »Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name auf der weiten Erde!« (Ps 8,2). Je besser wir also über diese Dinge bescheid wissen, desto mehr werden wir Gott verstehen lernen. Unsere Ablehnung betrifft eher die ungläubigen Wissenschaftler, die versuchen, ihre antichristlichen oder atheistischen Weltanschauungen in die Religion und die Philosophie hineinzutragen und die mit autoritärer Professionalität über Dinge sprechen, von denen sie keine Ahnung haben. Es ist bemerkenswert, dass die Kirchengeschichte viele theologische Systeme hat aufsteigen und fallen sehen, während der Calvinismus seine Stetigkeit behalten hat. Der Arminianismus, jedenfalls in seiner derzeitigen Ausprägung, ist ja noch relativ neueren Datums. So wurde er auch von Beginn der Reformation an bis ins auslaufende achtzehnte Jahrhundert von allen protestantischen Gremien und Konzilen abgelehnt. Im Katholizismus ist es ihm nicht besser ergangen. Im vierten Jahrhundert gelang es einem Augustinus, die Prädestinationslehre zur anerkannten christlichen Doktrin zu erheben; zu keiner Zeit hat die katholische Kirche die Lehren des Arminianismus offiziell anerkannt oder übernommen. Es hatten noch eine Anzahl weitere --ismen ihr kurzes Bestehen, unter welche zu zählen sind: Nestorianismus [262] , Arianismus [263] , Pelagianismus [264] , Semi-Pelagianismus [265] , Socinianismus [266] und andere. Sie haben ihre Zeit gehabt und sind wieder verschwunden, während unser Lehrgebäude, einmal unter dem Namen Augustianismus, ein andermal unter der Bezeichnung "Calvinismus" bekannt, seit jeher bei seinen Prinzipien geblieben ist. Ist dies nicht selbst ein starkes Indiz für die Wahrheit dieser Lehre? Zum Westminster-Bekenntnis sagt Charles Hodge: »Die neueren Modifikationen des Calvinismus sind verschwunden; die reine und konsistente Form des Supranaturalismus und des Evangelikalismus steht als unangreifbare Barriere gegen die Fluten des Naturalismus, der versucht, alle Kirchen des Christentums zu überschwemmen.« [267] Nur im Calvinismus findet das logisch-konsistente Denken zur Ruhe. Dass das System in sich logisch ist, wird sogar von seinen Gegnern nicht bestritten. Jeder, der mit dem Calvinismus in Berührung kommt, wird ihn entweder hassen oder lieben, aber auch wenn er ihn hasst, so wird er doch nicht respektlos davon sprechen. Der Calvinismus wird manchmal einfach deswegen kritisiert, weil er mehr Betonung auf innere Logik legt als auf Gefühle. Es ist wahr: Der anthrazitene Calvinismus ist nicht so leicht entzündlich wie Stroh, doch wenn er einmal brennt, dann erzeugt er langanhaltende und intensive Hitze. Prof. H. H. Meeter sagt einmal: »Im Vergleich mit anderen religiösen Gemeinschaften betont der Calvinismus zweifelsohne das Verständnis. Er ist für seine Dialektik wohlbekannt. Die Calvinisten selbst gelten als die Logiker par excellance unter den Theologen. Oliver Wendell Holmes ging sogar so weit, diesen Aspekt des Calvinismus in seiner Burleske >The Deacon's Masterpiece< zu persiflieren: Der alte Einspänner, der so gut konstruiert war, dass jede Mutter, jeder Bolzen, jede Stange und jede Speiche von gleicher Qualität waren und bei dem sich kurz vor dem Versammlungshaus alle Teile voneinander lösten, galt ihm als Sinnbild der Geschichte des Calvinismus. Als Meisterwerk der Logik überdauerte er die Zeitalter und galt erst als zusammengebrochen, als die Transzendentalphilosophie in England ihren Aufstieg zu nehmen begann.« [268] Der Einwand, der Calvinismus betone die Logik zu sehr, hat keine ausreichende Grundlage. Das kann jeder sehen, der dieser Lehre nicht schon von vornherein feindlich gegenübertritt. Es mag vielleicht besser sein, sich auf der Verstandesseite zu irren als auf der Gefühlsseite, doch wer hat schon davon gehört, dass man ein Lehrgebäude wegen seiner inneren Logik verworfen hat? -- und wir erfreuen uns der großen Logik unseres Lehrgebäudes. __________________________________________________________________ [258] Interessant ist hier eine Parallele aus James Montgomery Boice und Philip Graham Ryken, Die Lehren der Gnade, (Betanien Verlag 2009), S. 70: "Der Weg vom Calvinismus zum Liberalismus -- und sogar zum Atheismus -- ist schon oft gegangen worden, und normalerweise führt er über den Arminianismus" (A. d. Ü.). [259] Quelle nicht angegeben [260] Quelle nicht angegeben [261] Der Optimismus Boettners ist nur vor dem Hintergrund des Postmillennialismus zu verstehen. Dass es heute so aussieht, als habe der Naturalismus Oberwasser bekommen, wäre freilich eine einseitige Sicht der Dinge. Nicht die Wissenschaft als solche wäre imstande, das eine oder das andere zu stützen, sondern die Träger der jeweiligen Disziplinen. Und da heißt es gegenwärtig, sich der Deszendenztheorie eines Darwin mit allen Implikationen zu beugen oder die wissenschaftliche Karriere an den Nagel zu hängen. Jede Devianz vom antichristlichen Tenor der Wissenschaften führt in die Bedeutungslosigkeit. Dass die Wahrheit im Wissenschaftsbetrieb von heute dem vitalen Interesse am Überleben und dem wissenschaftlichen Lobbyismus nachgeordnet ist, hat John Horgan in seinem Buch "Die Grenzen der Wissenschaft" angedeutet. Über das maßgebliche Wissenschaftsmagazin "Nature" schreibt er beispielsweise: "John Maddox, der Herausgeber von Nature, meinte einmal, wenn Newton heute einen Artikel über seine Gravitationstheorie bei einem Wissenschaftsmagazin einreichte, dann würde dieser mit Sicherheit wegen der vermeintlichen Absurdität der Theorie abgelehnt" (A. d. Ü.). [262] Diese Lehre behauptet, in Jesus Christus seien zwei Wesenheiten verkörpert: Mensch und Gott, und beide seien über das Band der Liebe verbunden. Jede Handlung Jesu Christi könne jeweils einer von beiden Personen zugeordnet werden. Allerdings ist fraglich, ob man beim Nestornianismus von einer historischen Bewegung wird sprechen dürfen, da sich keine Kirche explizit zu den Lehren Nestorius' bekannt hat, dessen Lehren 431 im Konzil von Ephesus verurteilt worden waren (A. d. Ü.). [263] Der alexandrinische Priester Arius leugnete die Gottheit Jesu und behauptete, Jesus sei Gottes vornehmstes Geschöpf, eine Art Zwischenwesen zwischen Gott und Welt. Die Lehre wurde vom Konzil zu Nicäa 325 n. Chr. verdammt, später noch einmal vom Konzil zu Konstantinopel 381 n. Chr. (A. d. Ü.). [264] Der Pelagianismus stammt vom britischen Mönch Pelagius, der gegen Augustinus die Erbsünde leugnete und behauptete, der Mensch könne das Heil durch eigenes Bemühen erreichen, da er seinen freien Willen je zum Guten oder zum Bösen bestimmen könne. 431 n. Chr. am Konzil von Ephesus verurteilt (A. d. Ü.). [265] Der Semi-Pelagianismus ist dem Arminianismus am nächsten: Er hält zwar an der Erbsündenlehre fest, geht aber trotzdem von einem neutralen Willen aus. Die Lehre wurde 529 n. Chr. auf der Synode von Arausio abgelehnt (A. d. Ü.). [266] Vorläufer der Unitarier -- sie leugneten die Dreieinigkeit und die Fleischwerdung Jesu Christi. Ihr Name leitet sich von dem italienischen Humanisten Fausto Sozzini her, der um 1604 starb (A. d. Ü.). [267] Quelle nicht angegeben [268] Meeter, The Fundamental Principle of Calvinism, S. 25. __________________________________________________________________ 5) Vernünftigkeit und Verständnis der Lehre Wahrscheinlich ist kein anderes Gedankensystem so grob und schwerwiegend und manchmal so absichtlich falsch interpretiert worden wie der Calvinismus. Viele Kritiker des Calvinismus haben das System nicht einmal angemessen durchdacht. Es kann rechtens davon ausgegangen werden, dass unsere Gegner unsere Anschauungen im allgemeinen nur wenig kennen und dass sie das, was sie von bloßem Hörensagen kennen, nicht miteinander verbinden können. Die Prädestinationslehre macht die Weltweisheit zur Lachnummer, genauso wie die Weltweisheit nur Spott für die Prädestinationslehre hat. Wenn irgendeine Lehre den Juden Ärgernis und den Heiden Torheit ist, dann sicherlich diese. Ohne weitere Erklärung scheint die Prädestinationslehre paradox zu sein, und denjenigen, die nur die Lehraussage selbst kennen, muss ein Rätsel bleiben, wie gottesfürchtige und gedankenvolle Geister sie je haben vertreten können. Aber es geht in diesem Fall wie in vielen anderen auch: Wenn wir Grund und Aufbau sorgfältig erforschen, wird der paradoxe Charakter der Lehre zumindest verkleinert, wenn er zuletzt nicht ganz verschwindet. Daher bitte ich darum, dass der Leser dieses Lehrsystem unvoreingenommen untersucht und seine Implikationen und Beziehungen sowie seinen logischen Zusammenhalt studiert. Wir haben schon gesehen, dass es in der Schrift wurzelt; wenn wir aus Natur und menschlichem Leben hinzuziehen, was klar zutage tritt, dann reicht das wohl aus, um das Gedankengebäude nicht nur möglich sein zu lassen, sondern bald auch wahrscheinlich, geradlinig und gerecht. So gesehen wird es nicht länger als die willkürliche, paradoxe und unmoralische Lehre erscheinen, als die es seine Gegner so gerne sehen, sondern als ein Lehrsystem, das der göttlichen Majestät große Ehre einträgt. Diese Lehren sind selbstverständlich nicht das, was der natürliche Mensch zu finden erwartet. Dem unerleuchteten Verstand erscheint eine Religion, die nach menschlicher Anstrengung verlangt, wesentlich natürlicher, und wenn wir Menschen selbst ein Lehrsystem entwickeln wollten, dann wäre wohl kaum eines von tausend dabei, in dem ein Erlöser von sich selbst aus einen solchen Segen errungen hätte, um ihn seinem Volk zu bringen. Zanchius sagte einmal: »Der natürliche Mensch, der unerleuchtete Verstand schrickt vor diesem System zurück; im Gegenteil dazu wird der geistliche Mensch eine solche Wahrheit nur umso lieber ergreifen.« [269] Froude sagt: »Mag der Arminianismus unseren Gefühlen sehr entgegenkommen, ist dennoch der Calvinismus näher an den Fakten, wenn diese auch schwerer annehmbar zu sein scheinen.« [270] Der Calvinismus verlässt sich lieber auf die göttliche Offenbarung als auf den menschlichen Verstand, lieber auf die Fakten als auf die Sinne, lieber auf das Wissen als auf die Vermutung und lieber auf das Gewissen als auf Gefühle. Wie schon gesagt: Viele sehen in diesem Lehrgebäude nichts als eine seltsame Torheit. Doch wenn diese Lehren auch nur mit ein wenig Sorgfalt studiert werden, bleiben sie weder ungewiss noch so schwierig, wie man den Anschein erwecken will; die Ungewissheit und die Schwierigkeit ist vielmehr auf menschlichen Stolz zurückzuführen, auf die Sündenliebe und auf die Unkenntnis unseres wahren Herzenszustandes. Diejenigen, die das System überzeugt hat, fühlen sich beinahe so, als lebten sie in einer anderen Welt, so sehr verändert sich ihre Weltsicht. »Wohin die Kinder Gottes auch sehen, sehen sie soviel unglaubliche Beispiele von Blindheit, Unwissenheit und Gefühllosigkeit, dass sie mit Schrecken erfüllt werden, während sie selbst mitten in dieser Dunkelheit göttliche Erleuchtung empfangen haben und wissen und fühlen, dass es so ist.« [271] Wenn wir ein Wort von Alexander Pope paraphrasieren dürfen, können wir es sehr passend auf diese Thematik anwenden: »Ein wenig Prädestination ist ein gefährlich Ding; trink lieber tief davon, oder lass die Finger von dieser heiligen Quelle.« Hier und auch in manch anderen Fällen sind die ersten Atemzüge verwirrend und beunruhigen die Gedanken, doch je mehr man davon atmet, desto mehr verfliegen die betäubenden Auswirkungen uns lassen uns wieder zu uns selbst kommen. Diese erhabene Philosophie der Souveränität Gottes, die mit der menschlichen Freiheit korrespondiert, findet sich überall in der Bibel. Es wird aber nirgends auch nur der Versuch gemacht zu erklären, wie diese beiden Dinge zusammengehen. Da ist die unabdingbare Annahme, dass Gott der unumschränkte Herrscher ist, der sogar die geheimsten Gedanken, Gefühle und Triebe des Menschen regiert; auf der anderen Seite der Mensch, der niemals anders als Vernunftwesen gezeigt wird, das mit seiner Handlungsfreiheit verantwortlich für diese seine Handlungen ist. Die Lehren von der Vorherbestimmung, der Souveränität und der wirksamen Vorsehung gehen Hand in Hand mit denen von der Freiheit und der Verantwortlichkeit vernunftbegabter Geschöpfe. Er wird nicht behauptet, die Prädestinationslehre sei leicht zu verstehen, sehr wohl aber, dass sich die Schwierigkeiten ohne diese Lehre noch vergrößern. Dass eine Wesenheit von unendlicher Weisheit, Macht und Güte ein Universum schaffen sollte und es dann wie ein riesiges Flugzeug ohne Piloten lässt: dies ist eine Annahme, die unsere grundsätzliche Auffassung von Gott zersetzt und dem ganzen Zeugnis der Heiligen Schrift widerspricht -- und ebenso unserer täglichen Erfahrung und dem Hausverstand. Charles Hodge beginnt seine Abhandlung über die Beschlüsse Gottes mit folgendem Satz: »Es muss daran erinnert werden: Theologie ist nicht Philosophie. Die Theologie zielt nicht darauf ab, Wahrheiten zu entdecken oder auch jene Wahrheiten, die sie hat, mit allen anderen Wahrheiten zu versöhnen. Ihre Provinz ist die statuarische Aufstellung dessen, was Gott in seinem Wort enthüllt hat. Diese Sätze sind so weit wie möglich gegen Missverständnisse und Einwände zu verteidigen. Diese begrenzte und bescheidene Aufgabe der Theologie darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man auf die Handlungen und Zwecke Gottes zu sprechen kommt. >Ebenso kennt auch niemand das Göttliche, als nur der Geist Gottes< (1 Kor 2,11). Wenn wir uns mit den Ratschlüssen Gottes befassen, dann haben wir nichts weiter zu tun, als offenzulegen, was dem Heiligen Geist gefallen hat, uns über diese Beschlüsse mitzuteilen.« [272] __________________________________________________________________ [269] Quelle nicht angegeben [270] Quelle nicht angegeben [271] Calvins Calvinism, S. 30. [272] Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 1, S. 530. __________________________________________________________________ 6) Die Synode von Westminster und ihr Bekenntnis Das theologische System, das üblicherweise unter dem Namen Calvinismus oder reformierter Glaube bekannt ist, findet seinen genauesten Widerhall im Westminster-Bekenntnis. Die Synode von Westminster wurde vom englischen Parlament einberufen. Ihre Arbeit erstreckte sich über eine Zeit von etwa fünfeinhalb Jahren und wurde 1648 beendet. Die repräsentative Körperschaft setzte sich aus 121 Pastoren und Theologen, einigen Adeligen und etwa zwanzig Bürgern zusammen. Sie kamen aus allen Provinzen Englands, der Universitäten Oxford und Cambridge; außerdem kamen 7 Bevollmächtigte aus Schottland. Ob nun gemessen am Ausmaß und der Wirksamkeit ihrer Arbeit oder an ihrem Einfluss auf spätere Generationen -- die Westminstersynode steht bei protestantischen Konzilen an erster Stelle. Die wichtigste Arbeit der Synode war das Westminster-Glaubensbekenntnis, ein unvergleichliches Kompendium biblischer Wahrheiten, welches zu den edelsten Errungenschaften des britischen Protestantismus zählt. Es ist zurecht als theologisches Meisterwerk der vergangenen vier Jahrhunderte genannt worden. Dr. Warfield bezeichnete es als »das umfassendste, bestausgearbeitetste und sorgsamst gehütete, vollkommenste und von lebendigster Ausdruckskraft geprägte Werk, das je von menschlicher Hand verfertigt worden ist, in das alles einfließt, was wir >evangelisch< nennen und was unter allen Umständen bewahrt werden muss, wenn der Evangelikalismus Bestand haben soll.« [273] Dr. F. W. Loetscher bezeichnete in einer Ansprache vor der Generalversammlung der Presbyterianischen Kirche in den USA 1929 die Lehrsätze von Westminster als unvergleichliches, ja geniales theologisches Werk ... das edelste Erzeugnis der großen Erweckung, die wir Reformation nennen; eine unvergleichliche Formelsammlung, die zumindest der englischsprachigen Christenheit als die umfassendste, genaueste und angemessenste Verkörperung des reinen Evangeliums von der Gnade Gottes bekannt geworden ist.« In der gleichen Ansprache sagte er: »Ich sehe voraus, dass die Beschreibung dieser ehrwürdigen Dokumente vielen Menschen, einigen auch unter denen, zu welchen zu sprechen ich bei dieser Gelegenheit die Ehre habe, als unpassende Übertreibung, wenn nicht als ein schierer Anachronismus erscheinen werden. Der Zeitgeist hat für den Wert von Glaubensbekenntnissen wenig übrig, und dieses unser Bekenntnis wird wie viele andere Bekenntnisse die traurige Erfahrung machen müssen, selbst im Lande seiner vermeintlichen Anhänger verachtet und abgelehnt zu werden.« [274] Dr. Curry, der ehemalige Herausgeber der Zeitschrift "Methodist Advocate" aus New York nannte in einer seiner Ausgaben über Glaubensbekenntnisse das Westminster-Bekenntnis »die brauchbarste, klarste und umfassendste Aufstellung der christlichen Lehre, die je herausgegeben wurde -- eine grandioses Monument der geistigen Größe seiner Verfasser.« Mit diesem Maßstab haben wir die berühmteste Präsentation theologischer Wahrheiten, die dem menschlichen Geist zugänglich ist. Das Bekenntnis zeigt wesentlich größeren Tiefgang an theologischer Einsicht als alle anderen Bekenntnisse und verdient die Bewunderung aller Zeitalter. Es bringt Männer von starker lehrmäßiger Überzeugung hervor. Jeder, der sich dazu bekennt, hat eine endgültige Basis für den Glauben und wird nicht »durch trügerisches Spiel von Menschen von jedem Wind einer Lehre hin und hergeblasen, mit dem sie uns arglistig verführen wollen.« Obgleich das Westminster-Bekenntnis so logisch, so klar und umfassend formuliert ist, wird es von den Mitgliedern und sogar von Dienern der Presbyterianischen und Reformierten Kirche oft schandhaft verleugnet! So sagt Dr. Frank H. Stevenson, der erste Präsident des Kuratoriums des Westminster Theological Seminary: »Das Glaubensbekenntnis mag in der Verfassung der Presbyterianischen Kirche vernachlässigt werden, ja nahezu vergessen werden, aber es ist während fünfundzwanzig Jahren lehrmäßiger Konfusionen unangetastet geblieben und musste nicht verbessert werden. Es ist und bleibt als unser Glaubensbekenntnis in jeder Hinsicht ein mutiges Bollwerk. Nicht nur um seiner selbst willen, sondern weil es Christus die volle Ehre zukommen lässt, ist es wert, als das bezeichnet zu werden, was Paulus prophetisch >den guten Kampf des Glaubens< genannt hat.« [275] Diesen Worten stimmen wir aus ganzem Herzen zu. __________________________________________________________________ [273] Quelle nicht angegeben [274] Quelle nicht angegeben [275] Christianity Today, Sept 1930, S. 7. __________________________________________________________________ 7) Diese Lehren sollten öffentlich gelehrt und gepredigt werden Nicht nur die Lehre von der Prädestination, auch alle anderen bestimmten Lehren des Calvinismus sollten öffentlich gelehrt und gepredigt werden, so dass der echte Gläubige wissen darf, als Einzelner spezieller Gegenstand der Liebe und Barmherzigkeit Gottes zu sein, dass er Bestätigung erfährt und in der Versicherung seiner Errettung gestärkt werden möge. Was für ein Unglück für die Wahrheit, die ihrem Urheber so viel Ehre zukommen lässt; diesem Fundament der Seligkeit des Menschen, welches unterdrückt oder den Theologen überlassen bleibt! Die Lehre von der Vorherbestimmung sollte dem Christen eine der tröstlichsten in der Schrift überhaupt sein! Es gibt kaum eine unverwechselbar christliche Lehre, die in aller Reinheit und Fülle gelehrt werden kann, ohne einen Bezug zur Prädestination zu haben. Die Lehren sind wechselseitig aufeinander bezogen und ineinander verwoben, so dass jede mit jeder zusammenhängt; die Lehre von der Prädestination vereinigt und organisiert alle anderen Lehren. Ohne sie können die anderen Lehren nicht im rechten Licht gesehen werden, noch ihre beziehungsweise Wichtigkeit richtig eingeschätzt werden. Was den Platz der Prädestinationslehre im Christentum angeht, schreibt Zanchius: »Der ganze Katalog der Künste hat so etwas wie einen inneren Zusammenhang, eine wechselseitige Bedingtheit; er ist durch eine Art wechselseitige Beziehung gekennzeichnet, bei der jede Kunst mit der anderen zusammenhängt. Dasselbe kann auch von dieser wichtigen Lehre gesagt werden: Sie ist das Band, die das ganze christliche Lehrgebäude zusammenhält und ohne welche das Christentum wie ein Bau aus Sand leicht auseinander fallen kann. Sie ist der Zement, der die ganze Fabrik zusammenhält, oder besser gesagt, sie ist die Seele, die dem Ganzen erst das Leben einhaucht. Sie ist mit dem ganzen Entwurf der evangelischen Lehre aufs innigste verwoben, so dass, wird sie ausgeschlossen, die ganze Lehre verbluten muss.« [276] Wir haben den Befehl: »Predige das Evangelium«. Wenn wir einen Teil auslassen oder verschweigen, dann nehmen wir diesen Befehl nicht ernst. Kein Diener des Evangeliums kann sich die Freiheit nehmen, Stellen aus seiner Bibel herauszuschneiden, weil sie ihm nicht gefallen. Doch ist es nicht genau das, was geschieht, wenn man eine solch wichtige Lehre einfach verschweigt? Paulus konnte zu den Neubekehrten sagen: »Nichts von dem, was dienlich sein konnte, habe ich euch vorenthalten. Ich habe es euch gepredigt und euch gelehrt, öffentlich und von Haus zu Haus. ... Darum beteuere ich euch am heutigen Tag: Ich bin rein vom Blut aller. ... Denn ich habe nichts verschwiegen, sondern euch den ganzen Ratschluss Gottes verkündet« (Apg 20,20.26.27). Wenn ein Diener des Wortes heute diese Worte in den Mund nimmt, dann soll er sich davor hüten, eine solche Lehre zu verschweigen! Paulus bezog sich wiederholt darauf. In seinem Brief an die Römer (Kap. 9 -- 11) und an die Epheser (Kap. 1 -- 2) finden sich die wichtigsten Stellen dazu. Im Römerbrief brachte er diese Dinge vor die ganze Welt; er stempelte ein universales Imprimatur darauf; und wenn er diese Dinge für so wichtig erachtete, dass er sie den Stammchristen der jungen römischen Gemeinde mitteilte, die er noch gar nicht besucht hatte, dann dürfen wir davon überzeugt sein, dass sie auch für uns wichtig sind. Christus und die Apostel lehrten diese Dinge, und das nicht nur einigen wenigen, sondern den Volksmengen. Es findet sich kaum ein Kapitel im Johannesevangelium, das sich nicht auf die eine oder andere Weise darauf bezöge und Erwählung bzw. Verwerfung erwähnte. Wenn der nüchterne Hausverstand geradeheraus fragt: »Stammt die Lehre der Prädestination aus der Bibel?«, dann muss die Antwort ein deutliches Ja! sein, egal ob AT oder NT! Das Westminster-Bekenntnis spricht ausdrücklich über diese Lehre. Also sollen auch wir sie lehren und erklären, so weit das möglich ist. Paulus fordert uns auf, »die ganze Waffenrüstung Gottes« anzulegen, doch was für ein großer Teil dieser Rüstung fehlt dem christlichen Ritter, wenn er die große Lehre der Prädestination ablehnt! Augustin tadelte jene, die diese Lehre einfach verschweigen, und wenn er manchmal bezichtigt wurde, diese Lehre zu freimütig zu verkünden, wies er die Vorwürfe zurück mit dem Hinweis, dass wir dort wohl folgen können, wo die Schrift uns vorangeht. Luther und speziell Calvin haben diese Wahrheiten stark betont; Calvin entwickelte sie so klar und kraftvoll, und deshalb wurde das ganze Lehrgebäude nach ihm benannt. Nicht nur die Ursprungsländer der Reformation, sondern in weiterer Folge Holland, Schottland, England zur Zeit der Westminstersynode und auch Amerika -- zumindest an den Anfängen seiner Geschichte -- predigten diese Lehren öffentlich. Dadurch kam es in allen Bevölkerungsschichten zu tiefen religiösen Überzeugungen. Calvin war davon überzeugt, dass die Lehre von der Erwählung das Zentrum des Glaubensbekenntnisses sein muss und dass die Kirche sehr bald schon jene wundervolle Lehre begraben und vergessen würde, wenn sie ihr nicht eine zentrale Stelle einräumte. Jene Gemeinden, die diese Lehre nicht betonten, egal ob in England, in Schottland, in Holland, den Vereinigten Staaten oder auch Kanada, sind der beste Beweis für die Ansicht Calvins: Sie haben diese Lehren komplett vergessen. Ein königlicher Bote muss seine Botschaft genauso weitergeben, wie er sich erhalten hat, und daher darf die größte aller Lehren -- die Vorherbestimmung zum ewigen Heil -- nie und nimmer verschwiegen werden. »Ein Botschafter muss die ganze Nachricht an sein Ziel bringen, mit der er beauftragt worden ist. Er darf nichts davon auslassen, sondern muss die Gedanken seines Auftraggebers ohne allen Rückhalt wiedergeben. Er darf weder mehr noch weniger mitteilen, als ihm der königliche Hof aufgetragen hat, sonst fällt er in Ungnade oder verliert seinen Kopf. Jeder Diener des Evangeliums sollte dies wohl bedenken!« [277] Es handelt sich hier um Lehren, die ausdrücklich aus göttlicher Offenbarung stammen. Sie sind dazu angetan, die Ehre Gottes zu befördern; sie trösten und ermutigen die Erwählten und lassen den Sünder ohne Entschuldigung. Es ist wahr: Der Mensch hört nicht gerne, dass er ein vollkommen hilfloser Sünder ist. Eine solche Lehre ist ihm zu demütigend. Wenn er aber ohne Christus verlorengeht, ist es besser, er hört sie so bald wie möglich. Wenn wir unseren Mitmenschen diese Botschaft verschweigen, ist dies nichts als Unaufrichtigkeit gegenüber unserem Herrn -- wir handelten fahrlässig. Sie zu ignorieren bedeutete, zu handeln wie ein Arzt, der eine Operation, die seinem Patienten das Leben retten könnte, verweigert, weil er dem Patienten durch die Operation Schmerzen zufügen müsste. Wenn diese Wahrheiten furchtlos und couragiert gepredigt würden, dann kröchen der Modernismus und der Unglaube nicht so einfach in unsere Gemeinden, wie es heute der Fall ist. Die Anzahl der bekennenden Christen wäre vielleicht kleiner, doch die Christen wären loyaler und wirksamer in ihrem Tun. Die Predigt unserer Lehren wird freilich zu einigen Kontroversen führen. Doch eine Kontroverse darf nicht per se schon als schlecht angesehen werden. So lange es Irrtümer gibt, gibt es auch Kontroversen. Die Angriffe der Heiden und der Häretiker auf die Lehren der frühen Kirche und des Mittelalters zwangen die Gemeinde Christi dazu, ihre Lehren zu überdenken, sie besser zu formulieren, sie zu erklären, zu reinigen und zu verstärken. Sie zwangen sie zu genauerem Bibelstudium. Eine Reihe brillanter Geister entstammen dieser Kirche; sie schrieben hervorragende Bücher und Artikel über den christlichen Glauben. Dies bereicherte die Gemeinde Christi um viele Früchte geistlicher und intellektueller Natur. Es stimmt nicht, dass die Leute heutzutage keine lehrmäßigen Predigten mehr hören wollen. Der Diener des Evangeliums glaube an seine Lehren, trage sie mit Überzeugungskraft und aller Lebendigkeit vor und er wird sehen, dass er auf ein dankbares Publikum treffen wird. Wir sehen heute viele Menschen sich von der öffentlichen Diskussion um soziale Themen, Politik und auch ethische Fragen abkehren und erleben eine verstärkte Zuwendung zum Okkulten und Esoterischen. Wir sind geistig in vieler Hinsicht ärmer geworden, weil wir uns in unseren theologischen Disputen verheddert haben und vor lauter Verwirrung diesen großen Lehren längst nicht mehr gerecht werden. Wenn sie korrekt gepredigt würden, brächten sie nicht nur Interesse hervor, sondern auch Wirkung. Es ist meine Erfahrung als Bibellehrer, dass kein anderes Thema die Studenten so elektrisiert und fasziniert wie eben diese Lehren. Wir werden uns fragen müssen: Wie rechtfertigt die Presbyterianische Kirche ihr Dasein, wenn sie dem Calvinismus nach und nach zu verstehen gibt, dass sie ihn nicht länger braucht, dass er nicht länger notwendig sei? Unsere geistliche Schwäche ist vielfach auf die Tatsache zurückzuführen, dass unsere Gemeinde nur mehr wenig von den Lehren des Presbyterianischen Systems erfährt; dieses fehlende Wissen hat uns direkt in die Hände der ökumenischen Bewegung getrieben, und diese Bewegung versucht, Kirchen aller Couleur mit einem minimalen Gehalt an biblischer Lehre unter einen Hut zu bringen. Die Prädestinationslehre ist eine Lehre für gestandene Christen. Nichtchristen gegenüber muss in Predigt und Verkündigung dieser Lehre allerdings große Zurückhaltung und Vorsicht geübt werden. Es ist beinahe unmöglich, einen Nichtchristen von ihrer Wahrheit zu überzeugen, denn das Herz eines Nichtwiedergeborenen wird gewöhnlich gegen diese Wahrheit rebellieren. Man muss zuerst die einfacheren Wahrheiten gemeistert haben, bevor man daran geht, auch diese Lehre zu erklären, sonst wird sie allzu leicht missverstanden und kann einen sehr leicht in noch tiefere Verzweiflung bringen. Den Ungläubigen und Neubekehrten gegenüber besteht unsere Aufgabe darin, die Arbeit des Christen im Heilsweg zu betonen: Glaube, Reue, Erneuerung des Denkens und des Handelns. Diese elementaren Schritte wollen der beginnenden Erweiterung des Gewissens vorausgehen. In diesem Zustand muss vorerst noch Zurückhaltung über jene tieferen Wahrheiten geübt werden, die mit dem Handeln Gottes zu tun haben. Auch in der Mathematik beginnen wir ja nicht mit Algebra und Statistik, sondern mit einfachen Aufgaben der Arithmetik, und so wird es auch hier zunächst sinnvoll sein, mit den elementaren Wahrheiten zu beginnen. Nachdem der Christ gerettet ist und die ersten Schritte auf dem Weg hinter sich gebracht hat, sieht er, dass seine Erlösung in erster Linie dem Heilshandeln Gottes zuzuschreiben ist und seine Entscheidung nur Antwort auf dieses Handeln war, mithin, dass er eben aus Gnade errettet ist und nicht aufgrund irgendwelcher eigener Handlungen. Es ist, wie es Calvin ausgedrückt hat: Die Prädestinationslehre ist kein Thema, über das sich Kinder den Kopf zerbrechen sollten. Dazu sagt Strong: »Diese Lehre wird man als fortgeschritten bezeichnen müssen; man wird ihrem Verständnis reifes Denken und tiefe Erfahrung entgegenbringen müssen. Der Neubekehrte mag weder Wert noch Wahrheitsgehalt dieser Lehre erkennen können, doch im Laufe der Zeit mag sie ihm zum starken Halt werden, auf den er sich stützen kann.