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5) Vernünftigkeit und Verständnis der Lehre

Wahrscheinlich ist kein anderes Gedankensystem so grob und schwerwiegend und manchmal so absichtlich falsch interpretiert worden wie der Calvinismus. Viele Kritiker des Calvinismus haben das System nicht einmal angemessen durchdacht. Es kann rechtens davon ausgegangen werden, dass unsere Gegner unsere Anschauungen im allgemeinen nur wenig kennen und dass sie das, was sie von bloßem Hörensagen kennen, nicht miteinander verbinden können. Die Prädestinationslehre macht die Weltweisheit zur Lachnummer, genauso wie die Weltweisheit nur Spott für die Prädestinationslehre hat. Wenn irgendeine Lehre den Juden Ärgernis und den Heiden Torheit ist, dann sicherlich diese. Ohne weitere Erklärung scheint die Prädestinationslehre paradox zu sein, und denjenigen, die nur die Lehraussage selbst kennen, muss ein Rätsel bleiben, wie gottesfürchtige und gedankenvolle Geister sie je haben vertreten können. Aber es geht in diesem Fall wie in vielen anderen auch: Wenn wir Grund und Aufbau sorgfältig erforschen, wird der paradoxe Charakter der Lehre zumindest verkleinert, wenn er zuletzt nicht ganz verschwindet.

Daher bitte ich darum, dass der Leser dieses Lehrsystem unvoreingenommen untersucht und seine Implikationen und Beziehungen sowie seinen logischen Zusammenhalt studiert. Wir haben schon gesehen, dass es in der Schrift wurzelt; wenn wir aus Natur und menschlichem Leben hinzuziehen, was klar zutage tritt, dann reicht das wohl aus, um das Gedankengebäude nicht nur möglich sein zu lassen, sondern bald auch wahrscheinlich, geradlinig und gerecht. So gesehen wird es nicht länger als die willkürliche, paradoxe und unmoralische Lehre erscheinen, als die es seine Gegner so gerne sehen, sondern als ein Lehrsystem, das der göttlichen Majestät große Ehre einträgt. Diese Lehren sind selbstverständlich nicht das, was der natürliche Mensch zu finden erwartet. Dem unerleuchteten Verstand erscheint eine Religion, die nach menschlicher Anstrengung verlangt, wesentlich natürlicher, und wenn wir Menschen selbst ein Lehrsystem entwickeln wollten, dann wäre wohl kaum eines von tausend dabei, in dem ein Erlöser von sich selbst aus einen solchen Segen errungen hätte, um ihn seinem Volk zu bringen. Zanchius sagte einmal:

»Der natürliche Mensch, der unerleuchtete Verstand schrickt vor diesem System zurück; im Gegenteil dazu wird der geistliche Mensch eine solche Wahrheit nur umso lieber ergreifen.«269269     Quelle nicht angegeben

Froude sagt:

»Mag der Arminianismus unseren Gefühlen sehr entgegenkommen, ist dennoch der Calvinismus näher an den Fakten, wenn diese auch schwerer annehmbar zu sein scheinen.«270270     Quelle nicht angegeben

Der Calvinismus verlässt sich lieber auf die göttliche Offenbarung als auf den menschlichen Verstand, lieber auf die Fakten als auf die Sinne, lieber auf das Wissen als auf die Vermutung und lieber auf das Gewissen als auf Gefühle. Wie schon gesagt: Viele sehen in diesem Lehrgebäude nichts als eine seltsame Torheit. Doch wenn diese Lehren auch nur mit ein wenig Sorgfalt studiert werden, bleiben sie weder ungewiss noch so schwierig, wie man den Anschein erwecken will; die Ungewissheit und die Schwierigkeit ist vielmehr auf menschlichen Stolz zurückzuführen, auf die Sündenliebe und auf die Unkenntnis unseres wahren Herzenszustandes. Diejenigen, die das System überzeugt hat, fühlen sich beinahe so, als lebten sie in einer anderen Welt, so sehr verändert sich ihre Weltsicht.

»Wohin die Kinder Gottes auch sehen, sehen sie soviel unglaubliche Beispiele von Blindheit, Unwissenheit und Gefühllosigkeit, dass sie mit Schrecken erfüllt werden, während sie selbst mitten in dieser Dunkelheit göttliche Erleuchtung empfangen haben und wissen und fühlen, dass es so ist.«271271     Calvins Calvinism, S. 30.

Wenn wir ein Wort von Alexander Pope paraphrasieren dürfen, können wir es sehr passend auf diese Thematik anwenden:

»Ein wenig Prädestination ist ein gefährlich Ding; trink lieber tief davon, oder lass die Finger von dieser heiligen Quelle.«

Hier und auch in manch anderen Fällen sind die ersten Atemzüge verwirrend und beunruhigen die Gedanken, doch je mehr man davon atmet, desto mehr verfliegen die betäubenden Auswirkungen uns lassen uns wieder zu uns selbst kommen.

Diese erhabene Philosophie der Souveränität Gottes, die mit der menschlichen Freiheit korrespondiert, findet sich überall in der Bibel. Es wird aber nirgends auch nur der Versuch gemacht zu erklären, wie diese beiden Dinge zusammengehen. Da ist die unabdingbare Annahme, dass Gott der unumschränkte Herrscher ist, der sogar die geheimsten Gedanken, Gefühle und Triebe des Menschen regiert; auf der anderen Seite der Mensch, der niemals anders als Vernunftwesen gezeigt wird, das mit seiner Handlungsfreiheit verantwortlich für diese seine Handlungen ist. Die Lehren von der Vorherbestimmung, der Souveränität und der wirksamen Vorsehung gehen Hand in Hand mit denen von der Freiheit und der Verantwortlichkeit vernunftbegabter Geschöpfe. Er wird nicht behauptet, die Prädestinationslehre sei leicht zu verstehen, sehr wohl aber, dass sich die Schwierigkeiten ohne diese Lehre noch vergrößern. Dass eine Wesenheit von unendlicher Weisheit, Macht und Güte ein Universum schaffen sollte und es dann wie ein riesiges Flugzeug ohne Piloten lässt: dies ist eine Annahme, die unsere grundsätzliche Auffassung von Gott zersetzt und dem ganzen Zeugnis der Heiligen Schrift widerspricht — und ebenso unserer täglichen Erfahrung und dem Hausverstand. Charles Hodge beginnt seine Abhandlung über die Beschlüsse Gottes mit folgendem Satz:

»Es muss daran erinnert werden: Theologie ist nicht Philosophie. Die Theologie zielt nicht darauf ab, Wahrheiten zu entdecken oder auch jene Wahrheiten, die sie hat, mit allen anderen Wahrheiten zu versöhnen. Ihre Provinz ist die statuarische Aufstellung dessen, was Gott in seinem Wort enthüllt hat. Diese Sätze sind so weit wie möglich gegen Missverständnisse und Einwände zu verteidigen. Diese begrenzte und bescheidene Aufgabe der Theologie darf man nicht aus den Augen verlieren, wenn man auf die Handlungen und Zwecke Gottes zu sprechen kommt. ›Ebenso kennt auch niemand das Göttliche, als nur der Geist Gottes‹ (1 Kor 2,11). Wenn wir uns mit den Ratschlüssen Gottes befassen, dann haben wir nichts weiter zu tun, als offenzulegen, was dem Heiligen Geist gefallen hat, uns über diese Beschlüsse mitzuteilen.«272272     Charles Hodge, Systematic Theology, Bd. 1, S. 530.


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