« [278] Ja, es stimmt: Diese Lehre kann weder von Unbekehrten noch von Neubekehrten angemessen gewürdigt werden, aber sie sollte Gemeingut all jener sein, die schon ein gutes Stück Weg im Christentum gegangen sind. Es ist bemerkenswert: Als Calvin seine »Institutio« verfasste, hat er diese Lehre erst in den späteren Kapiteln behandelt. Er untersuchte erst die anderen christlichen Lehren und überging einstweilen die Lehre von der Prädestination wohlüberlegt auch dort, wo man sie natürlicherweise erwartet hätte. Erst im späteren Teil seiner theologischen Abhandlung wird sie ganz entwickelt und zur Krone und Ehre des ganzen Systems gemacht. Beim Predigen dieser Lehre soll darauf geachtet werden, nicht einzelne Punkte davon in ungebührlicher Weise zu übertreiben, sondern stets darauf hinzuweisen, dass sie nicht auf Willkür, sondern auf der Weisheit und Liebe Gottes basiert. __________________________________________________________________ [276] Girolamo Zanchi, Predestination, S. 124. [277] Zanchius, Predestination, S. 124. [278] Strong, Systematic Theology, S. 368. __________________________________________________________________ 8) Der Amtseid und der Gehorsam des Dienstes Jeder Diener und Älteste, der in Presbyterianischen und Reformierten Kirche eingesetzt wird, schwört feierlich vor Gott und Menschen, dass er das Glaubensbekenntnis seiner Kirche aufrichtig als Zusammenstellung der Lehren, wie sie sich in der Heiligen Schrift finden, annimmt. [279] Da diese Bekenntnisse durch und durch calvinistisch sind, bedeutet dies, dass auch nur Calvinisten jene Würde erlangen können. Kein Arminianer hat auch nur das geringste Recht, in einer calvinistischen Gemeinde zu dienen, und jeder Arminianer, der dennoch ein Amt in einer calvinistischen Kirche erlangt, dem fehlt nicht nur die passende theologische Einstellung, sondern auch die Dienstmoral, denn das eine zu predigen und das andere zu glauben verträgt sich wohl kaum mit der Integrität eines Menschen. Obgleich die Eidschwüre durch und durch calvinistisch sind -- wie wenige Diener proklamieren diese Lehren jetzt noch! Man hört heute von den Kanzeln nomineller calvinistischer Gemeinden kaum noch die Verkündigung, wie sie dem reformierten Glauben verpflichtet ist. Unsere Kanzeln, Kirchenzeitungen, Schulen und Universitäten läuten die arminianischen Lehren vom Verdienst und vom freiem Willen ein. Die gegenwärtigen Presbyterianischen und Reformierten Kirchen scheinen kein angemessenes Verständnis der fundamentalen Wichtigkeit ihres großen lehrmäßigen Erbes mehr zu besitzen. Die Werke Calvins und Luthers oder auch der großen puritanischen Theologen sollten unseren jungen Theologen nicht nur vom Titel her bekannt sein. Die scholastische Form und der beschwerliche Stil dieser Werke hat viele abgeschreckt, sie zu studieren, doch wir sollten uns daran erinnern, dass wir das Studium der Theologie nicht zu unserem Spaß betreiben. Wir erwarten keine Romane, wenn wir die Werke der alten Meister zur Hand nehmen. Viele junge Männer treten in den Dienst, ohne die Bekanntschaft mit der Lehre der Kirche gemacht zu haben, der sie dienen wollen, und wenn sie dann jemanden hören, der sich an die Normen von Westminster hält, halten sie ihn für einen »Verkünder fremdartiger Lehren«. Was die Kirche heute so dringend braucht, sind Männer von starker Überzeugung und gefestigtem Denken, keinen freidenkerischen Modernismus oder Liberalismus, der frohlockend und stolz durch die Lande zieht, keine dogmatische Meinung mehr zu haben oder noch theologischen Vorlieben zu huldigen. Die Mehrzahl unserer Diener glaubt nicht mehr an die calvinistischen Lehren; viele von ihnen bringen gegen ihren feierlichen Schwur anhand gerissener und unfairer Methoden stärkste Anstrengungen auf, jenen Glauben zu vernichten, den sie doch als vom Heiligen Geist empfangen beschworen haben. Wenn diese Lehren der Wahrheit entsprechen, dann sollten sie von unseren Kirchen und Lehrstätten klar und mit großem Freimut gelehrt und verteidigt werden. Ehrlichkeit ist nicht nur im Handel und in der Wirtschaft wichtig, sondern auch in der Politik und der Theologie -- in jeder Denomination. Ein Diener der Presbyterianischen Kirche ist kein freischaffender Künstler, sondern ein Presbyter, der sich diesem System versprochen hat. Wer diese Lehren verleugnen, handeln gegen seinen Schwur; er sollte sich auf die Seite derjenigen Denominationen schlagen, die seine Ansichten teilen. Es hat auch kein Kirchendiener das Recht, jene Ehren und Belohnungen entgegenzunehmen, die ein äußerliches Anerkennen eines Glaubensbekenntnisses mit sich bringen mag, zu dem er nicht steht oder das er nicht selbst vertritt. »Das Glaubensbekenntnis einer Kirche ist der feierliche Vertrag zwischen den Kirchenmitgliedern. Es stellt größere Verpflichtung dar als ein Parteibuch. Die Verletzung des Vertrages ist unmoralisch, auch wenn einige Leute nicht so streng nehmen, wenn es um eine religiöse Denomination geht; entstehen Spaltungen in einer Partei, wird nichts so vehement zur Diskussion gebracht wie dieser Zwietracht. Enstünde in der republikanischen Partei eine Splittergruppe, die auf eine Parteiprogrammänderung aus ist, während ihre Mitglieder in Amt und Würden bleiben und ihr Gehalt entgegennehmen, dabei ihre Interessen der Partei verpflichtet haben und versprochen haben, die fundamentalen Prinzipien zu respektieren, auf welche die Partei gegründet ist und durch die sie sich von der demokratischen und anderen Parteien unterscheidet -- eine solche politische Ehrlosigkeit verbreitete sich wie ein Lauffeuer durch alle Abteilungen der republikanischen Partei. Wenn solche Modernisierer vom Dienst suspendiert werden und aus der Partei ausgeschlossen würden, wenn der Schrei nach politischer Hetzjagd laut werden sollte, dann wäre die einzige Antwort der Republikanischen Presse Spott. Wenn politische Untreue und Ehrlosigkeit unter dem Decknamen >liberal< den Zielen der Partei entgegen nach Toleranz schreien und dabei den Anspruch auf Weiterzahlung der Bezüge erheben, während sie die Parteimassen aufwiegeln, dann heißt es kurz und schroff: Niemand wird gezwungen, der republikanischen Partei beizutreten oder in ihr zu verbleiben, doch wenn jemand beitreten will oder dabeibleiben will, dann hat er das Parteiprogramm ohne Weiteres zu akzeptieren und keinerlei Ausnahmen zu machen, sei es im Geheimen oder öffentlich. Das Parteiprogramm der Republikaner gilt keiner anderen Partei, das wird wohl niemand bestreiten, aber dass ein calvinistisches Glaubensbekenntnis nur für Calvinisten da ist und niemand anderem gilt, scheinen einige zu bezweifeln. ... Entstünde in der demokratischen Partei eine Gruppe, die das eigene Parteiprogramm nach republikanischen Prinzipien und Maßstäben umschaffen will, dann sagte man ihnen, dass der Platz für ihre Ideen außerhalb der Partei liegt. Das Recht dieser Gruppe auf eine alternative Sicht der Dinge wird damit nicht bestritten, sehr wohl aber das Recht, diese Sicht innerhalb der Partei zu verbreiten und damit der bestehenden Grundüberzeugung der demokratischen Partei das Wasser abzugraben. ... Den Unzufriedenen würde gesagt: >Wir können und wollen euch eure eigene Meinung nicht verbieten, aber ihr habt kein Recht, sie innerhalb unserer Organisation zu verbreiten.<« [280] Calvinistische Gemeinden werden manchmal der Intoleranz bezichtigt, wenn sie Fälle verfolgen, in denen das kirchliche Glaubensbekenntnis verlassen wird. Wir bestreiten aber die Rechtmäßigkeit einer solchen Anklage; die Gemeinde handelt ja nur innerhalb ihrer eigenen Rechtsgrenzen, wenn sie verlangt, dass ihre Diener und Lehrer sich in ihrem Predigen und in ihrem Lehramt den denominationellen Normen unterwerfen. Diese Untersuchungen machen klar, weshalb viele von uns wenig Interesse an dem ökumenischen Bestreben haben, Kirchen mit den denkbar unterschiedlichsten Glaubensauffassungen zu vereinen. Wir glauben, dass das calvinistische Lehrgebäude das einzige ist, was aus der Bibel hervorgeht und das vernünftig verteidigt werden kann. Darüber hinaus ist es das stabilste; es ist das Lehrgebäude mit dem besten Einfluss auf den Weg der Gerechtigkeit. Wer anderer Meinung ist, dem gestehen wir von Herzen zu, sich ein eigenes Urteil zu bilden; wir erfreuen uns aufrichtig über alles, was er erreichen mag. Wir freuen uns daran, dass auch andere theologische Systeme sich uns annähern, doch können wir einer Verarmung der Lehre, wie wir sie aus der Schrift erkennen, keineswegs zustimmen. Sollte eine Einheit der Kirchen herbeigeführt werden, die den Calvinismus als das System deklariert, das die Bibel lehrt, so hätten wir große Freude daran, beizutreten, doch wir glauben, dass jedes Zugeständnis, auch nur einen kleinen Teil unserer Forderung zurückzunehmen, bedeuten würde, dass wir die ganze lebendige Wahrheit aufgeben müssten und dass alles, was vage genug ist, den Calvinismus mitsamt anderen theologischen Richtungen in sich aufzunehmen, nicht wert ist, propagiert zu werden. Wir glauben, dass der oberflächliche Vorteil, den die hohe Mitgliederzahl dieser Union mit sich brächte, nur wenig wäre im Vergleich mit der geistlichen Dissonanz, die unweigerlich daraus folgte. Daher wünschen wir, solange in der Presbyterianischen Kirche zu verbleiben, bis die Lehren des reformierten Glaubens, die nichts als die Lehren des Wortes Gottes sind, auch die Lehren einer universellen Kirche sind. Diese Lehren, die jetzt so wenig beachtet werden oder die man mittlerweile vergessen oder bekämpft hat, haben alle Reformatoren geglaubt und gepredigt; sie sind später in Glaubensbekenntnisse, Katechismen und Artikel gefasst worden und waren Teil der protestantischen Kirche. Jeder, der die Druckerzeugnisse und Predigtmitschnitte von heute mit denen der Reformationszeit vergleicht, wird sofort den inneren Widerspruch und die feindliche Unversöhnlichkeit der beiden erkennen. __________________________________________________________________ [279] Pres. Ch. U. S. A., Form of Government, XIII.IV; XV.XII. [280] Shedd, Calvinism, Pure and Mixed, S. 160. __________________________________________________________________ 9) Die presbyterianische Kirche ist wahrhaftig klar und tolerant Während die Presbyterianische Kirche die Lehre in hervorragender Weise betont, hat sie von jenen, die ihr beitreten möchten, niemals verlangt, all ihre Normen zu akzeptieren. Ein glaubhaftes Bekenntnis des Glaubens an Christus ist die einzige Bedingung für eine Mitgliedschaft. Von ihren Dienern und Ältesten verlangt sie ein Bekenntnis zum Calvinismus, niemals aber von Laienmitgliedern. Als Calvinisten freuen wir uns über jeden Mitchristen, der auf Christus als seinen Erlösungsgrund vertraut, egal wie inkonsistent sein übriger Glaube sein mag. Wir glauben aber, dass der Calvinismus das einzige Lehrgebäude ist, das die ganze Wahrheit umspannt. Während man Christ sein kann, ohne der ganzen Bibel zu glauben, ist ein solches Christentum doch unproportional und unvollkommen, insoweit man ja an manchen Stellen vom biblischen Lehrsystem abweicht. Dazu hat Prof. F. E. Hamilton sehr schön gesagt: »Ein blinder Taubstummer kann aufgrund seiner übrigen Sinne freilich einiges von seiner Umwelt wissen, doch ein solches Wissen muss unvollkommen und ungenau bleiben. In gleicher Weise kann ein Christ, der über die tiefsinnigeren Lehren der Bibel in Unkenntnis bleibt, die der Calvinismus verkörpert, sehr wohl ein Christ sein, doch bleibt sein Christsein unvollkommen; es sollte die Aufgabe derer sein, die die ganze Wahrheit kennen, ihn in jenes Warenhaus zu bringen, in dem alle Reichtümer des Christentums untergebracht sind.« [281] Dr. Craig sagte einmal: »Der Calvinist unterscheidet sich von anderen Christen in seinem Christsein nicht in seiner Qualität, sondern graduell, etwa wie ein mehr oder weniger gutes Exemplar sich von einem mehr oder weniger schlechtem Exemplar unterscheidet.« Auf dem Wege in den Himmel befinden sich ja freilich nicht nur Calvinisten, doch einmal dort angelangt, werden wir es alle sein. Es ist unsere feste Überzeugung, dass jede erlöste Seele im Himmel durch und durch "calvinistisch" sein wird. Im Allgemeinen werden die Christen zugeben, dass wenn wir »alle zur Einheit im Glauben gelangen« (Eph 4, 13) und die Vollkommenheit erreichen, wir dann alle entweder Calvinisten oder Arminianer sein werden. Es darf nie vergessen werden, dass der Calvinismus mehrere Merkmale enthält, die ihn vom Arminianismus unterscheiden. Die großen Lehren von der Dreieinigkeit, der Gottheit Christi, der Wunder, der Sühne, der Auferstehung, der Inspiration der Schrift usw. sind das Band, das die evangelische Christenheit umspannt. Zur Veranschaulichung des klaren und toleranten Wesens der Presbyterianischen Kirche ergreife ich das Vorrecht, einen längeren Abschnitt aus dem bewundernswerten Büchlein "The Creed of Presbyterians" von Dr. E. W. Smith zu zitieren -- das Büchlein erreichte immerhin eine Auflage von 50.000 Stück: »Die Toleranz des Presbyterianismus, seine Großzügigkeit im Denken und Fühlen, seine Ablehnung jeglicher sektiererischer Engstirnigkeit und Bigotterie -- diese Wesenszüge krönen sein Wesen. ... Diese Toleranz ist aber kein Zeugnis bloßer Rührseligkeit; sie ist weder Sache einzelner Bekenntnisse oder der Verfassung, sondern wurzelt im Glaubensbekenntnis. Sie ist Teil der Lehraussagen und ist in der Lehre verkörpert. >Die sichtbare Kirche< sagt unser Glaubensbekenntnis, >besteht aus all denjenigen in aller Welt, die den wahren Glauben bekennen, und aus deren Kindern< (WB, Art. 25.2). Daher haben wir seit jeher den Ausdruck >die< Kirche abgelehnt; wir beanspruchen einzig, eine Kirche Jesu Christi genannt zu werden. Unsere Normen denunzieren die Sichtweisen unserer Schwesterkirchen nicht; sie sind sogar die einzigen, die auch andere evangelische Gemeinden als wahre Zweige der Gemeinde Jesu Christi gelten lassen. [282] Der >Gemeinschaft der Heiligen< widmet unser Glaubensbekenntnis ein ganzes Kapitel. [283] Es heißt dort: >Die sich als Heilige bekennen, sind verpflichtet, in der Verehrung Gottes und in der Erfüllung jener geistlichen Dienste, die auf ihre gegenseitige Erbauung hinauslaufen, eine heilige Gemeinschaft und brüderlichen Umgang miteinander zu pflegen. Ebenso sind sie verpflichtet, einander in äußeren Dingen ihren unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnissen entsprechend zu helfen. Wenn Gott Gelegenheit dazu gibt, soll diese Gemeinschaft auf all diejenigen ausgedehnt werden, die an allen Orten den Namen des Herrn Jesus anrufen.< Die Allgemeinheit unserer Normen findet in der presbyterianischen Haltung gegenüber ihren evangelischen Schwesterkirchen ihren schönsten Ausdruck. Während einige evangelische Gemeinden alle anderen Gemeinden als nicht zur wahren Kirche gehörend ausschließt, ist ein solches Gebaren dem presbyterianischen Empfinden nicht nur verhasst, sondern der ganzen presbyterianischen Praxis fremd. Die Mitglieder und Diener anderer evangelikaler Gemeinden betrachten wir durchaus und in allem Respekt als gleichwertige Mitglieder und Diener der Kirche Christi. ... Während einige Gemeinden ablehnen, Fremde am Abendmahl teilnehmen zu lassen, machen wir keinerlei Unterschiede. Wir entlassen Mitglieder gerne auch in baptistische Gemeinden, zu den Episkopalen oder auch in andere christliche Gemeinden, in der gleichen Weise, wie wir Mitglieder aus solchen Gemeinden auch bei uns selbst willkommen heißen. Einige evangelikale Denominationen leugnen die Gültigkeit eines Amtes, das eine Schwesterkirche einem Diener Christi verliehen hat; wenn ein Diener Christi in eine solche Gemeinde wechselt, muss der eine neu ordiniert werden, der andere sogar neu getauft werden. Ein solches Gebaren ist dem presbyterianischen Geist fremd. Wir wiederholen solche Zeremonien nicht, sondern akzeptieren die Gültigkeit eines verliehenen Amtes; sie gilt uns gleich, als hätten wir selbst den Diener ordiniert. Während einige Gemeinden Predigern aus Schwestergemeinden die Kanzel verweigern und ihnen auch die Assistenz bei Zeremonien nicht gestatten, schließen wir niemand von diesen Diensten aus. Ein solches Gebaren ist dem Herzen und dem Verhalten des presbyterianischen Herzen fremd. Wir sind frei, Baptisten, Episkopale und andere evangelische Diener des Wortes zur Verkündigung oder auch zur Assistenz bei Zeremonien wie beim Abendmahl herzlich willkommen zu heißen, genau so wie wir es in unseren eigenen Reihen halten. Wir schließen keinen wahren Christen von der Kirche aus. Wir weisen auch keinen Dienst zurück, und wir lehnen auch nicht die Art und Weise ab, wie andere Gemeinden ihre Zeremonien abhalten. Um Böses mit Gutem zu vergelten, anerkennen wir andere Geistliche durchaus als Diener Christi, und wir nehmen von vorne herein an, dass jemand, der die Taufzeremonie leitet, selbst unter richtigen Umständen getauft worden ist. Dem >Amen< der Methodisten stimmen wir aus vollem Herzen zu; wir singen gerne mit jedermann Psalmen, der Jesus die Krone aufsetzt, und am allerliebsten laden wir jeden Christen, egal welchen Namens und welcher Konfession ein, mit uns am Erinnerungsmahl teilzunehmen, das zurückblickt auf den gebrochenen Leib und das vergossene Blut unseres Herrn. Wir haben keine Vorurteile oder Eigenarten, hier gibt's keinen Haken welcher Art auch immer, jemandem unsere christliche Sympathie vorzuenthalten oder einen Graben zwischen uns und anderen Dienern unseres Herrn zu setzen. Unsere Allgemeinheit umspannt das gesamte evangelische Christentum.« [284] Er fügt diesen Worten hinzu: »Die Toleranz der Presbyterianischen Kirche hat jedoch eine Bedingung zur Mitgliedschaft. Sie verlangt von einem Anwärter auf Mitgliedschaft für die Aufnahme nichts als ein Bekenntnis, das nicht im Widerspruch steht mit seinem Leben; ein Bekenntnis, in dem er Jesus Christus seinen Herrn nennt. Er muss nicht Calvinist sein, sondern Christ. Er wird nicht auf seine Rechtgläubigkeit untersucht, sondern nur, ob er >den Glauben an Christus und den Gehorsam gegen ihn bekennt< (WB, 28.4). Seine Ansichten bezüglich der Dreieinigkeit mögen unvollkommen sein, er mag die Kindertaufe infrage stellen, auch die Erwählung und die Bewahrung vor dem Abfall -- wenn er Christus als seinem persönlichen Erlöser und Herrn vertraut und gehorcht, dann steht ihm das Tor der Presbyterianischen Kirche offen, und er darf die Privilegien dieser Gemeinschaft mit uns teilen. ... Wenn andere Gemeinden andere Bedingungen für eine Mitgliedschaft stellen als die des Errettetseins, dann machen sie sich schuldig, den Menschen den Zugang zur Kirche schwerer zu machen als den Eingang in das Himmelreich. Einer solchen ekklesialen Zwangsherrschaft und Exklusivität verschließt sich die Presbyterianische Kirche von vornherein; sie steht geradezu in äußerstem Kontrast dazu. Ihre Normen verlangen den einfachen Glauben an Christus, der uns als Gottes Familie kennzeichnet; >jene also, die ein Bekenntnis des Glaubens an Christus abgelegt haben, haben auch Anspruch auf alle Privilegien, die die Kirche gewährt<(Ch. Order, III, 3). Mit dieser deutlichen und schönen Geste der Allgemeinheit sind die Tore unseres presbyterianischen Zion allen Kindern Gottes so weit geöffnet wie die Tore des Himmels selbst.« [285] Nachdem Dr. Smith erklärt hat, dass Presbyterianer und Reformierte die größte Familie der protestantischen Welt ausmachen, stellt er wortgewandt die missionarischen Errungenschaften dieser Familie ins Licht: »Noch umfassender und stattlicher als die Mitgliederzahl ist die weltweite Größe des presbyterianischen Reiches. Während die Mitglieder der anderen protestantischen Gemeinschaft mehr oder weniger in einzelnen Ländern konzentriert sind -- etwa die Lutheraner Deutschlandes, die Episkopalisten Englandes, die Methodisten und Baptisten der Vereinigen Staaten --, umgreift die Presbyteriansichen Kirche Länder aus aller Welt. In diesem Moment dehnt sich ihr Erfolg in allen Kontinenten aus: Sie erreicht mehr Nationen, Völker und Sprachen als jede andere evangelische Gemeinschaft der Welt. Die europäischen Zeugen dafür sind die reformierten Kirchen Österreichs, Böhmens, Mährens, Galiziens, Ungarns, Belgiens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Griechenlands, Hollands, Russlands, Spaniens und die reformierte Kirche in der Schweiz. Sie ist auch in Afrika fruchtbar verwurzelt, in Australien, Asien, Großbritannien, in Nordamerika, Südamerika, im Westen Indiens, in Neuseeland und in Melanesien -- das Volk dieses Glaubens umspannt die ganze Erde. Der Presbyterianismus verfügt über eine Anpassungskraft, der keine andere Glaubensgemeinschaft Gleichwertiges entgegenbringen kann. Sie hat reichlich Missionare, Evangelisten, Herausgeber, Autoren, Erzieher und Politiker hervorgebracht; aus ihrem reichen geistlichen Leben strömen mächtige Kräfte christlicher Missionstätigkeit aus aller Herren Länder.« [286] __________________________________________________________________ [281] Quelle nicht angegeben [282] Book of Church Order, Chap. II, sec. II, par. II. [283] WB, 26.2 [284] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 189-193. [285] Ebd., S. 199f. [286] Ebd., S. 211. __________________________________________________________________ 10) Die Gründe für die gegenwärtige Unterdrückung des Calvinismus Welche Gründe sollen wir zur Erklärung der gegenwärtigen Abtrünnigkeit vom Calvinismus anführen? Es wird niemand bestreiten, dass der Stern der gefeierten »Fünf Punkte« heute längst nicht mehr so strahlt wie ehemals. Wenn wir die Entwicklung des gegenwärtigen Denkens betrachten, müssen wir ganz offen zugeben: Die glücklichen Tage des Calvinismus sind vorbei; wo er einst blühte, ist er beinahe verschwunden. Es gibt beinahe keinen »kompromisslosen Calvinisten« mehr unter den anerkannten Theologen, weder in Frankreich, der Schweiz oder auch in Deutschland, wo der Calvinismus sich einst in solcher Größe zeigte. In England ist er praktisch verschwunden. In Amerika gibt es keine größere Kirche mehr, die das calvinistische Erbe unwidersprochen verteidigt. Schottland darf sich glücklich schätzen, dass dort mitten unter stagnierenden Großkirchen diese heldenhaft freie Kirche immer noch ihre Stimme erhebt; die große Freikirche »Gereformeerde Kerken« verkörpert den Calvinismus in reinster Form mitten in einer modernen Welt -- eine Kirche, die die christliche Religion kompromisslos hochhält, und das auf der Basis der Heiligen Schriften und des reformierten Glaubens. Die Geschichte zeigt uns aber recht deutlich, dass auf Perioden geistlicher Fruchtbarkeit oft Zeiten geistlichen Niedergangs folgen. Wir glauben dennoch an die Unbesiegbarkeit des Glaubens. Stürzende Wahrheit wird immer sich erheben; die endlosen Jahre Gottes sind ihrer. Dass der Calvinismus viele Feinde hat, ist nicht weiter verwunderlich. Solange es heißt: »Der irdisch gesinnte Mensch erfasst nicht, was vom Geist Gottes kommt. Ihm erscheint es töricht. Er kann es nicht begreifen, weil es geistig beurteilt sein will« (1 Kor 2,14), so lange wird er dem natürlichen Menschen auch als fremdartiges, ja törichtes System erscheinen. Und solange die menschliche Natur als Gefallene existiert, so lange auch das Dekret steht, dass Christus selbst »zum Stein des Anstoßes, zum Fels des Ärgernisses« (1 Petr 2,8) gesetzt ist, sind diese Dinge vielen Menschen ein Affront. Es ist auch nicht verwunderlich, dass jener unsterbliche Schweizer Reformator, der berufen war, diese Lehren zu entwickeln und zu verteidigen, auf der einen Seite leidenschaftlich geliebt und bewundert wurde, auf der anderen Seite unter allen bedeutenden Männern der Kirche wohl der meistgehasste war. Da der Glaube und die Umkehr ganz spezielle Gaben Gottes sind, sollten wir über den Unglauben der Welt auch wahrlich nicht verwundert sein; auch der weiseste und scharfsinnigste unter den Menschen kann nicht glauben, wenn es ihm nicht gegeben wird. Sehr passend heißt es: »Denn die Weisheit dieser Welt ist Torheit vor Gott. Es steht ja geschrieben: >Er lässt die Weisen in ihrer Schlauheit sich verfangen.< Und ferner: >Der Herr erkennt die Gedanken der Weisen: Sie sind nichtig.< Darum rühme sich niemand eines Menschen« (1 Kor 3,19f.). Gottes Wille ist's, wenn ein Mensch zum Glauben kommt -- das Evangelium dringt wohl ins Ohr, doch das ist völlig vergeblich, wenn es Gott nicht gefällt, das Herz eines Menschen zu berühren. Die Welt hat den Calvinismus immer schon bekämpft. Wie könnte es auch anders sein, wenn die Natur des Menschen in Feindschaft und Krieg steht demjenigen gegenüber, der sie geschaffen hat? Es steht nicht zu erwarten, dass Gottes Weisheit mit der Torheit des Menschen einmal zusammenstimmt. Gott ist der allweise, der allheilige Herrscher; der Mensch steht dem als sündenbeladener Rebell entgegen: Er will keinen Herrscher über sich haben, und schon gar keinen absoluten. Da die Feindschaft des menschlichen Herzens den unverwechselbaren Lehren vom Kreuz gegenüber schon immer riesig war, werden Systeme wie Pelagianimus oder Naturalismus, die die Erlösung durch menschliches Handeln propagieren oder auch ein System wie der Arminianismus, der die Erlösung durch das Zusammenwirken der Gnade Gottes mit menschlichem Handeln behauptet, dem unbekehrten Herzen stets willkommener sein. Wenn das Evangelium dem natürlichen Menschen genießbarer gemacht wird, dann ist es nicht mehr das Evangelium, das ein Paulus verkündet hat. Es ist der Erwähnung wert, dass die Verkündigung des Paulus in beinahe jeder Stadt zu Aufruhr oder zu Erweckung geführt hat, nicht selten zu beidem. McFetridge sagt: »Mag auch der Calvinismus in einigen Gegenden unbeliebt sein, was kümmert uns das? Er kann nicht unbeliebter sein als jene Lehren von Sünde und Gnade, wie sie im Neuen Testament offenbart worden sind.« [287] Ein anderer Grund für den heutigen Niedergang des Calvinismus ist in seiner großen Betonung des Übernatürlichen zu suchen. Der Calvinismus hat in allen Dingen von Ewigkeit zu Ewigkeit immer schon Gott gesehen. Seine Hand sieht er in allen Erscheinungen von Natur und Geschichte. Sein Plan liegt allen Ereignissen zugrunde. Wir leben aber heute in einer Zeit, die das Übernatürliche mehr und mehr ablehnt, daher ist sie dem Calvinismus auch spinnefeind. Heute glaubt man an die Naturwissenschaften, an die Vernunft und an das, was man sehen kann. Selbst im gegenwärtigen Christentum geht die Tendenz dahin, in der Bibel ein bloß menschliches Produkt zu sehen und Christus einen guten Mann sein zu lassen. Der Modernismus ist in seiner stimmigen Form durchaus Naturalismus und Selbsterlösung, und damit ist er die Antithesis zum Calvinismus. Heute sagt man zu Gott »Finger weg!« -- da kann es nicht verwundern, dass ein System, das die Übernatürlichkeit so betont, auch dermaßen unpopulär ist. Wir brauchen auch nicht überrascht zu sein, wenn die Mitglieder der eigenen Kirche, die an diese Lehren glauben, in der Minderheit sind. Wahrheit oder Irrtum der biblischen Lehre kann nicht der allgemeinen Zustimmung überlassen sein. B. B. Warfield, dieser Gigant in Wort und Tat, hat die Haltung analysiert, wie sie die Welt in den letzten Jahren dem Calvinismus gegenüber eingenommen hat. Nachdem er den Calvinismus als »zu seinem Recht gekommenen Theismus« oder auch als »Religion auf höchster gedanklicher Ebene« und als »evangelisch in reinster Form und dauerhaftester Prägung« bezeichnet hatte, fügt er hinzu: »Man bedenke den Stolz des Menschen, die Überzeugung seiner Freiheit, das Sich-brüsten von Macht und der Ablehnung gegenüber dem Einfluss alles anderen; man bedenke auch das tief verwurzelte Vertrauen des Sünders in seine eigene gute Natur und seine Überzeugung, alles, was von ihm verlangt ist, von sich aus leisten zu können. Es ist gar nicht seltsam, dass es gerade in dieser Weltzeit schwer geworden ist, die aktive, lebhafte und vorherrschende Wahrnehmung der alles bestimmenden Hand Gottes zu sehen, die völlige Abhängigkeit von Gott, die Überzeugung von der völligen Unfähigkeit des Menschen, auch nur das Kleinste tun zu können, um sich selbst von eigener Sünde zu erlösen -- sollte man da behaupten, das Denken sei zu seiner Höhe gekommen? Ist es nicht genug, nachzuweisen, unter welchem Druck der Calvinismus heutzutage steht, -- in diesem materialistischen Zeitalter, das sich seiner erst kürzlich erworbenen Macht über die Kräfte der Natur brüstet und stolz ist auf seinen Wohlstand -- um auf die natürlichen Schwierigkeiten hinzuweisen; in allem der vollkommenen Hand Gottes gewahr zu sein, uns unserer Abhängigkeit von einer höheren Macht voll und ganz bewusst zu werden, nie zu vergessen, wie sündig wir sind, wie wertlos und vollkommen hilflos? Besteht nicht die Krise des Calvinismus, sofern sie überhaupt eine ist, darin, dass unser Zeitalter die Erkenntnis Gottes über allen menschlichen Triumphen verdunkelt hat, dass das religiöse Empfinden nicht weiter die bestimmende Kraft in unserem Leben ist, dass die evangelische Wahrheit der völligen Gewissheit der Abhängigkeit von Gott auch in der Heilsfrage dem Menschen nicht mehr länger attraktiv erscheint, der gewohnt ist, sich gewaltsam zu nehmen, was immer er will und der nicht begreifen will, dass er den Himmel nicht erlangen kann?« [288] Es gibt allerdings keinen Grund zur Entmutigung für den Calvinisten. Die Vernachlässigung des Glaubens zugunsten sozialer Belange (worunter allerdings die Lehre leiden muss) hat viele Menschen in die Kirche gebracht, die ihr zu anderen Zeiten ferngeblieben wären. Der Umstand alleine, dass die Calvinisten in den Versammlungen kaum wo auffallen, sagt über sinkende Zahlen nichts aus. »Vielleicht gibt es heute mehr Calvinisten als je zuvor«, sagt Dr. Warfield. »Die bekennenden calvinistischen Gemeinden haben unzweifelhaft viele davon. Innerhalb des modernen Denkens entstehen Denkansätze, die dem calvinistischen Denken sehr zustatten kommen. Überall finden sich demütige Seelen, die in der Stille ihres Herzens die richtige Vorstellung von Gottes Heiligkeit erfasst haben und in ihrem Herzen die lebendige Flamme völliger Gott-Abhängigkeit unterhalten, welche das wahre Wesen des Calvinismus ausmacht. ... Ich bin davon überzeugt, dass der Calvninismus, einst die Sehne der evangelischen Christenheit, auch heute noch die volle Kraft behalten hat und voll guter Hoffnung in die Zukunft blicken kann.« [289] In Übereinstimmung dazu sagt Dr. F. W. Loetscher: »Dieses Zeitalter muss angesichts seines Wissensstands bestürzt sein; es missachtet die Erkenntnisse der Antike, verschmäht Glaubensbekenntnisse und Dogmen, ist intolerant gegenüber göttlicher und menschlicher Autorität; es ertrinkt in allerlei atheistischen, naturwissenschaftlichen Strömungen und pantheistischen Entwicklungen. Kein Wunder, dass unser Zeitalter seine stärksten Waffen ausgerechnet gegen den Calvinismus ins Feld führt, war doch der Calvinismus immer jene Religionsgemeinschaft, die die übernatürliche Offenbarung am stärksten betont hat und auch die Erlösung von höchster Seite hat ausgehen lassen. Noch vor nur einer Generation hat Professor Henry B. Smith prophezeit: 'Eines ist sicher: die ungläubige Wissenschaft wird alles in den Schmutz ziehen, was christliche Rechtgläubigkeit heißt.' Wir wollen dieser Herausforderung mit größtem Ernst begegnen. Wir dürfen -- nebenbei gesagt -- guten Mutes sein, denn sowenig auch der sündige Mensch den letzten Rest der Empfindung von der Existenz Gottes je verlieren kann, wird auch der Calvinismus nicht von der Erde verschwinden, wie auch der Allmächtige den Thron seiner universalen Herrschaft nicht aufgeben wird.« [290] James Anthony Froude, jener hervorragende Professor für Kirchengeschichte an der Universität Oxford, hat über die zunehmende Leblosigkeit des Christentums in unseren Tagen gesagt: »Dies war nicht die Religion unserer Väter; dies ist nicht der Calvinismus von einst, der geistliche Finsternis überwand und Könige von ihren Thronen geschleudert hat, der England und Schottland -- wenigstens für eine Zeit lang -- von Lüge und Scharlatanerie gesäubert hat. Der Geist des Calvinismus wendet sich gegen den Geist der Unwahrheit, jenen Geist, der, wie ich gezeigt habe, immer wieder in Erscheinung getreten ist und auch wiederkehren wird, solange sich nicht herausstellt, dass die Sache mit Gott nur Einbildung war und der Mensch vergeht wie das Tier.« [291] Ich selbst bin in keiner calvinistischen Kirche aufgewachsen. Ich erinnere mich dagegen sehr genau, wie revolutionär mir diese Lehren erschienen waren, als ich das erste mal mit ihnen in Kontakt kam. Es war während eines Weihnachtsurlaubes, als ich den ersten Band der »Systematischen Theologie« von Charles Hodge in die Hände bekam. Er enthält ein Kapitel über die »Ratschlüsse Gottes«. Darin sind diese Lehren mit einer solch zwingenden Logik dargelegt, dass ich nicht länger an ihnen zweifeln konnte. Ich bin in gewissem Sinne stolz darauf, dass ich das Verständnis für diese Lehren erst nach einer Zeit geistlicher und mentaler Kämpfe erlangt habe. Ich habe daher großes Verständnis für all jene, die dazu berufen sind, ähnliches durchzumachen. Ich erinnere mich an das Opfer, das zu bringen war: Ich musste die Gemeinde meiner Jugend verlassen, da es mir unmöglich erschien, in einer Gemeinde zu verbleiben, die nicht wenige Irrtümer lehrte. Die meisten meiner engsten Angehörigen und Freude gehören dieser Gemeinde an; vielleicht wird man mir auch verzeihen, wenn ich ein wenig Intoleranz an den Tag lege gegenüber jedem »geborenen Presbyterianer«, der zwar Mitglied seiner Gemeinde bleibt, obwohl er sich offen gegen diese Lehren wendet. __________________________________________________________________ [287] Quelle nicht angegeben [288] Warfield in Christianity Today; S. 7, Jahr nicht angegeben. [289] Warfield, The Theology of Calvin, S. 8. [290] Quelle nicht angegeben [291] Quelle nicht angegeben __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ Kapitel XXVIII __________________________________________________________________ Zur Geschichte des Calvinismus __________________________________________________________________ 1) Vor der Reformation Es mag einige überraschen: Die Prädestinationslehre war erst am Ende des vierten Jahrhunderts Gegenstand der Untersuchung. Die frühen Kirchenväter hatten den Schwerpunkt noch auf gute Werke als Basis der Erlösung gelegt, auf Glauben, Reue, Almosengeben, Gebet und Taufe. Zwar lehrten sie, dass die Erlösung durch Christus erlangt wird, doch sie unterstellten, dass der Mensch über Annahme oder Ablehnung des Evangeliums selber entscheide. Einige ihrer Schriften enthalten wohl Passagen, die die Allherrschaft Gottes konstatieren, doch gleichzeitig behaupteten sie die Freiheit des menschlichen Willens. Da sie beides nicht vereinen konnten, hätten sie die Lehre von der Prädestination abgelehnt, und vielleicht sogar die Lehre von Gottes Voraussicht. Sie lehrten eine Art Zusammenwirken von Gnade und freiem Willen. Es ist dem Menschen immer schon schwer gefallen, die Idee fallen zu lassen, dass man zur eigenen Erlösung möglicherweise gar nichts beitragen kann. Erst im Laufe der Zeit entdeckte man die Wahrheit: Die Erlösung ist die freie Gabe Gottes, der sie ungeachtet menschlicher Verdienste gewährt. Dieses Geschenk steht von Ewigkeit her fest. Gott allein ist der Urheber des Geschenks und auch all seiner Vergünstigungen. Diese kapitale Wahrheit hat erst Augustinus klar gesehen, jener geisterfüllte Theologe des Weströmischen Reiches. In seinen Lehren von Sünde und Gnade ging er weit über die Ansichten damaliger Zeitgenossen hinaus: Er lehrte die Gnadenwahl (die unbedingte Erwählung) und beschränkte die Absicht der Erlösung auf den Kreis der Erwählten. Kein Kenner der Kirchengeschichte wird die Größe Augustins leugnen -- seine Werke haben der gesunden Lehre zu mehr Ansehen verholfen und zur Wiederbelebung der Religion mehr beigetragen als irgend jemand sonst zwischen Paulus und Luther. Vor den Tagen Augustins hatte man mehr mit der Bekämpfung von Irrlehren und der Abweisung heidnischer Angriffe innerhalb der Kirche zu tun -- umso weniger Zeit hatte man daher auch, die Theologie in ein System zu bringen. Die Prädestinationslehre wurde schon deshalb sehr vernachlässigt, weil sie immer in Gefahr gestanden hatte, mit der heidnischen Lehre des Fatalismus verwechselt zu werden, wie diese im gesamten römischen Reich kursierte. Als sich im vierten Jahrhundert die Wellen glätteten, war die Ära einer neuen Theologie eingeleitet; man achtete verstärkt auf die Lehrverkündigung. Augustinus entwickelte seine Lehren von Sünde und Gnade teilweise vor dem Hintergrund persönlicher Erfahrung und aus der Notwendigkeit heraus, die Irrlehren des Pelagius zu widerlegen, der lehrte, dass der Mensch in seinem natürlichen Zustand sehr wohl in der Lage sei, sich die Erlösung zu erwirken. Pelagius war der Ansicht, dass Adams Fall nur wenig Auswirkung auf die menschliche Rasse hatte, außer eben, dass er ein schlechtes Beispiel abgab, das nun von jedem Menschen wiederholt würde. Weiters war er der Ansicht, das Leben Christi habe hauptsächlich Vorbildwirkung; sein Tod habe nur wenig mehr bedeutet als der Tod jedes christlichen Märtyrers; überdies werde der Mensch von keiner göttlichen Vorsehung geleitet. Die Ansichten Augustinus traten dieser Ansicht entschieden entgegen: Augustinus lehrte, dass in Adam die ganze Menschheit gefallen sei und daher alle Menschen von Natur aus verderbt und geistlich tot sind. Der Wille des Menschen ist frei zu sündigen, aber nicht frei, das zu tun, was Gott gefällt. Christus litt stellvertretend für sein Volk. Gott erwählt, wen er erwählt, ganz seinem freien Willen gemäß und ohne dabei menschliche Verdienste zu berücksichtigen. Die rettende Gnade wird dem Menschen vom Heiligen Geist eingestiftet. Damit war Augustin der erste, der Paulus hier richtig interpretierte. Seinem Erfolg ist es zuzuschreiben, dass die Kirche Christi diese Lehre annahm. Augustinus hierin zu folgen bedeutete damals nicht Fortschritt, sondern Rückschritt! Die Menschen waren in tiefe Unwissenheit gesunken. Die Kirche wurde zum Ritual, die Erlösung schrieb man dem Wirken der Kirche zu. Ein System der Verdienste wuchs heran, das seinen Höhepunkt im Ablasshandel erreichte. Das Papsttum kam nach und nach zu immer größerer Macht, nicht nur kirchlicher, sondern auch politischer. Die Moral sank in ganz Europa auf ein unerträgliches Niveau. Sogar der Priesterstand war von Korruption zerfressen; die Sünden und Laster, die Päpste wie Johannes XXIII. und Alexander VI. beschmutzten, sind beispielhaft für den Tiefststand der Moral. Die Prädestinationslehre war in der Zeit von Augustin bis zur Reformation beinahe vergessen worden. Nur zwei Namen sollen an dieser Stelle erwähnt werden: Gottschalk, der für das Verkünden der Prädestinationslehre verurteilt und eingesperrt wurde und Wycliffe, der »Morgenstern der Reformation«, der in England lebte. Wycliffe war ein Reformator calvinistischer Prägung; er betonte die absolute Souveränität Gottes und die Vorherbestimmung aller Dinge. Sein Glaubenssystem war dem sehr ähnlich, das später Luther und Calvin lehren sollten. Auch die Waldenser müssen erwähnt werden; sie waren in gewissem Sinne »Calvinisten« vor der Reformation; die Prädestination zählte zu einer ihrer Dogmen. __________________________________________________________________ 2) Die Reformation Die Reformation war die wesenhafte Erneuerung des Augustinianismus; durch sie fand die evangelische Christenheit wieder zu sich. Man erinnere sich: Luther, der erste Führer der Reformation, war ein Augustinermönch -- und nicht zuletzt diesem Umstand ist Luthers große Formel von der Rechtfertigung allein aus Glauben zu verdanken. Luther, Calvin, Zwingli und all die bedeutenden Reformatoren ihrer Zeit waren durch und durch Prädestinatianer. In seinem Hauptwerk »Vom unfreien Willen« stand Luther vehement für diese Lehre ein -- wie alle anderen Reformatoren auch. Melanchthon nannte die Prädestination in seinen frühen Schriften das fundamentale Prinzip des Christentums. Später sollte er seine Meinung dann zugunsten eines Synergismus von Glaube und Werk revidieren, nach dem Gott und Mensch im Prozess der Erlösung zusammenwirken. Somit wurde die Position der lutherischen Kirche allmählich untergraben. Spätere Lutheraner verabschiedeten diese Lehre dann in ihrer calvinistischen Form und gingen zu einer Lehre von universeller Gnade und Sühne über. Diese Lehre sollte dann zur offiziellen Lehre der lutherischen Kirche werden. In Bezug auf diese Lehre steht Luther zur lutherischen Kirche wie Augustin zur römisch-katholischen Kirche: beides Häretiker [292] von unantastbarer Autorität, wurden sie mehr bewundert als getadelt. Calvin baute stark auf das Fundament Luthers. Seine größere Scharfsicht in Fragen der grundlegenden Prinzipien der Reformation prädestinierten ihn dafür, jene Prinzipien auf breiter Basis zu entwickeln. Es ist zu bemerken, dass Luther sich auf die Erlösung allein aus Glauben eingeschossen hatte, diese allerdings aus einem mehr oder weniger subjektiven und anthropologischen Blickwinkel sah, während Calvin die Betonung auf die unumschränkte Herrschaft Gottes legte und damit ein objektiveres, >theologischeres< Prinzip verfolgte. Das Luthertum findet nach langer und schmerzvoller Suche die Erlösung und sonnt sich ab sofort in der Gegenwart Gottes, während der Calvinismus sich an dieser Stelle noch nicht zufrieden gibt; er fragt, wie und weshalb Gott den Menschen überhaupt gerettet hat? Froude schreibt: »Die lutherischen Versammlungen hatten sich dem Aberglauben nicht ganz entrissen. Der Kampf der Extreme ließ sie schrumpfen. Ein halbes Maß jedoch bedeutete Halbherzigkeit: Die Überzeugungen waren unvollkommen, die Wahrheit hatte den Makel des Irrtums an sich. Ein halbes Maß war aber zu wenig, die Freudenfeuer Philips von Spanien zu dämmen oder Männer in Frankreich und Schottland zu stellen, die dem Hause Lothringen ebenbürtig gewesen wären. Die Reformatoren brauchten klarere Formulierungen und einen ernsthaften Führer -- sie fanden diesen Anführer in Johannes Calvin. ... Schwere Zeiten verlangen nach kraftvollen Männern, nach Geistern, die es vermögen, bis zu den Wurzeln zu gelangen, wo sich Wahrheit und Lüge gegenüber stehen. Es steht schlecht um die Kämpfer des Glaubens, wenn 'das Verfluchte im Lager weilt. Man muss Calvin eines zugestehen: Niemand war in der Lage, mit so scharfem Verstand die Flecken im Glaubensbekenntnis der Kirche zu sehen wie er, auch ging kein anderer Reformator mit solchem Eifer zu Sache, auszureißen und zu vernichten, was als falsch erkannt wurde; niemand war so bemüht wie er, sich im Leben in allen Dingen von der Wahrheit regieren zu lassen.« [293] Soweit das Zeugnis des berühmten Historikers der Universität Oxford. Froude lässt keinen Zweifel an seiner negativen Einstellung gegenüber dem Calvinismus aufkommen, und er ist mitunter als Kritiker des Calvinismus bezeichnet worden. Diese Worte zeigen aber die vorurteilslose Sicht eines großen Historikers, der mit großer Gelehrsamkeit das System und jenen Mann betrachtet, dessen Namen es trägt. In einem anderen Zusammenhang sagt Froude einmal: »Man hat die Calvinisten als untolerant bezeichnet. Die Intoleranz gegenüber einem Feind, der versucht, einen zu töten, halte ich allerdings für einen entschuldbaren Geisteszustand. ... Die Katholiken haben entschieden, ihrem unglaubwürdigen Glaubensbekenntnis einen weiteren Artikel hinzuzufügen: dieser Artikel sollte ihnen das Recht einräumen, Abweichler zu hängen und zu verbrennen. Die Calvinisten haben dagegen mit der Bibel in der Hand im Namen Gottes Einspruch erhoben. Es hat sie unsanfter gemacht, eifernder und -- wenn der Ausdruck gestattet ist -- fanatischer. Ihre Reaktion war nur natürlich. Sie lebten, wie fromme Menschen oft leben: in Leid und Sorge, doch unter der allbestimmenden Vorsehung. Ihre Last wurde ihnen unter dem Bewusstsein leichter, dass Gott es so bestimmt hatte. Sie zogen jeden Mann in Westeuropa an, der 'der Lüge feind' war. Sie wurden zerschlagen, erhoben sich aber immer wieder. Sie wurden zersplittert und zerrissen, doch keine Macht der Welt konnte sie einschmelzen. Nichts hassten sie mehr als Verlogenheit, Unreinheit und Laster aller Art, sowie sie ihnen begegneten. Was in England und Schottland heute noch an bewusster Ablehnung des Bösen existiert, ist dem Rest jener Überzeugungen zuzuschreiben, die der Calvinismus dem Menschen ins Gewissen brannte. Obgleich sie die römische Religion nicht überwinden konnten (eine Lehrmeinung kann sich ja sehr lange halten), haben sie ihr die Klauen gezogen -- sie zwangen sie, ihr abscheuliches Prinzip aufzugeben, nämlich jene zu ermorden, die ihre Lehre ablehnten, ja, man muss sogar sagen, dass gerade dadurch, dass der Calvinismus Rom in dieser Sache beschämt hat, er seine Wiederbelebung möglich gemacht hat.« [294] Die lutherische Kirche hat mit der römischen Kirche nicht auf diese Weise gebrochen wie die Reformierten. Es ist sogar so, dass einige Lutheraner sich noch mit Stolz als »gemäßigte Reformierte« bezeichnen. Die Heilige Schrift galt als einzige und letzte Autorität allen Protestanten, nur die Lutheraner behielten vom alten System noch so viel bei, wie sie nicht entbehren mussten, während die Reformierten dazu übergangen, alles hinauszuwerfen, was nicht behalten werden musste. Was die Beziehungen zwischen Kirche und Staat anlangt, erlaubten die Lutheraner dem Staat nicht nur, die Kirche zu beeinflussen, sondern sogar, das Glaubenssystem selbst innerhalb seiner Grenzen zu bestimmen -- eine Tendenz, die direkt in die Staatskirche münden musste --, während die Reformierten schon sehr bald auf der Trennung von Kirche und Staat bestanden. Wie schon vorher gesagt, war die Reformation im Wesentlichen die Wiedergeburt des Augustinianismus. Die frühen Lutheraner hatten in Bezug auf die Erbsünde, die Erwählung, die wirksame Gnade, das Beharren der Heiligen usw. noch die gleichen Anschauungen wie die Reformierten. Dies war der wahre Protestantismus. »Der Grundsatz der absoluten Prädestination war die herkulische Macht der jungen Reformation, womit nicht nur in Deutschland die Schlangen des Aberglaubens und des Götzendienstes erwürgt worden waren. Wenn dieser Grundsatz auch in seiner ersten Heimat seine Energie verloren hat, so blieb er doch Mark und Rückgrat des reformierten Glaubens, jene Kraft, die diesen Glauben siegreich durch alle Kämpfe und Versuchungen getragen hat.« [295] Rice sagt: »Es spricht Bände für den Calvinismus, dass die berühmteste Revolution der Kirchengeschichte seit den Tagen der Apostel, ja, die berühmteste Revolution der ganzen Welt durch den Segen Gottes initiiert wurde, der auf ihren Lehren lag.« [296] Es braucht nicht extra hervorgehoben werden, dass der Arminianimus als eigene Lehre in den Tagen der Reformation nicht existierte. Erst 1784, etwa 260 Jahre später, ist er von einer organisierten Kirche verfochten worden. Genau wie im fünften Jahrhundert gab es auch jetzt wieder zwei konkurrierende Systeme. Im fünften Jahrhundert kannte man den Augustinianismus und den Pelagianismus, etwas später kam es zum Kompromiss des Semi-Pelagianismus. Nach der Reformation gab es zwei Systeme: den Protestantismus und den römischen Katholizismus. Und auch da wuchs eine Kompromisslösung hervor: der Arminianismus, den wir auch Semi-Pelagianismus nennen könnten. In beiden Fällen handelte es sich um zwei sich bekämpfende Systeme, die zu einem Kompromiss geführt hatten. __________________________________________________________________ [292] Häresie (von griechisch hai'resis, haíresis "Wahl, Auswahl") bedeutet im frühchristlichen Griechisch Wahl des Glaubens (A. d. Ü.). [293] Froude, Calvinism, s. 42. [294] Ebd., S. 44. [295] Philip Schaff, History of the Reformation, S. 224. [296] Rice, God Sovereign and Man Free, S. 14. __________________________________________________________________ 3) England Blick auf die Geschichte Englands zeigt uns, dass es der Calvinismus war, der den Protestantismus in diesem Land zum Triumph führte. Viele der führenden Protestanten, die während der Regentschaft Königin Marys nach Genf geflohen waren, erlangten nachmals unter Königin Elisabeth hohe Ämter in der Kirche. Unter ihnen befanden sich die Übersetzer der Genfer Bibel, deren Herausgabe sich vielfach Calvin und Beza verdankt. Sie blieb die populärste englische Übersetzung -- bis in die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, als sie von der King James Version abgelöst wurde. Der Einfluss Calvins zeigt sich an den 39 Artikeln der anglikanischen Kirche, speziell im Artikel 17, der die Prädestinationslehre formuliert. Cunningham hat gezeigt, dass alle großen Theologen der etablierten Kirche unter der Regentschaft Heinrichs VIII., Eduards VI. und Elisabeths durch und durch Prädestinatianer gewesen waren; der Arminianismus Lauds [297] und seiner Nachfolger stellte eine Abweichung von dieser Lehre dar. Wenn wir im England der damaligen Zeit echte Helden suchen, dann finden wir sie im erlauchten Kreis einiger englischer Calvinisten, die auf einer reineren Form der Anbetung und des gesamten Lebens insistierten und sich damit den Spottnamen »Puritaner« einfingen und die Macaulay als den »vielleicht bemerkenswertesten Kreis von Männern« bezeichnet hat, »den die Welt je hervorgebracht hat.« Bancroft sagt: »Der Protestantismus Englands verdankt sich den Puritanern.« Smith berichtet: »Die Bedeutung dieser Tatsache kann nicht ermessen werden. Der englische Protestantismus mit der Bibel in der Hand, mit seiner geistlichen und geistigen Freiheit hat nicht nur den Protestantismus der amerikanischen Kolonien hervorgebracht, sondern war der Same eines schnell wachsenden Volkes, das über drei Jahrhunderte die angelsächsiche Sprache, ihre Religion und Institutionen in alle Welt getragen hat.« [298] Cromwell, der große calvinistische Führer und Bürger, stellte sich selbst auf den harten Felsen des Calvinismus und schaarte Soldaten um sich, die seinen Glauben teilten. Es ergab sich eine Armee, die an Reinheit und heroischem Idealismus noch nicht da gewesen war. »Weder die britischen Inseln noch der Kontinent konnten ihren Angriffen standhalten«, sagt Macaulay. »Die Puritaner Englands, Schottlands, Irlands und Flanderns waren wohl oft in Schwierigkeiten, hatten manchmal gegen einen dreifachen Feind zu kämpfen, doch sie waren nicht nur siegreich, sondern sie brachen jeglichen Widerstand. Bald waren sie so weit, den Tag der Schlacht als Tag des Triumphes anzusehen und den berühmtesten Bataillonen Europas mit todesverachtendem Vertrauen entgegenzutreten. Sogar die verbannten Reiter überfiel ein Anflug von Stolz, wenn sie eine Brigade Landsmänner sahen, die ihrem Feind zahlenmäßig unterlegen und von Freunden verlassen war. Eine Kopflänge vorausreitend, schlugen sie die beste Infanterie Spaniens in die Flucht und rissen eine Lücke in die Reihen der Spanier, die selbst die besten Generäle Frankreichs für undurchdringlich hielten. ... Was die Armeen Cromwells von anderen Armeen unterschied, war strengste Moral und Gottesfurcht in den Reihen der Soldaten. Selbst die strebsamsten Royalisten gaben zu, in ihren Reihen weder Schwüre gehört noch jemals Trunkenheit oder Spiel gesehen zu haben. Während der ganzen Dienstzeit war das Privateigentum der Bürger und die Ehre der Frau den Soldaten tabu. Kein Dienstmädchen hat sich je über Belästigungen der Rothemden beschwert. Auch nicht ein einziges Plättchen wurde je aus den Geschäften der Goldschmiede gestohlen.« [299] Professor John Fiske, einer der größten amerikanischen Historiker, sagt: »Es ist nicht zuviel gesagt, dass im siebzehnten Jahrhundert die gesamte Zukunft der Menschheit von der Frage abhing, wie sich die Dinge in England entwickeln würden. Wären die Puritaner nicht gewesen, die politische Freiheit wäre vielleicht von der Erde verschwunden. Wenn es je Männer gegeben hat, die bereit waren, für diese Frage ihr Leben zu lassen, dann jene alten >Ironsides<, deren Losung die Heilige Schrift und deren Schlachtrufe Lobeshymnen gewesen waren.« [300] Man hat Cromwell zu verschiedenen Zeiten angeboten, ja, genötigt, die Krone Englands zu ergreifen, doch er lehnte jedesmal ab. Mit ihrer Lehre sind die Puritaner die direkten Nachkommen Johannes Calvins; sie und nur sie allein haben den Funken englischer Freiheit am Leben erhalten. Angesichts dieser Tatsachen kann niemand dem Urteil Fiskes widersprechen, wenn er sagt: »Was die Menschheit Calvin verdankt, ist kaum zu überschätzen.« [301] McFetridge sagt in seinem famosen Büchlein »Calvinism in History«: »Wenn wir uns die Frage stellen, wem England seine Freiheit verdankt, dann antwortet uns die Geschichte: dem illusteren Calvinisten Willhelm von Oranien, der, wie Macaulay sagt, geschult war im streng logischen Denken der Genfer Schule, das nicht nur seinem Verstand entsprach, sondern auch seinem Temperament. Der Eckstein seiner Religion war die Prädestinationslehre. Er sagte einmal voll Klarsicht, wenn er die Prädestinationslehre aufgeben müsste, müsste er den Glauben an alle übernatürliche Vorsehung aufgeben und zum bloßen Epikureer werden. Ganz recht, denn Prädestination und herrschende Vorsehung sind das Gleiche. Akzeptieren wir das eine, dann müssen wir zwingend logisch auch das andere glauben« (S. 52). __________________________________________________________________ [297] William Laud (* 7. Oktober 1573 in Reading; 10. Januar 1645 in London), Erzbischof von Canterbury, später Bischof von London; wurde 1645 nach einem Parlamentsbeschluss enthauptet (A. d. Ü.). [298] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 72. [299] Macaulay, History of England, Bd. 1, S. 119. [300] Macauley, The Beginnings of New England, S. 37, 51. [301] Quelle nicht angegeben. __________________________________________________________________ 4) Schottland Die beste Methode, die Früchte eines religiösen Lehrgebäudes zu untersuchen, besteht darin, ein Volk oder ein Land zu untersuchen, in dem dieses Lehrgebäude mehrere Generationen lang unwidersprochen geherrscht hat. Wollten wir etwa den Katholizismus untersuchen, müssten wir uns nach Spanien, Italien, Kolumbien oder Mexiko wenden. Wie im religiösen, so auch im politischen Leben sehen wir die Auswirkungen der Lehren. Wenn wir an den Calvinismus denken, dann gibt es nur ein einziges Land, in dem er praktisch die einzige Religion war: Schottland. McFetridge er- zählt, dass vor dem Eintreffen des Calvinismus in Schottland »tiefste Finsternis das Land bedeckte und wie ein ewiger Alptraum auf den Begabungen der Menschen lag.« [302] Und Smith sagt: »Als der Calvinismus die Schotten erreichte, waren sie samt und sonders Vasallen der römischen Kirche: unterjocht von den Priestern, unwissend, elend, körperlich am Boden, ebenso im Denken und in der Moral. Bucke beschreibt sie als 'schmutzige Leute an Leib und Haus', 'arm und elend', 'überaus unwissend und extrem abergläubisch' -- 'der Aberglaube saß ihnen in allen Knochen.' Wie wunderbar war aber die Verwandlung, die in ihnen vorging, als Knox ihnen die biblische Lehre brachte, die er zu Füßen Calvins gelernt hatte -- es war eine Verwandlung ihres ganzen Sinns. Es war, wie wenn zu Mitternacht die Sonne aufgeht. ... Knox war es, der den Calvinismus nach Schottland getragen hatte, und der Calvinismus machte Schottland zum moralischen Standard für die Welt. Es ist bedeutsam: Gerade jenes Land, das dem Calvinismus den meisten Raum verschaffte, hatte die geringste Kriminalitätsrate zu verzeichnen; das Land, von dem die Welt bekennt, dass es den höchsten moralischen Zustand besitzt, ist auch das calvinistischste; in jenem Land, in dem der Calvinismus zur höchsten Herrschaft gelangt war, ist die Moral des Einzelnen wie die des Volkes zu ihrer höchsten Höhe gelangt.« [303] Carlyle berichtet: »Was Knox für diese Nation getan hat, darf wahrlich eine Auferstehung von den Toten geheißen werden.« [304] Und Froude sagt: »John Knox war der Mann, ohne den ein Schottland, wie es die moderne Welt heute kennt, nicht existieren würde.« [305] Die Presbyterianische Kirche Schottlands ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Tochter der Reformierten Kirche Genfs. Obgleich sie erst etwas später einsetzte, war die Reformation in Schottland wesentlich gründlicher und beständiger als in England. Sie resultierte in der Etablierung eines calvinistischen Presbyteriums, das Christus als alleiniges Oberhaupt der Kirche anerkannte. Es ist leicht, anzugeben, wen die Vorsehung dazu ausersehen hatte, das erste Werkzeug der schottischen Reformation zu sein. Dieser Mann war John Knox. Er war es, der den Keim religiöser und ziviler Freiheit legte und der die Gesellschaft revolutionierte. Ihm verdanken die Schotten ihre nationale Existenz. »Knox war der Größte der Schotten, so wie Luther der Größte unter den Deutschen war«, sagt Philip Schaff. »Der Held der schottischen Reformation, obgleich vier Jahre älter als Calvin, saß demütig zu dessen Füßen und wurde noch calvinistischer als Calvin selbst. John Knox hat die meiste Zeit seines fünf Jahre dauernden Exils (1554-1559; wegen der Regentschaft der >Bloody Mary<) in Genf verbracht und dort 'die reinste und vollkommenste Lehranstalt Christi seit den Tagen der Apostel' gefunden. Nach diesem Modell hat der die Schotten energisch und unerschrocken gelehrt; er brachte sie aus der mittelalterlichen Barbarei in das Licht moderner Zivilisation und hat sich damit einen Namen erworben, der in einer Reihe mit Luther, Zwingli und Calvin steht. Er ist und bleibt nach diesen dreien die größte Persönlichkeit der protestantischen Reformation.« [306] Froude schreibt einmal: »Einen Größeren als John Knox wird man in der gesamten Geschichte der Reformation auf dieser Insel nicht finden. ... Die Zeit ist gekommen, wo die englische Geschichte jenem Mann wird Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen, ohne den die Reformation unter uns ausgelöscht worden wäre, denn der Geist, den Knox nach Schottland brachte, hat Schottland gerettet. Wäre Schottland wieder katholisch geworden, dann hätte weder die Weisheit der Minister Elisabeths noch die Lehre der Bischöfe oder deren Schikanen England vor einer Revolution bewahren können. Seine Stimme lehrte den lothianischen Bauern, ein freier Mann zu sein, vor Gott gleichgestellt zu sein wie die stolzesten Aufseher oder Prälaten, die auf ihren Vorvätern herumtrampelten. Selbst eine Maria Stuart konnte Knox nicht schwächen, und Maitland [307] konnte ihn nicht betrügen. Es war Knox, der aus den armen Bürgern dieses Landes ein aufrechtes und ernsthaftes Volk machte, das zwar hart, engstirnig, abergläubisch und fanatisch gewesen sein mag, sich aber niemals von einem König, einem Adeligen oder auch einem Priester hat tyrannisieren lassen. Die Belohnung für Knox bestand in der Undankbarkeit derer, die sein Andenken am meisten hätten würdigen sollen.« [308] Die frühe schottische Theologie basierte noch auf dem Prinzip der Prädestination. Knox hatte diese Theologie direkt von Calvin in Genf übernommen; sein Hauptwerk war eine Streitschrift zur Prädestination, eine scharfsinnige, gewaltige und unerschrockene Polemik gegen wackelige Ansichten, wie sie sich nicht nur in England verbreitet hatten. Während des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts fesselten Themen wie Prädestination, Erwählung, Verwerfung, Ausmaß und Wert der Sühne und das Beharren der Heiligen das Bauerntum Schottlands. Aus Schottland griffen diese Lehren nach England und Irland und gelangten über den Atlantik in den Westen. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass Schottland das »Mutterland des modernen Presbyterianismus« ist. __________________________________________________________________ [302] McFetridge, Calvinism in History, S. 124. [303] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 98, 99. [304] Quelle nicht angegeben. [305] Quelle nicht angegeben. [306] Philip Schaff, The Swiss Reformation, Bd. 2., S. 818. [307] William Maitland of Lethington, ab 1561 der Staatssekretär Maria Stuarts. Er war schon 1558 Staatssekretär Marie de Guisens von Schottland gewesen. Er war für sein taktisches Geschick bekannt und übernahm ab 1560 zusammen mit Lord James Stuart und John Knox die Führung des Landes (A. d. Ü.). [308] Froude, History of England Bd. 10, S. 437. __________________________________________________________________ 5) Frankreich Auch Frankreich erglühte zu dieser Zeit im freien, gebündelten und rastlosen Geist des Calvinismus. »Die Calvinisten Frankreichs hießen Hugenotten. Ihr Charakter ist allgemein bekannt. Ihre hochstehende Moral und ihre Heldenhaftigkeit unter Verfolgung zuhause und in der Fremde ist von Freunden und Feinden gleichermaßen bewundert worden.« [309] Die Enzyclopaedia Britannica merkt an: »Ihre Geschichte ist ein einziges Wunder, das von Ausdauer, Kraft und starker religiöser Überzeugung handelt. Ihre Ausdauer zählt zum Respektabelsten und Heldenhaftesten, das die Geschichte der Religion zu bieten hat.« Die Hugenotten stellten die fleißigsten Kunsthandwerker Frankreichs; »ehrbar wie ein Hugenotte« zu sein wurde zum Sprichwort für den höchsten Grad an Integrität. Am Sonntag, dem 24. August 1572 wurden in Paris große Scharen an Protestanten heimtückisch ermordet. Dieses grausame Schicksal sollte sich in den darauffolgenden Tagen in verschiedenen Teilen Frankreichs wiederholen. Die Zahl derer, die zu St. Bartholomäus ermordet worden waren, wird zwischen 10.000 und 50.000 geschätzt. Diese lodernde Verfolgung vertrieb hunderttausende Protestanten aus Frankreich nach Holland, nach Deutschland, England und Amerika. Der Verlust war für Frankreich unersetzlich. Der englische Historiker Macaulay schreibt über die nach England geflüchteten Exulanten: »Sogar die bescheidensten Flüchtlinge waren dem Durchschnittsbürger aller Königreiche an Moral und Verstand überlegen.« [310] Lecky, der große Historiker und eiskalter Realist, schrieb einmal: »Die Vernichtung der Hugenotten durch die Aufhebung des Ediktes von Nantes bedeutete die Vernichtung des solidesten, bescheidensten, tugendhaftesten und umfassend erleuchtetsten Elements der französischen Nation. Sie war wegbereitend für die unausweichliche Degeneration des Nationalcharakters; das letzte ernstzunehmende Bollwerk, das den mächtigen Strom des Skeptizismus und der Lasterhaftigkeit noch hätte aufhalten können, wurde weggerissen. So lagen ein Jahrhundert später als Folge davon Altar und Thron in Trümmern.« [311] »Wenn man ihre Geschichte gelesen hat«, sagt Warburton, »weiß man, welch grauenvollen Verfolgungen die Hugenotten ausgesetzt gewesen waren. Frankreichs kostbarstes Blut wurde auf den Schlachtfeldern vergossen, die besten Geister, die Frankreich je besessen, wurden gejagt wie die wilden Tiere des Waldes; sie wurden ohne jedes Mitleid ausgelöscht. ... Die Hugenotten waren ihren Landsleuten in jeder Hinsicht überlegen. Die ernste Schlichtheit ihres Lebens, die Reinheit ihrer Moral, ihr Fleiß und die völlige Abkehr von der faulen Sinnenlust, die die ganze Nation zu dieser Zeit ergriffen hatte, waren ihren Feinden ein Dorn im Auge und wurden ihnen zum Verhängnis.« [312] Die Ausschweifung der Könige hatte sich durch den Adel abwärts zum gemeinen Volk gefressen; die Religion war verseucht von Korruption, zu der die Grausamkeit passte; aus den Klöstern waren Brutstätten des Bösen geworden. Das Zölibat war zur faulen Quelle der Unreinheit und Unzucht geworden; Unmoral, Liederlichkeit, Despotie und Erpressung in Kirche und Staat waren unbeschreiblich. Die Vergebung der Sünde konnte man sich kaufen, der schändliche Ablasshandel war vom Papst selbst sanktioniert worden. Manche Päpste wahren wahre Monster der Abscheulichkeit; es herrschte tiefste Unwissenheit. Die Erziehung blieb dem Klerus und dem Adel vorbehalten, sogar viele Priester konnten weder lesen noch schreiben. Die Gesellschaft war auseinander gebrochen. Das ist zwar eine einseitige, doch nicht übertriebene Beschreibung der Zustände. Man muss ihr noch eine andere, hellere Seite zugestehen: Viele ehrbare Katholiken waren ernsthaft um Reformen innerhalb der Kirche bemüht. Die Kirche befand sich aber in einem nicht mehr reformierbaren Zustand. Jede Änderung, wenn es denn eine gegeben hat, musste jetzt von außen kommen. Keine Reformation, die sich nicht Rom in den Weg stellte. Langsam ließ der Protestantismus von Frankreich seine Ideen nach Deutschland wandern. Calvin hatte sein Werk in Paris begonnen und galt sehr schnell als einer der Führer der Bewegung in Frankreich. Sein Eifer zog ihm bald den Ärger kirchlicher Autoritäten zu, und so wurde es notwendig, zu fliehen, um sein Leben zu retten. Obgleich Calvin niemals wieder nach Frankreich zurückkehrte, nachdem er in Genf sesshaft geworden war, blieb er der Anführer der französischen Reformation. Sein Rat war immer gefragt. Er war es, der den Hugenotten ihr Credo und auch die Kirchenform gegeben hatte. Dem einhelligen Zeugnis der Geschichte zufolge war es diese ganze Zeit hindurch der Calvinismus, der die französischen Protestanten in ihrem Kampf mit dem Papsttum und seinen königlichen Helfershelfern zugrunde lag. Was die Puritaner in England, das waren die Covenanters in Schottland und die Hugenotten in Frankreich. Es kann als bemerkenswerter Beweis gelten, dass der Calvnismus in allen Ländern den gleichen Typus Mensch hervorgebracht hat, was seine Kraft, aber auch die Charakterform betrifft. Der Calvinismus verbreitete sich in Frankreich dermaßen schnell, dass Fisher in seiner Geschichte der Reformation sagt, 1561 machten die Calvinisten schon ein Viertel der Gesamtbevölkerung aus. McFetridge setzte die Zahl sogar noch höher an. Er sagt: »In weniger als einem halben Jahrhundert hatte dieses so genannte strenge Glaubenssystem jeden Teil des Landes erreicht. Beinahe die Hälfte der Einwohner hatte diese Normen schon akzeptiert. Dazu gehörten fast alle großen Geister der Nation. Seine Anhänger waren so zahlreich und mächtig geworden, dass es kurz danach aussah, als werde ganz Frankreich calvinistisch.« [313] In seinem Buch "Huguenots in France" schreibt Smiles: »Es wäre interessant, darüber nachzudenken, was der Einfluss der Religion des Franzosen Calvin auf die Geschichte Frankreichs wie auf die einzelnen Bürger hätte ausrichten können, hätte das Gleichgewicht der Kräfte zugunsten des Protestantismus ausgeschlagen, wie es im auslaufenden sechzehnten Jahrhundert beinahe geschehen wäre« (S. 100). Die Geschichte Frankreichs wäre wohl anders verlaufen. __________________________________________________________________ [309] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 83. [310] Quelle nicht angegeben. [311] Eng. Hist. Eighteenth Century, Bd. 1., S. 264, 265 [312] Warburton, Calvinism, S. 84, 92. [313] McFetridge, Calvinism in History, S. 144. __________________________________________________________________ 6) Holland Der Kampf, der die Niederlande von der dominierenden Macht des Papsttums und vom grausamen Joch Spaniens befreit hatte, bedeutet ein weiteres glorreiches Kapitel des Calvinismus und der Menschlichkeit. Der Terror der Inquisition wütete hier wie kaum wo anders. Der Herzog von Alva brüstete sich damit, innerhalb von nur fünf Jahren 18.600 Häretiker an die päpstlichen Henker ausgeliefert zu haben. So schreibt Motley: »Das Schafott bekam seine täglichen Opfer; dennoch sagte sich niemand von seinem Glauben los. ... Viele Menschen haben gewagt und gelitten, was ein Mensch nur wagen und erleiden kann, alles für die ehrbarste Sache, von der die Menschlichkeit inspiriert sein kann.« Motley illustrierte »den Heroismus, der die Menschen Hand in Hand ins Feuer gehen ließ oder der die Frauen veranlasste, Triumphlieder zu singen, während der Totengräber sie bei lebendigem Leibe verscharrte.« An einer anderen Stelle schreibt er: »Die Zahl derer, die aufgrund des Erlasses Karls V. in den Niederlanden verbrannt, erhängt, geköpft und lebendig begraben worden waren, weil sie die Heilige Schrift gelesen hatten, die Götzenbilder verachteten oder die Realpräsenz von Leib und Blut Christi in der Hostie leugneten, erreicht nach verschiedenen Autoritäten bis zu 100.000. Sie wurde jedoch nie unter 50.000 angesetzt.« [314] In achtzig denkwürdigen Jahren hatten die Spanier mehr Protestanten (Christen) wegen ihres Glaubens ermordet als das römische Reich während der ersten drei Jahrhunderte! Die Geschichte Hollands krönt den Calvinismus damit als das Glaubensbekenntnis der Märtyrer, Heiligen und Helden. Mehr als drei Generationen lang kämpfte Spanien, die stärkste Nation Europas dieser Zeit darum, den Protestantismus und die politische Unabhängigkeit in den calvinistischen Niederlanden auszurotten, doch es gelang ihm nicht. Die Protestanten folgten in ihrer Anbetung Gottes der Forderung ihres Gewissens, nicht der Fuchtel einer korrupten Priesterschaft, deshalb auch jene Invasion der Spanier, die sie den grausamsten Foltermethoden aussetzten, die die Spanier erfunden hatten. Wer hat sich um Lösung dieses Konfliktes bemüht? Der calvinistische Prinz von Oranien, den die Geschichte unter dem Namen Wilhelm den Schweiger [315] kennt. Er teilte den gleichen Glauben. Dr. Abraham Kuyper schreibt: »Wäre die Macht Satans damals nicht durch den Heroismus des calvinistischen Geistes gebrochen worden, dann wäre die Geschichte der Niederlande, Europas und der ganzen Welt so traurig und dunkel geworden, wie sie jetzt dank Calvinismus hell und inspirierend wirkt.« [316] Wäre der Geist des Calvinismus der Reformation nicht auf dem Fuße gefolgt, dann hätte wohl ein Geist der Halbherzigkeit von England, Schottland und Holland Besitz genommen. Der Protestantismus hätte sich in diesen Ländern von selbst nicht halten können; der von Rom schon beeinflusste Protestantismus Deutschlands wäre aller Wahrscheinlichkeit nach wieder unter die Herrschaft der römisch-katholischen Kirche gekommen. Wäre der Protestantismus auch nur in einem dieser Länder gescheitert, dann wohl in allen, so sehr hing das Schicksal der Protestanten in diesen Ländern zusammen. Das zukünftige Schicksal der Nationen war in bezeichnender Weise abhängig vom Ausgang dieses achtzigjährigen Krieges in den Niederlanden. Hätte Spanien diesen Krieg gewonnen, dann wäre der Katholizismus derart erstarkt, dass er womöglich noch den Protestantismus Englands unterjocht hätte. Es sah eine Zeitlang auch so aus, als verfiele England wieder Rom. Das aber hätte bedeutet, dass die Entwicklung Amerikas verhindert worden wäre und ganz Amerika unter spanische Kontrolle gelangt wäre. Man erinnere sich: Fast alle Märtyrer dieser Länder waren Calvinisten -- die Lutheraner und Arminianer zählten im Vergleich dazu nur eine Handvoll. Professor Fruin [317] sagt treffend: »In der Schweiz, in Frankreich, in den Niederlanden, in Schottland und in England, überall, wo der Protestantismus sich als Schwertspitze etablieren musste, machte der Calvinismus das Rennen.« [318] Wie auch immer man die Fakten erklären will -- die Calvinisten waren die einzigen Protestanten, die für ihren Glauben auch kämpften. Holland zeigt aber noch ein ganz anderes Verdienst, das wir nicht übersehen dürfen: Nachdem die Pilger wegen religiöser Verfolgung England verlassen mussten und noch bevor sie in Amerika ankamen, gingen sie zunächst nach Holland. Hier kamen sie mit einem religiösen Leben in Kontakt, was aus calvinistischer Sicht äußerst heilsam für sie war. Die wichtigsten Führer hießen Clyfton, Robinson und Brewster, drei Leute von der Universität Cambridge, die ein so nobles und heroisches Trio bildeten, wie es sonst wohl in keiner Nation gefunden werden konnte. Sie waren ergebene Calvinisten, die zu allen grundlegenden Sichten standen, die der Reformator aus Genf dargelegt hatte. Der amerikanische Historiker Bancroft hat recht, wenn er die Pilgerväter »Männer des gleichen Glaubens wie Calvin« nennt. J. C. Monsma hat uns in seinem Buch "What Calvinism has done for America" eine gute Zusammenfassung ihres Lebens in Holland hinterlassen: »Als die Pilger von Amsterdam nach Leyden unterwegs waren, beschloss Rev. Clyfton, der oberste Führer, zu bleiben; Rev. John Robinson, Clyftens Hauptassistent, schloss sich ihm an.« Er war der gewählte Führer oder Pastor der Leute. Robinson war überzeugter Calvinist und setzte sich den Lehren Arminius' überall entgegen, wo er die Gelegenheit dazu fand. »Wir haben das unwidersprochene Zeugnis Edward Winslows, dass Robinson von Polyander, Festus Homilus und anderen holländischen Theologen zur Zeit der Ausbreitung des Arminianismus darum gebeten wurde, am Streitgespräch mit dem neuen Führer der Arminianer, Episcopius, teilzunehmen. Dieser Disput fand täglich in der Akademie zu Leyden statt. Robinson entsprach ihrem Wunsch und wurde sehr bald schon als einer der größten Theologen angesehen. 1624 verfasste dieser Pastor der Pilger eine meisterhafte Abhandlung zur Verteidigung der Lehrsätze von Dordrecht. [319] Die Synode von Dordrecht hat den internationalen Ruf einer gesamtcalvinistischen Ausrichtung -- über die religiöse Ausrichtung Robinsons muss daher nichts weiter gesagt werden. Die Pilger stimmten mit der reformierten (calvinistischen) Kirche Hollands und anderer völlig überein. Robinsons Verteidigungsschrift erschien 1619. Das war ein Jahr, bevor die Pilger Holland verließen. Darin schrieb er in feierlichster Manier: >Wir bezeugen vor Gott und Menschen, dass wir jedem einzelnen Artikel des Glaubens dieser Kirche übereinstimmen. Wir unterschreiben alle Glaubensartikel der Holländischen Reformierten Kirche und sehen sie in Harmonie mit dem Glaubensbekenntnis, das in ihrem Namen publiziert worden ist.<« (S . 72f) __________________________________________________________________ [314] John Lothrop Motley, Rise of the Dutch Republic, Bd. 1., S. 114. (Onlinetext unter ftp://sailor.gutenberg.org/pub/ gutenberg/etext04/jm36v10.txt; A. d. Ü.) [315] Wilhelm von Oranien (nl: Willem van Oranje) (* 24. April 1533 in Dillenburg; 10. Juli 1584 in Delft), genannt Wilhelm der Schweiger (nl: Willem de Zwijger), war Führer im niederländischen Unabhängigkeitskrieg gegen Spanien, (d. i. der Achzigjährige Krieg 1568-1648; A. d. Ü). [316] Quelle nicht angegeben. [317] Robert Fruin (1823-1899), niederländischer Historiker (A. d. Ü.). [318] Quelle nicht angegeben. [319] A Defense of the Doctrine Propounded by the Synod of Dort. __________________________________________________________________ 7) Amerika Wenn wir nun dazu übergehen, den Einfluss des Calvinismus als politischer Kraft in den Vereinigten Staaten zu studieren, öffnen wir eines der schillerndsten Kapitel calvinistischer Geschichte. Der Calvinismus betrat Amerika von der Mayflower aus; Bancroft, der großartigste amerikanische Historiker, nannte die Pilgerväter »dem Glauben nach Calvinisten der geradlinigsten Art.« [320] John Endicott, der erste Gouverneur der »Massachusetts Bay Colony«; John Davenport, der Gründer der »New Haven Colony« und Roger Williams, der Gründer der Kolonie Rhode Island -- sie alle waren Calvinisten. William Penn war ein hugenottischer Jünger. Es wird geschätzt, dass zur Zeit der amerikanischen Revolution von 3 Millionen Menschen 900.000 schottischen oder schottisch-irischen Ursprungs waren, 600.000 englische Puritaner und ca. 400.000 Deutsche oder holländisch-reformierte. Dazu hatten die Episkopalisten mit ihren neununddreißig Artikeln ein calvinistisches Bekenntnis; auch viele Hugenotten waren aus Frankreich nach Amerika gekommen. Etwa zwei Drittel der kolonialen Bevölkerung waren in der Schule Calvins gebildet worden. Die Gründung einer Nation wie dieser und noch dazu von solchen Leuten ist in der Geschichte der Menschheit einzigartig. Diese Leute kamen nicht vorrangig aus wirtschaftlichen Gründen hierher, sondern ihrer tiefen religiösen Überzeugungen wegen. Es scheint, als habe die religiös motivierte Verfolgung in vielen Ländern Europas dazu geführt, die fortschrittlichsten und erleuchtetsten Köpfe zur Kolonisation Amerikas auszusondern. Es wird auf jeden Fall zugegeben werden, dass die Engländer, Schotten, Deutschen und Holländer die hellsten Köpfe des damaligen Europa gewesen sind. An dieser Stelle muss man sich daran erinnern, dass die Puritaner, die die größte Masse bei der Besiedelung Neuenglands ausmachten, einen calvinistischen Protestantismus mit sich brachten. Sie waren den Lehren der großen Reformatoren voll und ganz ergeben. Jedem Formalismus abhold, hatten sie eine Aversion gegen jegliche Unterdrückung von Seiten der Kirche und des Staates. Die ganze Periode der Kolonisation hindurch war der Calvinismus die dominierende Glaubensrichtung. Vor diesem Hintergrund kann es nicht überraschen, dass der Presbyterianismus einen wichtigen Anteil an der Amerikanischen Revolution hatte. Der US-amerikanische Historiker Bancroft sagt: »Die Revolution von 1776, sofern sie vom Glauben beeinflusst war, war eine Maßnahme der Presbyterianer. Sie war die Frucht dessen, was die Presbyterianer der Alten Welt in ihre Söhne gepflanzt hatten, die Puritaner Englands, die Covenanters aus Schottland, die Hugenotten Frankreichs, die holländischen Calvinisten und die Presbyterianer von Ulster.« [321] Die Presbyterianer waren in ihrem Eifer nach Freiheit dermaßen strebsam, durchgängig und aggressiv, dass man in England schon von einer »Presbyterianischen Revolution« sprach. Ein leidenschaftlicher Anhänger der Kolonialisten unter König George III schrieb nach Hause: »Es ist eine unerhörte Schande, was hier mit den Protestanten vor sich geht. Sie sind die Hauptursache all dieser brennenden Unruhen. Ständig bieten sie ihren monarchiefeindlichen Geist auf, um gegen die Regierung zu opponieren. Dieser Geist zeichnet sie überall aus.« [322] Als die Neuigkeiten dieses »außergewöhnlichen Vorgehens« England erreichten, sagte der Premierminister Horace Walpole im Parlament: »Unsere Nichte Amerika ist mit einem presbyterianischen Pastoren durchgebrannt.« [323] »Dr. John Witherspoon, gebürtiger Schotte und direkter Nachkomme von John Knox war zur Revolutionszeit der Präsident des Princeton College. Er war das einzige geistliche Mitglied im Revolutionskongress. Wie man erwarten darf, unterstützte er eloquent und mit großem Ernst jede Maßnahme, die der Kongress zur Sicherung der Unabhängigkeit verabschiedete. Als der große Moment zur Unterzeichnung der Erklärung kam und einige Mitglieder noch zögerten, ihre Namen unter das Dokument zu setzen, beschwerte er sich redegewandt: >Dieses ehrbare Dokument auf Ihrem Tisch, das seinen Autor unsterblich machen wird, muss von jedem unterschrieben werden, der hier anwesend ist. Wer diesem Dokument nicht in vollem Umfang zustimmt und nicht mit aller erdenklichen Kraft seine Ziele zu verfolgen sucht, ist es nicht wert, ein freier Mann zu heißen. Ich habe zwar mehr Ruf als Land. Dieser Ruf steht hier am Spiel; der Besitz des Landes hingegen hängt von unserer Entscheidung ab. Und wenn auch mein grauhaariger Kopf bald in sein Grab sinken wird, wäre es mir lieber, ihn mir von einem öffentlichen Henker abschlagen zu lassen, als mein Land in dieser heiligen Sache zu verraten.<« [324] Die Geschichte ist, was die Geburt der amerikanischen Demokratie aus dem Christentum betrifft, sehr beredt; dieses Christentum jedoch war der Calvinismus. Der große revolutionäre Konflikt, der den amerikanischen Staat hervorgebracht hat, wurde in der Hauptsache von Calvinisten ausgefochten. Dieses Land ist ihr Geschenk an alle freiheitsliebenden Menschen. So sagt Schaff: »Die Grundlagen der Republik der Vereinigten Staaten können irgendwo zwischen Puritanismus und Calvinismus gefunden werden und fungierten als wichtigstes Erziehungsmittel zur Beförderung moderner Freiheit.« [325] Das Zeugnis Emilio Castelars, jenes berühmten Staatsmannes, Redners und Gelehrten, ist es wert, betrachtet zu werden. Castelar war Professor der Philosophie auf der Universität Madrid, bevor er in die Politik einstieg. Er wurde Präsident der ersten Republik, die von den Liberalen 1873 errichtet wurde. Als römischer Katholik hasste er Calvin und den Calvinismus. Er sagte einmal: »Die republikanische Bewegung hat eine strengere Moral nötig, als sie ein Luther aufstellte, und zwar eine Moral, wie sie ein Calvin formulierte, und eine Kirche, die demokratischer ist als die deutsche, eine Kirche wie die in Genf. Die angelsächsische Demokratie leitet sich vom Buch einer ganz einfachen Gesellschaftsschicht her -- der Bibel. Sie ist das Ergebnis der strengen Theologie einiger christlicher Flüchtlinge, wie sie sich in den düsteren Städten der Schweiz und Hollands fanden, wo sich der missmutige Schatten Calvins noch immer herumtreibt. ... Ihrer [der Demokratie] Herrlichkeit eignet Heiterkeit; es entstammt ihr der Menschheit würdevollste, moralischste und erleuchtetste Teil. [326] Wie aus einer solch bitteren Quelle solch süße Wasser fließen können -- diese seine Frage können wir ihm nachfühlen! Motley merkt an: »Die Saat der Freiheit in England, in den Calvinismus eingehüllt und viele Jahre treu bewahrt, war jetzt dazu bestimmt, über Land und See zu strömen und die größte Ernte maßvoller Freiheit und großen Wohlstand zu gewährleisten. ... Die Calvinisten haben den Wohlstand Englands, Hollands und Amerikas begründet. ... Mehr als allen anderen verdankt sich die politische Freiheit Englands, Hollands und Amerikas den Calvinisten.« [327] Ein anderer berühmter Historiker, der Franzose Taine, der sich selbst als areligiös bezeichnete, hat zum Calvinismus folgendes zu sagen: »Diese Männer waren die wahren Helden Englands. Sie begründeten England trotz Korruption der Stuarts durch die Ausübung ihrer Pflichten, durch Gerechtigkeit, durch hartnäckiges Schuften, durch Verteidigung allen Rechts und Widerstands gegen Unterdrückung, durch Eroberung der Freiheit und der Ablehnung allen Lasters. Sie haben Schottland gegründet und auch die Vereinigten Staaten, und in diesen Tagen gründen sie Australien und kolonisieren die Welt.« [328] E. W. Smith fragt in seinem Buch "The Creed of Presbyterians" bezüglich der amerikanischen Kolonisten: »Woher hatten sie diese unsterblichen Prinzipien der Menschenrechte, der Freiheit, der Gleichheit und der Selbstbeherrschung, auf der ihre Republik basiert, die heute den charakteristischen Ruhm der amerikanischen Kultur bildet? Aus der Schule Calvins haben sie sie gelernt. Dort hat sie die gesamte moderne Welt gelernt, so lehrt uns die Geschichte« (S . 121). Wir wenden uns nun dem Einfluss der Presbyterianischen Kirche zu. Diese Kirche war maßgeblich am Aufbau der Republik beteiligt. So sagt Dr. W. H. Roberts vor der Generalversammlung: »Die Presbyterianische Kirche war für beinahe ein ganzes Jahrhundert lang die einzige Kirche auf diesem Kontinent. Zu dieser Zeit hat sich auch die republikanische [329] Regierung dieser Nation gebildet. ... Von 1706 bis zum Beginn der Revolution war die einzige Körperschaft, die sich um unsere gegenwärtige politische Organisation gekümmert hat, die Generalsynode der amerikanischen Presbyterianischen Kirche. Unter kirchlichen und kolonialpolitischen Einrichtungen übte sie in Übereinstimmung mit den Kolonialisten auf alle neuen Bevölkerungsgruppen zwischen Neuengland und Georgia allein Autorität aus. Obgleich die Kolonien des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts von Großbritannien abhingen, wie man sich vor Augen halten muss, waren sie doch voneinander unabhängig. Einen Korpus wie den Kontinentalkongress gab es erst 1774. Die religiöse Verfassung des Landes ähnelte der politischen: die Kongregationalisten Neuenglands waren mit den anderen nicht verbunden und standen durchwegs unter Selbstverwaltung. Die Episkopalisten etwa waren in den Kolonien gar nicht organisiert, sondern hingen, was Unterstützung und Dienst anbelangte, noch ganz von der Kirche Englands ab; ihre Loyalität galt immer noch der britischen Krone. Die Reformierte Holländische Kirche wurde erst 1771 zu einer effizienten und unabhängigen Organisation; auch die Deutsche Reformierte Kirche erreichte diesen Zustand erst 1793. Die Baptisten waren vorerst ein loser Haufen, die Methodisten praktisch unbekannt. Die Quäker waren durchwegs Pazifisten.« Jedes Jahr trafen sich Delegierte in der Generalsynode, wie uns Dr. Roberts berichtet. Die Kirche avancierte »zu einem Unionsverband für die Korrespondenz zwischen großen Teilen der verschiedenen Kolonien.« Er fügt hinzu: »Ist es da verwunderlich, wenn unter diesem förderlichen Einfluss das Gewissen echter Freiheit groß wurde und wenn die Lehren eines gesunden Evangeliums im ganzen Gebiet von Long Island bis South Carolina gepredigt wurden? Langsam, aber sicher begann sich ein Gefühl der Einheit unter den Kolonien zu entwickeln. Man kann gar nicht genug betonen, welch immensen Einfluss die Kirche auf die Entstehung der Nation hatte, eine Kirche, die von 1706 bis 1774 als einzige am ganzen Kontinent die Aufgaben wahrgenommen hatte, bundesstaatliche Institutionen zu entwickeln. Die Vereinigten Staaten von Amerika schulden dieser ältesten amerikanischen Republik, der Presbyterianischen Kirche, sehr viel.« [330] Freilich ist damit nicht gesagt, dass die Presbyterianische Kirche die einzige Institution war, auf deren Grundsätzen die Republik erbaut worden war, es wird jedoch behauptet, dass die Prinzipien von Westminster das Fundament des neuen Staatenverbundes waren und »dass es die Presbyterianische Kirche war, die in Übereinstimmung mit der organisierten Republik als erste in diesem Land diese Regierungsform nicht nur gelehrt und praktiziert, sondern auch für deren Erhaltung gesorgt hat.« (Roberts) Zu Beginn der Revolution fanden sich die Presbyterianischen Geistlichen und Gemeinden ganz in den Reihen der Kolonisten; Bancroft schreibt ihnen den ersten unerschrockenen Schritt in Richtung Unabhängigkeit zu. [331] Die Synode von Philadelphia 1775 war der erste kirchliche Verbund, der öffentlich für eine Trennung von England plädierte. Sie forderte ihre Leute auf, alles Notwendige zur Erreichung dieses Zieles zu unternehmen. Sie bat sie, vereint für den Kongress zu beten, der zu dieser Zeit tagte. Die Episkopalisten waren noch mit der Kirche Englands verbunden; sie stellten sich einer Revolution entgegen. Eine beträchtliche Anzahl der Mitglieder jedoch war stark an der Unabhängigkeit interessiert und verwendete Wohlstand und Einfluss darauf, sie sicherzustellen. Immerhin stammte der Oberbefehlshaber des politischen Verbundes, der »Vater unseres Landes«, aus ihren Reihen. Washington selbst schloss sich ihnen an und befahl seinen Männern, sich seinen Geistlichen anzuschließen, die aus den verschiedenen Kirchen kamen. Mit vierzigtausend Dollar gründete er ein presbyterianisches College in seinem Geburtsstaat. Washington wurde wegen dieser Spende geehrt: man nannte die neue Einrichtung »Washington College«. N. S. McFetridge hat noch auf eine andere wichtige Entwicklung der Revolutionszeit hingewiesen. Der Genauigkeit und Vollständigkeit halben nehme ich mir die Freiheit, ihn etwas ausführlicher zu zitieren: »Einen anderen wichtiger Faktor der Unabhängigkeitsbestrebungen stellte die >Mecklenburg-Deklaration< dar. Sie stammt von den Schottisch-Irischen Presbyterianern North Carolinas. Sie datiert sich auf den 20. Mai 1775, etwas mehr als ein Jahr vor der Unabhängigkeitserklärung des Kongresses. Sie stellte einen frischen, herzlichen Gruß der Schotten und Iren an ihre kämpfenden Brüder im Norden und damit eine entschiedene Herausforderung an die Krone Englands dar. Diese hatten den Verlauf der Kämpfe zwischen den Kolonien und der Krone scharf beobachtet, und als sie davon hörten, dass der Kongress dem König von England die Unabhängigkeit der Kolonien erklärt hatte, erachteten sie es an der Zeit, ihren Patriotismus gebührend zum Ausdruck zu bringen. In Charlotte (North Carolina) beriefen sie einige Volksvertreter, die mit einhelligem Beschluss die Unabhängigkeit des Volkes verkündeten und alle Gesetze und Beschlüsse der englischen Krone als null und nichtig erklärten. In ihrer Erklärung fanden sich Resolutionen wie diese: >Hiermit lösen wir die politischen Bande, die uns mit unserem Mutterland verbinden und verweigern künftig jegliche Gefolgschaft gegenüber der Britischen Krone. ... Hiermit erklären wir uns als freies und unabhängiges Volk, und damit erklären wir auch unsere politische Selbstbestimmung, die fürderhin keiner anderen Macht und Kontrolle untersteht als der unseres Gottes und der Generalversammlung des Kongresses: Zur Erhaltung versprechen wir einander die gegenseitige Unterstützung mit Einsatz unseres Lebens, unseres Glücks und unserer heiligsten Ehre<. ... Diese Versammlung bestand aus 27 gestandenen Calvinisten; ein drittel diese Leute waren Aufseher in der Presbyterianischen Kirche, darunter der Präsident und der Sekretär und auch ein Presbyterianischer Geistlicher. Der Sekretär der Volksvertreter, der dieses berühmte Dokument aufgesetzt hatte, war Ephraim Brevard, ein leitender Ältester der Presbytrianischen Kirche und Absolvent des Princeton Colleges. Bancroft berichtet über diese Deklaration, sie sei >praktisch nicht nur Erklärung, sondern Regierungsprogramm< gewesen. [332] Ein spezieller Bote überbrachte sie [die Deklaration] dem Kongress nach Philadelphia. Sie wurde im »Cape Fear Mercury« veröffentlicht und wurde auf diese Weise im ganzen Land schnell bekannt. Sehr rasch gelangte sie auch nach England; dort sorgte sie für große Aufregung. »Die gedankliche Einheit des Ausdrucks dieser Erklärung mitsamt jener, die Jefferson verfasst hatte, konnte dem Auge der Geschichte nicht verborgen bleiben. Tucker sagte in seinem Buch >The Life of Thomas Jefferson<: >Jedermann war überzeugt, dass eine Deklaration von der anderen abgeschrieben war.< Nun kann Brevard nicht von Jefferson abgeschrieben haben, denn er hatte das Dokument ja einige Jahre vorher verfasst. Daher muss nach Jeffersons Biographen dieser von Brevard >kopiert< haben. Welch glücklichen Umstand stellt dieses Plagiat aber dar -- die Welt vergibt ihm gerne. An wenigen Stellen kann man noch sehen, wie Jefferson den Wortlaut seines ersten Entwurfes ausgebessert hat -- zugunsten des Wortlautes der Mecklenburg-Deklaration. Niemand kann daran zweifeln, dass Jefferson Brevards Resolutionen vor sich liegen hatte, als er die unsterbliche Unabhängigkeitserklärung verfasste.« [333] Die auffallende Ähnlichkeit der Prinzipien der Presbyterianischen Kirche und der Verfassung der Vereinigten Staaten hat viel Echo bewirkt. Dr. E. W. Smith schreibt: »Als die Väter unserer Republik sich zusammensetzten, um ein Regierungssystem auszuarbeiten, das sich auf Volk und Volksvertreter stützt, haben sie sich bei weitem nicht so schwer getan, wie einige geglaubt haben. Sie hatten ja bereits ein probates Modell vorliegen.« [334] »Wenn man den durchschnittlichen Amerikaner fragte, wer Amerika eigentlich gegründet hat, wer der eigentliche Kopf hinter unserer großartigen Republik sei, dann wird er über diese Frage einigermaßen verblüfft sein. Wir können uns leicht vorstellen, wie verwundert er wäre, wenn er die Antwort von einem der berühmtesten deutschen Historiker, Ranke, hörte, der sagte: >Der eigentliche Gründer Amerikas ist Johannes Calvin<« [335] D'Aubigne, dessen Geschichte der Reformation als Klassiker gilt, schreibt: »Calvin war der Gründer der großartigsten aller Republiken. Die Pilger, die ihr Land unter der Herrschaft James. I verließen, um am unfruchtbaren Boden Neuenglands anzukommen, haben einwohnerstarke und mächtige Kolonien gegründet. Sie waren Calvins rechtmäßige Nachkommen; die amerikanische Nation, die wir so schnell haben wachsen sehen, rühmt sich ihres Vaters, des bescheidenen Reformators von der Küste des Genfersees.« [336] Dr. E. W. Smith schreibt: »Die revolutionären Prinzipien republikanischer Freiheit und Selbstbestimmung, wie sie im System Calvins verkörpert sind und gelehrt wurden, sind nach Amerika gekommen, und welche Hände haben diese Saat in das neue Land gebracht, das eine solch große Ernte hervorgebracht hat? -- Es waren die Hände der Calvinisten. Die lebendige Beziehung Calvins und seines Lehrgebäudes zur Gründung jenes freien Amerika ist trotz der verblüffenden Aussage Rankes von Historikern aller Länder und Glaubensrichtungen zugegeben und bestätigt worden.« [337] Die geschilderten Tatsachen hat auch ein so philosophischer Historiker wie Bancroft durchaus verstanden und freimütig anerkannt; Bancrofts Überzeugungen standen dem Calvinismus nicht nahe, trotzdem nannte er Calvin »den Vater Amerikas«. Er fügte hinzu: »Wer den Einfluss Calvins auf die Gründung Amerikas nicht erkennt und schätzt, der weiß wohl nur wenig über den Ursprung der amerikanischen Freiheit.« [338] Wenn wir uns daran erinnern, dass zwei Drittel der Bevölkerung zur Zeit der Revolution in der Schule Calvins erzogen worden waren; wenn wir bedenken, mit welcher Einmütigkeit und mit welchem Enthusiasmus sich die Calvinisten für die Unabhängigkeit eingesetzt hatten, dann erkennen wir die Wahrheit der angeführten Zitate. Der Methodismus existierte zur Zeit der amerikanischen Revolution noch gar nicht, und selbst in England organisierte sich die Methodistenkirche erst um 1784, drei Jahre nach der Beendigung der Revolution in Amerika. Selbst John Wesley, dieser großartige Mann, war ein Tory [339] und vertrat die Politik Englands. Er schrieb gegen die amerikanische »Rebellion« an, begrüßte aber deren Resultate. McFetridge berichtet uns: »Als die Kriege begannen, hatten die Methodisten kaum Wurzeln in den Kolonien geschlagen. 1773 zählten sie etwa einhundertsechzig Mitglieder. Ihre Geistlichen kamen beinahe alle aus England; sie waren ergebene Diener der Krone und Gegner der amerikanischen Unabhängigkeit. Als der Krieg ausbrach, waren sie gezwungen, zu fliehen. Ihre politischen Ansichten stimmten naturgemäß mit denen ihres großen Führers, John Wesley, überein, der die ganze Kraft seiner Eloquenz und all seinen Einfluss darauf verwandte, gegen die Unabhängigkeit der Kolonien zu wettern (Bancroft, Hist. U.S., Bd. 7, S. 261.). Er sah nicht voraus, dass gerade das unabhängige Amerika das Feld werden würde, das seiner Glaubensgemeinschaft die größte Ernte einbringen würde und dass gerade jene Erklärung [340] , die er so ernsthaft bekämpfte, die Freiheit seiner Anhänger erst garantierte.« [341] Die großen Kämpfe Englands und Amerikas um zivile und religiöse Freiheit wurden vom Calvinismus begonnen, inspiriert und hauptsächlich auch von Calvinisten ausgefochten. Weil die große Mehrheit der Historiker die Geschichte des Calvinismus vernachlässigt hat, hat sie uns auch nicht zeigen können, welch großen Einfluss der Calvinismus auf jene Länder gehabt hat. Das Licht geschichtlicher Forschung wird nötig sein, uns zu zeigen, wie sehr unsere Vorväter an den Calvinismus geglaubt hatten und auch von ihm bestimmt worden sind. Heutzutage ist beinahe vergessen, was die Gründung dieses Landes dem Calvinismus verdankt, und es fällt schwer, von diesem Thema zu sprechen, ohne den Calvinismus dabei zu preisen. Wir tun gut daran, jenes Glaubenssystem zu ehren, das solch süße Früchte hervorgebracht hat und dem Amerika so viel schuldet! __________________________________________________________________ [320] Hist. U. S., Bd. 1., S. 463. [321] Quelle nicht angegeben. [322] Presbyterians and the Revolution, S. 49. [323] Quelle nicht angegeben. [324] Scotch and Irish Seeds in American Soil, S. 334. [325] Philip Schaff, Creeds of Christendom, S. 219. [326] Harpers Monthly, June and July, 1872. [327] Motley, The United Netherlands, Bd. 3, S. 121; Bd 4., S. 548, 547. [328] English Literature, Bd. 2., S. 472. [329] Gemeint ist die demokratisch-republikanische Partei Thomas Jeffersons, aus der später die heutige, demokratische Partei hervorging (A. d. Ü.). [330] Aus einer Ansprache: The Westminster Standards and the Formation of the American Republic. [331] Bancroft, A History of the United States, Bd. 10., S. 77. [332] Ebd., Bd. 8, S. 40. [333] McFetridge, Calvinism in History, S. 85-88. [334] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 142. [335] Ebd., S. 119. [336] Jean Henri Merle D'Aubigne, Reformation in the Time of Calvin, Bd. 1., S. 5. [337] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 132. [338] Quelle nicht angegeben. [339] Die Tories waren entweder Mitglieder der konservativen Partei des britischen Parlaments oder zumindest Anhänger oder Sympathisanten. Sie setzten sich für die Rechte der Krone und der anglikanischen Kirche ein. Der Name Tory leitet sich vom irischen tóraidhe, Räuber, her, da sich die Anhänger der anglikanischen Kirche zeitweise in den Sümpfen Irlands verstecken mussten, weil man sie enteignet hatte. Dort beraubten sie Durchreisende. Letzteres trifft freilich nicht auf John Wesley zu (A. d. Ü.). [340] Gemeint ist die Unabhängigkeitserklärung (A. d. Ü.). [341] McFetridge, Calvinism in History, S. 74. __________________________________________________________________ 8) Calvinismus und Regierungsvertretung Obgleich es keine organische Verbindung zwischen der zivilen und der Religionsfreiheit gibt, üben sie dennoch einen starken Zug aufeinander aus; wo die eine Freiheit fehlt, verschwindet bald auch die andere. Die Geschichte gibt genugsam Zeugnis davon, wie sehr die Freiheit von der Religion eines Volkes abhängt, daher ist es auch so immens wichtig, auf welchen Lehren ein System aufgebaut ist, welchen Prinzipien man folgt -- diese Dinge sind die Basis, auf der Leben und Regierung der Bürger fußt. Der Calvinismus war revolutionär. Er predigte die Gleichheit der Menschen; seine wesentliche Tendenz ging darauf aus, alle Unterschiede von Rang und Anspruch einzuebnen, die sich etwa auf Wohlstand oder Adel gründen wollten. Die freiheitsliebende Seele des Calvinisten hat ihn zu einem Kreuzritter gegen diese künstlichen Rangunterschiede gemacht, die einige Menschen über andere erheben. Politisch gesehen ist der Calvinismus wohl die Hauptquelle moderner Volksregierung. Calvinismus und Republikanismus beziehen sich aufeinander wie Ursache und Wirkung; ist ein Volk von dem einen bestimmt, entwickelt es früher oder später den anderen. Calvin war davon überzeugt, dass eine Kirche unter Gott eine geistliche Republik darstellt; er selbst war theoretisch gesehen ein Republikaner. James I. wusste sehr wohl um die Auswirkungen des Calvinismus, als er sagte: »Der Presbyterianismus stimmt der Monarchie so sehr zu wie Gott dem Teufel.« Bancroft spricht vom »politischen Charakter des Calvinismus, den die Monarchen jener Zeit instinktiv und einstimmig fürchteten wie den Republikanismus.« [342] Ein anderer amerikanischer Historiker, John Fiske, hat geschrieben: »Man darf keinesfalls unterschätzen, was die Menschheit Calvin verdankt. Der geistliche Vater Colignys, Williams des Schweigers und Cromwells nimmt eine Vorrangstellung unter den Meistern moderner Demokratie ein. ... Die Verkündigung dieser Theologie war einer der größten Schritte, die die Menschheit in Richtung persönlicher Freiheit je unternommen hat.« [343] Emilio Castelar, der Anführer der spanischen Liberalen, hat gesagt, die »angelsächsische Demokratie ist das Produkt einer ernsten Theologie, die aus den Städten Hollands und der Schweiz stammt.« Buckle wiederum sagt in seiner Kulturgeschichte: »Der Calvinismus ist von seinem Wesen her demokratisch.« [344] Und de Tocqueville, jener fähige Autor in politicis, nennt ihn »eine demokratische und republikanische Religion.« [345] Der Calvinismus hat seine Anhänger nicht nur mit dem Geist der Freiheit durchdrungen, sondern trainierte sie geradezu auf die Rechte und Pflichten des freien Mannes. Es war jeder Versammlung selbst überlassen, sich ihre eigenen Aufseher zu erwählen und die eigenen Angelegenheiten zu regeln. Fiske nannte den Calvinismus »eine der effektivsten Lehren, die den Menschen in Sachen örtlicher Selbstbestimmung zu Hilfe kamen.« [346] Geistige Freiheit ist die Quelle der Kraft aller anderen Freiheiten, daher ist es nicht verwunderlich, wenn jene Freiheit, die in kirchlichen Kreisen herrschte, hernach auch zur politischen Freiheit geführt hat. Man entschied sich instinktiv für die Regierungsvertretung und wehrte sich hartnäckig gegen jeden ungerechten Führer. Wenn der religiöse Despotismus überwunden ist, kann sich auch der zivile nicht lange halten. Man kann sagen, dass die geistliche Republik, die Calvin geschaffen hatte, auf vier Prinzipien beruhte. Der wichtige Staatsmann Sir James Stephen hat sie folgendermaßen zusammengefasst: »Erstens: Der Wille des Volkes ist die einzige Legitimation eines Herrschers. Zweitens: Die Macht geht vom Volk aus, dessen Herrscher gewählt sind. Jeder erwachsene Mann ist wahlberechtigt. Drittens: Was die Kirchenleitung betrifft, teilen sich Geistliche und Laien die Autorität. Viertens: Zwischen Kirche und Staat besteht keinerlei Allianz oder gegenseitige Abhängigkeit oder auch nur sonst eine Beziehung, weder notwendigerweise noch gerechterweise.« [347] Das Prinzip der absoluten Herrschaft Gottes erweist sich als äußerst wichtig, wenn es auf Regierungsangelegenheiten angewendet wird. Gott ist als absoluter Herrscher mit Souveränität bekleidet; welche Herrschergewalt auch immer ein Mensch erlangt -- sie ist ihm gnädigerweise von Gott verliehen. Die Heilige Schrift war letztgültige Autorität, da sie die ewigen Prinzipien enthält, die allen Zeiten und allen Völkern gelten. Die Heilige Schrift erklärt den Staat zu einer Institution, wie Gott selbst sie aufgestellt hat: »Ein jeder soll sich der obrigkeitlichen Gewalt unterordnen! Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; die da bestehen, sind von Gott angeordnet. Wer sich daher gegen die staatliche Gewalt auflehnt, lehnt sich gegen die Anordnung Gottes auf; wer sich aber gegen diese auflehnt, zieht sich das Gericht zu. Denn die Regierenden sind nicht ein Schrecken für gute, sondern für schlimme Taten. Willst du vor der Staatsgewalt ohne Furcht sein, so tue das Gute, und du wirst Anerkennung bei ihr finden. Sie ist ja Gottes Dienerin zu deinem Besten. Tust du aber Böses, so fürchte sie; denn sie trägt nicht umsonst das Schwert. Denn Gottes Dienerin ist sie, Rächerin zum Zorngericht für den, der Böses tut. Deshalb ist es nötig, sich ihr unterzuordnen, nicht nur um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. Aus diesem Grund entrichtet ihr ja auch Steuern. Sie sind Gottes Diener, die ständig auf dieses bedacht sind. So gebt jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, wem Steuer, Zoll, wem Zoll, Furcht, wem Furcht, Achtung, wem Achtung gebührt« (Röm 13,1-7). Von keinem Regierungssystem, egal ob Demokratie, Republik oder Monarchie, glaubte man, dass es für eine bestimmte Zeit oder ein bestimmtes Volk verordnet war, obgleich der Calvinismus den republikanischen Typ bevorzugt hat. So sagt Meeter: »Egal, welche Regierungsform, ob Monarchie, ob Demokratie oder auch eine andere Form: in jedem Fall sollte der Herrscher (oder die Herrscher) als Gottes Abgeordneter oder Vertreter handeln und alle Regierungsangelegenheiten in Übereinstimmung mit Gottes Gesetz bringen. Dieser fundamentale Grundsatz war gleichzeitig der höchste Anreiz für Recht und Ordnung unter den Bürgern. Die Bürger sollten sich um Gottes Willen den Obrigkeiten unterordnen, welche immer das auch waren. So sorgte der Calvinismus stets für ein stabiles Regierungssystem. ... Andererseits diente die Lehre von der Souveränität Gottes als mächtige Verteidigungsfront für die Freiheit des Einzelnen gegen die Willkürherrschaft eines Tyrannen. Immer, wenn ein Herrscher den Willen Gottes ignorierte und tyrannisch die Rechte der Bürger mit Füßen trat, war es das Privileg und die Pflicht des Volkes, in Anbetracht der noch größeren Verantwortung vor dem höchsten Gott, dem Herrscher den Gehorsam zu verweigern und diesen Herrscher nötigenfalls abzusetzen, denn Gott hat die Regierung dazu eingesetzt, dass sie die Rechte der Bürger schützen soll.« [348] Der calvinistische Ansatz bezüglich Regierung und Herrscher ist von J. C. Monsma im folgenden erhellenden Artikel sehr geschickt dargestellt: »Gott institutionalisiert die Regierung mit Hilfe des ganzen Volkes. Kein Kaiser oder Präsident hat seine Macht oder Souveränität aufgrund seiner Identität, welche Macht auch immer er besitzen oder ausüben mag, sondern alle Macht bezieht er von der allerhöchsten Macht über ihm. Nicht Macht, sondern Recht entspringt der ewigen Quelle der Gerechtigkeit. Dem Calvinisten fällt der Gehorsam gegenüber den Gesetzen und Anordnungen der Regierung nicht schwer. Wenn die Regierung sich einzig aus Menschen zusammensetzte, die sich darum kümmerten, die Wünsche der Mehrheit umzusetzen, so käme seine friedliebende Seele in Aufruhr. So aber steht für ihn hinter jeder Regierung immer noch Gott, vor dem er in größter Hochachtung seine Knie beugt. Diesem Umstand verdankt sich auch die tiefe, ja beinahe fanatische -- und politische -- Freiheitsliebe des Calvinisten; sie war immer schon kennzeichnendes Merkmal eines echten Calvinisten. Die Regierung ist Gottes Diener. Als Menschen stehen alle Regierungsmitglieder auf einer Stufe mit den Bürgern; sie haben keinerlei Vorzug, und aus genau diesem Grund zieht der Calvinismus auch die republikanische Form der Regierung jeder anderen Regierungsform vor. In keiner anderen Regierungsform findet die Souveränität Gottes, die davon abgeleitete Regierungsform und die Gleichheit der Menschen untereinander einen klareren und eloquenteren Ausdruck.« [349] Die calvinistische Theologie verherrlicht nur einen einzigen Souverän; alle anderen Herrscher müssen sich dessen gewaltiger Majestät beugen. Ein göttliches-königliches Gebot oder etwa unfehlbare Beschlüsse von Päpsten konnten sich unter einem Volk, das Gott allein die Souveränität zuschreibt, nicht lange halten. Doch während diese Theologie Gott als den allmächtigen und unumschränkten Herrscher über Himmel und Erde betont und alle Menschen sich vor diesem Herrscher beugen lässt, richtet sie gleichzeitig die Würde des Menschen auf und lehrt ihn, dass alle Menschen gleich seien. [350] Der Calvinist fürchtete Gott, und das bedeutete: er fürchtete sonst niemand. Er wusste sich von Ewigkeit her erwählt und für die Herrlichkeit des Himmels bestimmt; er hatte etwas, was sein Gefühl für Huldigung gegenüber dem Menschen nach und nach verblassen ließ und das das Licht menschlicher Herrlichkeit stark dämpfte. Wenn auch eine stolze Aristokratie ihren Stammbaum über Generationen auf hohe Abstammung zurückführte, so wies der Calvinist mit edlem Stolz auf seine noch viel höhere Herkunft hin: auf das Buch des Lebens, in dessen Seiten sein Name von Ewigkeit her vom König aller Könige eingeschrieben steht. Als Gottes Söhne und Priester waren sie des Himmels Adel, der über jede irdische Abkunft weit hinausgeht; sie waren Miterben Christi, Könige und Gottes Priester, und dies durch einen göttlichen Segen und die Heiligung. Pflanze die Wahrheit der Souveränität in das Herz eines Menschen, so stählst du sein Blut. Der reformierte Glaube hat dem Menschen einen überaus großen Dienst erwiesen, als er ihm seine Rechte erklärte. In auffallendem Kontrast zu den demokratischen und republikanischen Tendenzen, wie sie einem reformierten Glauben innewohnen, sehen wir im Arminianismus eine betont aristokratische Tendenz. In der Presbyterianischen Kirche als auch in der Reformierten Kirche zählen die Stimmen der Ältesten bei der Wahl zum Presbyterium, einer Synode oder einer Generalversammlung soviel wie die Stimme des Pastors, doch in arminianischen Kirchen befindet sich die Macht hauptsächlich in den Händen der Geistlichen; die Laien haben wenig Autorität. Bischofsämter verlangen strenge Hierarchie. Der Arminianismus und der römische Katholizismus (ein praktizierter Arminianismus) gedeihen in Monarchien; in einer solchen Umgebung fühlt sich der Calvinismus eingeengt. Auf der anderen Seite gedeiht der römische Katholizismus in einer Demokratie nur wenig, wogegen sich der Calvinismus dort zu Hause fühlt. Aristokratische Avancen innerhalb der Kirchenhierarchie begünstigen eine Monarchie; ein republikanisches Kirchenverständnis dagegen die Demokratie. So sagt McFetridge: »Der Arminianismus ist der bürgerlichen Freiheit so wenig förderlich wie der Calvinismus der Despotie. Die Despoten der Vergangenheit haben scharf über diese Voraussetzungen gewacht; sie verlangten die göttlichen Rechte eines Königs und fürchteten den Calvinismus so sehr wie den Republikanismus.« [351] __________________________________________________________________ [342] Quelle nicht angegeben. [343] John Fiske, Beginnings of New England, S. 58. [344] Henry Thomas Buckle, History of Civilization in England, 2 Bde., J. W. Parker & Son: London 1857-1861, Bd. 1, S. 699. [345] Alexis Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika. [346] The Beginnings of New England, S. 59. [347] James Stephen, Lectures on the History of France, S. 415. [348] H. H. Meeter, The Fundamental Principles of Calvinism, S. 92. [349] John Clover Monsma, What Calvinism Has Done for America, S. 6. [350] Gemeint ist die Gleichheit des Rechts (A. d. Ü.). [351] McFetridge, Calvinism in History, S. 21. __________________________________________________________________ 9) Calvinismus und Erziehung Die Geschichte beweist wiederholt, dass Calvinismus und Erziehung eng zusammenhängen: Überall wo der Calvinismus seine Schulen unterhielt, drängte er nach allgemeiner Schulbildung. Der Calvinismus ist ein Lehrgebäude, das den Verstand erwachsen werden lassen will. Es darf gesagt werden, dass die Existenz des Calvinismus wesentlich mit der Bildung eines Volkes verknüpft ist. Es ist schon einiges an Verständnis nötig, um das Lehrgebäude zu verstehen und um zu begreifen, was dieses System mit sich bringt. Es fordert die menschliche Vernunft auf das Höchste heraus und betont den Umstand, dass der Mensch Gott nicht nur von ganzer Seele lieben muss, sondern auch mit ganzem Verstand. Calvin stand dafür ein, dass »ein wahrer Glaube auch ein intelligenter Glaube sein muss«; die Erfahrung hat gezeigt, dass Frömmigkeit ohne Bildung genauso gefährlich ist wie Bildung ohne Frömmigkeit. Er sah ganz klar, dass die Annahme und Verbreitung seines Entwurfs nicht nur auf der Ausbildung derer beruhte, die das System anderen erklären sollten, sondern auch von der Intelligenz all derer, denen es beigebracht werden sollte. Calvin krönte sein Werk mit der Gründung der Genfer Akademie. Tausende Schüler aus dem europäischen Kontinent und den britischen Inseln saßen zu seinen Füßen und trugen seine Lehre in jede Ecke des Christentums. Knox kehrte aus Genf mit der Überzeugung zurück, dass die Bildung der Massen nicht nur das stärkste Bollwerk des Protestantismus sei, sondern auch das sicherste Fundament des Staates. »Mit dem römischen Katholizismus kommt der Priester, mit dem Calvinismus der Lehrer« -- dies ist das alte Sprichwort, dessen Wahrheit von keinem Kenner der Fakten geleugnet werden wird. Die calvinistische Vorliebe zum Studium, die den Verstand höher ansetzt als das Geld, hat zahllose Familien Schottlands, Englands, Hollands und Amerikas inspiriert, sich das Letzte abzufordern, ihre Kinder ausbilden zu lassen. Das berühmte Diktum Carlyles: »Dass auch nur ein Mensch, der die Möglichkeit zum Wissen besitzt, unwissend stirbt, nenne ich eine Tragödie« verleiht einer Idee Ausdruck, die bis in den Kern calvinistisch ist. Wo immer der Calvinismus auftauchte, ermutigte er Wissen und Studium und brachte handfeste Denker hervor. Die Calvinisten mögen keine Erbauer großer Kathedralen sein, doch sie gründeten Schulen, Kollegs und Universitäten. Die Puritaner Englands, die Covenanters Schottlands, die Reformierten Hollands und Deutschlands brachten nicht nur Bibel und Westminster-Bekenntnis nach Amerika mit, sondern auch die Schule. Das ist auch der Grund, weshalb unser amerikanischer Calvinismus niemals die mickrigen Hände der Skeptiker fürchtete, wenn neben seiner Schule der Kirchturm aufragt, noch sich vor den verblendeten Ansichten ängstigt, wenn neben seiner Kirche eine Schule steht. [352] Die drei historisch wichtigsten Universitäten Amerikas, Harvard, Yale und Princeton, wurden ursprünglich von Calvinisten als Schulen mit stark calvinistischer Prägung gegründet. Sie waren dazu da, ihren Studenten eine gesunde Basis der Theologie und anderen Disziplinen zu vermitteln. Harvard, gegründet 1636, war ursprünglich eine Pfarrerschule; mehr als die Hälfte der Graduierten wurden Geistliche. Yale, manchmal auch »die Mutter der Hochschulen« genannt, war für einen beachtlichen Zeitabschnitt eine puritanische Institution. Princeton, das von schottischen Presbyterianern gegründet worden war, hatte eine calvinistische Basis. Bancroft notiert: »Wir rühmen uns unserer allgemeinen Schulen; Calvin war der Vater der allgemeinen Schulbildung -- der Erfinder des freien Schulsystems.« [353] An einer anderen Stelle schreibt er: »Wo immer der Calvinismus herrschte, beschwor er die Intelligenz für das Volk; in jeder Gemeinde war er bemüht, eine Schule zu errichten.« [354] »Unser vielgerühmtes Schulsystem verdankt seine Existenz dem Einfluss vom Genf Calvins -- durch Schottland und Holland ist es nach Amerika gelangt. Die ersten beiden Jahrhunderte unserer Geschichte lang war beinahe jede Hochschule und jedes Seminar, jede Akademie und jede Schule von Calvinisten erbaut und unterhalten worden.« [355] Die enge Beziehung zwischen Calvinismus und Bildung hat Prof. H. H. Meeter vom Calvin-College geschildert: »Wissenschaft und Kunst sind Gaben der Gnade Gottes und müssen als solche erkannt und entwickelt werden. Die Natur ist die Handwerkskunst Gottes, die Verkörperung seiner Gedanken und die Reflexion seiner Wirksamkeit in ihrer reinsten Form. Gott ist der große, einigende Gedanke hinter aller Wissenschaft, denn alles ist Teil seines Plans. Neben dieser theoretischen Betrachtung gibt es ganz praktische Gründe für das Interesse des Calvinismus an der Bildung, weswegen nicht nur Grundschulen, sondern alle Arten von Lehranstalten dort entstanden, wo der Calvinismus seine Kirche baute. Dies ist es auch, weshalb der Calvinismus eine solche Vorreiterrolle im modernen allgemeinem Interesse an der Bildung einnimmt. Diese praktischen Gründe gehen Hand in Hand mit seinen Glaubensüberzeugungen. Die römisch-katholische Kirche mag ganz bequem ohne Erziehung der Massen auskommen. Für sie entscheidet der Klerus, nicht der Laie über Fragen der Kirchenleitung und der Lehre. Ein solches Verfahren braucht keine gebildeten Massen. Alles was der Laie dort nötig hatte, war, dem zuzustimmen, was seine Kirche lehrte. Es war nicht vonnöten, dass der Einzelne die Lehren verstand, die seinem Glauben zugrunde lagen. Während des Gottesdienstes waren nicht die Predigten, sondern die Sakramente die Beförderer des Heilssegens; die Predigt war von nur geringem Wert. Die Verleihung eines Sakraments aber bedurfte keines Verstehens, denn es wirkte aus sich heraus (ex opere operato). Im Calvinismus funktioniert das aber genau umgekehrt. Die Kirchenleitung liegt in den Händen von Laien-Ältesten. Diese entschieden über Angelegenheiten der Leitung und über die Wichtigkeit der Lehre. Darüber hinaus war es die schwerwiegende Pflicht des Laien, sein eigenes Heil ohne priesterlichen Auftrag selbst zu bewirken -- die Übereinstimmung mit dem, was seine Kirche glaubt, ist dem Calvinisten entschieden zu wenig. Er muss seine Bibel selbst lesen, sein Glaubensbekenntnis selbst kennen. Dieser Umstand war sehr bedeutsam. Sogar für die Lutheraner nahm die allgemeine Bildung nicht den Stellenwert ein, den sie im Calvinismus hat. Zwar: auch das Luthertum hielt jedem einzelnen Menschen seine persönliche Verantwortung vor, für sein eigenes Heil zu sorgen. Doch war der Laie in lutherischen Kreisen ebenso von der Kirchenleitung ausgeschlossen und hatte in Bezug auf die Lehre nichts zu sagen. Aus diesen Betrachtungen wird klar, weshalb der Calvinist ein solch ergebener Verfechter der Bildung sein musste. Wenn Gott auf der einen Seite die Wissenschaften beherrscht und wenn das calvinistische Lehrsystem die Bildung der Massen braucht, um überhaupt existieren zu können, dann sollte es nicht verwundern, dass der Calvinist alles daran setzte, so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen. Bildung ist eine Voraussetzung für die Existenz des Calvinismus.« [356] Die traditionell hohen Maßstäbe der Presbyterianischen und Reformierten Kirchen, was die Ausbildung zum Geistlichen betrifft, sind bemerkenswert. Während viele andere Kirchen Männer zum geistlichen Dienst ordinieren oder Missionare aussenden und ihnen erlauben, ohne viel Bildung zu predigen, bestehen die Presbyterianischen und Reformierten Kirchen darauf, dass der Anwärter auf ein geistliches Amt einen Studienabschluss hat und mindestens zwei Jahre lang unter einem anerkannten Professor der Theologie studiert hat (Form of Government, Ch . XIV, sec . III & VI). Dadurch ist die Mehrzahl nachmals auch in die Lage versetzt worden, die Angelegenheiten der einflussreicheren Kirchen in den Städten zu regeln. Das führt vielleicht zu einer geringeren Anzahl der Geistlichen, aber es bedeutet auch bessere Vorbereitung und Bezahlung der Einzelnen. __________________________________________________________________ [352] Im Original in Gedichtform: »Dreads the skeptics puny hands, / While near her school the church spire stands, / Nor fears the blinded bigots rule, / While near her church spire stands a school« (A. d. Ü.). [353] Bancroft, Miscellanies, S. 406. [354] Bancroft, Hist. Of U. S., II., S. 463. [355] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 148. [356] H. Henry Meeter, The Fundamental Principles of Calvinism, S. 96-99. __________________________________________________________________ 10) Johannes Calvin Johannes Calvin wurde am 10. Juli 1509 in Noyon (Frankreich) geboren, einer alten Domstadt etwa hundert Kilometer nordöstlich von Paris. Sein Vater, ein Mann von eher düsterem Charakter, war Generalprokurator des Domkapitels von Noyon und damit ein enger Vertrauter der besten Familien der Nachbarschaft. Seine Mutter war für ihre Schönheit und Frömmigkeit bekannt. Sie verstarb noch während seiner Jugendzeit. Er genoss die beste Ausbildung, die Frankreich zu jener Zeit zu bieten hatte; er studierte nacheinander an den drei führenden Universitäten Frankreichs: Orleans, Bourges und Paris (von 1528 bis 1533). Sein Vater wollte für seinen Sohn das Studium der Rechte, da dies mit Wohlstand und Ansehen verbunden war. Calvin fühlte sich aber zum Studium der Theologie hingezogen und widmete sich noch in frühen Jahren diesem Studium; dort fand er jenen Arbeitsbereich, der seinen natürlichen Begabungen und seiner persönlichen Wahl entsprach. Es heißt, er war scheu und zurückhaltend, sehr lernbegierig und in seiner Arbeit pünktlich; von starkem Pflichtgefühl angetrieben, war er sehr religiös. Sein logisches Talent, das sich in seiner klaren Ausdrucksweise und seiner überzeugenden Argumentierkunst zeigte, wurde schon sehr bald bemerkt. Sein Fleiß erwarb ihm bald großes Wissen, wenn auch zulasten seiner Gesundheit. Er lernte so schnell, dass ihm schon sehr bald eine Professur angeboten wurde; seine Kommilitonen hielten ihn eher für einen Lehrer als für einen der ihren. Zu dieser Zeit war er ein aufrichtiger, unbescholtener Katholik. Als er sich dem Protestantismus zuwandte, eröffneten sich ihm glänzende Karrieremöglichkeiten als Humanist, Anwalt oder als Geistlicher; es wurde ihm allerdings auch das Los einer armen, verfolgten Minderheit zuteil. Ohne dies angestrebt zu haben, ja, gegen seinen eigenen Wunsch sogar wurde Calvin der Kopf der evangelischen Partei in Paris, weniger als ein Jahr nach seiner Bekehrung. Sein profundes Wissen und sein gesetztes Auftreten beeindruckte viele sehr stark. Er blieb zwar noch in der katholischen Kirche und hoffte, sie statt von außen von innen her reformieren zu können. Schaff erinnert daran, dass »alle Reformatoren innerhalb der katholischen Kirche geboren, getauft, konfirmiert und ausgebildet worden waren. Wie auch die Apostel beschnitten und in der Synagoge gelehrt worden waren, die sie nachmals ausgestoßen hatte, so verstieß auch die katholische Kirche die Reformatoren.« [357] Ernst und der Eifer des neuen Reformators blieben nicht lange unangefochten, so dass Calvin bald um sein Leben fürchten musste. Der Kirchenhistoriker Philip Schaff schildert seine Flucht aus Paris: »Nicholas Cop, der Sohn eines angesehenen Physikers (William Cop aus Basel) und Freund Calvins wurde am 10. Oktober 1533 zum Rektor der Universität gewählt. Er hielt die übliche Antrittsrede zu Allerheiligen am 1. November vor einer großen Versammlung der Mathurins-Kirche. Diese Rede, die man vom neuen Rektor erwartete, hatte Calvin ausgearbeitet. Sie war ein einziges Plädoyer für die Reformation auf der Basis des Neuen Testaments und stellte eine gewagte Attacke gegen die scholastischen Theologen seiner Zeit dar, vor Sophisten ohne die Kenntnis des Evangeliums. ... Die Sorbonne und das Parlament stuften diese Rede als Kriegserklärung gegen die katholische Kirche ein und übergaben sie den Flammen. Cop wurde gewarnt und floh zu seinen Verwandten nach Basel (Man bot dreihundert Kronen für seine Ergreifung, tot oder lebendig). Calvin, der wahre Autor dieses Unheils, soll aus einem Fenster geflohen sein und als Weinhändler verkleidet entkommen sein. Die Polizei untersuchte seine Unterkunft und beschlagnahmte seine Schriften. ... Vierundzwanzig unschuldige Protestanten wurden auf öffentlichen Plätzen der Stadt im Zeitraum vom 10 November 1534 bis zum 5. Mai 1535 bei lebendigem Leibe verbrannt. ... Viele andere wurden mit einem Bußgeld belegt, andere gefangen genommen und gefoltert und eine beträchtliche Anzahl von ihnen, darunter Calvin und Du Tillet, flohen nach Strassburg. ... Beinahe drei Jahre lang flüchtete Calvin als Evangelist unter verschiedenen Namen in den Süden Frankreichs, in die Schweiz und nach Italien, bevor er in Genf als seinem letzten Zufluchtsort ankam.« [358] Kurz danach, wenn nicht sogar noch vorher, erschien die erste Ausgabe seiner Institutio. Im März 1536 überquerten Calvin und Louis Du Tillet die Alpen nach Italien, dem Ursprungsort der literarischen und künstlerischen Renaissance. Dort wirkte er als Evangelist, bis die Inquisition ihr zerstörerisches Werk begann, indem sie Renaissance und Reformation als zwei miteinander verwandte Schlangen geißelte. Er änderte daraufhin sein Ziel und reiste wohl durch das Aostatal über den Großen Bernhard in die Schweiz. Von Basel aus besuchte er noch einmal seine Heimatstadt Noyon, um seine Familienangelegenheiten zu bereinigen. Dann verließ er Frankreich für immer, in Begleitung seines Bruders Antoine und seiner Schwester Marie. Er hoffte, sich in Basel oder Strassburg niederlassen zu können und dort das ruhige Leben eines Gelehrten und Autoren führen zu können. Es war der Tatsache zu verdanken, dass zwischen Karl V. und Franz I. Krieg herrschte und so die Reiseroute durch Lothringen versperrt war, dass Genf das Ziel seiner Reise wurde. Calvin wollte ursprünglich nur eine einzige Nacht in Genf verbringen, doch die Vorsehung beschloss es anders. Seine Anwesenheit wurde Farel, dem Genfer Reformator, hinterbracht. Der fühlte instinktiv, dass Calvin der Mann war, die Reformation in Genf abzuschließen. Schaff hat uns eine gute Beschreibung dieses Treffens hinterlassen: »Farel sandte sofort nach Calvin und hielt ihn fest, als hätte er einen göttlichen Auftrag. Calvin protestierte dagegen und verwies auf seine Jugend, seine mangelnde Erfahrung und seinen Bedarf nach weiterem Studium; er brachte seine Furchtsamkeit und seine Schüchternheit in Anschlag, die ihm einem öffentlichen Amt abträglich zu sein schienen. Doch es war alles umsonst: Farel, >der vor Eifer brannte, das Evangelium zu verbreiten<, bedrohte ihn mit dem Fluch des allmächtigen Gottes, wenn er seinen Studienwunsch dem Werk des Herrn vorzog, wenn er sein eigenes Interesse der Sache Christi vorordnete. Calvin war von den Worten des furchtlosen Evangelisten zutiefst erschüttert und fühlte sich, >als habe Gott selbst seine Hand nach ihm ausgestreckt<. Er gab nach und nahm die Berufung als Lehrer und Pastor der evangelischen Kirche Genfs an.« [359] Calvin war fünfundzwanzig Jahre jünger als Luther und Zwingli. Er hatte den großen Vorteil, auf dem Fundament der beiden aufbauen zu können. Die ersten zehn Jahre seiner Wirksamkeit fielen mit den letzten zehn Jahren der Wirksamkeit Luthers zusammen. Beide haben sich nie persönlich gesehen. Calvin war jedoch mit Melanchthon vertraut. Die beiden standen bis zum Tod Melanchthons in regem Briefverkehr. Als Calvin seine Wirksamkeit begann, war noch nicht klar, ob Luther der Held eines großen Erfolgs oder das Opfer eines großen Fehlers war. Luther hatte für viele neue Ideen gesorgt; Calvins Werk war es, diese Ideen in ein System zu bringen, zu bewahren und damit weiter zu entwickeln, was so ehrenvoll begonnen hatte. Es fehlte der protestantischen Bewegung an Einheit; sie stand in Gefahr, im Treibsand lehrmäßiger Dispute zu versinken und wurde vor diesem Schicksal hauptsächlich durch die neuen Impulse bewahrt, die vom Genfer Reformator ausgingen. Die katholische Kirche operierte dagegen als eine mächtige Einheit; sie suchte mit allen Mitteln, die protestantischen Gruppen auszurotten, die sich im Norden gebildet hatten. Zwingli erkannte die Gefahr und versuchte, die Protestanten gegen ihren gemeinsamen Feind zu vereinen. Zu Marburg bot er -- nach vielen Bitten und mit Tränen in den Augen, ungeachtet des lehrmäßigen Unterschieds, der im Abendmahlsstreit herrschte -- Luther die Freundeshand an, doch Luther lehnte sie aufgrund seines engen Gewissens ab. Calvin arbeitete in der Schweiz. Er sah die Geschlossenheit der römischen Kirche und die Notwendigkeit, die Protestanten zusammenzuhalten. Nach England schrieb er Cranmer: »Ich sehne mich nach einem einzigen Abendmahl mit allen Christen. Wenn ich doch nur von einigem Nutzen sein könnte, ich überquerte voll Freude auch zehn Meere, um die Einheit der Christen zu befördern.« Der Einfluss seiner Bücher, Briefe und Studenten wurde sehr bald schon in vielen Ländern deutlich gespürt; dass er die protestantische Bewegung vor dem Untergang gerettet habe, dürfte keine Übertreibung sein. Dreißig Jahre lang verzehrte sich Calvin, die Reformation voranzutreiben. Reed schreibt: »Er verlangte sich die letzten Kräfte ab und kämpfte wie nie zuvor. Ohne nachzugeben, litt er mit einer Tapferkeit, die bereit war, jeden Moment für dieses Ziel zu sterben. Ohne Zögern vergoss er buchstäblich einen Tropfen seines Lebens nach dem anderen, um dieses Ziel zu erreichen. Die Geschichte wird sich vergeblich nach einem Mann umsehen, der sich so vorbehaltlos und mit größerer Verbissenheit und Selbstaufgabe einer Sache geopfert hat wie Calvin für die Reformation im 16. Jahrhundert.« [360] Vielleicht ist kein Diener Christi seit den Tagen der Apostel so viel geliebt und gehasst, bewundert und verabscheut, gepriesen und geschmäht, gesegnet und verflucht worden wie der treue, furchtlose und unsterbliche Calvin. Er lebte in einem feurig-streitsüchtigen Zeitalter; er war der Wachturm der reformierten Bewegung Westeuropas, von überall scharf beobachtet und von allen Winkeln aus angegriffen. Die Leidenschaften von Religion und Sektiererei sind die schärfsten überhaupt; da wir über Gut und Böse innerhalb der menschlichen Natur nur allzu gut Bescheid wissen, wird es uns nicht verwundern, wie Calvins Lehren und Schriften aufgenommen wurden. Mit erst sechsundzwanzig Jahren veröffentlichte Calvin seinen Unterricht in der christlichen Religion in lateinischer Sprache. Die erste Ausgabe enthielt in kurzer Zusammenfassung schon alle wesentlichen Elemente seines Systems; wenn man seine Jugend bedenkt, war das eine unerhörte intellektuelle, frühreife Leistung. Später wuchs das Werk auf das fünffache an und wurde zuerst in Frankreich veröffentlicht. Es enthielt immer noch alle Lehren der ersten Auflage. Beinahe sofort avancierte das Werk zum Aushängeschild der protestantischen Verteidigung. Es gab andere Werke, die aber nur unzureichend waren; hier war eines, das die protestantische Bewegung als Ganze stützte. »Der Wert dieses Werkes für die Reformation kann kaum überschätzt werden. Nicht nur Protestanten, sondern auch Katholiken gaben die Bedeutung dieses Werkes zu. Die einen priesen es als größte Wohltat, die anderen verwünschten es mit bittersten Flüchen. Es wurde im Auftrag der Sorbonne in Paris und andernorts verbrannt. Überall führte es zu heftigsten Streitereien in Wort und Schrift. Florimond de Raemond, ein römisch-katholischer Theologe, nannte es >Koran, Talmud der Irrlehren und bedeutendster Grund des Abfalls.< Kampachulte, ein anderer Katholik, bezeugt, dass dieses Werk >das allgemein zugängliche Arsenal darstellt, aus dem die Gegner der Alten Kirche ihre gefährlichsten Waffen holen<, und dass >kein Werk der Reformation von der römischen Kirche mehr gefürchtet, bekämpft und verfolgt worden ist als Calvins Istitutio<. Sein Erfolg zeigte sich dadurch, dass rasch Auflage auf Auflage folgte. Bald war es in die meisten europäischen Sprachen übersetzt und wurde zur wichtigsten Lektüre in den Schulen der Reformierten Kirche. Der ,Unterricht in der Christlichen Religion lieferte den Stoff zu den späteren Glaubensbekenntnissen.« [361] »Von allem, was Calvin der Menschheit geschenkt hatte -- und das war nicht wenig --, war das größte unzweifelhaft dieses Glaubenssystem, dem er mit seinem Genius Leben eingehaucht hatte.« [362] Die Protestanten nahmen die Institutio enthusiastisch auf als die klarste, stärkste, logischste und überzeugendste Verteidigung der christlichen Lehren seit den Tagen der Apostel. Schaff beschreibt das Werk so: »Calvin schuf damit eine systematische Darlegung des christlichen Glaubens im Allgemeinen und eine Rechtfertigung des evangelischen Glaubens im Besonderen. Es war auf das apologetische und praktische Ziel abgestellt, den Protestantismus gegen Verleumdung und Verfolgung zu schützen, denen dieser speziell in Frankreich ausgesetzt war.« [363] Das Werk ist durchdrungen von einer Ernsthaftigkeit und Furchtlosigkeit, dessen strenge Argumentation der menschlichen Vernunft und der Tradition strikt ihren Platz unter der höchsten Autorität der Heiligen Schrift anweist. Es wird zugegeben, dass es das wichtigste Werk des Jahrhunderts darstellt; dieses Buch hatte immensen Einfluss in der Verbreitung des calvinistischen Gedankengutes. Albrecht Ritschl etwa nennt es das »Meisterstück protestantischer Theologie«. Dr. Warfield hat berichtet, dass »es auch noch nach dreieinhalb Jahrhunderten seine Überlegenheit als großartigstes und einflussreichstes Werk aller dogmatischen Versuche darstellt. ... Selbst unter literarischen Gesichtspunkten nimmt es einen solchen Rang ein, dass jeder, der sich über die besten Bücher der Welt informieren will, es wird lesen müssen. Was Thukydides unter den Griechen oder Gibbon im achtzehnten Jahrhundert für Historiker, was Platon unter den Philosophen, was die Illias unter den epischen Werken oder Shakespeare unter den Dramatikern, das ist Calvins Institutio unter den theologischen Werken.« [364] Es bewirkte große Bestürzung innerhalb der römischen Kirche und wurde zur einigenden Macht unter den Protestanten. Es machte Calvin zum fähigsten Verteidiger des Protestantismus und zum außergewöhnlichsten Gegner, mit dem die Katholiken zu kämpfen hatten. In England erfreute sich eine unübertroffene Mehrheit der Institutio. Bald wurde sie zum Lehrbuch der Universitäten. Kaum später war sie schon in neun europäische Sprachen übersetzt, und es ist nur dem banalen Umstand geringer Beachtung unter den Historikern zuzuschreiben, dass seine Wichtigkeit in den letzten Jahren so hatte verkannt werden können. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung der Institutio schrieb Martin Bucer, der dritte unter den deutschen Reformatoren, an Calvin: »Es ist vollkommen klar, dass der Herr Euch als sein Werkzeug gebrauchen will, seine Kirche mit dem reichsten Segen zu beschenken.« Luther selbst verfasste keine systematische Theologie. Obgleich seine Werke sehr umfangreich waren, behandelten sie meist vereinzelte Themen, die vielfach auf praktische Probleme seiner Zeit abzielten. Es war Calvin überlassen, eine systematische Theologie des evangelischen Glaubens zu verfassen. Zuallererst war Calvin ein Theologe. Er gilt neben Augustinus als einflussreichster Lehrer des christlichen Glaubens seit Paulus. Melanchthon, der Prinz der lutherischen Theologie, der nach dem Tod Luthers »Praeceptor Germanie« genannt wurde, nannte Calvin einfach »den Theologen«. Wenn auch die Sprache der Institutio manchmal unsanft klingt, dann müssen wir uns erinnern, dass das das Markenzeichen, aber auch die Schwäche der damaligen theologischen Kontroverse war. Das Zeitalter Calvins war polemisch. Die Protestanten der damaligen Zeit hatten kein leichtes Leben; oft waren sie in tödliche Kämpfe mit Rom verstrickt; die Geduld wurde oft hart auf die Probe gestellt. Luther übertraf Calvin allerdings noch in seiner polternden Art, wie wir gleich anhand seines Hauptwerkes "Vom unfreien Willen" sehen werden. Das Werk richtete sich in besonderer Weise gegen die Idee des Erasmus vom »freien Willen«. Es muss aber gesagt werden, dass kein Schrifttum jener Zeit so grob und beleidigend war wie die Exkommunikationsbeschlüsse und Bannflüche der römisch-katholischen Kirche, die diese gegen die Protestanten richtete. Zusätzlich zu seinen Institutio verfasste Calvin Kommentare zu fast allen Büchern des Alten- und Neuen Testaments. Diese Kommentare umfassen in englischer Sprache fünfundfünfzig Großbände, die verglichen mit seinen anderen Werken geradezu erstaunlich sind. Die Qualität seiner Werke brachte ihnen bald den ersten Platz unter den exegetischen Schriften ein; unter allen älteren Kommentaren wird niemand von den heutigen Theologen so oft zitiert wie Calvin. Er war ohne allen Zweifel der bedeutendste Theologe der Reformation. War Luther der Fürst der Übersetzer, so Calvin der Fürst der Kommentatoren. Man sollte sich daran erinnern, wenn man den wahren Wert der Kommentare Calvins schätzen will: sie fußten auf exegetischen Prinzipien, die zu seiner Zeit äußerst sparsam gesät waren. So sagt Reed: »Er zeigte den Weg heraus aus der rein symbolischen Auslegung der Schrift, einer Methode, wie sie seit den frühesten Jahrhunderten des Christentums gebräuchlich war und wie sie von großen Namen, von Origenes bis hin zu Luther praktiziert worden war. Dieses Auslegungsprinzip machte aus der Bibel was immer man wollte; eine lebendige Phantasie war hier die wichtigste Eigenschaft für die Auslegung.« [365] Calvin hielt sich strikt an die Gedanken des jeweiligen Autors der Schrift und nahm an, dass der Autor jeweils einen bestimmten Gedanken im Sinn hatte, den er in seiner jeweiligen Alltagssprache niederschrieb. Unbarmherzig entblößte er die verdorbenen Lehren und Praktiken der römisch-katholischen Kirche. Seine Schriften inspirierten seine reformierten Freunde und versorgten sie mit tödlicher Munition. Calvins fördernder und schützender Einfluss auf die Reformation kann kaum überschätzt werden. Calvin war ein Meister der Patristik und der Scholastik. An den führenden Universitäten seiner Zeit gebildet, besaß er gründliche Kenntnis des Lateinischen und des Französischen und konnte leidlich altgriechisch und hebräisch. Seine grundlegenden Kommentare erschienen in französischer und lateinischer Sprache; sie waren von ausgesuchter Gründlichkeit, aufrichtig und voll Freimut; sie wiesen auf einen ausgewogenen und moderaten Autor hin. Genau wie Luthers Übersetzung die deutsche Sprache maßgeblich beeinflusst hatte, trugen auch Calvins Arbeiten zur Stabilisierung der damals noch auf etwas wackeligen Beinen stehenden französischen Sprache bei. Wir dürfen auch ein anderes Zeugnis nicht vergessen, das des Arminius selbst, des Gründers des gegnerischen Lehrgebäudes. Ein solches Zeugnis ist ganz und gar unbefangen. Arminius sagte: »Gleich nach dem Studium der Heiligen Schrift ermahne ich meine Schüler, die Kommentare Calvins zu studieren, die ich für noch höher einschätze als selbst Helmicks (Helmick war ein holländischer Theologe); ich behaupte, dass er ein Verständnis der Schrift besitzt wie kein anderer und dass seine Arbeiten wesentlich höher eingeschätzt werden müssen als alles, was wir aus der Bibliothek der Väter besitzen. Ich erkenne, dass er mehr als viele anderen, ja beinahe mehr als alle anderen die ausgezeichnete Gabe der Prophetie besitzt.« [366] Der Einfluss Calvins ist auch noch auf die sehr umfangreiche Korrespondenz mit diversen Gemeindeleitern, Fürsten und Adeligen innerhalb des protestantischen Christentums zurückzuführen. Heute existieren etwa noch 300 Briefe aus dieser Zeit; es sind keine kurzen Briefe, sondern oft lange und sorgsam ausgearbeitete Abhandlungen, die in meisterlicher Weise seine verblüffenden Ansichten über Kirchenfragen und theologischen Fragen offenbarten. Dieser Umstand hat dazu beigetragen, dass er zum führenden Reformator Europas wurde. Nachdem Calvin und Farel versucht hatten, ein zu strenges disziplinäres System in Genf zu etablieren, mussten die beiden die Stadt zwei Jahre nach dem Eintreffen Calvins für eine Zeitlang zu verlassen. Calvin ging nach Straßburg im südwestlichen Deutschland. Martin Bucer und die führenden Reformatoren Deutschlands nahmen ihn mit offenen Händen auf. Dort führte er die nächsten drei Jahre ein stilles Leben als Professor, Pastor und Autor und kam das erste Mal mit Luthers Werken in Kontakt. Er hatte großes Verständnis für die führenden Lutheraner und fühlte sich der Lutherischen Kirche aufs engste verbunden, obgleich ihn der Mangel an Disziplin und die Ergebenheit der Geistlichen gegenüber weltlichen Herrschern unangenehm beeindruckte. Später verfolgte er den Gang der Reformation in Deutschland mit großem Interesse, wie sein Briefwechsel und seine vielen Schriften zeigen. Während seiner Abwesenheit von Genf verschlimmerten sich die Zustände dort so sehr, dass die Früchte der Reformation in ernste Gefahr gerieten und eine Rückkehr nach Genf erforderlich schien. Nach vielem Drängen aus Genf folgte er diesem Ruf und setzte seine Arbeit da fort, wo er sie drei Jahre vorher liegen gelassen hatte. Die Stadt selbst, am gleichnamigen See gelegen, wurde zur Heimat Calvins. Hier, an den nahegelegenen, schneebedeckten Alpen, verbrachte er von nun an die meiste Zeit seines Lebens, und von hier aus nahm auch die Reformation ihren Weg durch ganz Europa und nach Amerika. In kirchlichen und in staatlichen Angelegenheiten übte die verhältnismäßig kleine Schweiz großen Einfluss aus. Calvins Einfluss in Genf gibt uns ein anschauliches Beispiel der verändernden Kraft seines Lehrgebäudes. Der bekannte Kirchenhistoriker Philip Schaff resümiert: »Die Genfer waren ein beschwingtes, frohes Volk, verliebt in öffentliche Vergnügungen wie Tanz, Gesang, Maskeraden und allerlei Gelagen. Sorglosigkeit, Trunkenheit, Ehebruch, Lästerung und alle Arten von Lastern waren an der Tagesordnung. Die Prostitution wurde von staatlicher Seite genehmigt und von einer Frau geführt, die man "Reine de bordel" [367] nannte. Die Menschen befanden sich in großer Unwissenheit. Die Priester unternahmen keinerlei Anstrengung, die Leute zu belehren, sondern gaben ihnen vielmehr ein schlechtes Beispiel.« [368] Ein Blick auf die damalige Geschichtsschreibung zeigt, dass kurz vor Calvins Ankunft in Genf selbst die Mönche und sogar die Bischöfe sich vieler Verbrechen schuldig gemacht hatten, die heutzutage mit der Todesstrafe geahndet werden. Calvins Arbeit in Genf hatte Folgen: Bald rühmte man die Stadt wegen des stillen, ordentlichen Lebens ihrer Bürger mehr als sie vorher für ihre Untaten berüchtigt war. Unter tausend anderen saß auch John Knox als bewundernder Schüler zu Calvins Füßen und fand dort das, was er »die vollkommenste Schule Christi, die seit den Tagen der Apostel auf Erden zustande gekommen ist« nannte. Dank Calvins Arbeit wurde Genf zum Zufluchtsort vieler Verfolgter und zum Ausbildungsstandort des reformierten Glaubens. Flüchtlinge aus allen Ländern Europas strömten herzu und trugen nachmals die klaren Lehren der Reformation nach Hause. Genf war das Zentrum ausstrahlen- der geistlicher Kraft und Ausbildung; es diente den umliegenden Ländern als Führer und Lehrer. So sagt Bancroft: »Der Menschheit wohlgesonnener als Solon und mit größerer Selbstverleugnung, als sie einem Lykurg eignete, verströmte der Genius Calvins bleibende Elemente innerhalb Genfs und machte diese Stadt zur unangreifbaren Festung öffentlicher Freiheit -- die fruchtbare Saat der Demokratie.« [369] Ein Zeugnis der Wirksamkeit des Einflusses, den Genf besaß, findet sich in einem Brief des Katholiken Francois de Sales an den Herzog von Savoy, der darin die Notwendigkeit äußerte, Genf als Hauptquelle aller Häresien gegen die römische Kirche auszuschalten: »Die Herätiker fliehen alle nach Genf, dem Zufluchtsort ihrer Religion. ... Es gibt keine andere Stadt in Europa, die der Irrlehre mehr Gelegenheit gibt, sich zu vergrößern. Diese Stadt ist die Pforte Frankreichs, Italiens und Deutschlands; Menschen aller Nationen finden sich dort: Italiener, Franzosen, Deutsche, Polen, Spanier, Engländer und Menschen aus noch ferner gelegenen Ländern. Man weiß, wie viele >Geistliche< dort herangezüchtet werden. Letztes Jahr sandte man zwanzig davon nach Frankreich. Sogar England bezieht seine Pfarrer jetzt schon aus Genf. Was soll ich über die prachtvollen Druckanstalten sagen, mittels deren Genf die umliegende Welt mit all seinem gottlosen Zeug überflutet, und das noch zu Preisen, die sich das gewöhnliche Volk leisten kann? ... Alles, was gegen das Heilige Meer und die katholischen Fürsten unternommen wird, nimmt seinen Anfang in Genf. Keine andere Stadt Europas nimmt so viele Abgefallene aller Disziplinen auf. Daher schließe ich: die Vernichtung dieser Stadt wird den Häresien ein gründliches Ende bereiten.« [370] Ein anderes Zeugnis stammt von einem der bittersten Feinde des Protestantismus, von Philip II. von Spanien. Er schrieb an den König Frankreichs: »Diese Stadt ist die Quelle allen Unheils für Frankreich, der gefährlichste Feind Roms. Ich werde jederzeit und mit aller Macht zur Verfügung stehen, diese Stadt zu stürzen.« [371] Als der Herzog von Alva mit seiner Armee an Genf vorbeizog, bat ihn Papst Pius V., einen Abstecher dorthin zu machen und »dieses Nest von Abtrünnigen und Teufeln zu zerstören.« Die berühme Akademie von Genf öffnete ihre Tore im Jahr 1559. Zusammen mit Calvin lehrten dort zehn fähige und erfahrene Professoren Grammatik, Logik, Mathematik, Physik, Musik und antike Sprachen. Die Akademie war bemerkenswert erfolgreich. Schon im ersten Jahr meldeten sich neunhundert Studenten an, meist Flüchtlinge aus den verschiedensten Ländern Europas, und fast genauso viele besuchten ihre theologischen Vorlesungen, um sich auf einen Dienst als Evangelist oder als Lehrer im eigenen Land vorzubereiten und dort eine Kirche nach dem Muster Genfs zu gründen. Mehr als zweihundert Jahre lang blieb die Akademie in Genf die wichtigste Lehranstalt reformierter Theologie und literarischer Kultur. Calvin war der erste, der eine strikte Trennung zwischen Kirche und Staat forderte. Diese Forderung war von unschätzbarem Wert. Die Reformation in Deutschland wurde von den Fürsten bestimmt; die Reformation in der Schweiz vom Volk, doch in beiden Fällen existierte ein gutes Auskommen zwischen den Fürsten und der Mehrheit des Volkes. Die Schweizer Reformatoren, die in Genf lebten, erarbeiteten eine freie Kirche in einem freien Land, während Luther und Melanchthon mit ihrer natürlichen Verehrung der Monarchie und des deutschen Imperiums passiven Gehorsam in politischen Fragen anordneten und somit die Kirche der staatlichen Macht unterordneten. Calvin starb 1564 im frühen Alter von fünfundfünfzig Jahren. Beza, sein enger Freund und Nachfolger, beschreibt seinen Tod als ein friedliches Entschlafen: »Mit Sonnenuntergang wurde dieses hell scheinende Licht der Kirche in den Himmel gerufen. Am darauf folgenden Tag war die Trauer und Bestürzung sehr groß; die ganze Republik betrauerte ihren weisesten Bürger, die Kirche ihren vertrauten Hirten und die Akademie ihren unvergleichlichen Lehrer.« [372] Schaff beschreibt Calvin als »einen jener Menschen, die eher Respekt und Bewunderung als Zuneigung bewirkten; engere Bekanntschaft ließ er gerne zu, familiäre Vertrautheit dagegen nicht. Je besser man ihn kennt, desto mehr muss man ihn schätzen und bewundern.« Über seinen Tod sagt Schaff: »Calvin hatte ausdrücklich jeden Pomp an seinem Begräbnis verboten, auch, dass man ihm über seinem Grab ein Denkmal setzt. Er wollte wie Mose abseits jeglicher Möglichkeit abgöttischer Verehrung begraben werden. Dies passte zu seiner Theologie, die den Menschen bescheiden hielt und Gott erhöhte.« [373] Die genaue Stelle seines Grabes in Genf ist nicht bekannt. Ein einfacher Stein mit den Initialen »J. C.« zeigt dem Fremden, wo sich seine letzte Ruhestätte befindet, doch man weiß nicht mehr, auf wessen Initiative hin dieser Stein dorthin gesetzt worden ist, wo er heute steht. Er selbst verbat sich jedes Denkmal auf seinem Grab. Sein wahres Denkmal ist nach S. L. Morris »jede republikanische Regierung auf der ganzen Erde, das öffentliche Schulsystem aller Nationen und >die Reformierten Kirchen auf der ganzen Welt, die das presbyterianische System unterhalten.<« [374] Nun müssen wir uns einem Ereignis zuwenden, das einen großen Schatten auf diesen sonst so aufrechten Namen geworfen hat und welches ihm den Ruf der Intoleranz und Verfolgungswut eingebracht hat. Ich meine damit den Tod des Michael Servet, der sich während des Wirkens Calvins in Genf ereignete. Dass dieser Tod ein Fehler war, wird allgemein zugegeben. Die Geschichte kennt nur eine einzige Person, die ohne Fehler war -- den Retter der Sünder. Alle anderen Menschen haben das Zeichen der Schwäche an sich, das es verbietet, sie zu verehren. Calvin ist allerdings oft zu hart angegriffen worden, so als ob es seiner Verantwortung allein zuzuschreiben sei, dass Servet nach einer zweimonatigen Gerichtsverhandlung von der gesamten Gerichtsbarkeit nach den geltenden Gesetzen der damaligen Christenheit verurteilt wurde. Weit davon entfernt, dass das Urteil in dieser Härte vollstreckt werden sollte, forderte Calvin anstelle des Feuers das Schwert, doch er wurde überstimmt. Calvin und die Männer seiner Zeit dürfen nicht einfach allein nach den fortschrittlichen Normen des zwanzigsten Jahrhunderts beurteilt werden, sondern müssen zu einem gewissen Teil im Lichte des sechzehnten Jahrhunderts gesehen werden. Wir haben im zivilen Bereich, aber auch in Bezug auf religiöse Toleranz seither große Entwicklungen erlebt. Das betrifft auch die Gefängnisreform, die Abschaffung der Sklaverei und des Sklavenhandels, des Feudalismus, der Hexenverbrennungen und die Verbesserung der Bedingungen der Armen, die zwar erst späte Errungenschaften sind, jedoch auf das Christentum zurückzuführen sind. Die Fehler derer, die verteidigt und praktiziert haben, was heutzutage als intolerant kritisiert wird, waren die Fehler des ganzen damaligen Zeitalters. Der Fairness halber sollte man dem unvorteilhaften Eindruck ihres Charakters und ihrer Beweggründe nicht folgen; noch weniger aber sollte man sich ein Vorurteil gegen ihren Lehren über andere und wichtigere Themen erlauben. Die Protestanten hatten in ihrem Verteidigungskampf das römische Joch abgeschüttelt. Intoleranz begegnete man oft mit Intoleranz. Die öffentliche Meinung des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts war der Ansicht, die Regierung verfüge über das Recht, die Orthodoxie zu verteidigen und zu unterstützen und Häresien zu bestrafen. Man war davon überzeugt, dass hartnäckige Ketzer und Gotteslästerer nötigenfalls auch durch die Todesstrafe unschädlich gemacht werden müssen. Die Protestanten unterschieden sich diesbezüglich von Rom nur in ihrer Abweichung der Definition von Irrlehre und in einem wesentlich milderen Strafsystem. Ketzerei hielt man als eine Sünde gegen die Gesellschaft, die manchmal schlimmer zählte als Mord, denn während der Mörder nur den Körper zerstörte, konnte eine Irrlehre auch die Seele zu Fall bringen. Heutigentags verfolgen wir das andere Extrem: Die öffentliche Meinung ist bezüglich Wahrheit und Irrtum recht »weitherzig« geworden. [375] Im achtzehnten Jahrhundert kam stärkere Toleranz auf. England und Holland übernahmen in Sachen öffentlicher Freiheit die Führung; die Verfassung der Vereinigten Staaten erledigte den Rest, indem sie alle christlichen Denominationen vor dem Gesetz gleichstellte und ihnen auch gleiche Rechte einräumte. Alle führenden Reformatoren seiner Zeit stimmten Calvins Vorgehen in Bezug auf Michael Servet zu. Melanchthon, der führende Theologe der Lutherischen Kirche, rechtfertigte das Vorgehen Calvins und des Rates zu Genf wiederholt und lobte diese Vorgehensweise als modellhaft. Ein Jahr nach Servets Tod schrieb er an Calvin: »Ich habe Euer Buch gelesen, in dem Ihr aus tiefstem Herzen die ekelhaften Lästerungen Servets widerlegt habt. ... Die Kirche schuldet euch großen Dank -- dies wird sie Euch bis in die späteste Nachwelt schulden. Ich bin voll und ganz Eurer Meinung. Ich stimme auch Eurem Untersuchungsrichter zu: die Strafe ist diesem Manne nach der ordnungsgemäßen Untersuchung zurecht widerfahren.« [376] Martin Bucer, der an dritter Stelle unter den deutschen Reformatoren rangiert, dann Bullinger, ein enger Freund und würdiger Nachfolger Zwinglis, aber auch Farel und Beza in der Schweiz unterstützten Calvin. Luther und Zwingli waren bereits gestorben; man kann fragen, ob sie der Exekution Servets wohl zugestimmt hätten? Jedenfalls haben Luther und die Wittenberger Theologen der Todesstrafe gegen einige Wiedertäufer in Deutschland zugestimmt -- sie sahen in ihnen gefährliche Irrlehrer; -- wohl hätten sie die Grausamkeit der Strafe erkannt, doch sie zogen diese Grausamkeit jener vor, den Dienst am Wort samt dem Königreich der Welt zu zerstören. Zwingli hatte gegen die Todesstrafe gegen eine Gruppe von sechs Wiedertäufern in der Schweiz nichts einzuwenden gehabt. Die öffentliche Meinung hat seither eine große Wendung erfahren -- die Exekution Servets, die von den besten Männern des sechzehnten Jahrhunderts begrüßt worden war, wurde im neunzehnten Jahrhundert verdammt. Wie ich vorher erwähnt habe, war die katholische Kirche jener Zeit vollkommen intolerant gegen die protestantische Welt. Die Protestanten waren gezwungen, diesem Beispiel in gewissen Ausmaß und zum Zweck ihrer Verteidigung zu folgen. Zu den katholischen Verfolgungen schreibt Philip Schaff: »Wir brauchen uns nur der Verfolgungen der Albigenser und Waldenser erinnern, die von Innocent III. angeordnet worden waren, eines der besten und größten Päpste, an die Folterungen und autos-da-fè der spanischen Inquisition, die mit religiösen Festivitäten einhergingen -- mehr als fünfzigtausend Protestanten wurden allein während der Regierungszeit des Herzogs von Alva in den Niederlanden 1567-1573 ermordet. Viele hundert Märtyrer wurden in Smithfield unter der Regierung der ,Bloody Mary verbrannt; erinnern wir uns an die wiederholten Massenverurteilungen der unschuldigen Waldenser in Frankreich und am Piemont, die nach Vergeltung zum Himmel schreien. Man wird die Verantwortlichkeit dieser Massaker wohl vergeblich der Regierung in die Schuhe schieben dürfen. Papst Gregor XIII. gedachte der Massaker zu St. Batrholomä nicht nur mit einem Te Deum in den Kirchen Roms, sondern ganz freimütig und wiederholt mit einer Medaille, die >Die Schlachtung der Hugenotten< durch einen Engel des Zorns zeigt.« Er fügt hinzu: »Die römische Kirche hat ihre Macht und zum großen Teil auch ihre Neigung verloren, mit Feuer und Schwert zu verfolgen. Einige ihrer höchsten Würdenträger lehnen das Prinzip der Verfolgung strikt ab, speziell in Amerika, wo sie sich der Wohltat der Religionsfreiheit erfreuen können. Doch die römische Kurie hat offiziell ihre Theorie niemals aufgegeben, auf der die Praxis der Verfolgungen basiert. Ganz im Gegenteil haben viele Päpste seit der Reformation ihren Standpunkt bestätigt. ... In einem Anhang zu seiner Enzyklika von 1864 verdammt Papst Pius IX ausdrücklich jegliche religiöse Toleranz und Freiheit. [377] Im Vaticanum I. wurde dieser Papst offiziell für unfehlbar erklärt und mit ihm alle seine Vorgänger (selbst der verbohrte Honorius I.) samt Nachfolgern auf dem Stuhle Petri.« [378] Woanders sagt Dr . Schaff: »Wenn Katholiken Calvin verurteilten, dann deshalb, weil sie ihn hassten, und sie verurteilten ihn gerade dafür, weil er in diesem Punkt wie sie selbst gehandelt hatte.« [379] Servet war Spanier und Gegner des Christentums, egal ob in römisch-katholischer oder protestantischer Form. Schaff bezeichnet ihn als »rastlosen Fanatiker, pantheistischen Pseudo-Reformator, der dreisteste und auch gotteslästerlichste Irrlehrer des sechzehnten Jahrhunderts.« [380] Schaff weist auch darauf hin, dass Servet ein »stolzer Abweichler war, streit- und rachsüchtig und respektlos in seiner Sprache, hinterlistig und verlogen. Servet warf das schimpfliche Papsttum und die Reformatoren in denselben Topf.« [381] Bullinger sagte, selbst wenn Satan aus der Hölle käme, könnte er die Dreieinigkeit nicht gotteslästerlicher beschimpfen als der Spanier. Der Katholik Bolsec nennt Servet in einer Arbeit über Calvin einen »sehr arroganten und unverschämten Menschen. ... ein monströser Irrlehrer«, der den Tod verdient habe. Servet floh aus Vienne in Frankreich nach Genf. Noch während der Prozess gegen ihn in Gange war, erhielt der Rat eine Nachricht aus Vienne: Die katholischen Richter übersandten ihm eine Kopie des unterzeichneten Todesurteils, das Servet sich schon dort zugezogen hatte, und baten den Rat, ihnen Servet wieder auszuliefern, damit sie das Todesurteil an ihm vollstrecken könnten, wie sie es in effigie und an seinen Büchern schon vollzogen hatten. Der Rat lehnte das Ansuchen zwar ab, versprach jedoch, der Gerechtigkeit Genüge zu tun. Servet zog es vor, in Genf vor Gericht gestellt zu werden, da er in Vienne nur den Scheiterhaufen zu erwarten hatte. Vielleicht hatte die Nachricht aus Vienne den Rat die Orthodoxie noch eifernder verfechten machen: Man wollte in dieser Hinsicht der römischen Kirche in nichts nachstehen. Bevor Servet nach Genf ging, hatte er Calvin durch eine Reihe von Briefen auf sich aufmerksam gemacht. Eine Zeitlang antwortete Calvin diesen Briefen auch recht ausführlich, doch als er sah, dass seine Ermahnungen nicht zum beabsichtigten Ziel führten, stellte er die Korrespondenz ein. Servet richtete seine Briefe indessen weiter an Calvin, allerdings wurden seine Schreiben immer arroganter und manchmal auch beleidigend. Er bezeichnete Calvin als den Papst des Protestantismus, den zu bekehren oder zu stürzen er sich berufen sah. Zu der Zeit, als Servet nach Genf kam, war die Partei der Libertinisten an der Regierung. Die Libertinisten standen in Opposition zu Calvin. Servet plante, der Partei beizutreten und Calvin mit ihrer Hilfe zu vertreiben. Calvin spürte die Gefahr, die ihm da drohte, war aber nicht geneigt, Servet seine Irrtümer verbreiten zu lassen. Er erachtete es als seine Pflicht, einen so gefährlichen Mann unschädlich zu machen und beschloss, ihn zum Widerruf zu bringen oder ihn der gerechten Strafe zuzuführen. Servet wurde eingesperrt und vor Gericht gestellt. Calvin übernahm den theologischen Teil des Prozesses; Servet wurde der Verbreitung fundamentaler Irrlehren und der Gotteslästerung überführt. Während des langen Gerichtsprozesses steigerte sich Servets Stolz noch und er begann, Calvin mit primitivsten Mitteln des Missbrauchs zu zeihen. [382] Die Richter verurteilten Servet zum Tod durch Feuer. Calvin plädierte vergeblich, die Strafe anstelle des Feuers durch das Schwert zu vollstrecken; die Verantwortung für die Todesart liegt daher allein auf dem Rat. Dr. Emile Doumergue, der Autor von "Jean Calvin", dem ausführlichsten und wichtigsten Werk über Johannes Calvin, das je publiziert wurde, sagt über den Tod Servets folgendes: »Calvin ließ Servet bei dessen Ankunft in Genf verhaften und trat als Ankläger gegen ihn auf. Er wollte zwar, dass Servet zum Tod verurteilt wird, wenn er auch nicht den Feuertod wollte. Am 20. August 1553 schrieb Calvin an Farel: >Ich hoffe, dass Servet zum Tode verurteilt wird, doch möchte ich ihm gerne die Todesqualen ersparen.< -- Damit meinte er das Feuer. Farel antwortete ihm am 8. September: >Deine Milde teile ich nicht gerne.< Er warnte Calvin vor zuviel Nachsichtigkeit: >Darin, dass du Servet diese Grausamkeit ersparen möchtest, erweist du dich ihm gegenüber als Freund, der doch dein größter Feind ist. Ich ermahne dich aber, zu bedenken, dass in Zukunft niemand mehr die Frechheit besitzen soll, solche Irrlehren zu verbreiten und bei Straffreiheit solche Mühe darauf verwenden kann, wie dieser Mann es getan hat.< ... Calvin änderte auf diesen Brief Farels zwar seine Meinung nicht, konnte das Urteil aber dennoch nicht verhindern. Am 26. Oktober schrieb er an Farel: >Morgen wird Servet hingerichtet. Wir haben vergeblich unser Bestes getan, das Urteil abzumildern. Wenn wir uns das nächste mal treffen, erzähle ich dir, weshalb wir keinen Erfolg hatten.<« [383] »Der Tadel, der Calvin zumeist trifft -- Servet verbrannt zu haben -- trifft ihn zu zu Unrecht, da er gerade gegen eine Verbrennung Servets gewesen war. Er tat, was er konnte, Servet den Scheiterhaufen zu ersparen. Welch Schimpf und Schande hat der Tod Servets Calvin aber eingebracht! Tatsache ist, dass man von der Hinrichtung Servets, wäre sie ohne Feuer geschehen, wohl kaum solche Notiz genommen hätte.« Doumergue berichtet weiters, dass der Tod Servets »der Fehler seiner Zeit war, ein Fehler, an dem Calvin keinen Anteil hatte. Die Todesstrafe selbst wurde erst aufgrund des Urteils der Schweizer Kirchen ausgesprochen, darunter einige waren, die Calvin ganz und gar nicht gut gesinnt waren (obgleich sie sich in dieser Sache einig waren). ... Darüber hinaus stammte das Urteil von einem Rat von Männern, deren Mehrzahl Freidenker und erklärte Feinde Calvins waren.« [384] Dass Calvin jede Verantwortung zurückwies, ist aus seinen späteren Schriften ersichtlich. »Wie alle ehrbaren Männer zugeben werden, habe ich seit der Überführung Servets, Irrlehren zu verbreiten, kein einziges Wort über seine Strafe gesagt«, schrieb er einmal. [385] In einer späteren Antwort gegen einen Angriff auf ihn erklärte er: »Ich bin sehr besorgt, wegen meiner Grausamkeit angeklagt zu werden. Den Grund dafür kenne ich nicht, doch meine ich, es ist wegen des Todes eures großen Meisters, Servets. Doch dass ich selbst mich dafür eingesetzt habe, dass Servet ein solcher Tod erspart werde, dessen sind die Richter Zeugen. Darunter befinden sich derzeit auch zwei erklärte Freunde und Verteidiger Servets.« [386] Vor der Verhaftung Servets und während der Frühphase des Prozesses sprach sich Calvin noch für die Todesstrafe aus; hauptsächlich begründete er diese Ansicht auf das mosaische Gesetz, das da lautet: »Wer des HERRN Namen lästert, der soll des Todes sterben« (3 Mo 24,16). Calvin war der Ansicht, dieses Gebot sei so bindend wie der Dekalog selbst und auch im Falle der Lästerung zu befolgen. Er überließ das Urteil jedoch ganz dem Rat. Dieser hielt Servet für den größten Feind der Reformation und hielt es für Recht und Pflicht des Staates, jedermann zu bestrafen, der dermaßen gegen die Kirche vorging. Er fühlte sich verantwortlich, die Kirche von aller Korruption zu reinigen, und bis zum Tag von Servets Tod änderte er weder seine Meinung, noch bedauerte der Rat sein Urteil gegen Servet. Dr. Abraham Kuyper, holländischer Staatsmann und Theologe, äußerte vor einigen Jahren vor einem amerikanischen Publikum ein paar Gedanken, die der Erwähnung wert sind: »Die Pflicht der Regierung, jede Form von falschem Glauben und Götzendienst auszurotten, war keine calvinistische Idee, sondern datiert sich zurück auf ein Urteil Konstantins des Großen. Sie verstand sich als Reaktion auf die grausamen Verfolgungen seiner Vorgänger auf dem Kaiserthron, die diese gegen die Sekte des Nazareners angestiftet hatten. Seit diesen Tagen ist diese Ansicht von allen römisch-katholischen Theologen verteidigt und von allen christlichen Fürsten befolgt worden. Zu Zeiten Luthers und Calvins war man allgemein davon überzeugt, dass dies die richtige Vorgehensweise sei. Jeder renommierte Theologie jener Zeit -- allen voran Melanchthon -- befürwortete den Feuertod Servets; das Schafott etwa, das die Lutheraner für Kreel, einen Vollblut-Calvinisten, aufgerichtet hatten, ist vom protestantischen Standpunkt weit verwerflicher. ... Während zur Zeit der Reformation die Calvinisten zu Zehntausenden ihr Leben am Schafott und am Scheiterhaufen lassen mussten (der Lutheraner und Katholiken waren es so wenige, dass sie im Vergleich dazu kaum zu erwähnen sind), hat sich die Geschichtsschreibung einer kapitalen Ungerechtigkeit schuldig gemacht, jenen einen Feuertod des Servet als crimen nefandum [387] hinzustellen. ... Ich bedaure nichtsdestotrotz jenen einen Fall nicht nur, sondern missbillige ihn unbedingt, aber nicht etwa als Aus- druck calvinistischer Vorgehensweise, sondern im Gegenteil als schreckliche Nachwirkung eines Systems aus einer grauen Zeit, die der Calvinismus so vorgefunden hatte, in der er groß geworden ist und von der er sich nicht ganz hat lösen können. [388] Wenn wir diesen Fall also im Lichte des sechzehnten Jahrhunderts betrachten, jeden Aspekt für sich, etwa die Zustimmung der anderen Reformatoren, aber auch die allgemeine Zustimmung der Öffentlichkeit, die jede Toleranz auch gegenüber religiösem Indifferentismus verabscheute und die die Todesstrafe für hartnäckige Häretiker und Gotteslästerer forderte, den Aspekt, dass auch die römisch-katholischen Autoritäten der Vorgehensweise im Falle Servet zustimmten, dann aber auch den Charakter und die Haltung Servets gegenüber Calvin, seine Absicht, nach Genf zu ziehen, um dort für Unruhe zu sorgen, das Urteil der Todesstrafe, ausgesprochen von einem Rat, der nicht Calvins Kontrolle unterstand und Calvins Plädoyer für eine mildere Strafe --, wenn wir diesen Fall also wie gesagt im Licht dieses sechzehnten Jahrhunderts betrachten, so kommen wir zum Schluss, dass Calvin, sofern er für jenes Ereignis verantwortlich ist, aus reinem Pflichtgefühl gehandelt hat und dass seine Verantwortlichkeit weit geringer ist, als man gemeinhin annimmt. Darüber hinaus sind wir froh, sagen zu können, dass dieser Vorfall nicht nur der einzige ist, sondern auch der einzige Vorfall dieser Art, der mit Calvin in Verbindung gebracht wird. __________________________________________________________________ [357] Philip Schaff, The Swiss Reformation, S. 312. [358] Ebd., S. 322. [359] Ebd., S. 348. [360] Reed, Calvin Memorial Addresses, S. 34. [361] Ebd., S. 20. [362] Benjamin Breckinridge Warfield (Artikel), The Theology of Calvin, S. 1. [363] Philip Schaff, The Swiss Reformation, S. 330. [364] Warfield, Calvin and Calvinism, S. 8, 374. [365] Reed, Calvin Memorial Addresses, S. 22. [366] Zitiert aus James Orr, Calvin Memorial Addresses, S. 92. [367] Bordellkönigin (A. d. Ü.). [368] Quelle nicht angegeben. [369] Bancroft, Miscellanies, S. 406. [370] Vie de ste. Francois de Sales, par son neveu, S. 20. [371] Quelle nicht angegeben. [372] Quelle nicht angegeben. [373] Schaff, The Swiss Reformation, S. 826. [374] Quelle nicht angegeben. [375] Die Toleranz der Moderne tolerierte die Person und verteidigte ihr Recht auf öffentliche Meinungsäußerung, selbst im Fall konträrster Ansichten; die Postmoderne hat dieses Prinzip zugunsten eines relativistischen Wahrheitsbreis verkehrt: Hier toleriert man jede »Wahrheit«, nicht aber, dass jemand gegen eine solche »Wahrheit« opponiert (A. d. Ü.). [376] Quelle nicht angegeben. [377] Gemeint ist die Enzyklika Quanta Cura und dessen Anhang Syllabus Errorum, in welchem sich Pius IX im Besonderen gegen die Demokratie des 19. Jahrhunderts als Weltanschauung wendet. Es handelt sich bei jenem Syllabus um eine Liste von 80 Ansichten, die Papst Pius IX als Irrlehre verdammt (A. d. Ü.). [378] Philip Schaff, History of the Swiss Reformation, S. 669, 698. [379] Quelle nicht angegeben. [380] Philip Schaff, The Creeds of Christendom, Bd. 1., S. 464. [381] Philip Schaff, The Swiss Reformation, Bd. 2., S. 787. [382] Ebd., S. 778. [383] Opera, XIV, S. 590, 613-657. [384] Doumergue, Article, What Ought to be Known About Calvin?, Evangelical Quarterly, Jan. 1929. [385] Opera, VIII., p. 461. [386] Calvins Calvinism, S. 346. [387] Abscheuliches Verbrechen (A. d. Ü.). [388] Abraham Kuyper, Lectures on Calvinism, S. 129. __________________________________________________________________ 11) Schluss Wir haben den Calvinismus nun in beachtlichem Maße untersucht und seinen Einfluss auf die Kirche, den Staat, die Gesellschaft und die Bildung eindrücklich nachgewiesen. Wir haben uns auch mit den Einwänden beschäftigt, die allgemein gegen dieses Lehrgebäude vorgebracht werden: Wir haben aber auch gesehen, welch praktische Wichtigkeit diese Lehren haben. Es bleiben noch einige wenige generelle Betrachtungen zu erwähnen. Die Überprüfung von Individuen und Systemen kann mit Christi eigenen Worten erfolgen: »An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.« Der Calvinismus und all seine Anhänger werden sich einem solchen Test nur allzu gerne unterziehen. Leben und Einfluss derer, die sich zum Reformierten Glauben bekennen, sind wohl die besten und schlüssigsten Argumente zu ihren Gunsten. Smith bezieht vom »begnadet lebendigen und überbordenden Calvinismus, den Schöpfer der modernen Welt, die Mutter zahlloser Helden, Heiliger und Märtyrer, welchen die Geschichte als großartigstes Glaubenssystem krönt, indem sie den Baum an seinen Früchten beurteilt. [389] Die Geschichte ist hier ohne Vorurteil: Der Calvinismus formt den Charakter und verkündet den Nationen die Freiheit -- darin ragt er unter allen religiösen Systemen der Welt hervor. Wenn wir die Liste der großen Männer unseres eigenen Landes ansehen, dann finden wir eine beträchtliche Anzahl an Präsidenten, Gesetzgebern, Juristen, Autoren, Herausgebern, Lehrern und Geschäftsleuten, die dieser Kirche angehören. Jeder unparteiische Historiker wird zugeben, dass es die protestantische Revolte gegen Rom war, die der modernen Welt den ersten Vorgeschmack religiöser und ziviler Freiheit gegeben hat und dass all jene Nationen, die am meisten in den Genuss jener Freiheiten gekommen sind, auch jene sind, die am stärksten unter dem Einfluss des Calvinismus standen. Die Quelle ziviler und religiöser Freiheit, die sich dem Calvinismus verdankt, erreicht nun die breite Front der modernen Geschichte. Wenn wir Länder wie England, Schottland und Amerika mit Ländern wie Spanien und Italien vergleichen, die niemals unter den Einfluss des Calvinismus gekommen sind, treten die Unterschiede sehr klar zutage: Der ökonomische und auch moralische Druck der römisch-katholischen Kirche hat das allgemeine Leben stagnieren lassen; auch ist die Geburtenrate ist so weit zurückgegangen, dass diese Völker kaum mehr Wachstum zu verzeichnen haben, während die Bevölkerungszahl in den anderen Ländern ständig gestiegen ist. Ein kurzer Blick auf die Kirchengeschichte oder besser auf die protestantischen Glaubensüberzeugungen zeigt, dass gerade jene Überzeugungen zur Reformation und deren Segen geführt hatten, die heute unter dem Namen »Calvinismus« bekannt sind. Wer die Geschichte Europas und Amerikas kennt, wird der erstaunlichen Aussage Dr . Cunninghams gerne zustimmen: »Nach Paulus hat Calvin wohl das meiste für die Welt getan.« Dr. Smith hat sehr schön gesagt: »Wenn wir uns daran erinnern, dass wir unsere Freiheit, unseren protestantischen Glauben und unser christliches Zuhause der Mühe und dem Blut Männern diesen Glaubens zu verdanken haben, sollte dies die Gegner des Calvinismus eigentlich zum Schweigen bringen. Der geneigte Leser wird wissen, dass diese drei Güter den Grund der besten und größten Errungenschaften unserer modernen Welt gelegt haben. Er wird vielleicht über den impliziten Anspruch erschrocken sein, dass unsere gegenwärtige christliche Zivilisation nichts als die Frucht des Calvinismus darstellt.« [390] Ich wiederhole lediglich die klare Aussage der Geschichte, wenn ich behaupte, dass der Calvinismus der Glaube von Heiligen und Helden war. So sagt Froude: »Zu jeder Zeit waren die Calvinisten die einzigen Protestanten, die für ihren Glauben gekämpft hatten. Sie waren es, die aus ihrem Glauben den Mut fassten, für die Reformation einzutreten; ohne sie wäre die Reformation verloren gewesen.« [391] Während Jahrhunderte geistiger Tyrannei tausende Opfer einforderten, während sich der Protestantismus Englands, Schottlands, Hollands und der Schweiz mit dem Schwert verteidigen musste, war einzig der Calvinismus in der Lage, mit der Großmacht der römischen Kirche fertig zu werden. Die ungleiche Zahl seiner Märtyrer zählt zu einer seiner herrlichsten Kronen. In einer Ansprache der methodistischen Konferenz gegenüber der Presbyterianischen Allianz von 1896 hieß es: »Ihre Gemeinschaft ist in der Tat bemerkenswert und inspirierend: Nicht nur einzelne Helden, sondern ganze Generationen treuer Seelen waren bereit, um Christi und seiner Wahrheit willen freimütig Gefängnis und selbst Tod in Kauf zu nehmen. Diese seltene Ehre schätzen sie mit vollem Recht als kostbarsten Teil ihres unbezahlbaren Erbes.« [392] McFetridge bemerkt dazu: »Kein anderes Glaubenssystem auf Erden kann so ausgezeichnete Märtyrer auflisten. ... Fast jeder, der die Flammen der Verleugnung seines Glaubens oder der Befleckung seines Gewissens vorzog, war nicht nur ein ergebener Nachfolger Christi, sondern auch ein Nachfolger jenes Dieners Gottes, der Genf zum Licht Europas gemacht hatte -- Johannes Calvins.« [393] Die moderne Welt schuldet der geistlichen Vitalität und Fruchtbarkeit dieses Systems großen Dank. Erst in den letzten Jahren ist man auf diese Tatsache aufmerksam geworden, doch wird man nicht dankbar genug sein können. Ich habe gesagt, dass die calvinistische Theologie freiheitsliebende Völker hervorbringt. Wo der Calvinismus vorherrscht, verliert der Despotismus jegliche Grundlage. Der Calvinismus hat wie erwartet die Kirchenstruktur sehr bald schon revolutioniert: Nicht einzelne, ausgewählte Herrscher sollten die Kirche regieren, sondern ein Ältestenrat, der sich aus der Wahl aller ergibt. So war die Religion unter den Menschen, nicht über ihnen. Über die Effizienz dieser »Regierungsform« sagt der katholische Erzbischof Hughes aus New York: »Obgleich es meine Pflicht ist, die Autorität der Generalversammlung für eine Usurpation zu halten, muss ich doch dem allgemeinen Urteil über diese Organisation zustimmen: Nach politischem Ermessen steht die Führungsqualität dieser Gemeinschaft der des Kongresses nur wenig nach. Sie strahlt vom Zentrum nach außen; darin ist sie unter allen Denominationen des Landes einzigartig.« [394] Von der Freiheit und der Verantwortlichkeit der Kirche zur Freiheit und Verantwortlichkeit des Staates war es nur ein kleiner Schritt; historisch gesehen sah der Freiheitsgrund niemals tapferere und entschlossenere Männer als die Nachfolger Calvins. »Der Calvinismus ist keine Träumerei und kein theoretischer Glaube. Ganz gegen die Ansicht seiner Gegner führt er nicht dazu, dass seine Anhänger die Hände in fatalistischer Gleichgültigkeit in den Schoß legen und die Nöte ihrer Nächsten missachten. Auch führt er nicht dazu, die schreienden Übel zu ignorieren, die wie ein scheußliches Geschwür auf der Gesellschaft liegen.« [395] Wo immer der Calvinismus hinkam, folgten ihm wundersame moralische Veränderungen. Reinheit, Mäßigung, Fleiß, Mildtätigkeit -- darin hat es den Calvinisten niemand gleichgetan. James Anthony Froude zählt zu den fähigsten Historikern und Schriftstellern Englands. Er lehrte einige Jahre in Oxford, Englands berühmtester Universität. Er war kein Calvinist, sondern seine Schriften waren derart, dass man von ihm oft als von einem Gegner des Calvinismus gesprochen hat. Er pflegte allerdings keine Vorurteile, und die unqualifizierten Angriffe auf den Calvinismus, die in den letzten Jahren so populär geworden sind, erregten in ihm jene Ungeduld, wie sie einem redlichen Gelehrten wohl ansteht. Er sagte einmal: »Ich fordere alle heraus, einmal darüber nachzudenken: Wie hat es wohl dazu kommen können, dass dem Calvinismus gerade in dieser letzten Zeit einige der großartigsten Männer anhingen, die je gelebt haben, wenn er tatsächlich jener harte und unvernünftige Glaube ist, als der er von der modernen Aufklärung geschildert wird? Wie kann es sein, dass jener Calvinismus, dem man solch fatale Moral nachsagt, weil er ja den freien Willen leugnet, wie kann es sein, frage ich, dass er bei seinem ersten Aufkommen immer gleich jeden Unterschied zwischen Sünde und Verbrechen zu eliminieren trachtet und das moralische Gesetz nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für den Staat aufzurichten bestrebt ist? Wenn dieser Glaube angeblich zur Knechtschaft des Geistes führen soll, wie kann es dann sein, dass gerade er Männer inspiriert hat, die heldenhaftesten Versuche zu unternehmen, jedes Joch ungerechter Herrschaft zu zerschlagen? Wenn alles vergeblich war, wenn der Patriotismus sein Angesicht in den Staub gebeugt hat und wenn aller menschlicher Mut gesunken ist, wenn der Verstand nichts mehr als >ein Lächeln oder ein Seufzen< (Gibbon) hervorbringt und nur mehr im Verborgenen philosophieren will und nach außen hin nur Abgeschmacktes vertritt, wenn Sinn, Gefühl und eine eingebildete Frömmigkeit zu Handlangern des Aberglaubens geworden sind und sich in einen Zustand hineingeträumt haben, in dem man nicht mehr zwischen Wahrheit und Lüge unterscheidet -- gerade dann kam jene sklavische Form des Glaubens, die man Calvinismus nennt, und errichtete eine unbeugsame Front gegen Sin- nestäuschung und Verlogenheit. Lieber ließ sich dieser Glaube zerreiben wie ein Feuerstein, als dass er sich der Gewalt beugte oder den zermürbenden Versuchungen nachgab.« [396] Zur Illustration erwähnt Froude Willhelm den Schweiger, Luther, Calvin, Knox, Coligny, Cromwell, Milton und Bunyan. Über sie urteilt er: »Diese Männer besaßen alle Eigenschaften, die die menschliche Natur auszeichnen können. Es waren Männer aufrechter Lebensart und ehrlichen Verstandes, deren öffentliches Ansehen nicht von Selbstsucht befleckt war; ihre Gerechtigkeit, obgleich von weiblicher Milde, hielt allen Anforderungen stand. Sie waren freimütig, wahrhaftig, entgegenkommend, humorvoll und jeglichem Fanatismus abhold. Sie waren ganz einfach in der Lage, jene Seite anzuschlagen, die die Herzen aller Mutigen und Treuen Europas zum Schwingen brachte.« [397] Wenden wir unsere Aufmerksamkeit nun dem Calvinismus als missionarischer Kraft zu. Es darf als allgemeiner Prüfstein für Glaubenslehren gelten, inwiefern ihre evangelistischen Bemühungen im Vergleich mit anderen Systemen zum Erfolg geführt haben. Es ist die Hauptaufgabe einer Kirche, Sünder dieser Welt zur Rettung zu führen und sie zu praktischer Gottesfurcht zu bekehren. Ein System, das diesen Ansprüchen nicht genügen kann, hat hier keinen Platz, ganz egal, wie bemerkenswert es sonst sein mag. Die erste Erweckung, die dreitausend Menschen zur Umkehr führte, ereignete sich während einer Predigt des Petrus zu Jerusalem, der an die Menschen Worte wie diese richtete: »Diesen, der nach Gottes festgesetztem Ratschluss und Vorsehung dahingegeben worden war, habt ihr genommen und durch die Hände der Gesetzlosen ans Kreuz geschlagen und getötet« (Apg 2,23). Als sich die Jünger etwas später zum Gebet versammelten, beteten sie: »Ja, wahrhaftig, gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, haben sich Herodes und Pontius Pilatus versammelt zusammen mit den Heiden und dem Volk Israel, um zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss vorher bestimmt hatte, dass es geschehen sollte« (Apg 4,27f.). Das ist Calvinismus reinsten Wassers. Die nächste große Erweckung der Kirche, die im vierten Jahrhundert von Augustinus ausging, basierte auf den gleichen Lehren, wie jeder leicht nachprüfen kann, der sich mit der Literatur dieser Zeit beschäftigt. Die Reformation, die allgemein als größte Erweckung des wahren Glaubens seit neutestamentlicher Zeit gilt, nährte sich von der gründlich prädestinatianischen Predigtweise Luthers, Zwinglis und Calvins. Es ist Calvins und Admiral Colignys Verdienst, die erste protestantische Auslandsmission inspiriert zu haben -- die Expedition nach Brasilien im Jahr 1555. Es stimmt: Das Unternehmen erwies sich als erfolglos; auch verhinderten die Religionskriege Europas ein neuerliches Unternehmen in absehbarer Zeit. McFetridge hat uns einige interessante und vergleichsweise unbekannte Fakten über das Entstehen der Methodistenkirche hinterlassen. Er berichtet: »Wenn wir über die Methodistische Kirche sprechen, dann sprechen wir von einer Erweckung. Nicht Wesley jedoch, sondern Whitefield, ein kompromissloser Calvinist, war ihr erster Leiter. Er war jünger als Wesley, doch er war es, der zuerst auf die Felder hinausging und große Volksmengen um sich versammelte. Er sammelte Gelder und baute Kapellen. Whitefield war es auch, der Wesley um Hilfe bat. Er hatte viel Überzeugungsarbeit zu leisten, bevor er die bestehenden Vorurteile gegen diese Bewegung überwinden konnte. Whitefield begann sein großes Werk in Bristol und in Kingswood; seine Anhängerschaft zählte nach Tausenden. Man war schon damit beschäftigt, Gemeinden zu organisieren, als Wesley zu Hilfe gerufen wurde. Wesley war ein Mann großen Eifers, in vieler Hinsicht ein großartiger Geistlicher. Er glaubte an die Kindertaufe und verlangte, dass die >Dissenters< [398] sich erneut taufen ließen, bevor er ihnen den Eintritt in seine Gemeinde gewährte. Er konnte sich nicht vorstellen, wo anders als in einer Kirche zu predigen. Wie er es einmal ausgedrückt hatte, hielt er die Errettung der Seelen beinahe für eine Sünde, wenn sie nicht im Innern einer Kirche geschah. Als Whitefield Wesley einlud, in aller Öffentlichkeit zu predigen, schreckte Wesley zunächst davor zurück. Später änderte er seinen Sinn, doch erst, nachdem er sich aufgrund eines Ereignisses dazu entschieden hatte, das viele als abergläubisch bezeichnen würden. Er und sein Bruder Charles öffneten ihre Bibel an einer zufälligen Stelle, um so zu einer Entscheidung zu gelangen. Doch die Texte wollten dazu keine Stellung nehmen. Daraufhin nahmen sie zu anderen Methoden Zuflucht: sie warfen Lose. Sie fielen zugunsten Whitefields. Dieser Art war der Anfang jenes Werkes, das so großen Bekanntheitsgrad erlangte und seitdem ehrenvoll mit dem Namen Wesley verbunden ist. ... Die Methodistenbewegung verdankt Whitefield so viel, dass er auch >der calvinistische Gründer des Methodismus< [399] genannt wurde. Bis zum Ende seines Lebens galt daher auch Whitefield als der Repräsentant der Bewegung, zumindest unter den Gebildeten. In seinen >Letters< spricht Walpole nur einmal von Wesley, wenn er von der Gründung des Methodismus handelt, von Whitefield dagegen unzählige Male. In seiner Lehrveranstaltung über den Methodismus nennt Mant diesen eine vollkommen calvinistische Angelegenheit. Weder die Prinzipien, noch die ursprüngliche Kraft dieser Bewegung sei auf Wesley zurückzuführen. Die öffentliche Predigt, die der Bewegung ihren unverkennbaren Stempel aufdrückte und sie mit der notwendigen Kraft ausstattete, die im Kampf gegen ihre Feinde so siegreich sein sollte, war Whitefields Einfall, während Wesley noch gehörigen Widerwillen gegen diese Methode zeigte. Der damaligen Höflichkeit gemäß waren >Calvinismus< und >Methodismus< noch austauschbare Begriffe; die Methodisten wurden einfach für eine weitere Sekte der Presbyterianer gehalten. ... Es war der Calvinismus, nicht der Arminianismus, der die großartige Glaubensbewegung in Gang gesetzt hatte, aus der später die Methodistische Kirche erwuchs, soweit man überhaupt sagen kann, dass die Gründung auf ein Glaubenssystem zurückzuführen ist. Während Wesleys Werk innerhalb der neuen Bewegung geehrt und hochgehalten werden muss, sollte nicht vergessen werden, dass es der große Calvinist George Whitefield war, der der Kirche zu ihrer Entstehung und ihrem unverwechselbaren Charakter verhalf. Hätte er länger gelebt und wäre er nicht davor zurückgeschreckt, als Gründer einer Kirche gelten zu sollen, wie vieles hätte sich anders entwickelt! Whitefield versammelte ganze Gemeinden, um es anderen zu überlassen, sie in Kirchstrukturen zu organisieren; er baute Versammlungsräume, die andere nutzten, um darin zu predigen.« [400] Wenn wir die Fremdenmission betrachten, wird sehr schnell klar, dass es dieses Glaubenssystem war, welches den größten Einfluss in der Verbreitung des Evangeliums in heidnische Nationen ausübte. Paulus, der von liberaleren Gegnern des Calvinismus als derjenige gehalten wird, der für die spezifisch calvinistische Theologie verantwortlich zeichnet, war überhaupt der größte und einflussreichste Missionar. Wenn wir uns die Liste der heldenhaften protestantischen Missionare vor Augen führen, sehen wir, dass sie fast ausschließlich Jünger Calvins aufzählt. Wir finden darauf Carey und Martyn in Indien, Livingstone und Moffat in Afrika, Morrison in China, Paton in der Südsee und viele andere mehr. Diese Männer bekannten keinen statischen, sondern einen dynamischen Calvinismus; der Calvinismus war nicht nur ihre Lehre, sondern auch ihr Leben. In Bezug auf die Fremdenmission sagt Dr. F. W. Loetscher einmal: »Obwohl wir wie alle unsere Schwesterkirchen Grund genug haben, im Hinblick auf unsere noch nie da gewesenen Möglichkeiten und im Hinblick auf die schreckliche Heillosigkeit heidnischer Länder zu bedauern, dass wir nicht viel mehr vollbracht haben, dürfen wir zumindest Gott dafür danken, dass unsere geehrten Vorväter einen solch großartigen Anfang in der Weltmission gesetzt haben; die calvinistischen Kirchen übertreffen in dieser Hinsicht alle anderen christlichen Glaubensgemeinschaften. Insbesondere unsere Denomination hat die Ehre und das Vorrecht, sich in seiner weitreichenden Verantwortlichkeit von allen anderen nichtchristlichen Religionen absetzen zu können; sie hat das Evangelium auf mehreren Kontinenten, unter mehr Nationen, Völkern und Sprachen gepredigt als jede andere evangelische Vereinigung der Welt.« [401] Das mag einigen nach unangemessener Übertreibung schmecken; ich dagegen zögere nicht, zu behaupten: Über die Jahrhunderte war es der Calvinismus in seiner Furchtlosigkeit und in seinem Festhalten der gesunden Lehre, welcher die wahre Stärke der Gemeinde Christi gewesen ist. Die traditionell hohen Normen der calvinistischen Kirchen, was die Ausbildung und Kultivierung ihrer Diener anlangt, hat dazu geführt, eine große Ernte zu Füßen Jesu zu versammeln, und zwar nicht in vorübergehender Begeisterung, sondern als Früchte des ewigen Bundes. An seinen Früchten gemessen hat sich der Calvinismus als größte evangelistische Kraft der Weltmission herausgestellt. Die Feinde des Calvinismus können das Zeugnis der Geschichte nicht anfechten. Dieses Glaubenssystem hat der modernen Geschichte ein rühmliches Kapitel hinzugefügt. Etwas Edleres hat die Geschichte nicht aufzuweisen. Henry Ward Beecher [402] schreibt: »Den Liberalen ist es seit jeher wie ein Mysterium vorgekommen, wie gerade die Calvinisten, denen ja Starrheit und Unnachgiebigkeit der Lehre nachgesagt wird, die größten Verfechter der Freiheit gewesen seien. Das Freiheitsstreben derer, die die calvinistischen Prinzipien angenommen hatten, musste ihnen rätselhaft erscheinen. Die Wahrheit liegt aber darin, dass der Calvinismus getan hat, was keine Denomination vor ihm geschafft hat: Er stellte der Menschheit das höchste Ideal der Menschlichkeit vor Augen und bekämpft den Weg zur Verdammnis mit den stärksten Waffen, die man sich denken kann. ... Beispiellos betont er die Individualität des Menschen und zeigt überzeugend und in klarstem Licht, in welcher Verantwortung der Mensch gegenüber Gott und in welcher Beziehung er zur Ewigkeit steht. Er zeigt den Menschen als ein Geschöpf, das mit dem Eintritt ins Leben eine gewaltige Verantwortung übernimmt und der auf dem Wege zu seinem Grabe nur einen einzigen Trost erlangen kann: den Himmel zu erlangen und der Hölle zu entfliehen. ... Der Calvinismus sieht den Menschen von den stärksten Mächten belastet und bedrängt. Der Mensch ist auf dem Wege in die Ewigkeit, bald wird er entweder im Himmel gekrönt oder muss in der Gluthölle der ewigen Verdammnis verschmachten -- dies ist seine Ewigkeit. Wer darf da den Menschen binden? Finger weg vom Menschen! Lass ihn gehen, oder du hinderst ihn unter Lebensgefahr deiner eigene Seele! Lass ihn seine Suche nach Gott in Freiheit durchführen. Misch dich nicht in sein Leben oder in seine Rechte ein. Lass ihn seine Erlösung bewirken, wie er es zu tun findet. Keine Hand darf sich erdrückend auf ein Geschöpf dieser Menschheit legen, einer Menschheit, deren Ziel entweder ewige Herrlichkeit oder ewige Verdammnis ist.« [403] Um einen anderen eloquenten Artikel anzuführen: »Dieser Baum mag dem voreingenommenen Auge knorrig und rau erscheinen, ein Baum, dessen Äste sich gnadenlos in seltsamste Gebilde verdrehen. Aber man bedenke: Dieser Baum ist keine Weidenrute, die erst kürzlich aus der Erde geschossen ist. Die Äste dieses Baumes haben den Stürmen eines ganzen Jahrtausends getrotzt; sein Stamm trägt die Spuren von Blitz und Donner und seine Rinde die Narben von Streitaxt und Geschoß. Ja, dieser alten Eiche fehlt die seidenweiche Anmut und Biegsamkeit eines Treibhausgewächses, doch ihre Majestät steht über dieser Anmut, ihre Größe jenseits bloßer Schönheit. Ihre Wurzeln mögen seltsam verdreht erscheinen, doch einige haben das Blut glorreicher Schlachtfelder getrunken; manche davon ranken sich um die Scheiterhaufen ihrer Märtyrer, einige winden sich, zeigen die Einsamkeit der Bibliotheken, in denen tiefe Denker gegrübelt und gebetet haben wie Johannes auf Patmos; seine große Hauptwurzel dagegen windet sich in lebendiger und liebevoller Umarmung um das Kreuz von Golgatha. Seine Äste mögen knorrig sein, doch sie sind bekleidet mit dem Stärksten und Reichsten, was die Geschichte der Zivilisation und der Christenheit zu bieten hat.« [404] Dies ist keine leere Lobrede auf den Calvinismus. Jeder unparteiische und gebildete Beobachter der Geschichte wird die oben geschilderten Tatsachen zugeben müssen. Der Autor dieses Buches fügt die Worte Dr. E. W. Smiths hinzu, der am Ende des Kapitels über die Früchte dieses Bekenntnisses in seinem Buch "The Creed of Presbyterians" gesagt hat, jene Tatsachen und Beobachtungen seien »nicht dazu da, die Eitelkeit der Konfessionen zu befördern, sondern unsere Herzen mit Dankbarkeit gegenüber Gott zu erfüllen für all das, was geschehen ist und was uns jetzt vor Augen steht; ein Umstand, der Grund genug für edle Gesinnung gibt und vor allem unsere Herzen in Brand setzen soll für jenes großartige Bekenntnis, das mit Gottes Hilfe den Grundstein Amerikas und der modernen Welt gelegt hat.« Abschließend darf ich sagen, dass der Leser mit einer sehr >altmodischen< Theologie in Berührung gekommen ist, einer Theologie, die so alt ist wie die Bibel selber, ja älter selbst als die Welt, da doch der Plan zur Erlösung seit jeher im ewigen Ratschluss Gottes verborgen ist. Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass die Lehren, die hier verfochten und verteidigen werden, erschreckend sind -- und doch sind sie auch wunderbar. Ihre Kraft reicht aus, den schlafenden Sünder zu wecken, der sein ganzes Leben lang wähnt, er könne die Sache mit Gott so lange vor sich herschieben, wie er nur will. Ihre Kraft reicht auch aus, den schlafenden »Heiligen« zu erschrecken, der sich der Täuschung seiner eigenen, fleischlichen Religion mit tödlicher Gelassenheit hingegeben hat. Warum auch sollten sie kein Erstaunen erregen? Wimmelt die Natur nicht von Wundern? Warum denn nicht auch die Offenbarung? Es bedarf nur geringer Bildung, um zu sehen, welch erstaunliche Fakten die Wissenschaft über die Natur zu berichten hat, die der Ungebildete nur schwer begreift oder sie gar für unmöglich hält. Warum sollte es sich bei der Wahrheit der Offenbarung und beim geistlich Ungebildeten anders verhalten? Wenn das Evangelium einen Menschen nicht aufschreckt, verblüfft und entsetzt, dann ist es nicht das wahre Evangelium. Wer ist je von den Lehren des Arminianismus in Erstaunen versetzt worden, dessen Lehren behaupten, dass der Mensch selbst über sein Schicksal entscheidet? Es wird nicht ausreichen, diese Lehren einfach zu ignorieren oder sie zu verspotten, wie viele es tun. Die Frage ist: Sind diese Lehren wahr? Wenn ja, weshalb dann der Spott? Wenn sie aber falsch sind, dann soll man das beweisen. Wir schließen mit dem Satz, dass jenes große Glaubenssystem, das Calvins Namen trägt, nichts weniger ist als die Hoffnung der ganzen Welt. __________________________________________________________________ [389] Smith, The Creed of Presbyterians, S. 7. [390] Ebd., S. 74. [391] Quelle nicht angegeben. [392] Quelle nicht angegeben. [393] McFetridge, Calvinism in History, S. 113. [394] Presbyterians and the Revolution, S. 140. [395] Warburton, Calvinism, S. 78. [396] Froude, Calvinism, S. 7. [397] Ebd., S. 8. [398] Zu den "Dissenters" zählten Andersdenkende, die sich ihrer abweichenden Meinung wegen von der Amtskirche getrennt hatten. Dazu zählten u. a. John Bunyan, John Knox, Daniel Defoe, Matthew Henry und Joseph Priestly (A. d. Ü.). [399] Der Methodismus stellt heutzutage vielfach eine Heiligungsbewegung dar, die sich als Arminianismus in klarer Abgenzung zum Calvinismus versteht (A. d. Ü.). [400] Calvinism in History, S. 151-153. [401] Ansprache vor der Generalversammlung der Presbyterianischen Kirche in den USA, 1929. [402] Ein amerikanischer Prediger und Bruder Harriet Beecher-Stowe's, der Autorin von Onkel Toms Hütte (A. d. Ü.). [403] Plymouth Pulpit, Article, Calvinism. [404] Power and Claims of a Calvinistic Literature, S. 35, Zitiert aus Smith, The Creed of Presbyterians, S. 105. __________________________________________________________________ __________________________________________________________________ This document is from the Christian Classics Ethereal Library at Calvin College, http://www.ccel.org, generated on demand from ThML source. References 1. http://www.betanien.de/ 2. http://www.desiringgod.org/Search/?search=TULIP&x=0&y=0 3. http://www.heiligenlexikon.de/Literatur/Martin_Luther_unfreier_Willen.htm 4. http://www.the-highway.com/calvin's_calvinism_index.html 5. http://www.Calvinismus.de/